Archiv der
Brandenburg
gesell schaff
heimatkunde
Brandenburgia,
gesellschaft für
heimatkunde der
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IN COMMKMORVTION OF THE VISIT OF
HIS ROYAL HIGHNESS
PRINCE HENRY OF PRUSSIA
MAKCII SIXTH.I90*
ON HE HALF OF IIIS MAJESTY
THE GERMAN EMPEROR
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ARCHIV
DER
„BRANDENBURGS"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
13ER.L.IIV. - '
Unter Mitwirkung des Märkischen Provinzial-Museums
herausgegeben
vom
Gesellschafts - Vorstande.
1. Band.
Berlin, 1894.
Druck und Verlag von P. Stankicwicz' Buchdruckerei,
Bernburgcrstrasse 14.
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Hasard College Library
APR 23 1909
Hohcnzollorn Collection
Gift of A. C. Cooüc'-e
1
3j
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Ankündigung
betreffend das
Archiv der „Brandenburgia"
Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg.
In Bezug auf die Herausgabe des „Archivs" ist bei den mehrfachen
Erörterungen im Vorstand und Ausschuss übereinstimmend Folgendes
beschlossen worden.
1. Das Archiv erscheint in zwanglosen, zu Bänden zu vereinigenden
Heften oder in fertigen Bänden, unter Mitwirkung des Märkischen
Provinzial-Museums, in Druck und Verlag von P. Stankiewicz'
Buchdruckerei hierselbst mit einer Auflage von 500 Exemplaren
und der Ausstattung des Monatsblatts unserer Gesellschaft, heraus-
gegeben vom Gesellschafts- Vorstande.
2. Die Verfasser der einzelnen Aufsätze und Mitteilungen sind für
den formellen wie materiellen Inhalt derselben verantwortlich.
3. Die Mitglieder der Gesellschaft erhalten ein Exemplar des Archivs
unentgeltlich.
4. Die zu 2 bezeichneten Verfasser erhalten zwanzig Sonderabzüge
ihrer Aufsätze und Mitteilungen unentgeltlich. Zu diesem Behnfe
hat der Drucker es so einzurichten, dass jeder Aufsatz pp. mit
einer vollen Seite und entsprechendem Titel beginnt. Die Pagi-
nirung läuft aber durch den jedesmaligen Band des Archivs
ununterbrochen fort.
5. Im Tauschverkehr wird der Regel nach diesseitig nur das Monats-
blatt abgegeben, das Archiv ausserdem nur dann, wenn die
Gegenleistungen sei es durch ihren Inhalt, sei es durch ihre
Ausstattung (Abbildungen pp.) besonders werthvoll sind.
6. Der Ladenpreis für das Archiv wird von Band zu Band in jedem
einzelnen Falle durch ßeschluss festgesetzt werden.
Berlin den 1. April 1894.
Vorstand und Ausschuss der Gesellschaft für Heimatkunde
der Provinz Brandenburg.
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Übersicht.
S«ita
1. Einleitung von Ernst Friedel VII
2. Dr. Emil Bali rfeld: Das markische Münzwesen im Mittelalter. (Mit Ab-
bildungen.) 1
3. G. Bluth, Geh. Baurat und Konservator der Kunstdenkmaler der Provinz
Brandenburg: über neuaufgefundene Tafelbilder in der Kirche zu Zielenzig.
(Mit Abbildungen.) 25
4. Dr. Georg Galland: Was eine Brandenburgische Kurfüretin an Schmuck,
Gerätschaften und dgl. besass 28
5. Emil von Maltitz, Major z. D.: Zur Geschichte des Cistercienser- Jungfrauen-
Klosters und Stifts zum Heiligen Grabe bei Wilsnack in der Priegnitz. ... 36
6. Erich Schild, Divisionspf arrer : Das brandenburgisch - preussische Feld-
predigerwesen in seiner geschichtlichen Entwickelung 85
7. Rodert Mielke: Das Bauernhaus in der Mark. M(it Abbildungen.) . . . 104
8. Dr. Paul Schwartz-Friedenau: Kirchliches Leben in einer märkischen
Stadt während des siebzehnten Jahrhunderts (Königsberg N.-M.) 127
9. Dr. Wilhelm Schwartz, Geheimer Regierungsrat und Professor: Vom
Sagensammeln. Erinnerungen aus meinen Wanderungen in den Jahren
1837-1849 143
10. Register 159
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■
Einleitung.
Laut Beschluss des Vorstandes und Ausschusses giebt die Gesell-
schaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg neben dem regelmässig
erscheinenden „Monatsblatt" ein „Archiv" heraus in zwanglosen Heften,
welche nach Bedarf zu Bänden vereinigt werden.
Anlässlich der Veröffentlichung des ersten Heftes unsers Archivs
wird es angezeigt erscheinen, auf das satzungsgemässe Forschungsgebiet
der Gesellschaft hinzuweisen: Landeskunde, Altertumskunde, Ge-
schic htskunde.
Die Landeskunde, oder wie wir es lieber ausdrücken, die
Heimatkunde unserer Provinz Brandenburg, ist absichtlich voran-
gestellt, denn unsere Gesellschaft betrachtet sich, ihrer Entstehung gemäss,
zuvörderst als ein dienendes Glied der Zent ral-Kommission für
wissenschaf tliche L andeskunde von Deutschland und wird sich
diesbezüglich gern auch dem zu begründenden Zentral-Verein für
wissenschaftliche Landeskunde von Deutschland unterordnen. Die nahe
Verwandtschaft der Landeskunde mit der angewandten Erdkunde springt
ins Auge, steht doch die Pflege der Landeskunde unsers Vaterlandes auf
der Tagesordnung der Deutschen Geographentage fast ebenso lange, als
diese abgehalten werden; so nachhaltig haben die Anregungen gewirkt,
welche Richard Lehmann 1882 gegeben hat,*) und, fügen wir hinzu,
welche durch Alfred Kirchhof!' und Albrecht Penck so unermüdlich
in fachkundigster Weise gefördert und unterstützt worden sind.
Wenn wir in u nsei en Satzungen die Förderung der A 1 1 e r t u m s -
kuude besonders hervorheben, obwohl dieselbe unter den Begriff der
Landes- und Heimatkunde allgemein gerechnet wird, so geschieht dies
zunächst aus dem äusserlichen Grunde, weil anderweitig keine Zeitschrift
*) Vgl. Penck: Berieht der Zentral- Kommission für Wissensch. Landeskunde
von Deutschland Aber die zwei Geschäftsjahre von Ostern 1891 bis Ostein 18fl;l.
Bcvlir. iso.-i. s. 4.
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VIII
Einleitung.
und keine Gesellschaft sich der Altertumskunde der gesammten Provinz
Brandenburg widmet, insbesondere aber auch deshalb, weil die Begründung
einer wissenschaftlichen Altertumskunde unseres Landes erst wenige
Jahrzehnte alt ist, dieselbe gleichwohl aber, namentlich soweit die Vor-
geschichte umfassend, das allgemeinste Interesse erregt und doshalb
besonders in den Vordergrund gestellt zu werden verdient.
Was die Geschichtskunde anlangt, so sind die bedeutendsten
Forscher im Gebiet der Landeskunde bis jetzt über die Gebiete der
Geschichte, welche sich für die landes- oder heimatkundliche Bearbeitung
eignen, bis zum heutigen Tage schwankend. Friedrich Bach mann in
seinem vortrefflichen Werk: Die landeskundliche Literatur über die
Grossherzogtümer Mecklenburg (Güstrow 1889) hat die politische
Geschichte ganz fortgelassen. Als unsere „Braudenburgia" begründet
wurde, haben über diesen Punkt unter Zuziehung von bewährten Sach-
verstandigen im Schoosse des Vorstandes und Ausschusses eingehende
Erörterungen stattgefunden, welche ohne Widerspruch einstimmig dahiu
übereinkamen, die eigentliche politische und archivalische Geschichte
auszuschliessen und sich mehr auf die Kulturgeschichte zu beschränken.
Solches muss heut nochmals auf das Nachdrücklichste betont werden.*)
Es sind mehrere wissenschaftliche Vereinigungen in Berlin und der
Provinz Brandenburg vorhanden, welche jene Geschichts- Gebiete pflegen;
unser Arbeitsplan ist ohnehin ein ausserordentlich weiter und in vielen
Feldern noch kaum augebaut, sodass wir auf die politische Geschichts-
forschung verzichten zu sollen vermeinen, desgleichen auf die archi-
valische Herausgabe von Urkunden u. dgl. Allerdings sind die Grenzen
zwischen Staaten- und Kultur-Geschichte schwer zu ziehen, sie können
im gegebenen Falle sich vermengen, und es mag ein Aufsatz oder Vor-
trag, den wir gern annehmen, wohl auch einmal unter das Schema der
politischen Geschichte rubrizierbar sein. Das ändert aber an dem Prinzip,
wie wir es im Allgemeinen bezüglich der Geschichtsforschung für unsere
Gesellschaft aufgestellt haben, in keiner Weise etwas.
Immerhin wird es unseren Mitgliedern uud manchen ausserhalb
unserer Braudenburgia stehenden Gelehrten von Wichtigkeit sein, eine
genauere Inhalts- Übersicht der hauptsächlicheren Fächer unsere wissen-
schaftlichen Forsehungsstoftes kennen zu lernen. Die nachfolgende Ver-
teilung des letztern schliesst sich an das von Friedrich Bachmann a. a. O.
aufgestellte System im Wesentlichen an.
I. Bibliographie der Heimatkunde.
II. Landesvermessung, Karten, Pläne u. dgl.
III. Heimatkundliche Gesamtdarstellungen und Statistik.
*) Siehe Monatsblatt. I. S. 'JS.
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Einleitung.
IX
IV. Landesnatur.
A. Oberflächengestaltung und geologischer Bau.
B. Gewässer.
C. Klimatische Verhältnisse.
D. Pflanzenwelt.
E. Tierwelt.
V. Bewohner.
A. Allgemein Kulturgeschichtliches.
B. Die Bewohner nach Körperbau, Herkunft und Wohnsitzen
von der Ur- und Vorgeschichte ab.
C. Die Bewohner nach ihrer Sprache.
D. Die Bewohner nach Volksglaube und Volkssitte.
E. Bevölkerungsstatistik.
F. Gesundheitsverhältnisse.
G. Wirtschaftliche Kultur.
H. Geistige Kultur.
VI. Spezielle Ortschaftskunde.
VII. Vergleichende Heimatkunde.
Was uns besonders not thut, ist — zu I des Forschungsplans —
ein wissenschaftliches Repertorium über die gesamte landes-
kundliche Literatur. An Vorarbeiten fehlt es nicht ganz, dem Märkischen
Museum sind im Lauf der letzten Jahre einzelne Anfänge (namentlich
atif die Münzkunde und die Mediziualkunde bezüglich) zugegangen, welche
aber der Ergänzung und Anpassung an ein allgemeineres System be-
dürfen. Dadurch, dass Berlin von der Provinz Brandenburg weder aus-
geschlossen werden soll noch kann, häufen sich, wie auf der Hand
liegt, die Schwierigkeiten bei Aufstellung der Literatur -Verzeichnisse
ganz ausserordentlich.
Soll die Literatur, wie Dr. E r man (Verh. der Gesellsch. für Erdkunde
zu Berlin, XH. 1885 S. 96 — 113) es verlangt, d. h. mit peinlichster
archivalischer Genauigkeit und Umständlichkeit, was ja zweifellos an
sich recht wünschenswert ist, zusammengestellt werden, so bedingt dies
an die Opferwilligkeit freiwilliger Bearbeiter recht grosse Anforderungen
inbezug auf Zeit, Arbeitskraft und auch Geld. Veröffentlicht man da-
gegen die Schriften -Titel in der meist beliebten abgekürzten Form, so
wird man auf kritische Angriffe und Bemängelungen gefasst sein müssen.
Die „Brandenburgia" wird Veranlassung nehmen, auf diesen wichtigen
Punkt, der hier nur angestreift werden kann, in ihren Arbeits-Sitzungen
und in ihrem „Archiv" eingehend zurückzukommen.
Nach diesseitiger Auffassung wäre die Aufstellung eines,
alle deutschen Landesteile umfassenden heimatkundlichen
Literatur-Verzo ichnisses recht eigentlich Sa che des Deutschen
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X
Ernst Friedel.
Reichs, welches einen besoudern wissenschaftlichen und
geschäftlichen ständigen Ausschuss dafür berufen und die
nicht unbeträchtlichen Mittel für die Besoldung der Mit-
arbeiter, die Korrespondenz und die sonstigen Kosten (der
Drucklegung u. s. f.) zu bestreiten haben würde. Es ist eine
Ehrensache des Deutschen Reichs diese hochwichtige vaterländische und
wissenschaftliche Angelegenheit neben der Herausgabe der Monumenta
Germaniae, neben der Erforschung des römischen Grenzwalls (limes
romanus) und ähnlichem von Amtswegen zu betreiben.
Soweit die heimatkundliche Literatur der Provinz Brandenburg in
Frage kommt, würde unsere Gesellschaft zu einer Förderung und Unter-
stützung jeder Zeit sich willig bereit finden lassen.
Berlin den 18. April 1894.
Ernst Friedel.
Das märkische Münzwesen im Mittelalter.*)
Von
Dr. Emil Bahrfeldt.
Selbst in unseren sonst so aufgeklärten Tagen hört man bisweilen
noch die Frage aufwerfen, ob denn der Beschäftigung mit alten Münzen
in der That ein tieferer Wert innewohne, ob die Münzkunde wirklich
eine so wichtige Wissenschaft sei, wie die Numismatiker behaupten.
Manche können sich von dein Wesen dieser Wissenschaft keine rechte
Vorstellung machen, sie sehen den Numismatiker lediglich als Kuriosi-
tätensammler an, der seiner Liebhaberei frölint, ohne ein tieferes, ernstes
Streben damit zu verbinden. Man kann es nicht recht verstehen, dass
nicht allein die öffentlichen, staatlichen wie städtischen, Münzsammlungen
kultiviert werden, sondern dass auch Privatleute mit grossen Opfern an
Zeit und Gehl es sich angelegen sein lassen, eine Münzsammlung zu
halten, zu pflegen und ihrem Studium sich hinzugeben.
Früher urteilte mau freilich noch härter in dieser Beziehung, das
belegt z. B. eine alte Nachricht, die den ehrwürdigen Bischof v. Culm,
Stephan v. Heideburg, am Ende des 15. Jahrhunderts betrifft. Ihn
hatte nämlich das damals immer schlechter werdende Geld veranlasst,
auf seinem Residenzschlosse Lübau in Preussen eine sehr bedeutende
Anzahl Münzen zu wissenschaftlichen Untersuchungen zu sammeln. Je
vereinzelter aber ein solches numismatisches Studium für damalige Zeiten
war, desto mehr war der gelehrte Greis dem verkehrten Urteile der
grossen Menge ausgesetzt. Und so lieisst es denn über ihn wört-
lich: „Er sass uf seinem schlösse zu Luhe und besag den tag über die
fremde und seltsame muntze, die er hatte. Denn man sagte von yiu,
das er sich vorhin beflissen hette, das er aller lande muntze bette. Dys
that er mehr aus dumbheit, denn anders warumb, den er war seer
ein alter manu!"
*) Vortrag, gehalten in den Sitzungen der Bramlenhurgia vom 25. Januar und
22. Februar ISO:}. Vgl. Monatsblatt der Oes. für Heimatkunde Heft 11 u. 12.
1
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2
Emil RahrfeMt:
Nun, wenn auch heute ein solches Urfeil über den Numismatiker
nicht mehr vorkonunen kann, so sind die von ihm verfolgten Ziele doch
immerhin noch nicht allgemein erkannt und gewürdigt. Die Aufgabe
und das Ziel des Münzforschers ist es aber, die Münzen unserer Vor-
fahren nach Zeit und Ort ihrer Prägung festzustellen, ihre Prägejierren
zu ermitteln, die Darstellungen, Zeichen und Inschriften auf den Münzen
zur Erklärung zu bringen, die Münzen nach Metall, Form, Grösse,
Schrot, Korn und Wert zu bestimmen, die Münztechnik zu beleuchten,
die Entwickelung und das Fortschreiten in der Kunst des Stempelschnei-
dens und Prägens durch die Münzbeamten zu verfolgen, — Alles in
Allem: die Münzen in historischer und kulturgeschichtlicher Beziehung
zu erforschen.
Die Münzkunde gehört zur Archäologie, während die Geldlehre,
um einen Schritt weiter zu gehen, einen Zweig der Nationalökonomie
bildet und die Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel und als Wert-
mass für die wirtschaftlichen Güter behandelt. Münzkunde und Geld-
lehre greifen eng in einander. Bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft
ist es für den Numisiuatiker durchaus unerlässlieh, auch die Geldlehre
zu berücksichtigen. Leider Oberseiten das selbst heute noch Münzforscher,
die zu den hervorragenderen gezählt sein wollen.
Die hauptsächlichsten Quellen, aus denen der Numismatiker bei seinem
Studium zu schöpfen hat, sind die Münzfunde und die Archive. Die
ersteren bringen die ehernen Zeugen dahingeschwundener Jahrhunderte
aus Licht, und die letzteren machen mit dem geschriebenen Worte über
das Münz- und Geldwesen bekannt. Nur die Benutzung beider Quellen
führt zum Ziele; wer die eine oder andere entbehren zu können glaubt,
gerät auf Abwege und kommt zu falschen Schlüssen, die sich bitter
rächen.
Und nun der Nutzen der Münzkunde, — wie wird er meist unter-
schätzt! Und doch ist er von höchster Wichtigkeit. Denn die Münzen
geben Aufschluss über die Kultur längst untergegangener Völker, sie
leltren uns ihre Sitten und Gebräuche kennen, die Entwickelung ihrer
Industrie und Gewerbe, ihrer Handels- und Verkehrsverhältnisse. Die
Münzen zeigen uns die früheren Bauwerke und deren Einrichtung, die
Geräte und sonstigen Gegenstände des täglichen Lebens, die Watten und die
Ausrüstungen in kriegerischen Zeiten. Sie sind die sprechenden Beweise
für den einstigen Bildungsgrad der Völker, sie führen uns das Auf-
steigen, die Blüte und den Niedergang der Kunst vor Augen. Sie über-
liefern die getreuen Gesichtszüge der Herrscher früherer Jahrhunderte,
und oftmals weisen sie allein die Namen verschollener Fürsten, unter-
gegangener Städte nach, wiederholt sind durch sie Personen und Orte
ermittelt worden, die die historische Ueberlieferung garnicht kennt.
Dunkele geschichtliche Thatsachen werden durch die Münzen aufgehellt
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Das milrkische Münzwesen im Mittelalter. 3
und erforscht, irrige Angaben der Schriftsteller berichtigt. Und endlich
sind bei Altertuinsfunden oft ausschliesslich die beigegebenen Münzen
es gewesen, aus denen mit Zuverlässigkeit das Alter der Gegenstände
gesichert werden konnte.
Dies sind alles Punkte, die eiue so weittragende Bedeutung in sich
schliesseu, dass es nur dieses kurzen Hinweises bedürfen wird, um den
Glauben an die Wichtigkeit und den Nutzen des Studiums der Münz-
kunde bei Jedermann zu festigen.
Auf eingehendere Auslassungen über den Begriff Münze, über den
Anfang der Münzprägung überhaupt, die Herstellungsweise des Geldes,
die verschiedenen Münzsysteme und dergleichen an dieser Stelle näher
einzugehen, muss ich mir versagen. Ich berühre nur, dass man ebenso
wie die Geschichte, auch die Münzkunde in drei grosse Abschnitte teilt:
die alte, die mittelalterliche und die neue. Die Grenzen sind nicht in
allen Ländern gleichmässig zu ziehen, aber im allgemeinen wird man
die antike Münzprägung von etwa 600 vor Christi bis ungefähr zum Jahre 500
nach Christi Geburt, die mittelalterliche bis etwas über das Jahr 1500
hinaus, bis gegen 1520, die neue von da ab bis zur Jetztzeit zu rechnen
haben.
Für unsere engere Heimat, dio Mark Brandenburg, deren Münz-
wesen ich als Gegenstand meiner Abhandlung gewählt habe, kommen
die antiken Münzen nur in sofern in Betracht, als es von numis-
matischem Interesse ist, die spärlichen Auffindungen solcher Gepräge
in ihr zu verzeichnen. Die Mark hat selbstständige Gepräge erst aus
mittelalterlicher Zeit geliefert, erst verhältnissmässig spät eigenes Geld
gehabt, nicht vor dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts. Was vor dieser
Zeit im Lande in beschränktem Masse umlief, das waren von Westen
her gekommene deutsche Denare, zweiseitige Silber-Pfenninge, wie sie
heute noch in den Funden öfter zu Tage treten.
Es ist eine alte Erfahrung, dass die Münzprägung fast immer
neben dem Christentum einhergeschritten ist, so auch in der Mark. Als
im 12. Jahrhundert die Bekehrung des Hevellerfürsten Przibislaw zum
Christentum geschehen, da ist auch alsbald die erste märkische Münz-
prägung zu verzeichnen. Die Zeit Przibislaws ist immer noch dunkel,
viel Sagenhaftes umgiebt ihn. Die Quelle, aus der früher die Nach-
richten über ihn geflossen, ist die Chronik des Pulkava, geschrieben um
1373 und entnommen aus der Chronica episcoporum Brandeuburgensium.
Pulkava berichtet ausführlich, dass Przibislaw mit seiner Gemahlin zum
Christentum übergetreten sei und, da er keinen Leibeserben gehabt, seinen
Nachbarn Albrecht den Bären zu seinem Erben eingesetzt habe. Auch
sei er Pate von Albrechts ältestem Sohne Otto gewesen, dem er die
Zauche als Patengeschenk gegeben habe. In Folge der Annahme des
christlichen Glaubens habe Przibislaw oder, wie er als Christ hiess,
J
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4
Emil BahrfeMt:
Heinrich, «Iii* Praemonstratcnser als Canonici des heiligen Petrus nach
Brandenburg berufen, wobei er sich der Unterstützung des branden-
burgisehen Bischofs Wigger bedient habe. Als Heinrich hoch betagt
in Brandenburg gestorben sei, habe seine Gattin Petrissa den Tod zu-
erst verheimlicht und schleunigst Albrecht dem Bären davon Nachricht
gegeben, damit er käme und Besitz von dem Lande, seinem Erbe, nähme.
Das sei geschehen. Indessen habe Heinrichs Verwandter, der Fürst
Jacza, der Erbansprüche zu besitzen geglaubt, die Feste Brandenburg
Albrecht dem Bären durch Bestechung entrissen, letzterer aber habe sie
mit Hülfe des Erzbisehofs Wichmann von Magdeburg am 11. Juni 1157
wieder erobert.
Die Zweifel, mit denen man diese Nachrichten früher betrachtet
hat, sind später geschwunden gegenüber dem Fragment einer Chronik
aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts, aufgefunden durch O. v. Heine-
mann, die fast wörtlich mit Pulkavas Bericht übereinstimmt, und weiter
auch durch eine gleichzeitige Chronik, die Annalen von Pöhlde. Und
nun treten schliesslich auch noch die Münzen in die Reihe, die wenigstens
die. einstige Existenz der sagenhaften Fürstin Petrissa bestätigen.
Im Herbste 1880 ist nämlich bei Michendorf, unweit Potsdam, ein
Münzenfund von so hervorragender Wichtigkeit gehoben worden, wie er
für die brandenburgische Münzkunde seines Gleichen im entferntesten
nicht hat, und in diesem Funde traten zum ersten Male Münzen auf,
die auf der Vorderseite das Brustbild Heinrichs, gesichert durch die
Umschrift HF:iN BRAND, und auf der Rückseite das Brustbild Petrissas
mit der Umschrift ihres Namens tragen. (Abbild No. 1 u. 2.) Das war
eine Entdeckung, die in der numismatischen Welt das grösste Aufsehen
hervorrief.
Der Name Petrissa, nicht etwa slavisch, sondern gut deutsch, ist
Femininalform von Petrus, also Petra, Petrussa, Petrissa. Der Name
kommt auch anderweitig unter christlichen Namen vor. Wie Heinrichs
Gemahlin vor ihrem Übertritte zum Christentum geheissen, steht noch
nicht fest; den Namen Petrissa hat sie zu Ehren des heiligen Petrus,
Brandenburgs Schutzpatron, angenommen.
Neben diesem Gepräge giebt es noch zwei sichere andere Pfenninge
Przibislaw- Heinrichs (No. 3 u. 4), beide mit seinem Reiterbilde, der
i.
2.
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Das markische Münzwesen im Mittelalter.
5
eine mit einein viertürmigen Gebäude, der andere mit einem Bischöfe,
wahrscheinlich dem Bischöfe Wigger von Brandenburg, auf der Rückseite.
Dieser stammt aus einem schon 1858 bei Schollehne, unweit Havelberg
gemachten Funde, jener wie der Petrissapfenning aus dorn Schatze von
Michendorf.
Anzuschliessen ist auch noch ein Pfenning (No. 5), der freilich
nicht mit derselben Sicherheit wie die vorigen au Przibislaw-Heinrich
gegeben werden kann. Er hat zwei sitzende Fürsten, deren verstümmelte
Beisehriften auf Heinrich und auf Albrecht den Raren deuten können
und den Gedanken an eine Gemeinschaftsprägung der beiden Nachbarn
nicht ganz unterdrücken lassen.
Heinrich starb im Jahre 1150 uud es reihen sich an seine Münzen
diejenigen seines Verwandten, des vorher schon genannten VVendenfürsten,
oder -Knaes, Jakza, der seinen Sitz in Köpenick bei Berlin hatte. Waren
die Münzen Przibislaw-Heinrichs zweiseitige Denare, so haben wir es
bei denen Jakzas mit ganz dünnen, einseitig geprägten Denaren zu thun, die
von den Numismatikern, nicht aber zur Zeit ihrer Prägung, mit dem
Kunstausdruck Bracteaten bezeichnet werden, nach dem lateinischen
bractea, dünnes Metallblech.
Abgesehen von einem Stücke (No. 10) sind die Bracteaten .lakzas
mit einer Umschrift versehen, die in abgekürzter Form IACZA KNES,
IACZA COPNIO CNES, IACZA DE COPNIC und einmal sogar, auf dem
kostbaren Unikum meiner Sammlung (No. 11), TACZO DE COFNING
DEN AK 11 lauten.
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G
Euiil Bahrfeldt:
10 11 12
Diese 7 Bracteaten (No. 6 bis 12) zeigen den Knaes viermal im
Brustbilde, einmal stehend in ganzer Figur, zweimal sitzend. Er ist
bewehrt mit Schwert, Schild, Fahne, vereinzelt trägt er das Patriarchen-
kreuz, bei sechs Exemplaren ist ein Palmzweig angebracht. Die Münzen
sind von zierlicher Arbeit, die Aufschriften korrekt, ja bei dem einen
Bracteaten (No. 7) mit dem grossen, langbärtigen Profilkopfe wird man
sogar glauben dürfen, das Portrait Jakzas vor sich zu haben. Die
Münzen schliessen sich aufs engste an gleichzeitige magdeburgische
Bracteaten an. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Attribute Palm-
zweig und Patriarchenkreuz magdeburgischen Pfenningen entlehnt sind,
dass letztere die Vorbilder für Jakzas Prägung abgegeben haben. In
Magdeburg waren Bracteaten mit dem heiligen Moriz, sogenannte Moriz-
pfenninge, gang und gäbe. Es bietet keine Schwierigkeiten einzelne davon
als Vorbilder herauszufinden. Auch schon bei den Denaren Heinrichs
waren die magdeburgischen Pfenninge die Muster, und gleiches werden
wir auch unter den nächsten Herrschern der Mark noch mehrfach zu
sehen haben; in der Münzprägung kam dem jungen brandenburgischen
Staate die Kultur von Magdeburg.
Das Alter der Bracteaten Jakzas von Köpenick lässt sich ziemlich
genau bestimmen und zwar aus den Urkunden. Jakzas Münzen tragen
sämmtlich sichere Embleme des Christentums; er hat sie also zu-
versichtlich erst schlagen lassen, nachdem er Christ geworden war.
Als er Brandenburg einnahm und bis zur Wiedereroberung durch Albrecht
den Bären am 11. Juni 1157 besass, war er noch Heide, das steht fest
aus einer Urkunde des Bischofs Wilmar von Brandenburg vom
Jahre 1161. Jakza hat also erst nach 1157 den christlichen Glauben
angenommen und dann die Prägung vor sich gehen lassen.
Es ist wiederholt der Nachweis versucht worden, dass unser Jakza
von Köpenick nicht der Münzherr der besprochenen Bracteaten sei. Rabe
war es im Jahre 1856, der die Ansicht vertrat, dass der Jakza ein
polnischer Heerführer und das auf seinen Münzen genannte Köpenick
das Kopuitz in der Provinz Posen gewesen sei. Nachdem dieser Ver-
such widerlegt, ist Sello 1885 wieder auf die Frage zurückgekommen
und hat die Behauptung aufgestellt, der Münzjakza sei mit dem
urkundlich als a\ unculus des Przibislaw-Hcinrich genannten Jakza nicht
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Das märkische Münzwesen im Mittelalter.
7
identisch, weil letzterer in den Urkunden dux Poloniae genannt werde
und der Name Jakza häufig vorkomme. Nur das Letztere ist richtig:
es hat viele I Torren des Namens Jakza gegeben, denn dieser ist lediglich
die slavische Form für .Johannes, — alles Andere ist hinfällig. Der Münz-
kenner weiss die Unmöglichkeit, dass die Umschrift der Münzen einen
anderen Ort als unser Köpenick an der Spree bezeichnen kann. Und
ferner hat man da,s Polonia zu damaligen Zeiten ganz gewiss im weiteren
Sinne zu verstehen, nicht in dem engen Rahmen des eigentlichen Polens,
so dass es sich sehr wohl auf einen, vom deutschen Einflüsse unab-
hängigen Wendenfürsteu, auf unsern Jakza beziehen kann. Der historische
Jakza, «1er avunculus Przibislaws, ist unbedingt identisch mit dem
Köpenicker Müuzjakza.
Die Münzen der slavischen Herrscher in der Mark sind hiermit
erschöpft. Wir kommen nun zu denen der Markgrafen aus dem
askanischen Hause, von 1134 bis 1323, deren Ahnherr Albrecht
der Bär, von 1134 bis 1170, eine stattliche Reihe der schönsten Ge-
präge hinterlassen hat.
Seine älteste Münze (No. 13) ist noch zweiseitig geprägt. Sie
schliesst sich ganz eng an die Heinrichs an und ist wohl sicher noch
zu des letzteren Lebzeiten geschlagen. Die Münze zeigt die geharnischte
Gestalt Albrechts mit Fahne und Schild bewehrt auf der Vorder- und einen
Palmzweig zwischen zwei Th firmen auf der Rückseite. Sie ist wieder
ein Kabinetstück ersten Ranges und nur in zwei Exemplaren, eins
in der Sammlung des Herrn Killisch v. Horn zu Berlin, das andere
in meiner Sammlung, bekannt.
An diesen Denar reihen sich im Altersrange ein Bracteat (No. 14)
mit dein geharnischten Markgrafen zu Pferde und der Umschrift ALBRKII,
das ist die deutsche Form Albrech, gerade so wie . auf dem einen Denar
Przibislaw-Heinriehs das Brandburh als Brandeburch aufzulösen ist.
Diese beiden Münzen sind danach also die ersten märkischen, die
mit deutscher Aufschriftsform versehen sind.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass man bei
einer Reihe von Schriftstellern, die sich mit der Geschichte der Mark
beschäftigt haben, als alten Namen für die Stadt Brandenburg die Be-
zeichnung Brennabor findet.*) Wer dies zuerst aufgebracht hat, weiss
*) Neuerdings noch in einem Vortrage iles Dr. Hammer über „märkische Ort*
namen" in der Sitzung der „Brandenburgia" am 2:5. Mai 1891.
13
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Emil Bahrfeldt:
ich nicht, aber es steht fest, dass diese Namensform erst neueren
Ursprunges ist und urkundlich nicht vorkommt. Die alten Urkunden haben
die Form Brande-, Branden- oder Brandeinburg, bezw. -bureh, auch
Brandunburg, Branneburch und Brandanbur, aber meines Wissens
niemals Brennabor.
Aus der nun folgenden Keine der Bracteaten Albrechts sind zu-
nächst noch zwei herauszuheben (Nr. 15 u. 16), die sein Brustbild zwischen
Türmen darstellen und infolge ihres altertümlichen Aussehens wohl
dem eben genannten Keiterbracteaten angefügt werden dürfen.
Bis hierher wird die Folge der Albrechtsmünzen als chronologisch
richtig anzusehen sein, bei seinen anderen Geprägen lässt sich eine
Altersreihe nicht innehalten. Ich zähle noch 14 Stück Bracteaten Al-
brechts, z. T. mit Namensaufschrift, z. T. stumm, d. h. ohne Schrift. Der
Markgraf wird meist geharnischt und mit der Beckenbaube dargestellt,
stehend, sitzend oder im Brustbilde; als Wehr führt er wechselnd
Schwert, Schild und Fahne, aber auch friedliche Embleme trägt er bis-
weilen: die Lilie, den Palmzweig, das Kreuz.
Aus dieser vortrefflichen Gruppe ist vor allen ein Bracteat zu
nennen (No. 17), der die besondere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Es
ist der, auf welchem neben Albrecht dem Bären auch seine Gemahlin,
die Markgrälin Sophie, erscheint. Sie stammt nicht aus hohenstaufenschein
Geschlechte, sondern war eine Tochter des Grafen v. Formbach und
Winzenburg (f 1122) und der Hedwig von Waltingerode. Sophie starb
im Jahre 1160, und das giebt einen Anhalt für das Alter des Bracteaten:
er muss naturgemäss vor diesem Jahre und zwar, dem schönen Stile
nach, kurz zuvor geschlagen worden sein.
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Das märkische Mttiizwesen im Mittelalter.
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Ei» weiteres sehr wichtiges Stück ist ein Bracteat mit dem
baarhäuptigen Brustbilde des Markgrafen, mit erhobenen Händen, in
der Kecltten eine Lilie haltend und mit der Umschrift 4- AÜELDEHTVS
+ MAKCIIIO -f ANEHALDENSI. Er stammt aus dem grossartigen
Bracteatensehatze von Frecklebeu im Anhaltischen, der im Jahre 1804
gehoben worden ist. Auf Münzen tritt der Name Anhalt hier zuerst auf,
und die Bezeichnung Albertus marchio Anehaldensis : Markgraf Albrecht
von Anhalt ist urkundlich überhaupt noch nicht vorgekommen.
Zweifellos sind nicht alle Münzen Albrechts in der Mark Branden-
burg gepraegt worden, bei der Ausgedehntheit seiner Besitzungen ist
dies nicht anders zu erwarten. Aber z. Zt. steht es noch nicht fest,
um welche Stücke es sich dabei handelt, und so muss eine Trennung vor-
läufig noch unterbleiben.
Nach dem Tode Albrechts des Bären folgte auf dem branden-
burgisehen Throne sein ältester Sohn Otto J. von 1170 bis 1184. Er
hat nur Bracteaten geprägt, die meist mit seinem Namen versehen sind.
(No. 18 — 24.) Die Darstellungen sind im allgemeinen sehr überein-
stimmend mit denen auf seines Vaters Münzen, ja bei einzelnen stummen
kann man mit unbedingter Sicherheit nicht einmal sagen, ob sie vom Vater
oder vom Sohne herrühren.
18 19 20 21
Besonders aufmerksam zu machen ist auf den Bracteaten mit dem
Stehenden geharnischten Markgrafen, der Fahne und Schild trägt und
die deutsche Umschrift MAKCGKAVE OTTO hat (No. 24). In letzterer
Hinsicht gesellt sich der Pfenning jenen mit deutscher Aufschriftsform von
l'rzibislaw- Heinrich und Albrecht dem Bären bei. Und so kommt denn
auch in der Mark die deutsche Sprache auf Münzen weit früher zur An-
wendung als auf Siegeln; denn letztere führen solche, soweit bis jetzt
bekannt, nicht vor dem 14. Jahrhunderte.
10
Emil Bahrfeldt:
Wenn ich die bisherigen Gepräge ausführlicher behandelt habe, als es
bei den folgenden der Fall sein wird, so liegt der Grund dafür in dem
Umstände, dass gerade diese ältesten Münzen ein besonderes historisches
Interesse gewähren und dass auch vom künstlerischen Staudpunkte aus,
namentlich die Pfenninge der beiden ersten askanischen Markgrafen im
höchsten Grade beachtenswert sind. Denn unter ihnen befand sich die
Stempelschneidekunst auf einer Höhe, wie sie im Mittelalter für die
Mark nie wieder erreicht worden ist. Wenn man die ausserordentliche
Feinheit der Arbeit bei den meisten dieser Münzen betrachtet, so muss
man staunen über die Kunstfertigkeit, die sich in ihnen ausdrückt. Dass
die Künstler, die die Stempel geschnitten, indessen sämmtlich Märker
gewesen seien, das ist stark zu bezweifeln, denn wie schon bei Heinrich
und Jakza erwähnt, sind als Vorbilder zu den märkischen Münzen viel-
fach magdeburgische Gepräge benutzt worden, das lässt sich auch bei
Albrecht dem Bären und Otto I. verfolgen. Mit den magdeburgischen
Vorbildern werden aber gewiss auch magdeburgische Künstler in die
Mark gekommen sein, die belehrend und erziehend auf die einheimischen
Steinpelschneider gewirkt haben.
Diese Blüte der Stempelschneidekunst in der Mark ist schnell
vorübergegangen. Schon bei den Bracteaten des nächsten Markgrafen,
Ottos IT. 1184 — 1205, springt ein ganz wesentlicher Rückgang in dieser
Beziehung in die Augen. Sie werden kleiner, die Arbeit wird gering-
wertiger, roher, und das Bild ist meist mit einem ziemlich starken
Wulstrande umgeben. Diese Kennzeichen ermöglichen es, die Bracteaten
der beiden gleichnamigen, in der Regierung sich folgenden Markgrafen
auseinander zu halten und gestatten für den jüngeren Otto 35 Stück
Bracteaten auszusondern, von denen übrigens ungefähr der dritte Teil
als besonders selten anzusprechen ist.
Unter Otto II. kommt zuerst auf Münzen der brandenburgische
Adler vor und zwar in einem Schilde, den der Markgraf nebst einer
Fahne trägt. (No. 25.) Auch beginnt unter ihm wieder die Prägung
zweiseitiger Denare, von denen sich ein paar erhalten haben. (No. 26.)
25 '20
Iiis in die Zeit Ottos II. hinein haben wir keine. Sicherheit, in
welchen Prägestätten des Landes die Pfenninge gesehlagen worden sind.
Zwar spricht die starke Wahrscheinlichkeit dafür, dass Przibislaw-Hein-
rieh in Brandenburg und Jakza in Köpenick, auch vielleicht Albrecht der
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Das markische Münzwesen im Mittelalter.
11
Bär z. T. in ersterer Stadt geprägt habe, aber die Belege dafür fehlen,
<lenn wie ans der ältesten Zeit Urkunden im Allgemeinen sehr spärlich
vorhanden sind, so mangeln Münznrkunden aus jener Periode überhaupt.
Meines Wissens werden sicher erst im Jahre 1232 stendalisches Silber,
1245 der erste märkische Münzmeister (Herbord in Kyritz) und 1248
zuerst brandenburgische Pfenninge genannt. Wir sind deshalb gezwungen,
bis zum Auftreten sicherer numismatischer Belege lediglich aus dem
vorhandenen Münzmaterial unsere Schlüsse zu ziehen, so trügerisch das
manchmal auch sein mag. Erschwert wird die Aufgabe auch noch da-
durch, dass vom 13. Jahrhunderte ab die Münzen meist stumm sind. Da
müssen denn, soweit es angängig ist, auch die Siegel mit ihren Bildern
zur Deutung herangezogen werden. Wenn Münzbild und Wappenbild
übereinstimmen, dann wird man die betreffende Münze mit Zuversicht-
. lichkeit oftmals auf die Prägestätte beziehen dürfen, deren Wappen sie
zeigt. Dabei muss man aber immerhin sehr vorsichtig sein und
nicht nebensächliche Figuren ausschlaggebend sein lassen. Nicht jeder
Schlüssel im Münzbilde deutet auf Salzwedel, nicht jede Lilie auf Kyritz,
nicht jeder Helm, Stern, Adlerschild auf Spandau, Perleberg, Branden-
burg, weil diese Städte die genannten Zeichen im Wappen führen. Oft
sind solche Figuren nur der Laune des Stempelschneiders entsprungen,
oft dienen sie zur Kennzeichnung der verschiedenen Jahrgänge der Münzen.
Der erste märkische Pfenning, der sicher seine Prägestätte nennt,
ist der unter Otto II. geschlagene Bracteat mit der Aufschrift MARCHIO
STENDALE, in wenigen Exemplaren im Jahre 1877 bei Letzlingen in
der Altmark gefunden. Daran schliessen sich Bracteaten, hervorragend
kostbare Stücke von Salzwedel mit den Aufschriften MARCHIO SALT-
WEDEL, SALTWELDEL EST DANARIVS und ähnliche, die nur in
den Kabinetten zu Christiania, Leipzig und in meiner Sammlung bekannt
sind. Auch von dem Bruder Ottos, dem Grafen Heinrich von Garde-
legen, 1184— 1192, sind in Salzwedel Denare und Bracteaten geschlagen
worden und ebenso von dem letzten des Brüdertriumvirats, Alb recht II.
1205—1220. Er hat hauptsächlich Denare schlagen lassen, die den
Aufschriften und den Fundorten nach in Stendal entstanden sind.
Ich berühre diese altmärkischen Münzen hier nur nebenbei, da die Alt-
mark ausserhalb des Interessenkreises unserer Gesellschaft gelegen ist.
Die drei Brüder haben jedenfalls auch gemeinsam geprägt, das
deuten einige Bracteaten und Denare au, doch ist hier die Sicherheit
der Zuteilung etwas beschrankt, da an ihnen auch die nachfolgenden
Söhne Albrechts IL, Johann 1. und Otto HL, 1220—1266 67, Auteil
haben mögen, die teils gemeinsam, teils einzeln Bracteaten und Denare
gepraegt haben, unter denen besonders die beiden Bracteaten Johanns
ml der Umschrift MARCHIO JOHANNES und ähnlich (No. 27, 28.)
durch ihre Seltenheit hervorragen.
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12
Emil Hahrfeldt:
27 . 28
Da es sich bei dieser Besprechung nicht um ein ganz spezielles
Eingehen auf jeden einzelnen Münztypus, sondern nur um einen all-
gemeinen AbrLss des märkischen Münzwesens zu handeln hat, so darf
ich mir gestatten, über die nächste lange Reihe der Gepräge unter den
Markgrafen askanischen Stammes, die bis zum Jahre 1323 dauert, kürzer
hinwegzugehen. Ich weise nur auf die bildliche Darstellung einiger
35 36 37
dieser Denare (No. 29 bis 37) und Bracteaten (No. 38 bis 47) hin und
bemerke dazu, dass von ersteren etwa 150, von letzteren ungefähr
180 verschiedene Typen bekannt sind, die eine ziemlich eintönige Folge
bilden. Die Darstellungen wechseln zwar vielfach, haben aber doch das
Übereinstimmende, dass bei den Denaren meist auf der einen Seite der
Markgraf, auf der anderen Gebäude, Tiere, Blumen, Kreuze, Sterne und
dergl. sich finden, während bei den Bracteaten in der Hauptsache der
Markgraf, weniger häufig Darstellungen wie auf den Rückseiten der
Denare angebracht sind. Es befinden sich unter diesen Pfenningen
ebenfalls sehr bemerkenswerte und interessante Stücke, im allgemeinen
aber reichen sie weder in artistischer Beziehung, noch im Werte an die
bisher besprochenen älteren Gepräge heran. Man verfolgt deutlich, wie
unter Albrecht dem Bären und Otto 1. die Blüte in der Münzprägung
bestanden, und wie sich dann von Otto II. ab allmälich ein Rückgang
vollzieht, der weiterhin unter den Markgrafen aus dem bayerischen und
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Das märkische Münzwesen im Mittelalter.
13
Iützelburgi sehen Hause, wie wir selten werden, noch schroffer in die
Erscheinung tritt.
43 44 46 40 47
Unter den slavischen Herrschern sind die mutmasslichen Münz-
schmieden Brandenburg etwa 1150 und Köpenick ungefähr 1157 schon
erwähnt worden; unter den Askaniern waren sodann im Betriebe, nach
der Reihenfolge ihres Auftretens, urkundlich oder durch die Münzen
belegt,
die markgräfliehen Münzstätten:
Stendal 1269, zuerst urkundlich; nach den Münzen schon Ende
des 12. Jahrhunderts,
Salzwedel, Ende des 12. Jhdts., nach den Münzen,
Crossen, etwa 1275, auf Grund der Münzen,
Berlin 1280, zuerst urkundlich,
Schwedt 1281, desgleichen
Brandenburg 1280 „
Görzke 1293
Lydien 1302
Prenzlau 1309 „ unter Pommern schon gegen 1185 vor-
kommend.
Guben 1311, zuerst urkundlich,
Spandau 1319, desgleichen
Luckau, 1321
die städtischen Münzstätten:
Salzwedel 1314, zuerst urkundlich,
Guben 1319 desgleichen
Beeskow 1321
14
Etnil Bahrfeklt:
Im 12. und 13. Jahrhundert*' hatte, wie aus dieser Aufstellung
folgt, noch keine märkische Stadt das Münzreeht erworhen, erst im
14. Jahrhunderte treten Stadtmünzen auf.
Für alle vorgenannten Orte ist es nicht möglich die Erzeugnisse
ihrer Münzschmieden nachzuweisen, es sind aus dieser Zeit nur die
Prägungen iu Stendal, Salzwedel, Crossen, Brandenburg, Spandau zu
belegen. Und so ist denn für die Mehrzahl der märkischen Mittelalter-
münzen wohl die Zeit ihrer Entstehung festgestellt, nicht aber iu gleichem
Masse sind es ihre Heimatsstätten.
Was das System betrifft, nach welchem in der Mark gerechnet
wurde, so kann es nur dasjenige gewesen sein, «las Kaiser Karl der
Grosse in seinem Reiche eingeführt hatte, nämlich die Rechnung nach
Pfunden. Ein Gewichtspfuud (\\brn) feinen Silbers zertiel in 20 Schillinge
(solidi), je zu 12 Pfenningen (Deuarii), mithin in 240 Pfenninge. Diese
letzteren bildeten also einen festen, mit dem Gewichtspfunde überein-
kommenden Geldwert, der natürlich aber nur solange im richtigen Ver-
hältnisse zum Pfunde feinen Silbers stand, als die Pfenninge vollwichtig
und fein ausgebracht wurden. Anfangs geschah dies wohl bei den
deutschen Münzen im allgemeinen, bald jedoch trat eine Verringerung
der Pfenninge ein, die um so mehr sich steigerte, als nach und nach
von den Kaisern mehr weltlichen wie geistlichen Herren das Münzrecht
verliehen wurde. Die Fürsten sahen aber in der Anbringung ihrer Bild-
nisse und ihres Namens auf den Münzen nicht etwa ein ehrendes Zeichen
ihrer Würde, sondern sie betrachteten das Münzreeht einzig und allein
als ein gewinnbringendes Monopol, das zu Gunsten ihrer Kasseu zu
pflegen sei. So ist es erklärlich, dass überall gegen die kaiserliche
Verordnung gesündigt, die Pfenninge geringer als vorgeschrieben aus-
gebracht wurden. Trotz dieser Verschlechterung der einzelnen Pfenninge
galten indessen, nach alter Gewohnheit, immer noch 240 abgezählte
Pfenninge gleich einem Pfunde feineu Silbers und das ursprüngliche
Gewichtspfuud sank dadurch zum Zählpfuude herab.
Neben der Bezeichnung libra für Pfund tritt in den Urkunden,
wenig später als erstere, die gleichbedeutende Benennung talentum auf.
Die libra verschwindet aus den brandenburgischen Nachrichten etwa im
3. Viertel des 12. Jahrhunderts, das talentum hält sich dagegen selbst
noch vereinzelt bis Mitte des 15. Jahrhunderts. Daneben kommt aber
noch eine zweite Rechnung vor, nach Marken, in Brandenburg schon
seit dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts, so dass also die Rechnung
nach Pfunden (libris beziehentlich talentis) neben der nach Marken fort-
bestand. Die Mark Silber (marca pura, marca puri argenti) als Geldwert
bestand ursprünglich aus einzelnen Barren feinen Silbers, nach der
Schwere einer Gewiehtsmark bereitet. Bald aber ward es Gebrauch,
auch auf die Pfenningrechuung die Bezeichnung Mark anzuwenden und
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Das märkische Mttnzwesen im Mittelalter.
15
»ach Mark Pfenningen (inareis denarioruin) zu rechnen, d. Ii. soviel
Pfenninge als dem Gewichte nach auf eine Mark gingen, dafür zu
gehen. Dadurch ward aber der geringhaltigen Ausprägung der einzelnen
Pfenninge ein sehr weiter Spielraum gewährt und der Münzverschlechter-
uug nicht nur nicht begegnet, sondern sie geradezu befördert.
Die erwähnten Silbermarkstücke wurden in den Münzschinieden
von den Münzbeamten bereitet. Nur diesen und den Goldschmieden, in-
soweit es die Prüfung ihrer Arbeiten erforderte, war es erlaubt, Silber
zu schmelzen. Übertretungen wurden, wie die Falschmünzerei, schwer be-
straft. Zur Beglaubigung des Feingehaltes wurden die Barren mit dem
Stempel der Münzstätte versehen. Besonders war stendalisches Silber,
auch über die Grenzen der Mark hinaus, beliebt, dann auch branden-
burgisches und frankfurtisches. Das Gewicht der Barren wurde nach
der in Deuteehland allgemein üblichen kölnischen Mark bestimmt, und
die urkundlichen Stellen, in denen von Marken stendalischen, frank-
furtischen und dergl. Gewichtes die Rede ist, weisen nicht etwa auf eben-
so viele verschiedene Gewichtsmarken hin, sondern bedeuten nur, dass
die betreffenden Barren mit den von den Obrigkeiten der bezeichneten
Städte geaichten Gewichten nach der kölnischen Mark abgewogen seien.
Von den Münzen der slavischen Herrscher, die abseits von denen
ihrer brandenburgischen Zeitgenossen stehen, abgesehen, hält sich der
Wert der Pfenninge unter Albrecht dem Bären, Otto I. und Otto IT. auf
ziemlich gleicher Stufe. Erst nach dieser Zeit tritt ein allmäliges Sinken
im Gewicht und Gehalt ein, dem der Beginn des artistischen* Verfalles,
wie bereits erwähnt, schon seit Ottos II. Zeiten vorangegangen war.
Der Rückgang in dem Werte der Pfenninge stellt sich so dar, dass die
ältesten Pfenninge unter Albrecht dem Bären etwa 12-lötig waren und
ihrer gegen 276 Stück auf eine Mark gingen, während am Ende der
Regierung der Askanier die Pfenninge — einige Schwankungen unbe-
rücksichtigt — bis auf ungefähr 13 Lot fein und 361 Stück aus der
Mark gesunken waren.
Die wirklich ausgeprägten Geldstücke sind in der Mark der Pfen-
ning und der halbe Pfenning. Der Schilling oder Solid us, 12 Pfenningen
gleich, der sich oft in Geschichtswerken als Geldstück angeführt findet, ist
niemals in der Mark geschlagen worden, sondern lediglich Rechnnngsmünze
gewesen. Pfenninge oder Denare waren, wie schon erwähnt, sowohl die
zweiseitigen, wie die einseitigen Stücke, die zu gleicher Zeit auch den
gleichen Wert hatten. Ein Mittelding zwischen zwei- und einseitigem
Pfenning sind die sogenannten Halbbractcatcn, das sind die Denare
l'rzibislaw-Heinrichs und der einzige Denar Albrechts des Bären (No. 1
bis 4 u. 13.), die so dünn sind, dass beim i 'rügen der Stempel der einen
Seite selbst auf der entgegengesetzten Seite der Münze sich bemerkbar
macht, wodurch das Bild in den meisten Fällen undeutlich wird.
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IG
Kmil Bahrfeldt:
lu der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts kommen halbe Pfenninge
in der Mark auf, zweiseitige und einseitige, Obole und Schorf« genannt,
Sie sind selten. Uni daher dem Mangel an kleinem Golde im täglichen
Verkehre abzuhelfen, war es Gebrauch geworden, die ganzen Pfenninge
mit der Scheere zu halbieren. Oft kommen solche in den Funden in ver-
hältnissmässig grosser Anzahl vor.
Die märkischen Pfenninge hatten, wahrscheinlich seit dem 13. Jahr-
hunderte, nur für ein Jahr Gültigkeit. Um Jacobi jedes Jahres wurden
sie „verrufen", d. h. ausser Kurs gesetzt, und Jedermann war bei Strafe
verpflichtet, sie bei den Münzmeistern in der Münze gegen neue Pfen-
ninge umzuwechseln. Statt 16 alter erhielt man einen Schilling =
12 Stück neuer Pfenninge, der Gewinn aus dieser Umwechslung tloss
dem Landesherrn zu.
Diese alljährliche Erneuerung der Pfenninge ist auch die Ursache
der grossen Mannigfaltigkeit in ihren Typen. Damit die neuen von den
alten Pfenningen zu unterscheiden waren, mussten alljährlich neue
Münzbilder geschaffen werden, denn Jahreszahlen gab es damals auf den
Münzen noch nicht. Um diesen Zweck zu erreichen, setzten die
Stempelschneider oft die Wappen der Städte, in denen sie prägten, auf
die Pfenninge, häufiger noch nahmen sie ihre Zuflucht zu Darstellungen
aus der Tier- und Pflanzenwelt, aus dem täglichen Leben. So finden
sich denn auf den Münzen alle möglichen Dinge und Gegenstände ver-
treten, oft auch solche, die heute jeder Deutung spotten.
Die Münzmeister waren die Vorsteher der Münz Werkstätten. Sie
wurden — abgesehen von den späteren städtischen Münzmeistern —
vom Landesherrn ernannt und unterlagen als Staatsbeamte der Hofge-
richtsbarkeit. In der Kegel waren sie reiche und angesehene Leute, die
neben ihrem Amte als Münzer auch noch einen Münzwechsel, d. h. eine
Wechselstube zu halten hatten, deren hauptsächlichster Zweck es war,
dem Einwechseln des benötigten Silbers für den Münzenschlag zu dienen.
Niemand anders als die Münzmeister durfte einen Wechsel halten. Als
später die Münzstätten an reiche Kapitalisten verpachtet wurden, hielten
die Pächter sich ihre Meister für den Betrieb der Münze, doch waren
oft auch die Pächter selbst Münzmeister. —
Es ist vorher erörtert worden, wie sich unter den Markgrafen aus
dem askanischen Hause ein allmäliger Rückgang in der Güte der Pfen-
ninge vollzogen hatte, und dieser war noch keineswegs zum Stillstande
gekommen, als das wittelsbachsche oder bayerische Haus, das von
1323 bis 1373 regierte, den brandenburgischen Thron bestieg. Im Gegenteil
gerade unter den Regenten dieses Hauses war in münzpolitischer Be-
ziehung die trübste Zeit in der Mark. Ludwig I., der Bayer, der erste
Markgraf aus diesem Hause, hatte grosse pekuniäre Opfer zu bringen
für die Wiedererwerbung der vor ihm abgefalleneu Teile der Mark.
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Das märkische Mfinzwesen im Mittelalter.
17
Was Wunder, wenn er sich fortwährend in Geldnöten befand und diesen
dadurch zu begegnen trachtete, dass er die Münzen noch leichter und
geringhaltiger schlagen Hess, als bisher geschehen. So finden sich seine
und auch seiner beiden Nachfolger, Ludwigs T. und Ottos VIII., des Faulen,
Pfenninge nur noch 12-lötig und auf die Mark gingen etwa 410 Stück.
Dieser Rückgang hatte zur Folge, dass man sich, wo immer es anging,
des Barrensilbers bediente und • bei grösseren Geldzahlungen nach
Marken reinen Silbers rechnete; für den Kleinverkehr gab es freilich
keinen Rettungsweg, den Verlusten durch die geringe Münze zu entgehen.
Unter den Markgrafen des bayerischen Hauses traten zu den Präge-
stätteu, die zur Zeit der askauischen Herrscher genannt worden sind,
noch folgende landesherrliche Münzstätten hinzu:
Kyritz, zuerst urkundlich 1325.
Königsberg, „ „ 1335.
Soldin, „ „ 1340. (?)
Perleberg, „ „ 1347.
Morin, , „ 1352.
Bärwalde, „ „ 1353.
Frankfurt, „ „ 1365.
Um nun den fortwährenden Geldkalamitäten abzuhelfen, kamen
die Markgrafen leider auf das Auskuuftsmittel, die Münzstätten zu ver-
pachten. Von einem Teile der eben genannten Münzschmieden sind die
betreffenden Kontrakte erhalten geblieben. So wurde Stendal schon vor
1333, Brandenburg und Kyritz im Jahre 1333, Königsberg 1344,
Bärwalde 1353 an bemittelte Unternehmer z. T. auf lange Jahre
hinaus in Pacht gegeben. Dass die Pächter natürlich ihr Privileg
ausnutzten, so weit sie irgend konnten, und dass bei diesen Zu-
ständen das Publikum schlechter daran war, als bei direkter Ver-
waltung der Münzstätten für Rechnung des Laudesherrn, bedarf keiner '
besonderen Betonung. Die Klagen über diese Missstände nahmen denn
auch überhand und führten endlich dahin, dass die Städte der Münz-
bezirke Stendal und Berlin zusammentraten, und, wie schon 1314 die
Ritterschaft und Städte der Bezirke Salzwedel und der Grafschaft Lüchow
die Münze zu Salzwedel an sich gebracht hatten, nun im .fahre 1369
ebenfalls dem Markgrafen Otto das Müuzrecht abkauften und damit die
Berechtigung erwarben, Münzen zu schlagen, die fortwährend Gültig-
keit hatten uud der üblichen alljährlichen Uniwechselung nicht unter-
worfen waren. Mau nannte dies Privileg das Recht des ewigen Pfennings.
Aus der Urkunde von 1369 ersehen wir, dass Münzbezirke, soge-
nannte Münzyser (von Müuzysen, Münzeiseu, Münzstempel) bestanden.
Der berlinische umfasste die Städte Berlin, C'öln, Frankfurt, Spandau,
Bernau, Eberswalde, Laudsberg, Straussberg, Münrheberg, Drossen,
Fürstenwalde, Mittenwalde, Wriezen, Freienwalde. Zum s tenda lischen
2
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18
Emil TlahrfrMt:
gehörten Stendal, Gardelegen, Seehausen, Tangermünde, Osterburg, Werben,
Havel berg.
Im berlinischen Münzyser wurde nur in Berlin und Frankfurt ge-
prägt, im stendalischen Bezirke nur in Stendal. Diese Münzstätten
versorgten je ihren ganzen Bezirk mit Geld. Es ist deshalb ein Miss ver-
stehen der Urkunde von 1369, wenn besonders in manchen Chroniken
der Städte häufig davon die Rede ist, dass die vorgenannten Orte mit
Erwerbung des ewigen Pfennings auch je einzeln das Münzrecht er-
worben hätten.
Wann diese Einteilung in Münzbezirke aufgekommen ist, hat sich
nicht ermitteln lassen, ebensowenig ob ausser den genannten drei, noch
andere solche Bezirke bestandeu haben. Letzteres ist wahrscheinlich.
So wird jedenfalls die Ukermark mit Prenzlau, die Neumark mit Königs-
berg und Morin, die Gegend von Brandenburg mit dieser Stadt selbst,
die Priegnitz mit Perleberg und Kyritz, oder einer dieser beiden Städte,
je einen besonderen Münzbezirk gebildet haben. Mutmassen lässt sich
dies, abgesehen von den nachgewiesenen Beispielen von Salzwedel,
Stendal und Berlin, auch aus dem Umstände, dass die märkischen Pfen-
ninge in der späteren Zeit nicht überall gleichen Wert hatten. Die aus
Brandenburg waren am besten, dann folgten die stendalischen, zuletzt
die berlinischen; 6 braudenburgische waren gleich 7 stendalischen, gleich
8 berlinischen. Dieser Wertsunterschied machte das Ganze nur noch ver-
worrener, und es ist in der That zu verwundern, wie das Volk in diesen
verwickelten Verhältnissen überhaupt sich noch zurecht gefunden hat.
Bei den markgräflichen Verordnungen über Münzausprägungen, bei
den Verpachtungen der Münzstätten, den Verkäufen des Münzrechts an
die Städte und bei allen sonstigen landesherrlichen Massnahmen und
Verfügungen die Münze betreffend, findet sich in den Urkunden stets
der Zusatz seitens der Markgrafen gebraucht „mit rade unseres rades",
oder „mit rate unserer land und der stete" und ähnlich so. Mit dieser
Bezeichnung sind die Stände in der Mark gemeint, und die Beschränkung,
die sich in diesen Worten ausspricht, beweist, dass die Landesherren
ungeachtet ihres unbestrittenen Hoheitsrechtes auch damals verpflichtet
waren, über alle Massnahmen in Münzsachen die Zustimmung der
Stände auf den Landtagen einzuholen. Dass diese Befragung der Stände
nicht etwa leere Phrase gewesen ist, wird u. a. auch dadurch belegt,
dass z. B. an dem Widerspruche der Stände die im Jahre 1345 von
Ludwig I. beabsichtigte sehr wesentliche Verringerung des Geldes
scheiterte.
Das unter den bayerischen Markgrafen geschlagene Geld besteht
nur in Denaren und Obolen; die Bracteaten hören schon vorher auf.
Ihre Schriftdenare tragen meist den Namen des Münzherrn. So
werden die drei Typen mit stehendem Markgrafen, der einmal zwei
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Das märkische Mttnzwesen im Mittelalter.
19
Schwerter, in zwei anderen, selteneren Fällen (No. 48, 49) zwei Lilien
hält und mit LODEVIC, LDEYIO, LIDVTO um einen grossen Helm, an
Ludwig L (1323-1351) zu legen, und zwei andere, der eine mit kleinem
Helme und der Umschrift LODEVICH, der andere nur mit einem L an
Ludwig II. (1351—1365) zu geben sein, während im Hinblick auf die
48 49
vorher entwickelten Feingehaltsangaben, natürlich unter allen branden-
burgischen Denaren, die den Namen OTTO tragen, die allerschlechtesten
an Otto Vni., den Faulen 1365—1373, zu überlassen sind.
Die städtischen Prägungen nach Erwerbung des ewigen Pfennings
sind leider den einzelnen Münzschmieden nur in beschränktem Grade
mit Sicherheit zuzuteilen. Für die unsere Gesellschaft besonders in-
teressirenden, aus Berlin und Frankfurt, kann ich indessen ein Paar
siehere vorführen. Das ist für Berlin ein Denar (No. 50), der auf der
Hauptseite den Markgrafen mit Lanze und Schwert, und auf der Kehrseite
das Wappentier Berlins, den Bären, zur Darstellung bringt. Ein Obol
dazu (No. 51), von dem nur zwei Exemplare existiren, hat ganz die-
selben Münzbilder, nur in verkleinertem Massstabe. Diese beiden Stücke
sind die einzigen sicheren Münzen der Stadt Berlin aus jener Zeit.
Berlinische Stadtmünzen treten dann erst wieder unter Kurfürst
Joachim I. etwa 1511 auf.
50 51 52
Der Denar, den ich der Stadt Frankfurt zueigne (No. 52), zeigt
den Markgrafen mit einem Schlüssel in jeder Hand und auf der Kehr-
seite das Stadtzeichen, den Hahn, — der einzig sichere Denar dieser
Stadt. Die Berechtigung bei den genannten drei Münzen Berlins und
Frankfurts von einer Sicherheit in der Zuteilung sprechen zu können,
beruht mit darin, dass die Münzbilder, Bar und Hahn, sonst niemals
in der Bracteaten- und der Denarzeit auf brandenburgischen Geprägeu
vorkommen.
Nachdem die obigen Denare mit Regentennamen und diese wenigen
städtischen Schlages aus der bayerischen Zeit herausgesoitriert sind,
bleibt für die übrigen Denare dieser Periode nur übrig, ohne Rücksicht
2*
20
Emil Bahrfeldt:
auf ihre mutmasslichen Prägestätten , sie in Gruppen für die drei Re-
genten Ludwig I., Ludwig II. und Otto VIII. zusammenzustellen. Da
sie ohne Aufschriften sind, so würde dies nicht gelingen können, wenn
hier nicht die Funde zu Hülfe kämen. Besonders aufklärend haben
nach dieser Kichtung hin zwei Funde gewirkt, das ist der von Aschers-
lebeu und ein anderer ohne Fundortsangabe aus der Provinz Sachsen,
denen ich eingehende Untersuchungen widmen konnte, — der erstere
umfasste nicht weniger als 11500 Stück! —
Die letzte markgräfliehe Periode war die unter den Regenten aus dem
luxemburgischen oder lützelburgischen Hause von 1373 bis 1415.
Aber mit Ausnahme der kurzen Regierung Kaiser Karls IV., als Vormund
seines Solines Wenzel, war die Herrschaft der Lützelburger für die
Mark nichts weniger als segensreich. Unter ihnen herrschten die aller-
trübsten Zustände, hervorgerufen teils durch ihre Unfähigkeit, teils durch
ihre Abwesenheit von der Mark, die infolge dessen Statthaltern über-
lassen werden musste, deren hauptsächlichstes Streben nur danach ging,
möglichst viel Einkünfte aus dem Lande zu ziehen. Im Innern stand
das Faustrecht in voller Blüte, von aussen machten die Nachbarn Ein-
fälle und Eroberungszüge in das Land.
Darf es da überraschen, wenn auch das Müuzwesen, das schon
unter den bayerischen Markgrafen in stark abwärts gehenden Bahnen
sich bewegt hatte, nicht wieder zum Aufblühen kommen konnte. Zwar
wurden die Pfenninge im Gewichte etwas schwerer ausgebracht als in
der bayerischen Periode, nämlich zu etwa 370 Stück aus der Mark, aber
ihr Gehalt war noch geringer als vorher, nämlich im Durchschnitte nur
11 Lotli fein. Sie an die einzelnen Regenten Karl, Wenzel, Sigismund,
Johann und Jobst zu verteilen, ist unmöglich, da sie sämmtlich stumm
und fast durchweg von geringwertiger, nachlässiger Arbeit sind. Sie
können nur in einer gemeinsamen Gruppe behandelt werden, um so mehr
als auch für die Prägestätten, aus denen sie gekommen sind, keine
sicheren Merkpunkte vorliegen.
Die Zahl der Münzstätten scheint übrigens unter den Lützelburgern
eine wesentliche Erweiterung nicht erfahren zu haben, denn urkundlich
nachweisbar ist nur das Hinzutreten der städtischen Münzschmiede
in Spremberg, die 1397 erwähnt wird.
In dieser Zeit war in der Mark auch schon die Rechnung nach
Groschen gang und gäbe. Ich linde sie schon unter den bayerischen
Markgrafen, und zwar zuerst 1343 urkundlich erwähnt. Unter den
Lützelburgern traten die Groschen besonders stark auf, so dass sie fast
die Pfenninge verdrängten. Das waren aber nicht märkische Groschen,
sondern böhmische, die man nach Schocken und Mandeln rechnete.
Die ersten brundunburgischen entstanden erst unter Kurfürst Friedrich II.
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Das märkische Münzwesen im Mittelalter.
21
Über die Rechnung nach böhmischen Groschen giebt am ausführ-
lichsten das Landbuch Kaiser Karls IV. vom Jahre 1375 Auskunft, ob-
scfaon es in den vorliegenden Bearbeitungen von Hendrick, Herzberg
und Fidicin, der vielen Fehler wegen, nur mit Vorsicht zu benutzen ist.
Auf diese Groschenrechnung hier näher einzugehen, erscheint nicht von
Nöten, da es sich noch nicht um märkische Groschen handelt; es wird
besser sein, an anderer Stelle bei Besprechung der hohenzollernschen
Prägungen dies zu thun. Iiier sei indessen einer anderen eigentümlichen
Rechnungsweise gedacht, der Rechnung nach Frusta oder Stücken Geldes,
die anscheinend nur in der Mark vorkommt. Sie ist wohl nur an-
gewendet worden, wenn es sich um die Bemessung von Lasten und
Abgaben, die von Liegenschaften zu entrichten waren, oder um Gefälle
von Gerechtsamen handelte. Nicht immer war der Wert eines Frustums
gleichmässig, aber im allgemeinen rechnete er gleich einem Wispel
Roggen, oder zwei Wispeln Hafer, oder zwei Schock Hühnern, oder
einem Pfunde Pfenninge. —
Neben den Markgrafen von Brandenburg haben auch, wenngleich in
sehr beschränktem Masse, die märkischen Bistümer den Münzenschlag
ausgeübt. Die Geringfügigkeit ilirer Prägung liegt in den damaligen
politischen Verhältnissen begründet, die sie nicht im entferntesten eine
so grosse Rolle spielen Hessen, wie z. B. die Stifter Magdeburg, Halber-
stadt und Quedlinburg. So sind denn so gut wie gar keine Münz-
urkunden und nur wenig Münzen von ihnen vorhanden.
Im Bistum Brandenburg hat Bischof Otto 1251 — 1260, ein
Paar Bracteaten ausgehen lassen, darunter als Leitstück den mit den
Buchstaben E = 0 (No. 53), was berechtigterweise Episcopus Otto ge-
lesen wird.
53
Bischof Friedrich v. Plötzke, 1306—1316, hat einen Denar
(No. 54) und einen Obol hinterlassen, Heinrich III. v. Bodendyk,
1393 — 1406, ebenfalls einen Obol (No. 55), dessen einzig noch vor-
handenes Exemplar sich in meinem Besitze befindet.
Dem Bistum Havelberg wurden bis zu meiner Entdeckung des
Bracteaten Dietrichs I., 1325—1341, sichere Münzen überhaupt nicht
zugeteilt, doch nahm man mit Recht an, dass man in der Reihe
unbestimmter Denare, die sich durch den Bischof mit zwei Krummstäben
als geistliche Gepräge kennzeichnen, ebenso wie brandenburgisch-
bischöfliche, so auch havelbergische zu suchen habe.
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22
Emil Bahrfeldt:
56 57 58
Das dritte märkische Bistum ist Lelms. Ihm werden drei von
mir aus dem Bracteatenfunde von Lübhen neu entdeckte ßracteatcn
(No. 56, 57, 58) zugewiesen.
Dass die Bischöfe mit ihrer Münzprägung sich nach dem gleich-
zeitigen markgräflich brandenburgischen Oelde gerichtet haben, ist aus
der territorialen Lage ihres Gebietes und dessen Handelsbeziehungen
zur Mark erklärlich.
Es erübrigt nun noch auch der Münzgerechtigkeit der Edelherren
in der Mark zu gedenken. Da sind in erster Linie zu nennen, die
Edlen Herren von Plotho und die Edlen Herren v. Friesack.
Von ihnen ist ein gemeinsamer Denar ausgegangen (No. 59), der auf
der Hs. die Lilie, das plothosehe Wappen zeigt, und deren Umschrift
auf Johannes v. Plotho deutet. Die Kehrseite der Münze trägt ein
Seeblatt und die Umschrift R1CHARDVS DE VRT (sach). Der Denar
stammt aus der Mitte des 13. Jahrhunderts und hat schon eine ganze
Literatur hervorgerufen. Zuletzt wurde in den Mitteil, des Vereins für
die Gesch. Berlins die irrtümliche Nachricht über ihn gebracht, dass er
sich auf die Stadt Plaue bei Brandenburg a. H. oder die Schlossherren
von Plaue beziehen sollte. Das hat bereits in der genannten Zeitschrift
selbst Widerlegung gefunden. Wenn ich hier indessen noch einmal kurz
auf die näheren Einzelheiten des wichtigen Pfennings zurückkommen
darf, so sei dieserhalb Folgendes erwähnt.
Die Edlen Herren von Plotho, jetzt Freiherren v. Plotho, waren
ehemals reich begütert in der Mark und in Meklenburg und lassen
sich urkundlich bis 1142 zurück verfolgen. Sie waren Gründer und
Besitzer der Städte Kyritz und Wusterhausen, die beide noch heute die
plothosehe Lilie als Wappenbild tragen. Das PLOVC auf der Münze
hat zu der Deutung Plaue Anlass gegeben, aber es kann lediglich für
['LOTE stehen, eine Corrnmpirung, die ähnlich im Mittelalter sehr
häufig vorkommt. Mit Plaue an der Havel oder Plaue in Meklenburg
kann es nicht in Verbindung gebraeht werden, da dieser Name vor 1350
nur in der Form Plave oder Plawe, niemals als Plove oder Plowe an-
getroffen wird.
Die Kehrseite des Denars weist auf die Familie der Edlen Herren
von Friesack in der Mark, die aus dem Geschlechte der Herren von
Jericho w im Magdeburgischen stammen, von denen sie sich gegen Mitte
des 13. Jahrhunderts abtrennen. Der Richard von Friesack der Münze
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Das niälrkische Münzwesen im Mittelalter.
23
kommt 1256 bis 12G1 urkundlich vor; das friesaeksche Wappenbild war
«las sog. Seeblatt, das Blatt der weissen Wasserlilie (Nymphaea alba).
Es unterliegt keinem Bedenken, den Denar als Gemeinschaftsmünze
der genannten Herren, die Nachbarn und wohl auch verschwägert mit
einander waren, anzusehen. Er wird vermutlich in der plothoschen
Stadt Kyritz geschlagen sein, wo 1245 -- wie schon vorher erwähnt —
ein Münzmeister Herbord vorkommt.
69 00 61
Auch jedem Einzelnen der beiden Edelherren habe ich Münzen zu-
gewiesen, so den Plothos einen Denar mit der Lilie u. 2 Fischen (No. 60)
und den Friesacks drei Denare mit dem Seeblatte. (No. 61).
Von märkischen Geschlechtern sind z. Z. weitere sichere Münzen
nicht bekannt. Z war hat man den G r a f e u von Lindow und K u p p i n ,
den Herren v. d. Schulenburg, v. d. Knesebeck, von Alvensleben,
ferner den Edlen Herren zu Putlitz und den Herren v. Dahme
Münzen beilegen, beziehungsweise ihnen das Müuzreeht zusprechen wollen,
aber zu Unrecht. Die Grafen v. Lindow und Ruppin haben weder eine
Nachricht noch eine Münze hinterlassen, die auch nur die geringste
Wahrscheinlichkeit einer Prägung annehmen Hesse. Was die Schulen-
burgs, Knesebecks und Alvenslebeus anlangt, so haben diese früher in
Beziehung zu der Münze in Salzwedel gestanden insofern, als sie zu den
Ständen gehörten, die 1314 in den Distrikten Salzwedel und Lüchow
die salzwedelsche Münze kauften. Sie haben auch, wie die Urkunden
lehren, öfter zusammen mit den Städten Vereinbarungen wegen des
Münzenschlages in Salzwedel geführt, — aber persönlich haben sie das
Hecht zu münzen deswegen doch niemals besessen.
Auch die Edlen Herren zu Putlitz sind nie münzberechtigt
gewesen. Die Gans, ihr Wappentier, die man angeblich auf einigen
märkischen Pfenningen hat sehen wollen, habe ich als Adler entlarvt,
und damit fallt der einzige Halt für die Annahme ihrer Prägegerechtigkeit.
Zweifelhaft liegt die Sache bei den Herren von Dahme. Hier
werden noch fortgesetzte Forschungen es entscheiden müssen, ob man
ihnen mit Recht oder Unrecht gewisse Bracteateu zuteilt.
Zum Schlüsse sind noch zwoi nieder laus itzi sehe Familien zu
nennen, die tatsächlich gemünzt haben. Zunächst die Herren von
Strele, denen unter anderen Besitzungen die Herrschaft Beeskow-Stor-
kow gehörte, und zwar Beeskow schon seit 1272, nicht erst seit 1316
wie Riedel und v. Ledebur augeben. Die Prägung der Stadt Beeskow
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24
Emil Bahrfeldt: Das märkische Mflntwesen im Mittelalter.
habe ich schon unter den Askaniern berührt; die Münze der Herren von
Strahle darin wird 1314 erwähnt. Aus ihr mag ein Bracteat hervorge-
gangen sein, der leider nur halbirt vorhanden ist und der das Wappen der
Herren, die drei Senseuklingen, zu tragen scheint,
Daun folgen die Herreu v. Cottbus in der Stadt gleichen Namens.
Die Herren sind urkundlich schon 1156 nachzuweisen; sie führten einen
Krebs im Wappen, der auch das Zeichen der Stadt ist. Einen Krebs
lässt auch ein Bracteat von niederlausitzischer Fabrik in meiner Sammlung
sehen, den ich den Herren von Cottbus, wahrscheinlich dem Friedrich
oder Johann beilegen darf, die 1304 unkundlich auftreten. —
Soweit die Betrachtungen über das märkische Münzwesen während
der Bracteaten- und Denarperiode. Sie bildet ein selbststündiges Ganzes.
Die nächste Periode unter den Hoheuzollern, deren erste Kegenten zwar
noch dem Mittelalter angehören, steht unter der Herrschaft des Groschens
und hat einen so völlig veränderten Charakter, dass es angebracht erscheint,
mit der markgräflichen Zeit hier abzuschliessen und die kurfürstliche
einer späteren Besprechung vorzubehalten.
Ueber neu aufgefundene Tafelbilder in der Kircbe zu Zielenzi«.
25
Ueber neu augefundene Tafelbilder in der
Kirche zu Zielenzig.
Von G. Bluth.
Geh. Bauratb und Konservator der Baudenkmäler in der Provinz Brandenburg.
An dem in der Kirche zu Zielenzig befindlichen Flügelaltare
wurde vor Kurzem die Entdeckung gemacht, dass auf der Rückseite des-
selben sich auf den daselbst angebrachten — in C'harniereu beweg-
lichen — Tafeln sogenannte Tafelbilder befanden, welche bisher unbe-
kannt geblieben waren, weil der Schnitzaitar stets geöffnet war; dieser
konnte auch nicht geschlossen werden, da dies durch in späterer Zeit
au den senkrechten Aussenseiten der beweglichen Flügel befestigte Ba-
rockverzieningen verhindert wurde. Der Raum hinter dem Altare ist
aber so wenig beleuchtet, dass die auf der Rückseite befindlichen
— übrigens mit starker Staubschicht bedeckten — Gemälde nicht zu
erkennen waren. Der geöffnete Altarschrein war demnach bisher, wie
in der Figur I angedeutet, geöffnet gehalten und bezeichnet darin a den
•trrmriirmutitttfiimii u.
,,,,,,,.,,1,11,
mittleren festen Teil, b die seitlichen Flügel des eigentlichen Schnitzaltares,
in welchemdie figürlichen Darstellungen sieh befinden, wie sie in No 4(i
des Sonntagsblattes des Reiehsboten von Dr. Reinhold Hoffmann näher
beschrieben sind. Die auf der Rückseite befindlichen, in Charnieren dreh-
baren Tafeln c der Fig.l nehmen die aufgefundenen Tafelbilder auf, welche
sich dem Beschauer zeigten, sobald die Flügel des Schnitzaltars ge-
schlossen, bezw. vor den mittleren Teil desselben vorgelegt wurden,
wie in Figur II angedeutet. In letzterer Darstellung sind die gleichen
Teile mit denselben Buchstaben wie iu Fig. 1 bezeichnet. Es fallen aber
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2ß
G. Bluth:
in Fig. II. die Barocknm
rahmungen d fort, weil diese
die Drehung der Fügel be-
hindern würden.
Ist der Altarschrein voll-
^:v.v,v,vvy.; . ■ J ESg^,..^J- Ständig geschlossen, — wie
in Fig. II angegeben — so boten sieh dem Beschauer zwei Bildtafeln
dar, deren jede durch einen horizontalen Rahinen in zwei Flächen ge-
teilt ist. Auf den sc» gebildeten ingesamt vier Bildflächen sind die
12 Apostel — auf jeder derselben deren 3 — dargestellt und zwar in
den beiden oberen Bildern der Reihe nach Simon Alphäus, Juda, Mat-
thias, Petrus, Johannes und Paulus, in den unteren wie vor Thomas,
Jacobus, Matthäus, Andreas, Philippus und Bartholomäus.
Werden die beiden Flügel geöffnet, sodass sie die in der Fig. II punktirt
angedeutete Stellung annehmen, so treten auf den darunter befindlichen
beiden Tafeln, deren jede nicht nur horizontal, sondern auch vertikal
durch Rahmen geteilt ist, acht Bilder hervor, welche die Verherrlichung
der Jungfrau Maria zum Gegenstande haben.
Die vier Bilder auf der einen dieser Tafeln stellen dar:
1. Die Verkündigung und zwar die Jungfrau mit dem Engel
der Verkündigung und dem Spruchbande „Ave Grntiae Plenae;*
Gott Vater thront in den Wolken: darunter befindet sich
2. Die Begegnung der Maria mit der heiligen Elisabeth
im Hintergründe Zacharias; oben neben dem Bilde zu 1:
3. Die Geburt Christi und unter diesem
4. Die Anbetung der heiligen drei Könige.
Die vier Bilder auf der zweiten diesen' Tafeln behandeln
5. den Tempelgang der Maria, welche eine Treppe zu dein
geöffneten Tempel emporschreitet. Seitwärts befindet sich die
heilige Elisabeth und Zacharias, sowie noch eine männliche
und eine weibliche Figur — wahrscheinlich die heilige Anna
und Joseph — Unter diesem Bilde
o\ Die Ausgiessung des heiligen Geistes. In der Mitte
Maria als Wittwe aufgefasst, zu jeder Seite 6 Apostel; jede
dieser Figuren ist mit einer Flamme auf dem Haupte darge-
stellt. Darüber schwebt der heilige Geist als Taube.
Rechts neben dem Bilde zu 5
7. Die Himmelfahrt der Maria
und unter diesem
8. Die Krönung der Maria.
Die Malerei dieser im Ganzen wohlerhaltenen Bilder ist auf einem
Kreidegruude, der auf den llolztafelu aufgebracht ist, in Temperafarben
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Ueber neu aufgefundene Tafelbilder in der Kirche iu Zielenzig.
27
ausgeführt, wobei Gold nicht zur Verwendung gelangt ist, während man
von diesem an den Figuren bezw. an dem Hintergrunde des Schnitzaltars
ausgiebigen Gebrauch gemacht hat. Die Gestalten — namentlich die
der Apostel sind kernig mit charakteristischen Köpfen und mit dem
Ausdrucke grosser Innigkeit und Andacht dargestellt und es ist bemer-
kenswert, dass auf den verschiedenen Bildern, auf welchen die Apostel
abgebildet sind, jeder von ihnen nach demselben Modelle aufgefasst ist.
Maria ist überall — mit Ausnahme des Bildes der Ausgiessung des
heiligen Geistes — mit dem Sehleier, als dem Symbole der .Jungfräulich-
keit und niemals mit dem Heiligenscheine dargestellt. Haare und Augen
der Figuren sind mit grosser Sorgfalt behandelt. Dasselbe ist von der
Gewandung hinsichtlich ihres Faltenreichtums und der Farbengebung,
bei welcher gelb, grün und rot vorherrschen, aber auch gemusterte
Stoffe vorkommen, zu sagen. Weniger befriedigend sind Hände und
Füsse gezeichnet.
Das sanfte innige Empfinden, welches in den zur Darstellung ge-
langten Köpfen zum Ausdrucke kommt, sowie die zarte Auffassung und
die weiche Behandlung, in welcher die Gemälde ausgeführt sind, dürfte
die Annahme rechtfertigen, dass wir es mit Bildern zu thun haben,
welche um die Mitte des XV. Jahrhunderts entstanden sind, zu einer
Zeit^ in welcher die Kölner Schule von grossem Einflüsse auf die Be-
handlung derartiger Tafelbilder war.
Berlin, den 5. December 1893.
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28 Georg Galland.
Was eine Brandenburgische Kurfürstin an Schmuck,
Gerätschaften u. dgl. besass.
Von
Georg Galland.
Im Preussisehen Geh. Staatsarchiv*) befindet sich ein früher der
Künigl. Bibliothek zu Berlin**) einverleibt gewesenes Munuscript, ein
Buch der Kurfürstin Louise Henriette mit eigenhändigem, holländisch
geschriebenem Inhalt. So viel ich weiss, ist letzterer bisher unbekannt
geblieben. Das Interesse, welches die hohe Schreiberin, die Gemahlin
Friedrich Wilhelms des Grossen, beanspruchen darf, rechtfertigt wohl
die Veröffentlichung dieses holländischen Notizbuches, eines der Zeug-
nisse der sorgfältigen Wirtschaftsführung jener Kurfürstin. Da die
Blätter des Manuscripts keinerlei Datierung aufweisen, Ist die Frage
nach der Zeit der Abfassung der unten mitgeteilten Verzeichnisse
leider schwer zu lösen. Ich gestehe offen, dass ich nicht hinlänglich
Kenntnis von den Wandlungen der Handschrift der kurfürstlichen
Schreiberin besitze, um die vorliegende Frage mit absoluter Sicher-
heit zu beantworten. Aber ich glaube das Richtige zu vermuten, wenn
ich annehme, dass diese Verzeichnisse gegen Anfang der kurfürstlichen
Ehe und wohl bei Gelegenheit der Uebersiedelung des Hofes von Cleve
nach der Mark Brandenburg im October 1649 entstanden. Meine Annahme
stützt sich auf folgende Wahrnehmungen. Erstens steht auf dem Titel-
blatt des Buches: „Louise de Nassau d'Orange". Meines Wissens hat
sich die Kurfürstin später gewöhnlich der kurzen Namenschrift „Louise
Corvorstin" bedient. Aber in jenein, ihrem Vaterland benachbarten, damals
eigentlich halbholländischen Ländchen Cleve, glaubte sie sich wohl noch
anfänglich nicht verpflichtet, auf ihre bisherigen Gewohnheiten zu ver-
zichten und ihren Familiennamen abzulegen. Ferner entnehme ich aus
den zahlreichen Gegenständen, die das Verzeichnis anführt, dass es sich
hier um einen bestimmten Teil der Aussteuer, der Ilochzeitsgaben und
älterer Andenken der Prinzessin von Oranien handelt, besitzt sie doch
damals sogar noch ihr „poppen goet", ihr Kinderspielzeug) als Erinnerung
an die glückliche Zeit ihrer Jugend.
♦) R. f>4 IV. H« ü.
*♦) Ms. boruss. quart 17*2.
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Was eine Brandenbg. KurfOrstin an Schmuck, Gerätschaften u. dgl. besass. 29
Leider ist die Handschrift der hohen Schreiberin an mehreren
Stellen, zumal am Ende des Manuskriptes, sehr undeutlich, so dass die
Entzifferung und die Uebersetzung ins Hochdeutsche erhobliehe Schwierig-
keiten verursachte, um so mohr, als die von der Kurfürstin gewählte
Bezeichnung verschiedener Gegenstände in Holland längst ausser Gebrauch
und Kenntuis gekommen ist. Einzelne Bezeichnungen waren beim bestem
Willen nicht zu verdeutschen. Für Winke und Belehrung von Seiten
besserer Sprachkenner wäre ich daher sehr dankbar.
Berlin, Weihnachten 1893. G. G.
Silver warde.
twalf schoetels.
een lumppet*) Schoettel ende
beneven vier en twintich telluren.
leppels twalf.
nach een leppel.
gafellins twalf.
twee sout vaetten.
een schaevoer.
een groetten silveren korf.
twee klinne silverre korven met
deksels daer op de een is vergult.
vier silverre kandellaers.
een beet pan.
twee silverre pilpotten**; opt nacht
goet.
twee kistlins opt nacht goet met
deksels.
een kistlien opt nacht goet, haes
gheeu dekselopen Lseen Schims***)
paen van silver.
een leppellien met een houtte steel.
een klin bet paneken.
noch saeventien stuck alderhande
poppengoet.
een silverren ding daer men braet
op rostert.
*) lomp.
*•) pi spotten?
•♦•) 8cherm, Slym oder Schims?
Silber Werte.
Zwölf Schüssel.
Eine massive Schüssel und dazu
vierundzwanzig Teller.
Zwölf Löffel.
Noch ein Löffel.
Zwölf Gabelchen.
Zwei Salzfässer.
Ein Schaber (Reibeisen?).
Ein grosser silberner Korb.
Zwei kleine silberne Körbe mit
Deckeln darauf, der eine ist ver-
goldet.
Vier silberne Candelaber.
Eine Buttpfanne (Bettwärmer).
Zwei silberne Pillentöpfe als Nacht-
zeug.
Zwei Kästchen als Nachtzeug mit
Deckeln.
Ein Kästchen als Nachtzeug hat
keinen Deckel drauf und ist eine
Schutzpfaime (?) von Silber.
Ein Lötfelcheu mit einem hölzernen
Stiel.
Ein kleines Bettpfännehen.
Noch siebenzehn Stück allerhand
Puppenzeug.
Ein silbernes Ding damit man auf
Rost bratet.
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30
Georg Galland:
een kanneken inet een silverren lit.
een ding in een kustody*) van
silver.
een kristallen beker.
twee tabberretten**) inet silver.
een groette silverren blaeker.
een potlyn inet een koein daer op.
een silverre koein.
twee koussen en van silver.
Aen porselyn.
twee groette potten.
een die wat klinder is.
acht groette langhe potten.
noch vier die onder wiet syn.
noch acht die wat klinder syn.
twee groette schotteis.
twee klinne schotteis.
een baksken.
vier bakskens die wat klinder syn.
noch twee schotteis die klin syn.
twee kandellaers.
vier klinne baxkens.
vier die noch klinder syn.
vier vyoellins.
twee klinne vyollins.
twee klinne schotellyns.
twee sout /aetten.
twe bekerlyns.
een olli kan.
twee mostter potten.
tien deel van alder haende wit
goets.
swenen***) deel van alderhande aem-
ber ende kristal dat in koesen is,
daer is een koes onder daer soe
alderhaende aember in is.
dertien schilderyen dit is in de
groette holtte kist.
Ein Kännchen mit einem silberneu
Glied.
Ein Ding in einem Futteral von
Silber.
Ein krystallener Becher.
Zwei Sessel mit Silber.
Ein grosser silberner Leuchter.
Ein Töpfchen mit einem Napf darauf.
Ein silberner Napf.
Zwei Filtrirbeutel von Silber.
An Porzellan.
Zwei grosse Töpfe.
Einer der etwas kleiner ist.
Acht grosse hohe Töpfe.
Noch vier die unten weit sind.
Noch acht die etwas kleiner sind.
Zwei grosse Schüsseln.
Zwei kleine Schüsseln.
Eine Schale.
Vier Schalen die etwa6 kleiner sind.
Noch zwei Schüsseln die klein sind.
Zwei Candelaber.
Vier kleine Schalen.
Vier die noch kleiner sind.
Vier Violinchen.
Zwei kleine Violinchen.
Zwei kleine Schusselchen.
Zwei Salzfässer.
Zwei Becherchen.
Eine Oelkanue.
Zwei Senftöpfe.
Zehn Teile von allerhand Porzellan-
zeug.
Sieben Teile von allerhand Bern-
stein und Kristall das in Beuteln
i8t,da Ist ein Beutel darunter, darin
allerhand Bernstein ist.
Dreizehn Malereien diese sind in
der grossen Holzkiste.
*) Nach Sanders Deutschem Wörterbuch: „Wächter".
**) tabonret« (franx.).
♦•*) seven.
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Was eine Brandenbg. Kurfüretin an Schmuck, Gerätschaften u. dgl. besass. 31
Dit is dat in bot uieuwe kabvnet
yn is aen lint ende handschoen.
onghemackt lint.
veertien stuck Huts dat breet is.
achttien stuk lints dat oek breet is.
noch drie stuk lints dat heel
breet is.
noch vicf stuck lins dat smaldcr
is als hier boeven.
neeghen stuck lint dat smal is.
noch vief stuck op planghskens
ghe wunden.
Dies ist was in dem neuen
Schrank darin ist an Band und
Handschuhen.
Umgearbeitetes Band.
Vierzehn Stück Band das breit ist.
Achtzehn Stück Band das auch breit
ist.
Noch drei Stück Band das sehr
breit ist.
Noch fünf Stück Band das schmäler
ist als voriges.
Neun S{ück Band das schmal ist.
Noch fünf Stück auf Brettchen
gewickelt.
Aen haentschoen.
een pack daer drie doesyn haent-
schoen in syn die wite syn.
noch een pack daer drieentwintich
paer in syn.
eelf paer brunne haentschoen.
Aen boecken groet ende klin
dat in dt« aender kist is.
viefentsestich met leder oener
trohen. (?)
vier met vlouwcel.
groette bocken by sonder ses bocken
met paepier beneven twaelf.
een leerre kistlyn met aller haende
goet.
twee kislyns met silver.
een klin kabynetyn.
noch een silverre kistyen.
een parle moeder kistyn.
twee groette spighels.
twee speldewercks kuseus.
een niew schriftoerken*) van hout.
een klin kusentyen.
An Handschuhen.
Ein Pack da drei Dutzend Hand-
schuhe darin sind, die weiss sind.
Noch ein Pack da dreiundzwanzig
Paar darin sind.
Klf Paar braune Handschuhe.
An Büchern gross und klein,
die in der audem Kiste sind.
Fünfundsechzig mit Leder (in einer
Truhe?)
Vier mit Snnimct.
Grosse Bücher besonders sechs
Bücher mit Papier nebst zwölf.
Ein Lederkästlein mit allerhand
Sachen.
Zwei Kästlein mit Silber.
Ein kleines Schränkehen.
Noch ein silbernes Kästchen.
Ein Perlmutter-Kästchen.
Zwei grosse Spiegel.
Zwei Spitzenarbcits Kissen.
Uine neue Hl. Schrift*) in Hoiss.
Ein kleines Kissenchen.
*) schriftuur?
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32
Georg Galland :
Dit is all«; de yuwellen euch»
dat van gout is dat de Cour-
vnrstin lieft.
vief diamautte boetteu.
een groette boette tuet Robinuen.
een boette van schavier met een
spieghel achtter aen.
twee pacr diaemanttc pendanten.
vief diaemantten poyntsons*).
drie vraye diamantten ringhcu.
twee goude sloetyens met dia-
mantten.
twee braselletten met robiiiiien daer
goude sloetyens aen syn met
diaemantten.
acht goude ringhen klyn ende groet.
een orllosy met diaemaentten.
twee (irllosyen.
acht stak daer emeroeden ende
diaemantten op syn 0111 op liet
hoeft te setten.
een toer paerllen daer is int ghetal
ses en dartieh stuk aen.
noch een toer van veertich parllen.
twee brasselletten van perllen daer
aen elcks is twe borniert vier en
twintich stuck,
een kelderken van gout met vlessen
daer is de sehilderi van de prin-
ses Rovael.
een goude doesken.
de order van de prinses Royael.
een gowde kastlcn daer men tan-
stoekers in doen.
een gowde spighel met aeghaetten
beset.
een ghebet boek met diamantten
beset.
een Uobin die inet**) en is in
ghevat.
Dies sind alle die Juwelen und
das von Gold ist, was die
Kurfürs tili hat.
Fünf diamantene Vorstecknadeln.
Eine grosse Vorstecknadel mit Ru-
binen.
Kine Vorstecknadel von Saphir mit
einem Spiegel dahinter.
Zwei Paar Diamanten-Gehänge.
Fünf diamantene Haarnadeln.
Drei hübsche Diamant-Ringe.
Zwei goldene Schlösschen mit Dia-
manten.
Zwei Armbänder mit Rubinen, de-
ren goldene Schlösschen mit Dia-
manten sind.
Acht goldene Ringe klein und gross.
Eine Uhr mit Diamanten.
Zwei Uhren.
Acht Stück darauf Smaragde und
Diamanten siud, um auf das
Haupt zu setzen.
Eine Kette Perlen, daran in der
Zahl sechsunddreissig Stück.
Noch eine Kette von vierzig Perlen.
Zwei Armbänder von Perlen daran
je zweihundert vierundzwanzig
Stück .
Ein Flaschenkörbchen von Gold mit
Flaschen, daran die Malerei vou
der Prinzcss Royal ist.
Ein goldenes Doschen.
Der Orden der Prinzess Royal.
Ein goldenes Kästchen, darin man
Zahnstocher thut.
Ein goldener Spiegel mit Achaten
besetzt.
Ein Gebetbuch mit Diamanten be-
setzt.
Ein Rubin der mit ist ein-
gefasst.
*) französisch: puiueons. - +*) Wohl verschrieben.
xJ by Google
Was eine Brandenburgische Kurfürstin an Schmuck,Gerätschaften u. dgl. besass. 33
twee naeltyns daer in mersekeu*)
in hanghen.
een gout postoltyu.
vier gowde penigben groot ende klin.
een gout uaeltyn met een eineroede
daer in.
een krus van dieamantcn.
een pelikaen van diamanten,
een duyfken met diamanten,
twee kruyskens de een van roe-
binnen ende het aeuder vau eme-
roede.
een hartyeu van emeroude.
een gowde lompet Schottel ende
beker.
twee gowde kandlaers.
een gowde kam***) ende een gowde
leppel.
dit is het nieuwe linneu soe
de Corvorstin lieft.
tes paer slaeplaekens
twaelf paer kussentiettcn.f )
vier entwiutich nachts hemden.
vier entwiutich dacli hemden.
vier entwiutich nachts halsdoeken.
vier entwiutich schortel doeken.
vier entwiutich paer nacht mntsen.
vier entwiutich nusdoeken in de
sack te draeghen.
sveveu nachts kleeden.
kaeinysoellen acht,
twaelf uerstyens.ff)
twee met befkeus ock nerstyens.
acht mousoers.fft)
twaelf toer met kautteu.
twaelf kalsons*f)
kowsen twalf paer.
nervetten drie doesyn.
Zwei Nadelchen daran Körbchen
hängen.
Eine goldene Pistole.**)
Vier Goldpfennige gross und klein.
Ein goldenes Nadelchen mit einem
Smaragd daran.
Ein Kreuz von Diamanten.
Ein Pelikan von Diamanten.
Ein Täubchen mit Diamanten.
Zwei Kreuzchen das eine von Ru-
binen und das andere von Sma-
ragd.
Ein Herzchen von Smaragd.
Eine goldene massive Schüssel und
Becher.
Zwei goldene Kandelaber.
Ein goldener Kamin und ein gol-
dener Löffel.
Dies ist das neue Linnen, so
die Kurfürstin hat.
Sechs Paar Sehlaftücher.
Zwölf Paar Kissen (?).
Vierundzwauzig Nachthemden.
Vierundzwanzig Taghemden.
Vierundzwanzig Nachthalstücher.
Vierundzwanzig Schurztücher.
Vierundzwanzig Paar Nachtmützen.
Vierundzwauzig Schneuztücher in
der Tasche zu tragen.
Sieben Nachtkleider.
Acht Camisols.
Zwölf Busen westen.
Zwei mit Bäffchen auch Busen westen.
Acht Hauben.
Zwölf Köllen mit Spitzen.
Zwölf Strümpfe (?).
Strümpfe zwölf Paar.
Servietten drei Dutzend.
*) ineers (veraltet) heisst bei Vondel: Kiepe. Hier ist wohl ein korhähnliches
Gehänge gemeint — **) Wohl Goldmünze. — ***) kann oder kurn?
f, Die Endung ist wohl ungenau. — f|) heute: neerstik oder neerstuk. — fff) Wohl
moutsens. — *f) Wohl koesens
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Georg Galland.
dit. is het linneji soe de Cour-
vorstin lieft dat niet nieuw
en is.
drie pacr laekens.
heeindcn, nachts lienulen ende dach
hemden ouder malkauderren dar-
ticli .
vief olde slechtte nusdoeken.
noch sveven slechtte nusdoeken.
vief kolleretten.
drie inet befkens.
aenderhalf doesyn in de sulses
kalsons.
vier witte linnen onderkussen.
ses kaemysoellen.
vief nachts halsdoeken.
sveven voersehoetten.
ses pacr kousen.
ses ondermutsehen ende ses boeven
mutschen.
tabberts.
een sittron silverre laekens tabart.
yesebel silverre laekens tabbart.
een yessebel silverre inoewe.
een witte silverre laekens tabl)art
met kant gheboert.
sittron koullar inoewe.
stof tot een tabbart dat niet en ist
op ghcmackt.
noch twee tabberts die niet en syn
op ghemaekt die ut vra nkrick
syn ghekoemen.
een blaw satinne tabbart.
een as graw satinne tabbart.
een yessebel satinne tabbart van
poede soy*).
een swarttc satinne tabbart.
een swartte tabbynne**) tabbart.
Dies ist das Linnen so die
Kurfürstin hat, das nicht
mehr neu ist.
Drei Paar Tücher.
Hemden, Nachthemden und Ti\g-
heinden durcheinander dreissig.
Fünf alte gewöhididieTaschentücher.
Noch sieben gewöhnliche Taschen-
tücher.
Fünf Halskragen.
Drei mit Bäflehen.
Anderthalb Dutzend in (?)
Vier weissleinene Unterkissen.
Sechs Kamisols.
Fünf NTacht-I lalstücher.
Sieben Schürzen.
Sechs Paar Strümpfe.
Sechs Unter -Mützen und sechs
Ober-Mützen.
Mäntel.
Ein Citron-silberner Tuch- Mantel.
Isabel-silberner Tuch-Mantel.
Ein isabel-silberner Aermel.
Ein weiss-silberner Tuch- Mantel
mit Spitze eingefasst.
Citronfarbiger Aermel.
Stoff zu einem Mantel, der noch
nicht vollendet ist.
Noch zwei Mäntel «lie nicht vollendet
sind, die aus Frankreich ge-
kommen sind.
Ein blauer Satin-Mantel.
Ein asch-grauer Satin-Mantel.
Ein isabelfarbener Satin - Mantel
von starkem Seidenzeug.
Ein schwarzer Satin-Mantel.
Ein schwarzer Taffet-Mantel.
*) Pou de-soie (franziisieh).
**) Tabijn ist gewasserter starker Tati'et (Doppeltaffet).
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Was eine Brandenburgische Kurfürstin an Schmuck, Geratschaften u. dgl. besass. 35
een koullur de roesse nacht,
tabbart het plus daer onder het
bovenste Ls van alder hande
koullur.
een konllur de roesse onghevlin.
as graw sarsye onghelin.
twe silvere laekense oukevroeken.
silvere laekens daer koulur in Ls
tot eeu ander roek dat niet en
is ghemaekt.
ten koullur de roese silveren ock
noch een gant laekens noch daer
Ls een buen ut glienoemen die
lieht daer by.
in kornaet sattinue rock,
eeu yessebel armoesyne rock,
een arinoesynue pelsken.
vier satinue rocken,
een koullur de roesse sunrlif.
tvvee nachts kleden, een van silverre
moeve ende een van koullur de
naekerre armoesyn.
eeu armocsinne dekentyeu inet bont.
een ostiukese nachtabl)art.
een yndyaense dcken niet pluys
ghevoedert.
vier sinken silverre laekens dat
tot de sleep is ghewest.
noch een silverre kaut tot eeu rock.
een annoesinne Sluyer niet eeu
kunt daroni.
Ein rosafarbiger Nacüt(mantel).
Mantel, der Plüsch unter dem äussern
Stoff ist verschiedenfarbig.
Ein rosafarbiger
Aschgrauer Sarsche
Zwei silberne Tücher ungearbeitet.
Silberne Tücher, gefärbt, zu einem
andern Hock, der noch nicht ge-
macht ist.
Eiu rosafarbiger
. . . herausgenommen, der liegt dabei.
Satinrock.
Ein isabel farbiger Arinoisin*) Kock.
Ein Arinoisiu-Pelzehen.
Vier Satin-Röcke.
Ein rosafarbiges Schuürleib.
Zwei Nachtkleider, eius mit süber-
neu Aerinelu und eins aus schwarz-
farbigem Armoisiu.
Ein Arinoisin-Deckchen mit Bunt.
Ein ostiukese Nachtmantel.
Eine indianische Decke mit Plüsch
gefüttert.
Vier Stück silberne Tücher die zur
Schleppe gedient haben.
Noch eine silberne Spitze zu einem
Rock.
Eiu Armoisiu -Schleier mit einer
Spitze darum.
♦) Armoisiu ist bekanntlich eine Art ganz dünner Taffet.
Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-
Klosters und Stifts zum „Heiligen-Grab e" bei
Wilsnack in der Priegnitz.
Aus urkundlichen Quellen zusammengestellt
von
Emil von Maltitz, Major z. D.
Vorgeschichte.
Es war im 4. und 5. .lahrhuiulert nach der Geburt unsers Herrn,
als in unsenn deutschen Volke das merkwürdige Bewegen und Hegen
sich kund gab, was wir in der Geschichte mit dein Namen der „ Völ ker-
wanderung" bezeichnen. Grosse und zahlreiche deutsche Völker-
schaften erhoben sich aus ihren Sitzen und zogen dem fernen Westen
und Süden zu.
Auf diesen Wegen begegnete ihnen das Kreuz, die Predigt von dem
Weltheilande, von der Versöhnung und Erlösung der verlorenen Mensch-
heit und anbetend sanken sie nieder vor dein gottseligen Geheimnis,
da ss Gott geottenbaret ist im Fleische. Die wandernden Deutschen werden
Erben des römischen Keiches und zugleich des Christentums.
In die von den Deutschen verlassenen (fegenden drängte von Osten
her ein anderer, grosser Volksstamm — die Slaven — nach. Wirtinden
sie unter verschiedenen Namen das bisherige deutsche Land bis zur
Elbe und Saale, bis zum Fiehtelgebirge und den Böhmer- Wald einnehmen.
Westwärts von Elbe und Saale sass der mächtige deutsche Volksstanim
der Sachsen, der seine heimischen Sitze nicht verlassen hatte, der auch
noch festhielt, am angeerbten germanischen Heidentum. Die Kriege und
Fehden, welche in den Grenzgebieten zwischen Slaven und Sachsen statt-
gefunden, verlieren sich in ein unerhellbares Dunkel. Erst mit. Karl
dem Grossen beginnt für diese Gebiete und die sie bewohnenden Völker-
schaften die geschichtliche Zeit.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
37
Nachdem dieser mächtige Fürst die Sachsen in langwierigen Kriegen
unterworfen hatte, legte er an den deutschen Ostgrenzen verschiedene
Marggrafschaften an, in der Absicht, das Volk der Slaven allmählig
zu unterwerfen und zu Christen zu machen. Die Anfänge zu diesem
Werke gingen in den unruhigen Zeiten der Karolinger zu Grund«1. Erst
Heinrich I., aus dein Stamme der Sachsen, nahm das Werk Karl des
(i rossen wieder auf.
Dem sächsischen Volksstamme, der unter allen deutschen Stämmen
sein germanisches Gepräge rein bewahrt, und zugleich das Christentum
am tiefsten erfasst hatte, fiel die grosse Aufgabe zu, «lie einst deutschen
— jetzt mit Slaven bevölkerten Gebiete für das deutsche Wesen wieder
zu gewinnen und zugleich das Christentum in diese Gegenden zu ver-
pflanzen. Diese grosse Aufgabe brachte das Volk der Sachsen in jahr-
humlertlanger, schwieriger Arbeit, in Kämpfen und Ringen — auch im
Dulden und Leiden, zu Stande.
Zunächst wurden hierbei die Slaven nach hartnäckigem Kampfe
unterworfen; alsdann wurden in den unterworfenen Gebieten Bisthümer,
Kirchen und Klöster gegründet, als die Pflanzstätten des Christentums.
Priester und Mönche missionierten unter den unterworfenen Völker-
schaften. Wie die Missionare den Kriegern, so folgten den Missionaren
deutsche Kolonisten, das Land bebauend und deutsche Kultur verbreitend.
Nach einigen Jahrhunderten zählen wir in der Mark 3 Bistümer:
Havelberg, Brandenburg und Lebus mit einer zahlreichen Domgeistlich-
keit; eine grosse Menge von Kirchen mit zahlreicher Priesterschaft:
gegen cO Klöster mit etwa 2000 Insassen. Von diesen Klöstern sagt .
Spieker in seiner Kirchengeschichte der Mark Brandenburg:
„Die Mönche haben die errettende Lehre des Christentums mit
„Aufopferung und Lehensgefahr unter wilde Völker verbreitet
„und der Kirche viele treffliche Lehrer und treue Hirten erzogen."
Wenden wir uns nach diesem Blick auf die allgemeinen Verhält-
nisse der Mark zu der Landschaft derselben, in welcher das
„Kloster zum Heiligen-Gra be"
gegründet wurde — zur Priegnitz.
Nächst der auf dem linken Ufer der brandenburger Elbe gelegenen
Altmark ist die Priegnitz der älteste Teil der prenssischen Monarchie.
Auch die Priegnitz war von Slaven besetzt, hier den Namen „Pritzencr"
trugen, von welchen das Land vermutlich auch seinen Namen trägt. In
früherer Zeit wurde die Priegnitz häutig „Land IIa velberg" genannt,
weil «1er grösstc TVil derselben im Besitz der Bischöfe von Havelberg,
un<l diese Stadt die hervorragendste der Landschaft war. Auch findet
sich häufig der Name „Die Vormark", weil die Priegnitz von der
Altmark aus die vorderste Mark im alten Wendenlamle war. Der
Name ,,Priegnitz,{ scheint erst seit dem vorigen Jahrlmmlert ausschliess-
lich herrschend geworden zu sein.
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Emil von Maltitz, Major z. D.
Am linken Ufer der Elbe, dem Priegnitzer-Lande gegenüberliegend,
hatte Heinrich I. im Jahre 927 die Mark „Nord-Sachsen" gegründet.
Sie sollte eine starke Wacht des deutschen Reiches gegen den slavischen
Osten sein. Unter dem grossen Sohne des Königs Heinrich — dem
Kaiser Otto I. — wurde von hier aus die Unterwerfung und Christiani-
sirung des slavischen Grenzgebietes — der Priegnitz — ernstlich in
Angriff genommen. Otto ernannte den mächtigen und energischen Gero
zum Markgrafen der Nordmark und gründete im Jahr 939 im Lande
der Pritzener — in Havelberg — ein Bistum. Die Stiftungs-Urkunde
wurde von Otto erst am 9. Mai 946 vollzogen.
„Im Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit Otto
„durch Gottes Güte König."
„Weil es der christlichen Gottesverehrung würdig ist, dass
„Wir Uns für die Ausbreitung des Glaubens bemühen, so gründen
„Wir, indem Wir den allein vor Augen haben, welcher kein
„gutes Werk unvergolten lässt, auf Rath und Veranlassung des
„Uns geliebten, ehrenwürdigen Oberpriesters Mariuus, des Ge-
sandten der römischen Küche, und des Erzbischofs Friedrich,
„anderer Bischöfe und Unseres Bruders Bruno und des Gero,
„unsers geliebten Markgrafen, in der Burg Havelberg, welche
„in jenes Mark gelegen ist — zur Ehre des Herrn und Heilandes
„Jesu Christi und seiner heiligen Mutter Maria, einen bischöf-
lichen Sitz, indem Wir ihm den ehrwürdigen und frommen
„Oberpriester Oudo zum Vorsteher geben."
Das neue Bistum wurde von seinem kaiserlichen Stifter mit reichen
Gütern und Gerechtsamen ausgestattet, die sich in der erwähnten
Urkunde aufgeführt finden.
Der Bischof und seine Kleriker waren Missionare. Sie durch-
zogen, das Evangelium verkündend, die unwirtlichen Gegenden der
Priegnitz und der angrenzenden Gebiete. Aber nur die Furcht vor der
Obmacht des deutschen Kaisers konnte den Bischof Udo und seine
Priester gegen die Rache des über den Verlust seiner Selbstständigkeit
erbitterten Volkes schützen. Als Kaiser Otto aber nach Süddeutschland
gezogen war, um die dort hausenden Ungarn zu züchtigen, da loderte
der verhaltene Hass der Prizaner gegen Christentum und Deutschtum
in hellen Flammen anf. Das neue Bistum geriet in die grösste Gefahr.
Nachdem Otto die Ungarn im Jahre 955 auf dem Lechfelde besiegt
hatte, eilte er schnell mit einem Heere an die Nordost-Grenze seines
Reiches In der Nähe von Wittstock brachte er in Gemeinschaft mit
dem Markgrafen Gero von der Nordmark den Prizancrn samt den mit
ihnen verbündeten, benachbarten, slavischen Völkerschaften eine empfind-
liche Niederlage bei.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen- Klosters.
39
Durch geheime Boten wurden alle wendischen Völkerschaften an
dem rechten Elbufer zum Aufstande gegen die deutsche Herrschaft auf-
gefordert. Es begannen langjährige, erbitterte Kämpfe.
Da man das Christentum als ein Mittel zur Unterdrückung ansah,
so wandte sich der Hass der Aufständischen vornehmlich gegen die
Bistümer und Klöster.
Am 28. Juni 983 wurde die Stadt Havelberg überfallen, die Burg
erobert, die kaiserliche Besatzung niedergemacht, die Kirche verwüstet,
und der Ort angezündet. Gegen die Christen wurden ohne Unterschied
des Alters und des Geschlechts die abscheulichsten Frevel verübt. Der
erste Bischof von Havelberg - Udo — fand mit den meisten Priestern
an diesem Schreckenstage seinen Tod. Sie besiegelten ihr christliches
Bekenntnis mit ihrem Blute.
Später wurden zwar die Slaven durch den Herzog Bernhard von
Sachsen genötigt, die zerstörten Kirchen im Wendenlande wieder herzu-
stellen, aber, da dieser Fürst in einen Streit mit dem Kaiser verwickelt
wurde, brachen die gegen Christentum und Deutschtum erbitterten Slaven
von neuem los.
Von Hamburg bis weit über Havelberg hinaus wütete der Aufstand.
Alle Güter der Deutschen wurden verwüstet, die Kirchen dem Erdboden
gleich gemacht, die Kreuze geschändet, die Priester gemordet, die Ge-
fangenen in wildem Jubel zu Tode gequält.
Die Götzenaltäre wurden durch das Blut christlicher Priester
geweiht.
In allen Landen vom rechten Elbufer blieb keine Spur vom
Christentum.
Die deutschen Kaiser dieser Zeit waren durch den Kampf mit den
Päbsten — überhaupt durch die italienischen Angelegenheiten — so in
Anspruch genommen, dass sie den bedrängten Ostgrenzen des Reiches
keine Hilfe bringen konnten. —
So ist auch in unsere Mark die Saat des Christentums aus dem
Blut der Märtyrer erwachsen. Die cluistlichc Kirche ist unter harten
Kämpfen geboren, kann sich nur durch Kampf behaupten, kann nur
durch Leiden und Dulden vollendet werden.
Diese Wahrheit predigt auch die Geschichte der Einführung des
Christentums in unsern Marken.
In jener schweren Kampfeszeit bestand zwar das Bistum Havelberg
dem Namen nach fort, aber die Bischöfe konnten sich in ihrem Sprengel
nicht behaupten. Durch anderthalb Jahrhunderte finden wir die Bischöfe
von Havelberg an dem Hofe des Erzbischofs von Magdeburg, dem das
Bistum Havelberg unterstellt war. —
Endlich fanden die empörten Slaven ihren Bändiger in dem
Markgrafen Albrecht den Bären aus dem Hause der Anhaltiner,
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40
Emil von Maltitz, Major %. V).
dem die Nordmark im Jahre 1133 vom Kaiser Lothar verliehen
wurde.
Nun erst begann das Werk der Germanisiemng und Christianisie-
rung der Priegnitz, wie überhaupt der Mark Brandenburg, mit dauern-
dem Erfolge.
Auch das Bistum Havelberg wurde wieder hergestellt. Zu jener
Zeit sass Norbert, der berühmte Gründer des Prämenstratenser-Ordens,
auf dem bischöflichen Stuhl von Magdeburg. Dieser ernannte seinen
Freund, den Magdeburger Domherrn Anselm zum Bischof von Havel-
berg. Anselm, der in nahem Verhältnis zu den Kaisern Lothar und
Conrad III. stand, und zu wichtigen diplomatischen Sendungen benutzt
wurde, widmete sich doch auch mit Eifer seinen bischöflichen Pflichten,
besonders seit er sich mehr vom Hofleben zurückzog.
Der Abt Wibold von Corvey war sein Freund, mit dem er in dem
frömmsten Briefwechsel stand.
Gestützt auf die Macht des befreundeten Kaisers und des Mark-
grafen Albrecht, stellte Anselm die in den langen Kriegen verwüsteten
Kirchen wieder her, gründete Klöster und rief deutsche Kolonisten in
das Land. Anselm wurde 1155 Erzbisehof von Ravenna. Das Werk,
welches er begonnen, wurde unter dem Schutze der anhaltinischen
Fürsten von seinen Nachfolgern auf dem bischöflichen Stuhle fortgeführt.
An den Ufern der Elbe folgte auf eine Zeit langwieriger blutiger Kriege
eine Zeit, stiller, gesegneter Arbeit.
Unter den zahlreichen Klöstern, die unter den Anhaltinern in
der Mark entstanden und von welchen aus das Werk der Gerinanisierung
und Christianisierung unter dem Slavenvolke vollendet wurde, befindet
sich auch das Cistercienser Nonnenkloster „Zum Heiligen-
GrabeM, zu dessen Geschichte wir nunmehr übergehen.
Die Quellen, welche zur Entwerfung eines Geschichtsbildes unseres
Klosters zur Verfügung stehen, sind sparsam.
Tn den Stürmen des d reissigjährigen Krieges sind die meisten
Urkunden verloren gegangen. Wir können uns daher nur auf Nach-
stehendes beschränken.
Das Cistercienser Jungf rau en-K lostor zum „Hei II gen -Grabe"
bei Techow in der Priegnitz.
Das Blut, welches aus geweihten Hostien hervorquoll, wenn diese
gemissbraucht oder misshandelt wurden, und welches hernach, zum
Gegenstande frommer Verehrung und Anbetung gemacht, wunderthätig
wirkte, hatte um die Mitte des 13. Jahrhunderts in der Bischöflich
Brandenburgischen Diöcese schon zur Errichtung von 2 Wallfahrts-Orteu
Veranlassung gegeben.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters.
41
Im Jahre 1247 entstand zu Belitz, im Jahre 1249 zu Zehdcnick
ein solcher Quell wunderthätiger Kraft, und am letztern Orte führte
uns die Stiftung des dortigen Cistercienser Nonnen-Klosters herbei, damit
das Heiligtum von jungfräulicher Hand in würdiger Weise aufbewahrt
werde. In dem Bischöflich Havelbergischen Stiftssprengel fehlte es da-
mals, ausser dem Stifte Stevenitz an solchen Heiligtümern und Wall-
fahrtsorten, da das heilige Blut zu Wilsnack, welches hernach der be-
rühmte Wunderquell dieser Art wurde, erst viel später seinen Anfang
nahm. Bald aber gab, wie die Legende berichtet, die Frevelthat, welche
ein Sächsischer Jude an einer aus der Kirche zu Techow gestohlenen
Hostie verübte, in diesem Dorfe solchem heiligen Blute und mittelbar
dadurch dem Kloster
„zum Heilige n-Grabett
den Ursprung.
Die Legende wird mit einigen andern Nachrichten von diesem
Kloster von Hindenberg in Bernollrs Sammlungen von Reisebesrhrei-
bungen Bd. VI und VII, in Hey's handschriftlicher Geschichte der Stadt
Pritawalk, welche letztere in der Königl. Bibliothek zu Breslau auf-
bewahrt wird, sowie in Klödcn's Werke „Die Quitzow und ihre Zeit",
Teil III, 87, mehr oder weniger nach modernem Geschmacke aus-
geschmückt, erzählt.
Hier möge die Erzählung in den Worten Platz finden , womit ein
altes noch aus der Zeit vor der Reformation herrührendes Werk den
Vorfall, der zur Stiftung des Klosters Veranlassung gab, in altertüm-
licher, einfacher Form überliefert.
Dies Werk wurde 1516 in lateinischer Sprache, 1521 in deutscher
Sprache bei Ludwig Dietz in Rostock gedruckt, und in vielen Exemplaren
von dem Geistlichen verbreitet. Dennoch ist es so selten geworden, dass
in keiner zugängig gewesenen Bibliothek noch ein Druck-Exemplar zu
finden war, und nur eine in der Königlichen Bibliothek zu Breslau auf-
bewahrte, im Jahre 1679 angefertigte Abschrift in den Stand setzte, dies
altertümliche Schriftstück, um dasselbe hierdurch zugleich zu erhalten,
hier mitzuteilen:
„De wisslike Gelowe, so dicke unde vaken de van den ungclo-
„vigen bekört wert, So wert he dennoch nicht dardoch (wo se
„verhopen) vorringert, ed dir verschwekket, Sünder vulmer unde
„alle tyt mit groten billigkeit vorlüchtet, dat mannigerley Wyse
„befunden unde sünderlich durch eynen Jeden van Fryberg, ut
„dem Lande tu myssen; welker allersnödeste Jude, alse de ge-
„herberget ward in enem dorpe Techow genand, belegen in dem
„Stichte to Havelberg, nnnen de Herrstop des dorchlüchtigesten
„hochgebornen Forsten unde Herrn, Herrn Jochens, des heilligen
„Römischen Richs Ertzkamraerers, Kurfürsten Marg Grafen to
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Emil von Maltitz, Major z. D.
„Brandenborg etc an ejnem Frydage na der hilligen himmelfart,
„Christi unsere Herrn in dein Jare dusend twehundert unde
„Söven unde achtentich, in de naclit dess filfftcn frydags, also
„he sick vennoden was goder tyt to synein böfen vornehmen,
„so öpente he de Kereken darsülves, unde stall trefliken daruth
„dat werdige, hillige Sacrament mit dem Kresem, unde gedachte
„ylend darmet to Prisswalk (hv euer Myle weges van dar be-
„legen) to lopende. to etliken synes Gelowes darfülves wohu-
„hafftig. Owers dem allweldigen behagede nicht also syn holsker
„Vornehmcnt, wurte aljs he gar geringes weges unde doch mit
„groter Swarheit van dein dorp gekamen was, do wart he dorch
„Gottlicke Straffe so harte met euer S waren borde heladen, dat
„he nich forder kamen konde, sondern muste under ener Eyken
„(noch hüte dages yn dem wege stahnde) rouven. Alse avers
„darna de sulffte Jöde was to syk siilvers gekamen, nnde gar
„nouve enese stenworp weges vort gegahn was, so quam he an
„enen See, bye wolcher etz eyne Galge stunt, darna ehn mann
„gehangen, unde darbaven ehn Kad, darup he gestott unde gelegt
„was, in welkeren der heden Middele de Jöd ehno Kuhle makete,
„darinn he dat hillige Sacrament (So he to vorne in Klein Stücke
„wreef) lede, unde herackede dat darsülves, unde lepe dar van
„(met groten torchten, na Prysswalk, sik vaken umbsehende,
„unde quam also heu na Prysswalk, doch also, das syne hostike
„daet, dorch den Gottlichen Willen vormiddelss synen henden
„de gantz unde met alle blodig weren) beteykent ward. So
„nun de leonis lüde offlte housvolck yn dem dorpe des morgens
„up den Kirchhoff kamende, de Kereken upgebraken sehgen, ock
„theyken dat dat hillige Sacrament gestohlen was, do worden
..se alle seer vorschrecket unde bedrövet; unde so see avers er-
koren, dat in de vergangenen Nacht ehn Jöde in dem Kroge
„geherberget hadde, de met blodigen bänden na Prysswalgk ge-
„lopen was, so sümende se nich lange, sundern lupen unde fol-
„geden ylends im groten thorm so lange, dat see en funden to
„Prysswalgk, met annern Joden sittende unde Spraken hollende,
„De Buren frageden den Jöden unde beden en, ümme de Geschieht
„to openbaren unde bekennen, vermachten overs nich en jengger-
„ley wyse darben to bryngen, dat he en wolde de warheyt seggen,
„offte he des jehm were, de sodahne öveldath begahn hed<le.tt
„Se gyngen to Rade unde weren alle enes sinnes, den
„Missdeder met stide to vorvorsken, so was dar ehn borger,
„an<lechtigen goden levendes, de tarede em, dat he sick wolde
„laten em Platten skeren, unde gantz to bereden, alls en Preester
„unde ock Preestern Kleeder anthoen, Welcker een Jöden met
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Zur Geschieht« des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
43
„söten Worten anqvam un bath ein, doch den eversten Gott, de
„loef unde Grass geschapen hebbe, ock durch leve der Oltvädere
„des Jödescken Voleks, dat he emme doch mochte de Warheit
„seggen, denn he möchte dat ane allen forchten dhoen, he seghe
,jo woll, dat hei elin Preester were, de jümmers dat jene, wat
„in de Bycht gesegt, by Strafte lives unde Godes vermöge de
„Geestliken Rechte nich melden moste. De Jöde wart dorch de
„söten Wörde det falsken Preesters beweget, unde gyngk met ein
„an den Ort, dar he det billige Sacrament begraben hädde, doch
„wolde he em dat nich met synen Kynghern odder hovende
„wysin, odder führ etlicken maten antögen, sondern met synen
Jachtern Volke flott he darupp unde sprak:
„Hie ligt jouwe God!"
„De Jöde wosste nicht de behendichoyt det falschen Preesters,
„unde wart also dorch syne lyst bedragen unde to stund van
„den baren (de sick in dem busk verborgen hadden) angeyrepen,
„unde vort in Gefengniss gevort, dar he syne Missedad bekennen
„musste. An dem dage, dar he scholde verordelt werden, dar
„quam da vele grotes solopes, de Richters Spraken ehn billich
„ördel, dat de Jöde scholde pynliken geradebraket werden to
„enem byspöl offte Exeinpel der groten ummildicheyt, de he be-
„begahn hadde. Alse nun de Jöde dem smeliken dod geleden
„hadde, so wart dat hyllige Sacrament yu der mathen, also dat
„was vn klene stücken towreven van den Preestern vn
„groter Versammlynge det jnnigen Voleks upgehaven, unde de
„grötesten dele rotfarff vans blöde in ebnen fedderkyhl bewart,
„also de kleensten dele yn enem roden syden dok gewunnen,
„doch nit so gar eygenlik, dat de Gottheyt darvon off gefunder
„het, alssdenn dat sülvers van euer frawen, van dem höfen
„Geeste heseten, dorch etliche hillige Zegeninge ervahren und
„openbahre tüchnisse gebort wart, dat welke ghar kleyne, offryss
„dargebleven, so man gar nouve hedde erkennen möghen , in
„welkeren doch nich weynigher derGotheyt dran yn dem andern
„were, unde ock nich weniger in dem bröckesken, denn in dem
„gantzen, unde ahn allen twifel unde bedroch de wahe Gott von
„den hilligen Engeln geehret und gelavet alle tyd dar were.
„Unde dat ist de erste Ursprung des Klosters unde Ordens,
„welkeren ock to stunde hehhere erluchtet, de mannichvoldich-
„heit der Mirakel dat men de alle met der Körte nich ver-
bellen kan.a
„Overs de Kirchherr to Prysswalgk to der sülfften tyt (her
„Werner genant.) de dat hillige Sacrament also in der blodigen
„Gestalt, wo dat gefunden, geweldichlichen weggenamen hadde,
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Emil von Maltitx, Major z. D.
„behelt dat ehn Jahr lang yn Yorhopeninge , dat yt darsülver
„ock theken dhon scholde, dannit he dorch besökinge der Pel-
„grinnen rike werren möchte, Avers dar geschegen keynerley
„theken odder Myrakel, sunder allem an der vorigen stede, dar
„dat gefunden war, dar de Wundertheken nich affleten."
„Also beghaff et sick, das Bisohop Hinrich tho Havel borg
„wolde yn Prysswalgh ryden, de och nich alto vele gelevede der
„nyen geschichte, unde dewyl he Untrüwelick daroon gedachte,
„so befeel he inet froarer unde groter Krankheyt, dat men cm
„musste van den Pferde hören und up de Erde legen, darup he
„dat hillige Sacrament an unde lavede, dat to hesöcken, unde
„to stunde an wart he widder gesund."
„Als ho övers dat nich allein besochte, sunder ock dem
„Yolck, dat ungefehrlick dar was, de Mirakel van dem Bredigstohl
„verkündigen wolle, so ward end van dem hem met getöget de
„hyllioheit der stede, wente he haven dem Graven up de sülfften
„Stede den han met open Sack, dardorch he myt so velen innighen
„trauen hegoten ward, dat he ehn wort nich spoken konde,
„sunder bevohl synen Cappellan allent wat ein bejent was, dem
„Yolcke to open hahrende: Van de tyt an was de Bischop der
„hilligen Stede to gedhan, unde gehod ernstlyken dem Kerckherrn
„to Prysswalk, dat he das hyllige Sacrament in der Gestalt, wo
„he dat wegghenamen hedde, scholde werlder overgeven. Dat
„he denne (we wol inet Unduldichevt) dede unde met groten
„Ehre, unde bernenden Kersszen, di dorch nyum Unstymieheyt
„des Weders mochten utgelöschet werden, an dat Ende, da dat
„erste gehabt, wedder hengebracht word.
„Id beghaflf sick, dat de dorchluehtige hochgebohrne fforste,
„herre Otte Marggraff to der tyt yn der Ukermarke, dorch syne
„Rederd unde havedenerers angeherdet unde von dar togeraden
„wart, dath yd hether were unde seer nütte scholde syn, dar-
„sülvers an den Ort ehn slott to legende, dot dem gantzen lande
„darsülvers met syn möchte, Dorch wolkum Rath unde Anter-
„dinge des Synen he beweget ward unde gantz geneget, dat he
„de Stede to eynen slote wolde bruken laten, dat ok also ge-
„schegen wird, wo ein de Göttlicke Wille, nich widderstahn
„hedde. So beghaff yd sick dat he darum länger rette de Stede
„to besehende, unde so he denne a vormals von synen Rederern
„unde denern angeröget wart, dat nich nütte syn scholde ehm
„Geestlike Stede an dem sülfften Ort to loggende don befohl he
„etliken synen denerern, de finen dish plegeu to besorgunde,
„unde och andern, den dat mede helwede, dat se alle dat offer,
„dat se das fundennemm unde darran ene gode Maleltyt to be-
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters. 45
„neydeii scholden, yn ema dorne, dar benaven belcgeu, Manekmus
„benennet, wenn er hena gvesser, dat alsdenn also geskach, Overs
„so he niet den Synen to diske sat, unde angericht was, so wart
„alle de Spise, (bede gesoden unde gebraden) to Blöde, nnde so
„man dat tum andermahl besochte unde up dat nye anrichtete,
„So geschach yd avennabls. Also derhalveu de framdfförste
„gar sehr verskrack, unnde vul inet den Synen up ere Knee, unde
„bededen den Allmäclitigen God üinine Gnade. De Here lavede
„by synen Treu wen, so an de all weidige God gefund van dar
„liülpe, so wolde be de Stede sülvers inet ynnicbeyt besöben,
„unde darsttlves eyn Kloster bawen.
„Als he nun inet groten Auxte yn euer Nacht betrachtede,
„wat mathe he dat Kloster wolde buwen, so quam ein eyne
„Stimme van dem heinmele, dat he siek man uninütte bekümmerde,
„denn yd were van Anbeginn der Welt geordnet, unde uthgesegen,
„dat een Jungfruwen Kloster an dem Orde stahn scholde Cister-
„cien Ordens, mit graven Kappen gekledet, alse sünte Bera-
„hardus gedragen hadde, ander der Regulen S. Benedicti. Alse
„nun de fforst durch soleke Vorkündinge des Klusters Stiebtinge
„erinnert ward, so bad he de Ebdissin to Nyendorp dat se ein
„twelff Jungfruwen uth crem Kloster skieken wolde, unde wes-
„voll se dat sülffk dem forsten nicht weygeren wolde edder
„mochte, so gedachte se ein doch twelff de aller unnöttesten to
„skickende, derhalveu se yn volgender Nacht gar swarliken durch
„Göttlike Geschichte gestraffet word, dardorch se denn bewoget
„ward, dat se sülver inet eylff andern Jungfruwen an dem
„Orte tog, unde dem All weidigen (rode darsülvers met erend
„y innigen Geheder unnde Wcrcken de dage erer levens denede.
„An weichern Orthe datsülffte Kloster gebuwet ward, dar inen
„noch dat sülffte hyllige Sacrament so blodig yn enen Crystalleu
„yn sv den doch hylligliken toget."
„Welkere Stede ock to dysser ty dt und by Regimente det
„dorchlüchtigsten unde hochgebohrnen fförsten unde Herrn, Herrn
„Jochims Marg-Craven to Brandenburg, Korfforsten etc dorch
„groten tolop veler Pelgrimme uth ohrsacken de Myrakel inet
„Ynniehevt heymgesoket ward."
Soweit gebt das alt»* Druckwerk: dann folgen, die Erzählung an-
^'liaulieber zu machen, in demselben die Abbildungen einzelner Scenen
*li«*s*er Legende, wie sie am Chor der heiligen Grabes-Kapelle zu er-
^Wii sind.
Die Stiftuugs-Urkuudc des Klosters, welche ausgefertigt sein
S°H, ist nicht erhalten; auch die ersten Besitzungen, mit welchen das-
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Emil von Maltitz, Major z. D.
selbe dotiert ist, sind daher nicht mehr bekannt. Gewiss aber erhielt
das Kloster bei seiner Stiftung schon den Ort Techow durch die Frei-
giebigkeit des Markgrafen. Der Bischof von Ilavelberg soll ihm einige
Besitzungen in der Altmark überwiesen haben, nämlich Wende mark
in der altmärkischen Wische, 2 Höfe zu Paris und die Zehnterhebung
von einigen Hufen Landes zu Werben. Die letzteren Güter wurden in
der Folge zum Teil vielleicht gegen näher und bequem gelegene Be-
sitzungen vertauscht, zum Teil gehören sie bis auf die heutige Zeit dein
Stifte an, wie der Werbeifsehe Zehent und einige WVndeinark'sehe Prä-
stationen, die 1782 in Erbpacht ausgethan sind. Gegen Ende des
13. Jahrhunderts Ritter Yo von Königsmarck und Ritter Degenhard
von Krackow ihren in das Kloster aufgenommenen Töchtern eine
Getreidehebung aus der Mühle zu Papen brück, welche nach dem Tode
dieser Conventualinnen zur Vermehrung der Präbenden dem Stifte ver-
blieben.
1306 hatte das Kloster in Folge früherer Erwerbung das Dorf
Breiten fei d in Besitz, und bewog es die Markgrafen Otto und Wal-
demar, dem Kloster das lehnsherrliche Eigentum für 60 Mark Silbers
zu überlassen.
Bald hernach, im Jahre 1317, kaufte das Kloster vom Markgrafen
Waldemar das Dorf K ü nie kend o rf mit 14 Wohnungen für 506 branden-
burgische Mark. Nach dem hohen Preise zu schliessen, war das Dorf
vorher zu den unmittelbaren markgräflichen Besitzungen gehörig gewesen
und der Lelmsbesitz desselben daher nicht schon anderweitig von dem
Stifte erworben. In späterer Zeit wurde «las Dorf wüst und erst zwischen
1747 unter dem Namen „ K ön ckeudor f" wieder aufgebaut.
1318 erkaufte das Stift von Rutger von Bluinentlial das Dorf
Hennickendorf, einen unter diesem Namen jetzt nicht mehr be-
kannten Ort.
Bald darauf erwarb das Kloster von der Familie von Plaue dan
Dorf Kemnitz. Zwar machte ein Vasall derer von Plaue, Namens
Heinrich Krämer, noch Ansprüche auf einige Lehnstüeke im gedachten
Dorfe: doch das Kloster Hess ihn vor «las geistliche Gericht des Probstes
zu Wittstock eitieren und hier gab Heinrich Krämer seine Ansprüche auf.
6 Jahre darnach vereiguete und verkaufte Markgraf Ludwig dem
Kloster eine Wassermühle zwischen Breitenfeld und Lankonow,
welche schon damals die „G räv e n dick sin ühle M genannt wurde.
1328 erwarb das Kloster wiederum im Wege des Kaufes ein Dorf
Namens ,, He\ d clberg", was den Gebrüdern Johann und Friedrich
von Osterb urg gehörte. Viele angesehene Knappen der Umgegend
verbürgten sich für die Rechtsbeständigkeit dieses Kaufes, gegen welchen
das Kloster Einspruch befürchtet zu haben scheint. Doch besitzet das
Stift noch gegenwärtig in der ,.Ileidelbergsmühleu, welche um 1381
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Zur Geschichte des Cislercienser Jungfrauen Klosters.
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mit besonderer Genehmigung derer von Blumenthal angelegt, und
auch mit Gerechtigkeiten auf der Blumentharschen Feldmark ausgestattet
wurde, ein Überbleibsel des schon in alter Zeit eingegangenen uud mit
Holz bewachsenen Dorfes Heidelberg.
CIn einer Urkunde von 1350 ist noch eines Schulzen von Heidelberg
als Zeuge gedacht in der Nähe von Blumenthal.)
1339 kaufte das Kloster die Hälfte des Dorfes Damelack von
dein Lehnsbesitzer desselben, dem Ritter Arnold Sack uud dessen
Brüdern, und Markgraf Ludwig schenkte in demselben Jahre bei seinem
damaligen Aufenthalte zu Pritzwalk dein Stifte das Eigentum daran.
1350 verkaufte Junker Coneke von Crusemark dem Probate
uud Convente das Dorf Boltzic, das heute „ßoltzke" heisst.
Um dieselbe Zeit uberlicss Joachim von Pinnow und dessen
Mutter dem Kloster das Dorf Vollmersdorf, einen nicht mehr be-
kannten Ort.
Damals besass das Kloster auch schon einen Anteil an Wilmers-
dorf; Markgraf Ludwig schenkte ihm das Eigentum daran durch Ver-
mittelung des wahrscheinlichen früheren Besitzers, eines Knappen Conrad
von Platen, der im Stifte eiuen Altar zu Ehren St. Johannis des
Evangelisten errichtet hatte, zu dessen Bewidmung von dem Kloster
6 Hufen aus dein Dorfe Wilmersdorf unter bischöflicher Genehmigung
ausgesetzt wurden. Im Übrigen besassen Wilmersdorf damals noch
die von Platen, die es 13Gb' der rittermässigen, aus dem Braunsen wei-
bischen stammenden Familie Bogel überliesseu, durch deren Häude das
Dorf später ganz an das Stift gekommen zu sein scheint.
Bald nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde auch Bläsen-
dorf von dem Kloster erworben. Ywan von Uetzdorf, der zwei
Schwestern in dem Kloster hatte, gab davon zuerst 1354 zehn Hufen
her. Dann wurden die der Familie von Scheplitz in diesem Dorfe
zuständigen Besitzungen nach Urkunden von 1356 und 1397 vom Stifte
erkauft.
1371 vereinigte Markgraf Otto mit dem Kloster das Dorf Klein-
Woitersdorf, dessen Besitz von Henning, Beteke und Vibianz
v»n Kirch berg als früheren Lehnsträger dieses Dorfes, erworben war.
1387 erlangte das Kloster im Wege des Kaufes von llenneke
Scheplitz und von Ilse von Quitzow auch Hebung im Dorfe Sarnow
und einige Jahre hernach erkaufte es von den Gebrüdern von Sacken
oder von Kolrep das Dorf Kohlrep. Wegen dieser Besitzungen ent-
standen mehrfache Streitigkeiten*), aber Kurfürst Johann von Branden-
burg vergleicht die von Klitziug:
•) Riedel, cod. diplom. brand. I., Hptteil B. 3 pag. 506/507; Kunnark. LehnCop.
Bach im Geh. Staats- Arch. Berlin, Bd. 28 p. 210.
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Emil von Maltitz, Major i. D.
Herrn Dietrich und Herrn Joachim, Domherrn zu Magdeburg,
und
Dietrich, Henning, Hans, Otto, Lippold, Viske, und Jorgen, Ge-
brüder und Vettern
die von Klitzing vor sich und
Claws Kliczing nachgelassene unmündige Kinder, und das
Kloster H eiligen-G rabe wegen der streitigen Besitzungen
zu Sarnow, Kohlrep (Kollrep) und Schönebeck im
Jahre 1494.
de dato Cölln an der Spree, Donnerstag nach Conversionis
Pauli 1494.
Aus einer im Jahre 1394 geschlichteten Streitigkeit, welche dieser
Erwerbung halber entstanden war, ersieht man zugleich, dass dem
Kloster damals auch das Patronat in Vehlow zuständig war. Der
Markgraf Ludwig der Ältere von Brandenburg hatte dem Kloster damals
auch das Patronat über die Pfarrkirche zu Pritzwalk geschenkt und zu
Perleberg hatte das Kloster von dem Bürger Hans Dossow ein Ver-
mächtnis erhalten.
Das 14. Jahrhundert brachte also eine ausserordentliche Vermehrung
der dein Stifte angehörigeu Besitzungen mit sich, und während andere
Klöster, wie z. B. Stepnitz, ihre* ineisten Erwerbungen nur durch Dota-
tion der Nonnen, die sie aufnahmen, oder aus Vermächtnissen für Seel-
messen entnahmen, so wurde von dem Kloster „zum He iligeu-Grabe"
das Meiste baar erkauft. So gross war also das Maass der Opfer, welche
von frommen Händen auf dem Altar des heiligen Blutes dargebracht
wurde. Ausser dem Kapital, womit das Kloster einen grossen Teil der
benachbarten Dörfer ankaufte, hatte es auch öfter noch Geld in der
damals üblichen Form auf Zins ausgethan, wie Schuldverschreibungen
von 1327 und 1354 erwiesen. Zwar klagt der Bischof Bernhard 1368,
da er einen in der Kloster-Kapelle gegründeten Altar dem Kloster in-
corporirte, dass die geweihten Jungfrauen und deren notwendige Be-
diente nicht einmal ihreu Unterhalt hätten, wegen der Kriegsleideu,
welche sie zu erdulden gehabt. Doch musste die Armut, in der sich
das Stift damals befand, eine vorübergehende sein, wie denn auch die
bischöfliche Urkunde von 1368 als Grund derselben nicht den Mangel
an Besitzungen, sondern deren Verwüstung durch Krieg und Fehden
bezeichnet. Die Verheerungen, welche die inneren Kriege jener Zeit
besonders in der Priegnitz verbreiteten, tasteten nicht selten die geist-
lichen Besitzungen in verderblicher Weise an: Raub, Brand und Zer-
störung der ihnen ungehörigen Dörfer entzogen auch den reichsten
Stiftern zu Zeiten die Möglichkeit des Auskommens mit ihren Einnahmen
und besonders war dies in dein ersten Dezennium des folgenden Jahr-
hunderts der Fall, in welchem die Fehden in der Priegnitz die grösstc
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters.
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Ausdehuung erreichten. In diese Zeit muss auch das Kloster „Heiligen-
grabe" an seinen Besitzungen bedeutend gelitten haben, da es während
derselben überall keine neuen Erwerbungen zu machen im Stande, viel-
mehr zu manchen Anleihen gezwungen war.
Im Jahre 1403 hatten zwar noch einige Nonnen, meistens aus der
Familie von Rohr, einige Baarschaft, die sie ihrer. Familie gegen
Verpfändung von Hebungen in Ilohrdorf darliehen, dagegen legen die
folgenden Urkunden bis gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts nur Zeug-
nisse von der Insuffizienz der Kloster-Keveuuen ab, wie z. B. dass die
von Predöhl sich 1420 bewegen Hessen, den zum Seelenheil ihrer Vor-
fahren in der Klosterkirche errichteten eigenen Familien-Altar aufzugeben,
damit die dazu gewidmeten Einkünfte für die Tafel der Conventualinnen
mit verwendet werden möchten, und dass das Kloster nach einer Urkunde
von 1422 von einem Bürger zu Wittstock 60 Schock böhmische Groschen
zu hohen Zinsen geliehen hatte, von welcher Schuld es dadurch befreit
wurde, dass eine Nonne diese Schuldforderung aus ihrem Privatvermögen
an sich kaufte und den Schuldbrief dem Kloster vermachte.
Als aber im Anfange des 15. Jahrhunderts die Hohenzollern in die
Mark einzogen, mit starker Hand den ltaubadel niederhielten, Friede
und geordnete Zustände zurückführten, da gelangte auch das Kloster
Heil igen -Grabe bald wieder zu seinem alten Wohlstande. Indess sank
in dieser Zeit die Blüte des Klosterlebens dahin. — Ihre Aufgabe, das
Christentum unter die Heiden zu verkündigen, deutsches Wesen im
Slavenlande zu pflanzen und unwirtliche Gegenden zu kultivieren, hatten
die Klöster in der Mark erfüllt. Mit dem Müssiggange, dem man sich
häufig in den Klöstern ergab, ging die einfache strenge Lebensordnung
und damit der Segen des Klosterlebens zu Grunde.
Auch die Nonnenklöster wurden von dem allgemeinen Verderben
angegriffen, wie zahlreiche Klagen und Ausführungen aus jener Zeit be-
wiesen. Gewiss waren nicht alle Klöster in gleicher Weise der Corrup-
tion verfallen. Uber den damaligen iiinern Zustand des Klosters
Heiligen-Grabe fehlen uns die nähern Nachrichten.
Die Sehnsucht aller Bessergesinnten nach einer Reformation der
Kirche an Haupt und Gliedern wurde endlich durch die göttliche Gnade
in Martin Luther erfüllt. Aus den Arbeiten, Ringen und Nöthen eines
um die Gewisheit seiner Seelen-Seligkeit bekümmerten Mönches wurde
die Reformation der Kirche geboren, wurde zu Stande gebracht, was
drei glänzende Concilieu vergeblich erstrebt hatten. Unter dem Kur-
fürsten Joachim II. faud die Reformation auch Eingang i r i unsere
Marken. Bevor wir diese Zeit weiter behandeln, wollen wir den
Grundbesitz des Klosters seit Anfang des 15. Jahrhunderts näher be-
trachten.
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Emil von Maltitz, Major %. D.
Gegen Mitte des 15. Jahrhunderts muss es dem Kloste r Heilige n-
Grabe wieder gelungen sein, seine zerstörten Besitzungen wieder auf-
zubauen und seinen zerrütteten ökonomischen Zustand wieder in früherer
Art herzustellen, da hiernach wieder neue Erwerbungen folgen.
Zuerst finden sieh um die Mitte des 15. Jahrhunderts Zeugnisse
von Kloster-Besitzungen in Sadenbeck, wo das Kloster um diese Zeit
die Ablösung einiger Ländereien von dem Lelmsehulzenhofe gestattete,
wodurch die noch jetzt in dem Dorfe bestehenden Abhängigkeiten zum
Lelmsehulzenhofe entstanden.
Dann erkaufte das Kloster 1455 von denen von Königsmarck
deren Besitzungen in Damelack, einem Dorfe, welches im 14. Jahr-
hundert bereits zur Hälfte erworben war, und welches durch das Hin-
zukommen dieser neuen Anjuisition wahrscheinlich völlig in die Gehörig-
keit des Stiftes überging.
Im folgenden Jahre war das Kloster vermögend genug, den Er-
mahnungen eines herumreisenden Commissarius des Dreifaltigkeits-Ordens
Gehör zu geben, und sich mit allen seiner zugehörigen Personen in den
Dreifaltigkeits-Orden einzukaufen, wodurch nach näbstlichen Privilegien
ihnen das Hecht zustand, sich jährlich fast von allen und jeden Sünden,
namentlich auch von der Sünde der Vernachlässigung ihrer „lloren-
oder Betstunden" absolvieren zu lassen.
In dieser Zeit scheint auch die Erwerbung von Boddin zu fallen.
Es gab damals 2 Orte dieses Namens, nämlich „besessen" (d. h. bewohnt)
Boddin und „wüsten Boddin".
Vom Jahre 1458 ist ein vom Gonvent ausgefertigter Lehnbrief fin-
den Schulzen in den besessen Boddin vorhanden, dies Dorf inuss
also damals schon dem Kloster gehört haben. Die von Blumenthal
genehmigten diesen Lelmbrief durch ihre Mituntersehrift , wonach es
scheint, als hätten sie konkurrierende Hechte daran gehabt; dieser be-
stätigt denn eben auch 1495 die Erwerbung von „wüsten Boddin u,
welches der Konvent des Klosters von Otto und Hans v. Blumen-
thal erkaufte. Zwischen diesen Erwerbungen beider Dörfer, von denen
das letztere nicht wieder aufgebaut ist, lagen aber noch mehrere andere
Erwerbungen.
Kitter Werner von Bülow schenkte dem Kloster 14G8 zu seinem
Seelenheil 100 Mark Silbers, die wahrscheinlich zu Erwerbungen von
Halenbeck mit verwendet wurden: welchen Kauf der Konvent im
nächsten Jahre von Dietrich und II ans Mann, dessen Lehnsbesitzern,
erstand. Gegen die Bedingung, dass der Konvent, ausser der gewöhn-
lichen Gedächtnisfeier für die markgräfliche Familie, noch jährlich an
einem bestimmten Tage am Morgen und Abend feierlichst Seelinessen
für die Landesherrschaft halten lassen sollte, genehmigte Kurfürst
Friedrich als Lehnsherr diesen Kauf.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
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Der Probst Konrad Voss bereichert« das Kloster 1482 um einige
Besitzungen zu Reugcrslage in der Altuiark.
(Gereken, Fragm.: March. III. j». 98.)
Dietrich Manu verkaufte 1474 den Klostcrdauien Marianne und
Klisabeth v. Jagow, Gertrud v. Grabow und Adrlhaid v. Bis-
marck zur Stiftung einer in dem Kloster vor dem Marienbilde hangen-
den, ewig brennenden Lampe einige Hebungen im Dorfe Buchhol t%
hei Pritzwalk, jedoch wiederverkäuflich.
Demnächst verlieh Berend von Rohr in seinem Testamente dein
Kloster die Pachte von den Bauer- und Kossäthenstellen im Dorfe
Kos so w, worüber seine Sohne und Enkel 1485 ein Anerkennt nis
ausstellen.
Aus spätem Kloster-Nachrichten erfahren wir dann noch von Be-
sitzungen, welche das Stift zu Sehönbeek, welche die von Winter-
feld 1380 denen von Kerberg abgetreten hatten, zu Krüssow,
welches 1367 an die Familie v. Kohr gekommen war, und auf der
wüsten Feldmark Rühehof, worüber es 1525 mit denen von Rohr in
Srreit geraten war, inne hatte.
Neben solchen Erwerbungen von Grundstücken und Grundrenten,
die das Stift gemacht hatte, und die hier wegen nicht vollständig er-
haltener Erwerbungsurkunden, nicht einmal in ihrem ganzen Umfange
aufgeführt sind, besass es noch verschiedene Geld-Kapitalien, die bei
benachbarten Gutsbesitzern ausstanden. So grosse Reichtümer konnte
der fromme Glaube jener Zeit in einem armen Lande schnell in die
Hände einer geistlichen Stiftung zusanunenhäufen, die mit Verheissung
jenseitigen Lohnes den Besitz zeitlicher Habe gering zu schätzen und
willig zu opfern lehrte!
„Das Dorf Alt-Krüssow war in der katholischen Zeit durch
„ein wunderthätiges St. Annen- oder St. Marien-Bild berühmt,
„zu welchem viel Wallfahrten stattgefunden und durch dessen
„mit Opfer begleitete Anbetung viel Kranke gesund geworden
„sein sollen.
„Auch Ludicus in seiner Geschichte des heiligen Blutes
„gedenkt des Aberglaubens, der mit St. Annen zu Krüssow
„getrieben ist. Im Anfange des 18. .Jahrhunderts soll der Pfarrer
„George Krause die Krücken, welche in der Kirche zum Zeichen
„der Wunderkuren des Bildes aufgehäuft waren, schockweise
„herausgeworfen haben, nur ein Paar wurde zur Erinnerung auf-
bewahrt. Das Dorf verdankt diesem Aberglauben aber die
„schone gewölbte Kirche, die Bischof Johann von Havel-
„berg 1520 daselbst erbauen Hess. Das Kloster II eilige n-
„Grabe hatte indessen wahrscheinlich an den reichen Einnahmen,
„welche diese Wallfahrten nach Krüssow zu Wege brachten,
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52
Emil von Maltitz, Major z. D.
„keinen Teil; da nicht ihm, sondern dem Domstifte zu Havel-
„berg, das Patronat über die Kirche zuständig war. (Riedel I,
„III pag 469.)"
Rücksichtlich seiner Verwaltung erfreute das Stift sich der beson-
dern Obhut der Bischöfe von Havelberg, die bei der Nähe ihrer
Residenz Wittstock das Kloster, worin sie, sowie die Markgrafen, des
Rechtes freien Ablegens genossen, mit häufigen persönlichen Besuchen
beehrt haben sollen, und deren eigne Verehrung des heiligen Blutes auf
das Ansehen des Heiligtums in der Umgegend vorteilhaft einwirkte.
Die spezielle Wahrnehmung der Angelegenheit des Klosters lag zu-
nächst einem Probste ob, dem Vorgänger des jetzigen Stiftshaupt-
manns. Der Probst war ein Weltgeistlicher, bald adliger, bald bürger-
licher Herkunft; er genoss als Probst einen grossen Anteil an den
gesamten Klostereinkünften und ausserdem öfters noch als Pfarrer in
fremden Paroehien, die er durch V teure versehen Hess, oder als Altar ist
von einzelnen in der Kapelle der Klosterkirche errichteten Altären, er-
heblichen Einnahmen. Männer, welche als Verwalter dieses Amtes in
unseren Urkunden namhaft gemacht werden, waren:
im Jahre 1318 Theoderich oder Dietrich,
im Jahre 1350 Jan vtm rore (d. i. Johann von Rohr , vor
diesem in nicht zu bestimmenden Jahren Heinrich von
Rossow;
ferner:
1351 ein anderer Heinrich, der keinen Familiennamen führte,
demnächst
ein gewisser Albert, den man zugleich als Pfarrer zu Pankow
kennen lernt,
im Jahre 1380 Hüneke Karstedt,
im Jahre 1422 Nicolaus Poppentiu,
im Jahre 1450 Peter Kuhbier,
1455 und 1458 Johann Jordan,
1469 und 1482 Curd Voss,
1495 Meinhard Kruseke,
1510 Heinrich Kegel,
1529 Jodocus Nagel und
1538 Heinrich Müller.
Der Convent bestand anfänglich aus 12 Personen Die Fähigkeit
zur Aufnahme war nicht an die (iehurt aus bestimmten Familien ge-
knüpft, wiewol gewiss den Nachkommen grosser Wohlthäter des Stifts
auch in Ansehung der Reception ein billiger Vorzug zugestanden wurde.
Die reichsten Familien bewarben sich um die Aufnahme ihrer Töchter
in die Schaar der Gott geweihten Jungfrauen, um dadurch sie und sich
besonderer göttlichen Gnade teilhaftig zu macheu. Denn das Kloster
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Zur Geschichte des Cisterciensei Jungfrauen Klosters.
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war keine Versorgungs- Anstalt derer, welchen die Ehe keinen anderen
Beruf anwies, sondern die Einsegnung zur Nonne galt eine geistliche
Vermählung mit der Gottheit, der keine weltliche Vermählung an Würdig-
keit gleichgeschätzt werden konnte. Daher achtete man für Jungfrauen
im Alter der zartesten Kindheit schon dem stillen Klosterleben unwider-
ruflich gewidmet zu werden, für ein Glück, welches Eltern für ihre
Kinder und Brüder für ihre Geschwister mit den grössten Opfern an
Uabo und Gut, wodurch sie der Convent dafür zu bestimmen suchte,
als Ziel verfolgen.
Familien, wie die von Rohr, v. Quitzow, Edlen zu Putlitz
u. s. w. , welche bei ihrem damaligen grossen Güterbesitz das Kloster
ausnehmend bereicherten, sahen daher oft einen grossen Teil des Con-
vents aus Töchtern ihrer Häuser bestehen, wie z. B. eine Urkunde des
Anhangs vom Jahre 1403 zeigt.
Um den Convent zur Aufnahme günstig zu stimmen, wurden dem
Kloster von solchen Familien reiche Schenkungen gemacht. Besonders
finden wir die Töchter des Priegnitzer Adels im Kloster 11 eil igen -
Grabe vertreten.
Dem Convent stand eine Äbtissin und eine Priorin nach den
Regeln des Cistercienser-Ordens vor. Äbtissinnen aus der katholischen
Zeit, welche die Urkunden namhaft machen, waren
1330 Gertrud von Osterburg,
1351 Margarethe,
1380 Elisabeth,
1422 Elisabeth von Rohr,
1450 Adelhaid von Wartenberg,
1455 und 1-158 Anna Konow,
1469 Elisabeth von Lüderitz,
1495—1519 Anna von Rohr,
1538—1549 Anna von Quitzow; sie starb am Tage St. Mau-
ritius 65 Jahre alt. Sie nahm das Evangelium an.
Prior innen in derselben Zeit waren:
1350 und 1351 Margarethe Grassow,
1380 Christiane,
1422 Katharina, wahrscheinlich von Rohr,
1450 Anna Konow,
1455 und 1458 Katharina Sc he plitz,
1469 Anna v. Borchhagen,
1495 Anna von der Weide,
1498 und 1502 Euphemia von Möllendorff,
1510 Anna von Klitzing,
1529 Anna von Rochow,
1538 Elisabeth von Alvensleben.
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Emil von Maltitz., Major t. D.
Die letztgedaehte Priorin und die Äbtissin Anna von Quitzow
waren es, unter denen die kirehliclie Reformation sieh in der Mark zu
• verbleiten begann. Die Reformation wurde 1539 schon fast in allen
Städten der Priegnitz ausser in Wittstock und Wilsnack angenommen.
Kurfürst Joachim wollte in weiser Zurückhaltung Zwang in kirchlichen
Dingen nämlich nicht anwenden; daher es kam, dass in der Priegnitz
vorläufig der Katholicismus herrschend blieb. Bei dem nahen Einflüsse
des bis zu seinem Tode staudhaft den katholischen Kirchengebräuchen
anhangenden Bischofs Busso von Alvensleben auf das klosterliche
Sti ft Heiligen-Gra.be gelang es dem Bischof, den ihm treu ergebenen
Convent in gleicher Beharrlichkeit zu erhalten. Er wehrte daher nicht
nur dem Eindringen der evangelischen Lehre während der Jahre 1539,
1540 und 1 541, sondern die mannhafte Äbtissin wagte es bei dieser Rück-
stärkung auch, sich der Annahme der kurfürstlichen Kirchen-Ordnung
von 1542 und seiner Neuerung dreist zu widersetzen.
Mit gleichem Mute verweigerte sie daneben die Erhebung der all-
gemeinen Landessteuern zuzulassen, die auf kurfürstlichem Befehl auch
von den Unterthanen des Klosters erhoben werden sollten. Diese in
einer Zeit, welche so viel allen geistlichen Stiften ein Ende machte, um
so kühnere Widersetzlichkeit bewog den Kurfürsten, der sonst die im
Bereiche der bischöflichen Herrschaft gelegenen Orte nachsichtig schonte,
zu strengen Maassregeln. Der Landeshauptmann der Priegnitz, Curt von
Rohr, hatte 5000 Gulden der kurfürstlichen Kammer vorgestreckt und es
bedurfte dafür eines einträglichen Pfandstückes, woran es bei den
damaligen Domainen in der Priegnitz gebrach. Da nun das Kloster
Heiligen-G rabe verschmähte, als evangelisches Stift fortzubestehen,
so erhielt Curt von Rohr noch im Jahre 1542 den Befehl, dasselbe in
Besitz zu nehmen und zu sequestrieren.
Der Convent wurde bis auf wenige Glieder, die die Annahme der
neuen Lehre sich nicht weigerten, ganz aus dem Kloster entfernt. Ver-
mutlich nahmen die flüchtigen Damen, zumal da die Priorin eine nahe
Verwandte des Bischofs von Havelberg war, bei diesem ihren Zufluchts-
ort, Sie traten dann zugleich mit dem Pabste und dein katholischen
Hofe zu Wien in Unterhandlungen, und die Äbtissin soll im Begriff ge-
standen zu haben , mit ihren treu verbliebenen Nonnen zu Fuss nach
Wien zu wandern, als Bischof Busso und mit ihm die letzte Stütze
des Katholicismus in der Priegnitz dahinsank. Es gelang nun den Be-
mühungen ihrer Familie, die Äbtissin zur Aufgabe ihres beharrlichen
Festhalten* au der alten Kirchenreforni zu vermögen, worauf der Kurfürst
unter der Bedingung, dass die evangelische Kirchenordnung angenommen
und die Schuld an Curt von Rohr zur Auslösung der Klosterbesitzungen
von dem Convente übernommen werde, der Äbtissin und ihren Jungfrauen
nach vorheriger Abbitte wegen ihres Ungehorsams, die Rückkehr in das
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters. 55
Kloster gestattete. Vermittler dieser Ausführung zwischen dem Kur-
fürsten Joachim II. und dem Convent, wodurch das Kloster seine
Herstellung fand, waren
die Gevattern von Quitzow, nämlich
Dietrich der Ältere zu Ruhstädt,
Lüdeke zu Stavenow, und
Dietrich, Hauptmann zu Lenzen.
Der Kurfürst Hess dem Stifte a lle früher er worbe neu Hechte
and Besitzungen, und so kehrte die Äbtissin mit ihren Gon-
ventuali nnen nach sechsjähriger Abwesenheit, den Dienstag nach
Misericordias domini mit Lob- und Freuden-Liedern in ihr Kloster
zurück. Dieser Tag ist noch lange nachher jährlich gefeiert, und an
demselben über den 129. Psalm eine Dankpredigt gehalten worden. Man
nannte ihn
„des Klosters Einzugs-Fest. "
Ungeachtet der erwähnten Religionsveränderung behielt das Kloster
jedoch noch lange Manches aus der katholischen Zeit bei, namentlich
die Ordenskleidung und das Begräbnis. Freilich das Nonnengelübde und
die strenge Ordensregel fielen weg. Das Kloster wurde in ein ade-
liges Fräuleinstift verwandelt.
Die Conventualinnen Hessen sich darnach ohne Sang in ihren
Kappen begraben und das Gesicht mit einer hölzernen Schüssel bedecken.
Die Kappen legten sie erst nach dem dreissigjährigen Kriege ab Der
Verdienst des Pritzwalk'schen Tuchmachers, welcher dem .luden das
Geständnis abgelockt hatte, zog bis dahin dem dortigen Ge werke den
Vorteil zu, dass es diese Kappen lieferte. Nach anderer Nachricht gaben
die Tuchmacher die den Jungfrauen nötigen Kappen unentgeltlich her.
Die Umwandlung des Klosters Hei I igen -Grabe in ein evange-
lisches Stift führte zugleich manche Veränderung seiner äusseren Ver-
fassung mit sich. Zunächst war die Würde eines Probstes entbehr-
lich und wurde abgeschafft. Nur in der neuesten Zeit wurde sie
auf wenige Jahre hergestellt, indem das Stift 1790 dem Minister der
geistlichen Angelegenheiten von Wöllner, die Winde eines Stiftsprobstcs
antrug, welche auch von diesem angenommen und vom Könige Friedrich
Wilhelm IL bestätigt wurde.
Es war dies jedoch eine blosse Ehrenbezeugung. Dem neuen
Probste standen als solchem weder Rechte noch Einkünfte im Stifte zu.
Die weltliche Verwaltung der Stiftsangelegenheiten , die schon in
den letzten katholischen Zeiten eine Hauptobliegenheit der Probstei
gebildet hatte, ging zur Zeit der Reformation auf einen weltlichen Be-
amten, den Stiftshauptmann, über. Derselbe nahm nun in der
»Kemnade" oder „Kembde", eigentlich „eaminata", welches im mittel-
alterlichen Latein ein „festes Haus" — bezeichnet, auf dein frühern Sitze
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Emil von Maltitz, Major r.. P.
der Pröbste, seine Wohnung. Der Stiftshauptmann wurde vom
Convent erwählt und bestellt und vom Landesherrn confirmiert.
Nach Aussage des Kirchenbuches vom Heiligen-Grabe war die
von Kröche r die letzte, die sich auf diese Weise beerdigen Hess.
Die ganze Reihe der Ilauptloute des Stiftes ist aus den vorhan-
denen Nachrichten nicht mehr zu ersehen. Wir vermögen sie vielmehr
nur bis an das Ende des 16. Jahrhunderts zurückzu verfolgen, wobei die
Namen derer verschwiegen bleiben, die von 1550 — 1600 dem Stifte vor-
standen. Nur wird uns Hans v. Quitzow zu Gottberge genannt, der
Erbzinssessener und von 1552—1576 Stiftshauptmann gewesen. Femer
wissen wir aus diesem Zeitraum zu nennen, den Bürgermeister zu Pritz-
walk, Antonius Rau, der den 13. Mai 1589 im 56. Jahre seines Alters
starb, und nacli zuverlässigem Zeugnisse Hauptmann des Klosters war.
(Hays Beschr. der Stadt Pritzwalk, manuserpt. Anh. p. 301.)
Im 17 Jahrhundert versahen die Hauptmannschaft: von 1600
bis 1606 Einer von Scharfenberg; von 1606 bis in den dreissig-
jährigen Krieg: Joachim von Winterfeld. Dieser starb in der Kriegs-
zeit mit dem grössten Teil des Convents an der Pest und seine Stelle
blieb eine Zeit lang unbesetzt. Dann übernahm dieselbe 1645 Erd mann
von Bartekow, der im Jahre 1680 starb, worauf ihm Reimar
Christoph von Karstedt folgte, der bis ins Jahr 1705 die Stiftshaupt-
mannschaft verwaltete; den 20. Mai 1705 succedierte demselben Christian
Ludwig von Rohr auf Ilolzhanscn.
Alle diese Stiftshauptleute hatte der Convent erwählt und bestallt,
nur bei dem letzteren war eine Königliche Confirmation der Bestallung
erfolgt.
Im Jahre 1722 aber erteilte der König dem in der Armee dienen-
den Lieutenant von Werdeck eine Anwartschaft auf diese Hauptmann-
schaft, die dem Offizier auch im Jahre 1730 durch den Tod des von
Rohr erledigt wurde.
Der Convent sträubte sich vergebens gegen die Anerkennung des
Offiziers, der im Militärdienste blieb. Durch Irrtum wurde 1738 der
Oberforstmeister von Jürgas zum Stiftshauptmann ernannt. von
Werdeck war noch am Leben und die jenem erteilte Bestallung wurde
daher als Adjunctions-Patent gedeutet, welches ohne Folgen blieb. Als
der inzwischen zum Oberst avancierte von Werdeck bei Chotnsitz im
Jahre 1742 das Leben verlor, bestallte der König unterm 31. Mai dieses
Jahres einen Oberst von Röel, der gleichfalls dienstthuender Offizier
blieb, zum Nachfolger des Verstorbenen in der Stiftshauptmannschaft.
Stellvertreter des von Röel in diesem Amte war anfänglich der Bürger-
meister Schmidt zu Pritzwalk, und nachdem dieser dem Convente grosse
Verdriesslichkeiten verursacht hatte, Joachim Dettlof von Winter-
feld, der mit dem Titel eines „Yicestiftshauptmanns" und mit der
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters. 57
Hoffnung anf Nachfolge in die Stiftshauptmannsehaft nach von Röel's
Abgange sich der Amtsführung unterzogen hatte.
Als der Oberst von Röel jedoch im Jahre 1745 starb, wurde unterin
7. Januar 1746 der General-Major Reimer Julius von Schwerin mit
der erledigten Stifthauptmannschaft begnadigt, bevor der von Winter-
feld seine Ansprüche anmeldete.
Diesem wurde daher nur nachgelassen, dem General seine erlangten
Ansprüche auf die Stifthauptmannschaft abzukaufen. Man wurde über
eine Abstandssumme von 3500 Thaler einig, nach deren Erlegung der
Vicestiftshauptmann von Winter fehl als ordentlicher und alleiniger
Stiftshauptmann eintrat.
Die Stifthauptmannschaft schien hiernach ein Objekt von Handels-
spekulation zu werden, denn von Winterfeld, der sein daran ge-
wandtes Kapital wieder herauszuziehen wünschte, trat darüber mit meh-
reren Personen, namentlich mit einem Herrn von Rochow, der in
sächsischen Militärdiensten stand, in Unterhandlung. Der Convent gab
dazu auch seine Genehmigung, unter dem Bedinge, dass der von
Rochow sich im Voraus anheischig machte, nicht wieder eine ähnliche
Veräusserung vorzunehmen. Doch inzwischen war der König von der
dem Stifte eigentlich gebührenden freien Wahl des Hauptmanns unter-
richtet worden, und es wurde daher diesem Veräusserungsvertrage die
Allerhöchste Genehmigung mit der Erklärung versagt,
„dass der Convent des Stiftes künftig wieder freie Wahlgerech-
„tigkeit in Ansehung seines Stiftshauptmannes ausüben solle."
Da nun der bejahrte Hauptmann von Winterfeld einer Unter-
stützung bedurfte, so machte der Convent im Jahre 1768 einen von
Karstedt zum Adjunkten und dieser trat 1787, da der altersschwache
von Winterfeld völlig resignierte, als wirklicher Stiftshauptmann ein.
Die Hauptmannschaf t des Stifts war noch im 17. Jahrhundert
sehr einträglich, denn der Hauptmann empfing alle Einnahmen des Stiftes,
gab davon den Conventnalinnen und übrigen Klosterbedienteil ihre
Gehalte und Deputatstücke , sorgte für die Bestreitung der übrigen not-
wendigen Ausgaben, und behielt den Uberschuss für sich. Auf der Kem-
nade fand daher auch in der Regel ein sehr liberaler Haushalt statt, der
timsomehr zu Beschwerden Anlass gab, je kärglicher oft den Conventna-
linnen ihre Geld- und Natural hebnngen zugemessen wurden. Wenn man
die bis in das 18. Jahrhundert in altertümlicher Form beibehaltene Be-
stallung der Klosterhauptleute, wie noch der von Rohr sie erhielt, in\s
Auge fasst, so lassen zwar die dem Hauptmann verschriebenen 86 Gulden
Gehalt, die halben Gerichtsgefälle, das Annahmegeld von den Bauern,
die freien Stiefel und Schuhe, die ihm gegeben werden sollten , und die
6 Stein Wolle, die er bei jeder Wollschur zu seiner Kleidung empfing
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Eroil von Maltitz, Major z. D.
und dergleichen kleine Vorteile, eine so günstige ökonomische Stellung
des Stiftshauptmanns gar nicht vermuten.
Darin aber, dass dem Hauptmann freier Tisch und freie Fütterung
für Reit- und Wagenpferde zugesichert war, lag die Möglichkeit unge-
messener Ausdehnung seiner Natural-Consumtion. Die gewöhnliche Be-
stellung der Hauptleute, wie sie zuletzt noch dem Stifts-Hauptinann von
Hohr auf IJolzhausen erteilt wurde, lautete folgendermaassen 1705:
„Wir Hedwig Maria von Vietstrucken, Domina, Anna Elisa-
beth von Ketzdorfiin, Priurissa und gesampter Capitel des
„adelichen Jungfräulichen Clusters heiligen-Grahe, uhrkunden
„undt Bekennen hiermit vor unss und unsere Nachkommen am
„Cluster auch sonst männigliehen :
„Nachdem wir nach gehabten reiften Käthe und tleissiger
„deliberation den wohlgebohrnen horrn, herrn Christian L ud-
„wig von Rhor auf llolzhausen Erbgesessen, zum Hauptmann
„dieses Clusters, solchem nach aller Möglichkeit fleisig und treu-
lich vorzustehen und dessen bestes überall zu suchen und zu
„befordern, einhellig eligiret und beruften, Er auch diese Haupt-
„mannschaft jetzt berührtermassen acceptiret, und angenommen,
„dass wir derowegen wohlgedachten herrn Hauptmann zum
Jährlichen Salario Sechs und Achtzig G üblen Märkischer Wäh-
„rung am Gelde, einem freyeu Tisch, die halbe Gerichts-Gefälle,
„das Annahmegeld von den Bauern, freye Stiefeln und Schuhe,
„Sechs Steine Wolle von jeder Schar«», und wenn Mast vor-
„banden, zehn freye Mast-Schweine, darzu Er aber die Schweine
„seihst schaffet, von seinen eigenen Mitteln, auch freye Reit- und
„Wagen-Pferde yn des (.Mosters Verrichtungen, nebst andern ge-
wöhnlichen Accidentien versprochen und zugesaget. Wir unss
„denn auch in Kraft dieses nochmals vorptlichten, solches alles
„jährlich dem herrn Hauptmann Christian Ludwig von
„Rhore zu verschaffen und abfolgen zu lassen.
„Uhrkundlich haben wir obbenbenahmte Domina und Prio-
„rissa diesen Brieft' eigenhändig unterschrieben und mit des
„Clusters gewöhnlichen Secret versiegeln lassen. Actum Cluster
„heiligen Grabe den 13. Marty des Eintausend Siebenhundert
„und fünftten Jahres.4'
Diese Stellung des Hauptmanns änderte sich jedoch in Folge der
neuen Einrichtung, welche König Friedrich Wilhelm I. dem Stifte
geben Hess.
Dieser die Sparsamkeit und Einfachheit der Lebensweise so sehr
liebende Monarch, war 17H selbst, in Heiligen-Grabe anwesend und vun
dem damaligen Stiftshauptniaiin vun Ruhr aufs Prächtigste bewirtet
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen -Klosters.
worden. Der König — über diesen Aufwand ungehalten — .soll geäussert
haben: „So was conveniert sieb vor die Frölens nicht."
Desto mehr Eingang fanden die Klagen, welche die Stiftsdamen
dem Könige persönlich vortrugen, dass auf der Hauptmanuschaft Ver-
schwendung und in ihren Zellen dagegen die grösste Dürftigkeit herrsche.
Der König Hess die Angelegenheiten des Stifts, wie er bei seiner An-
wesenheit versprochen hatte, durch eine Kommission regulieren. Der
dieser Kommission erteilten Instruktion wurden aber besonders die
Worte eingerückt:
„des Klosterhauptmanns Besoldung auf ein Gewisses zu setzen
„und dagegen Defraiirung oder Diäten gänzlich abzuschaffen; im
„Übrigen es auch dahin zu richten und den neu zu entwerfen-
„den Statuten mit einzuverleiben, dass die bisherige grosso Gast-
freiheit*), — welche «lern Verlaut nach dem Kloster jährlich
„ein Beträchtliches gekostet, einigermaßen eingeschränkt oder
„zum wenigsten nicht nach Gefallen gemissbraucht werde."
Diese Anordnung wurde von den Kommissarien genau beobachtet
und die Einnahme des Stiftshauptmanns dadurch so sehr mindert, dass
der Convent selbst bald hernach dieselbe für unangemessen geringe er-
achtete, und dem Hauptmann aus den Überschüssen des Klosters, ohne
höhere Genehmigung längere Zeit eine beträchtliche Zulage gewährte.
Die Statuten sind ein Denkmal des frommen Sinnes dieses Fürsten.
Es heisst darin unter Anderem:
„Weil denn das vornehmste in dergleichen Oonventen der Gottes-
dienst ist und sein muss, so soll fürnehmlich über denselben ge-
lullten und dahin gesehen werden, dass der allmächtige, allsehende
„und allgegenwärtige Gott nicht aus eitler Gewohnheit, dem
..Munde und Lippen allein, sondern aus Herzensgründe in wahrem
„Glauben auf das vollkommene Verdienst unseres Erlösers Jesu
„Christi, jedesmal andächtig angebetet und demüthig verehrt
„werde."
Es folgt nun eine spezielle Anweisung, wie die täglichen Betstunden
zu halten seien, die mit den Worten schliesst:
„Wobei sie aber die Privatübung des Christentums im Beten,
„Singen, Lesen der heiligen Schrift, gottseligen Discursen unter
*) In der 1622 zu Tübingen gedruckten Beschreibung der Mark Brandenburg
von Gottfried von Warnsteden, heisst es in Bezug auf diese Gastfreiheit:
„Dieses Kloster (.heiligen Grabe) jährliche Einkommen sind so stattlich und
„ansehnlich, dass sie nicht allein zu ihrer Notdurft, sondern auch an fremden
„Nationen können Gutes daran thun, ininassen allda, ein fremder vom Adel
„3 Tage samt Tferde und Dienern zu bleiben hat, und wird mit ansehnlicher
„Tractation auf der Probstei von dem Hauptmann, so dazu verordnet, sovi0|
„möglich versehen."
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Emil von Maltitz, Major z. D
„sich und mit Andern nicht aus der Acht lassen, sondern täglich,
„ja unaufhörlich, soweit es die nöthige Arbeit zulassen will,
„damit umgehen soll."
In dringlichen Worten wird zur Sparsamkeit aufgefordert; aber
dabei gesagt:
„Es hat aber nicht das Absehen, dass der Anmuth ein
„Allmosen dadurch entzogen werden solle, denn dieses alles
„Pflichten seien, die dem Kloster insonderheit obliegen — und
„ohne bei Gott und der ehrbaren Welt gröblich sich zu ver-
sündigen, und anzustossen nicht unterlassen werden können,
„wie denn insonderheit Domina und Conventualinnen vor die
„Armut zu allererst zu sorgen, dieselbe reichlich, soviel immer
„des Klosters Zustand und Vermögen zulassen will, zu begaben
„und dadurch des Herrn reichen Segen auf sich und das Kloster
„zu deriviren."
Der Stiftshauptmann ist übrigens der beständige Deputierte des
Stifts und ein Vorstand desselben in ähnlicher Verfassung, wie solche
bei dem Stift in Ausführung kam. Wie dort, wird auch zum Heiligen-
Grabe die Justiz durch einen Hechtsgelehtten unter Leitung des Stifts-
hauptmanns verwaltet, und ist demselben zu untergeordneten Dienst-
verrichtungen ein Stifts -Secretair zugegeben. Die Stelle, welche zu
Stepnitz das erbliche Patronat einnimmt, vertreten hier zwei aus der
Ritterschaft gewählte Curatoren, deren Befugnisse jedoch nicht so gross
sind, wie das Patronat, welches über „Heiligen-Grabe" dem Landes-
herrn angehört, es mit sich bringt.
Das Alter dieses eingerichteten Curatoriums scheint einer neueren
Zeit ihren Ursprung zu verdanken, da solche erst aus dem Jahre 1708
in den vorliegenden Nachrichten ersichtlich. So wird uns der Oberst
von Quitzow auf Bullendorf genannt, der 1816 Einer der beiden
Stifts- Vorsteher war.
Die evangelischen Prediger des Klosters Heiligen-Grabe waren
der erste: Joachim Freienstein, der noch katholischer Geistlicher daselbst
gewesen war, und 1556 verstarb. Ihm folgte Andreas Renchlin und
diesem Thomas Benzin, der 1626 verstarb. An seine Stelle kam Arnold
Krusemark bis zur Verwüstung des Stifts im dreissigjährigen Kriege.
Nach der Herstellung des Klosters stand bis 1651 George Krause dem
Gottesdienste des Klosters vor, den er wegen seines schwächlichen
Körpers bei der Geringheit des Convents im Zimmer der Domina zu
halten pflegte. Nach seinem Tode wurde 1651 M. Wilhelm Sauer nach
dem Kloster berufen; es war aber eine üble getroffene Wahl; dieser
Geistliche führte ein böses Leben und erstach zuletzt 1667 den Stuhl-
schreiber zu Wittstock Havekenthal. Nun folgte ihm M. Johann Helwig
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen- Klosters
61
bis 1681; diesem Johann Georg Bersenius bis 1692, darnach Paul
Krambiegel bis 1711, demnächst Georg Dietrich Lüdewald u. s. w.
In Rücksicht auf die Würdenträgerinnen im Convent brachte die
Reformation zunächst nur eine Veränderung der Bezeichnung der
Äbtissin mit sich. Sie hiess jetzt Domina. Sie wurde am Sarge
ihrer Vorgängerin oder doch spätestens 4 Wochen nach dem Tode der-
selben vom Convent gewählt.
Durch Allerb. Kabinets-Ordre vom 4. Oktober 1876 ist dieses Recht
dem Convente entzogen. Des Königs Majestät haben sich vorbehalten,
die Äbtissin zu ernennen, weil die Einfügung der wohlthätigen Anstalten
in den Organismus des Stifts eine Änderung in diesem Punkte wünschens-
wert erscheinen lasse. —
Täglich wurden noch bestimmte Gebetsstunden — Hören genanut —
im Kloster gehalten. Die übrige Zeit konnten die Conventualinnen nach
Gefallen verwenden; auch lebten manche zeitweise ausserhalb des Klosters
in ihren Familien oder bei Verwandten.
Die Conventualinnen wurden teils vom Landesherrn ernannt,
teils vom Convent recipiert, indem die adeligen Familien ihre Töchter
oft noch in ganz jungen Jahren gegen bedeutende Geld-Zahlungen zur
künftigen Aufnahme einschreiben Hessen. Auch dieses findet in der
neusten Zeit in Folge Allerhöchster Kabinets-Ordre nicht mehr statt,
sondern Sr. Majestät behalten sich auch diese Besetzung vor.
Neben der Domina blieb aber die Stelle der Priorin als einer
Gehilfin und Stellvertreterin der Domina, die daher auch von der Domina
dem Convent zur Wahl in Vorschlag gebracht werden soll. Nur in
neuerer Zeit stellte König Friedrich II. den Titel „Äbtissin" für die
Vorsteherin des Convents her, indem die Domina von Winterfeld,
eine besonders verehrungswerte und auch vom Könige persönlich hoch-
geschätzte Dame, mit der Würde einer Äbtissin des Stifts beehrt wurde.
Ausser der Domina gab es im vorigen Jahrhundert öfter auch eine
Domina „Adjuncte oder eine Vice- Domina" im Stifte.
Am 12. November 1720 wurde die Conventualin Julianne Doro-
thea Edle zu Putlitz, die nicht einmal als Conventualin durch Wahl-
beschluss aufgenommen, sondern durch die Gnade der Königin, vermöge
des zum ersten Male dabei geübten Rechtos der primae preccs in den
Convent gekommen war, zum grossen Verdruss des letztern, der Domina
von Jargard mit der Hoffnung zur Nachfolge adjunctiert. Als diese
darnach Domina geworden war, stellte der Convent durch Wahlbeschluss
das Fräulein Christine Charlotte von Einsiedel n zur Vice-
Domina auf.
Die Reihe der Damen, welche seit der Reformation dem klösterlichen
Stifte zu Heiligeu-Grabe als Domina vorstanden, ist schon aus
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02 Eini! von Maltitx, Major z. I>.
Hindcnhcrga zu Anfang dieser Abhandlung erwähnten Nachrichten zu
erselien. Die nächste Nachfolgerin der von Quitzow war
Ursula von der Schulen bn rg, die im Alter blind geworden sein und
ihr Amt daher niedergelegt haben soll, worauf
Lucia von Königsinarek aus Kölin succedierte, die 1581 verstarb.
Dann folgte
Anna von llinttorff aus Plessow, die nach 29 jähriger Führung ihres
Amtes 1010 verstirbt. Dieser folgte
Ilsabe von Kapellen aus Mankmus, die 1635 mit Tode abging. Wäh-
rend ihrer 25 jährigen Amtsführung hatte sie einen grossen Teil
der Lasten und Leiden des dreissigjährigen Krieges zu tragen
gehabt. Doch der Tod überhob sie den ärgsten Ereignissen,
welche während «lieser Zeit das Stift betrafen. Ihre Nach-
folgerin
Elsa von Wartenberg aus Nebelin erlebt«' die traurige Verwüstung
des Stiftes, sah im Jahre 1036 die (lebäude der Hauptmann-
schaft oder die „Kembde" in Flammen aufgehen und sich ge-
zwungen, mit den 4G dem Kloster ungehörigen Personen dasselbe
zu verlassen. Die Kostbarkeiten, Urkunden und Briefschaften
des Klosters schickte sie nach Hamburg, von wo dieselben zum
Teil niemals zurückgekehrt und wobei namentlich — (mehreren
Erklärungen des Convents aus dem 17. Jahrhundert zufolge) viele
der älteren Urkunden eingebüsst sind. Die Domina selbst begab
sieh mit ihrem zahlreichen (iefolge nach W'ittstock, wo sie im
Jahre 1(537 mit dem grössten Teil ihrer ( ouventualinnen ein
Opfer der damals hier wütenden Pest wurde.
Anna von Rathenow sammelte um das Jahr 1645 die noch übrig ge-
blichenen, durch die Kriegsunruheu zerstreuten ('ouventualinnen
wieder und sorgte mit dem Beistände des zum Stiftshauptmann
erwählten Hans Erdmann von Bertikow für die Herstellung
des Stiftes und seiner Besitzungen. Damals entstanden wahr-
scheinlich auch zuerst die Wohnungen der ( 'ouventualinnen ausser
dein eigentlichen Klostergebäude. Ein eigenes Wohnhaus für
den Klosterhanptmann wurde erst 1070 wieder aufgerichtet. In-
zwischen war die Duinina Anna von Rathenow aus IMöuitz
im Jahre 1063 gestorben und ihr
Elisabeth von Eimbeck, doch nur auf 2 Jahre gefolgt, worauf
Anna Dorothea von Munthen im Jahre 1065 zur Stiftregierung ge-
langte, der sie 33 Jahre hindurch vorstund. Im Jahre 1098
folgte ihr
Hedwig Maria von Wittstruck aus Berlit und derselben
Maria von Jagard im Jahre 17o7. Unter der letztgenannten Domina
erhielt das Kloster seine Statuten vom Jahre 1710 und vom
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
7. November 1714 und trugen sich die Verändern ngen zu, deren
rücksichtlieh des Einkommens der Stiftshauptinannsehaft bereits
oben gedacht ist.
Am 12. November 1720 wurde, wie oben erwähnt worden,
dieser Doinina, welche 1713 ihr klösterliches Jubeljahr gefeiert
hatte, die Gonventualin
Julian ii e> Dorothea Freiin Gans Edle zuPutlitz durcli des Königs
Befehl adjungiert. Doch *lu» ganze Versammlung des Klosters
war sehr feindselig gegen dies gebildete und thätige Fräulein
gesinnt, schon weil sie ohne Wahl zu der bald erledigten Stelle
der Domina emporstieg
Es gelang ihrer Klugheit nicht, diese Feindschaft zu ver-
söhnen. Obwohl sie die Revenuen der Stiftsdamen über die
Gebühr vermehrte, auch dem Hauptmann die schon früher er-
wähnte Zulage gab, so blieb sie doch in ununterboehenen
Streitigkeiten mit dein Convente verwickelt, die ihre Gesundheit
untergruben und ihrem Leben schon im Jahn- 1732 ein Ende
setzte. Ihr folgte die im Jahre 1727 erwählte Vice-Domina
Christ ine Charlotte von Einsiedeln aus dein Hause Fatcnrode im
Mansfeldisehcn, die im Jahre 1740 verstarb und der nachmaligen
Äbtissi n
.luliaune Auguste Henriette von Winterfeld aus dein Hause
Sehmarsow in der rkermark Platz machte. Diese Domina hat
über 50 Jahre dem Stifte vorgestanden, denn sie stirbt erst den
14. Dezember 1790, und nach ihrem Tode fiel die Wahl des
Convente auf
Magdalena Marie Rosina von CJuitzow a. d. H. Kuhsdorf. Durch
die besondere Gnade, worin die Doinina von Winterfeld bei
Hofe stand, wurde ihr im Jahre 1743 nicht nur die Wind«'
einer Äbtissin zu Teil, sondern auch zu der melancholischen
schwarzen wollenen Kleidung, welche die Conventualinuen
mit weissem Halskragen und weisser Schärpe trugen, der Schmuck
eines Orden sk reuzes verstattet, welches an einem gris-de-liu
farbenen, mit Silber eingefassten Bande getragen wird, weiss
emaillirt, mit Gold eingefasst und auf der einen Seite mit den
Worten in goldenen Buchstaben im goldenen Grunde
„par grace"
und an den 4 Ecken mit dem gekrönten Namenszug des Königs
versehen ist: auf der andern Seite aber in der Mitte mit der
Inschrift:
„pour la Conservation de la maison royale"
und iu den Ecken mit 4 Paar zum Gebet aufgehobenen Händen.
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64 Euiil von Maltitz, Major %. D.
s
Im Jahre 1776 wurde diesem Kreuze auf den Antrag der Äbtissin
auch noch ein auf der linken Brust im Kleide gestickter Stern
hinzugefügt, welchen die jedesmalige Äbtissin und die wirklich zur
Hebung gekommenen und eingeführten Stiftsdameu zu tragen berechtigt
wurden.
Die Coucession lautet:
„Wir Friedrich von Gottes Gnaden, König von Preussen etc.
„Urkunden und bekennen hiermit für Uns und Unsere Nach-
„kommen und fügen männiglich zu wissen, was maassen die
„Aebtissin des Stifftes heil Grabe, von Winterfeld, bey Uns aller-
„demüthigst Ansuchen gethan. gedachten adlichen Stitt't zum
„heiig. Grabe allergnädigst zu erlauben, einen Stern auf der
„linken Seite des Kleides eingestickt zu tragen. Wir auch in
„allergnädigster Erwägung derjenigen Devotion und Ergebenheit,
„so mehr erwehntes adl. Stitt't zum heiligen Grabe Uns jederzeit
„bezeiget, zum Merkmahl und beständigen Andenken Unserer
„darüber hegenden Zufriedenheit, sothanen geziemenden Gesuch
„in allerhöchsten Gnaden zu deferiren geruhet. Als wollen Wir
„hiermit und kraft't dieses offenen Briefes der jedesmaligen
„Aebtissin und deren zur Hebung gekommenen würklich intro-
„ducirten Chanoinessen, ausser dem zeitherigen Ordenszeichen
„den von besagter Aebtissin eingesandten und von Uns allerhöchst
„genehmigten Stern mit der Umschrift
„Par Grace 1776",
„und in dem runden felde den gekrönten Namenszug F. H. wie
„solcher Stern nach seinen natürlichen färben alliier abgebildet
„worden, allergnädigst erlauben, sothanen Stern auf der linken
„Seite dos Kleides zu besonderen distinction und immerwehrren-
„den Andenken Unsers gnädigsten Wohlwollens von nun an zu
„ewigen Zeiten zu tragen.
„Wie Wir denn oftermeldetes adl. Stifft bey diesen Unseren
„demselben verliehenen Gnadens Bezeugung bedirffenden falls
„jederzeit königlich schützen und handhaben wollen.
„Des zu Urkund haben Wir diese Coucession höchst Eigen-
„händig unterschrieben und Unser königliches Tnsiegel daran
„hängen lassen; so geschehen und gegeben in Unserer König-
lichen Residenzstadt Berlin, den 17. Tag Monaths Octobris
„nach Christi Unsers Herrn Geburth im Eintausend Sieben-
hundert Sechs und Siebenzigsten Unser königlichen Regierung
„aber im Sieben und dreysigsten .lahrs."
„gez. Friedrich.
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Zur Geschichte dea Ciatercienaer Jungfrauen- Klosters.
65
(Abbildungen des Ordenszeichens, sowie des ganzen Ilabits der
Stiftsdamen des Klosters Heiligen-Grabe findet man in den Beilagen
zu Joh. Bernoulli's kurzen Reisebeschreibungen Jahrgang 1782 Bd. VII.)
Die Domina Magdalena Marie Uosina von Quitzow war seit
1730 eingekleidet, seit 1741 Conventualin, seit 1790 Domina uud verstarb
am 4. Juni 1802 im 76. Lebensjahre.
Ihr folgte ihre Schwester Eleonore Elisabeth von Quitzow
1802 als Domina. Sie war seit 1730 eingekleidet, ward den 4. Februar
1800 Priorin, und verstarb den 1. Juni 1816 im Alter von 85 Jahren.
Ihr folgte als Äbtissin Henriette Wilhelmine Elisabeth von
Stein wehr, welche am 13. Mai 1843 verstarb.
Sie hatte als Nachfolgerin die später vielfach erwähnte Äbtissin
Katharina Elisabeth Auguste Ernestine Luise von Schierste dt.
Im Jahre 1790 den 16. Dezember wurde endlich auch dem Stifts-
hauptmann bewilligt, den Orden anzulegen.
Durch Allerh. Kabinets-Ordre vom 8. Oktober 1847 wurde den
Stiftsdamen statt des bisherigen Stifts-Ordens das alte Ordenszeichen
des heiligen Grabes zu Jerusalem verliehen. Dasselbe besteht aus einem
achteckigen silbernen Stern mit 5 roten Kreuzen. Die Äbtissin trägt
einen goldenen Stern. An einem breiten schweren Ordensbande mit
Silberstreifen au dem Rande, das von der rechten Schulter zur linken
Hüfte hinabreicht, werden noch 5 rote Kreuze getragen.
Bei festlicher Gelegenheit wird ein weiter, weisser bis auf die
Füsse reichender Schleier angelegt.
Die ursprüngliche Anzahl der 12 Nonnen ausser der Doinina
oder Äbtissin wurde vermutlich schon im 14. Jahrhundert verdoppelt;
und diese Anzahl von 25 Mitgliedern des klösterlichen Convents, jedoch
einschliesslich der Äbtissin oder Domina und der IViorin blieb bis in
das 17. Jahrhundert unverändert fortbestehen. Im Anfange des 17. Jahr-
hunderts wurden jedoch an die Stelle der jüngsten, Major-Präbenden
gesetzt, wodurch der Conveut auf 25 Mitglieder ausser der Doinina an-
wuchs. Von diesen 25 Conventualin neu hatten 23 volle Hebungen oder
Major-Präbenden, und jede ihre eigene Wohnung, die beiden letzteren
genossen nur Minor-Präbendeu, ' welche aus einer geringem jährlichen
Geldhebung bestanden, und womit keine Naturalvorteile und keine eigene
Wohnung verbunden waren. Diese Minoren wurden jedoch dessen-
ungeachtet bei ihrem Autritte, nachdem sie das gewöhnliche Probejahr
im Kloster vorher gehalten hatten, förmlich eingekleidet und introducirt,
hatten gleich jenen 23 Sitz und Stimme auf dem Chor und im Kapitel
und standen jenen in keiner anderen Beziehung nach, als in Rücksicht
auf die Einkünfte. Daher rückten die beiden Besitzerinnen der Minor-
Präbendeu auch ohne alle weitere Feierlichkeit in die höhern Präbenden
nach der Reihenfolge ein, sobald sich solche Urnen erledigten. Diese
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GÜ
Emil von Maltitz, Major z. D.
schon vor dein dreissigjährigen Kriege bestehende Besetzung des Convents
winde auch in den Statuten des Klosters vom 20. Februar 1710 anerkannt.
Die Statuten von 1714 veränderten dieselbe jedoch durch das Zuthun
von zwei neuen Miuor-Prübeuden. Die Domina von Putlitz nahm es in
der Folge sogar über sich, allen Minoren die Hebungen voller Präbenden
zuzugestehen. Bis 1734 wurden daher wirklich ausser der doppelten Prä-
bende der Doinina 27 volle Präbenden aus den Kloster- Revenuen gezahlt.
Nach dem Tode der Domina vereinigten sich indess die sämtlichen
Conventualinnen zu dein unter dem 18. Januar 1734 gefassten Kapitel-
Beschlüsse nach dem Uebertritt der zeitigen Besitzerinnen der 4 letzten
Präbenden, die eigentlich Minor -Präbenden sein sollten, zum Genuss
voller Hebungen, den 4 jüngsten Conventualinnen wieder nur die statuten-
mässigen Minor - Präbenden zu reichen. Unter dem 25. Dezember 1768
und dem 26. April 1760 machte dann aber das Ober-Consistorium bei
Hofe den Vorschlag, noch 4 neue halbe Präbenden bei dem Stifte zu er-
richten, indem das Consistorium aus dem Einnahme-Etat die Mittel dazu
nachwies. Diesem Vorschlage wurde Folge gegeben und 1773 sogar noch
die 32. Stelle hinzugefügt.
Die Präbenden der Stiftsdamen bestanden bis in das 18. Jahr-
hundert grösstenteils aus Naturalien und nur aus sehr geringer Geld-
hebung. Es bekam nämlich
jede Conventualiu jählich an Geld 25 Thlr. und 1 Thlr. von der Domina ;
au Victnalien 1 Wispel Roggen,
1 dito Gerste,
2 Scheffel Buchweitzen,
2 dito weissen Hafer,
2 dito Rauhhafer,
1 dito Weitzel),
1 dito Erbsen,
1 fettes Schwein,
1 Hammel,
17t Scheffel Salz,
22 Pfund Stockfisch und
14 Lot Dorsch.
Noch wurde dem Fräulein von der Domina jährlich an Gewürz u. dgl.
gereicht 1 Quart Wein,
1 Lot Nelken,
1 dito Muskat-Xuss,
1 dito Zimmet,
7. Viertel Pfeiler,
Vi dito Ingwer,
Vi Pfund Rosinen,
V« dito kleine Rosinen,
1 ger. Semmel.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen ■ Klosters.
67
Ferner wurde von dem Hauptmann den Conventaalinnen jährlich gereicht
and unter dieselben verteilt,
2 Hirsche, 9 Ochsen, 10 Kühe, 8 Schweine, 6 Hammel und
4 Tonnen Heringe, und
von beiden Wollschuren jährlich einer jeden 4 Pfund Wolle und von den
Meier- und Schäfereien nach Advent etwas an Butter und Käse, wenn
die Pacht davon einkam, sowie einige Eier und Pachthühner, welche die
Unterthauen bei den Damen einliefern mussten.
Dabei hatte jedes Fräuleiu jährlich eine Schulzeufuhre, nach ihrer
Bequemlichkeit damit zu reisen, jedoch dass sie in der Saat- und Ernte-
zeit die Schulzen damit verschonen musste.
Die Priorin hatte dagegen eine doppelte Schulzenfuhre. Die
Dom in a hatte in Allem eine doppelte Portion und überdies noch 20 Thlr.
Dienstgeld aus Sarnow von Hans Schültken und Hans Dahlen^
bürg s Höfen, ungleichen
12 Stein Wolle, 2 Scheffel Leinsamen,
welche ihr auf der Meierei nalenbeck gesäet wurden, wogegen sie der
Meierei, welche das gesamte Vieh futterte, 20 Ellen Leinen, und wenn
deren Laken und Betttücher entzwei waren, deren 9 geben musste.
Auch bekam die Domina 6 fette Gänse und
die Priorin 4 Gänse.
Im Anfang des 18. Jahrhunderts wurden diese Naturalhebungen je-
doch allmählich mehr und mehr in Geldhebungen verwandelt und die
Commission von 1714 liess sich mit dem Bestreben, die ärmlichen
Präbenden überhaupt zu erhöhen, zugleich die möglichste Abschaffung
aller Natural-Leistungen angelegen sein.
Die Vollhebung der Conventualinnen, welche die Domina doppelt
genoss, bestand nach den Statuten von l714, ausser in Wohnung, Garten,
Holz und dergleichen
in jährlichen 115 Thlrn,
nebst 12 Scheffel Roggen und
12 dito Gerste.
Als nachher aber die Einkünfte des Stiftes sich vermehrten, be-
sonders durch ansehnlichen Holzvcrkauf Kapitalien angesammelt waren,
so wurden die daraus erwachsenden Mehreinnahmen in der Stille, damit
nicht die in den Statuten von 1714 für den Fall der Vermehrung der
Stifts-Revenuen vorbehaltene Vergrösserung des Convents stattfinde, ohne
höhere Approbation jährlich unter die Conventualinnen verteilt.
Überdies machten sich dieselben eigenmächtig ansehnliche Zulagen
von ihrer Natural-Getreidehebung und bedachten auch den Stiftshauptmanu
von Winterfeld mit einer beträchtlichen Gehalts Vermehrung. Ebenso
eigenmächtig wurde einigen Conventualinnen wegen des Vorsingens be-
sondere Remunerationen ausgesetzt. Diejenigen Kapitalien und Einkünfte,
6*
68
Kuail von Maltitz., Major z. D.
die zum Überschuss gerechnet wurden, kamen niemals in die Hanpt-
rechnung zur Einnahme oder Ausgabe, sondern bildeten eine besondere
Kasse, und wurden jahrlich um Johanni verteilt, daher diese Gelder den
„des Johannis -Termins"
bekamen.
Als dieses statutenwidrige Verfahren aber durch die kommissarfsche
Untersuchung im Jahre 1767 dem Consistorio bekannt wurde, so geschah
demselben sogleich Einhalt, und trat demnächst die schon erwähnte
Erweiterung des Convents ein; doch wurde dabei auch auf die veränderten
Zeitumstände und die gestiegenen Preise aller Dinge billige Rücksicht
genommen, und den Conventualinneu sowohl an ihrer Geldhebung, als an
Naturalien eine Zulage gegeben.
Zur wirklichen Einkleidung und zu dem Genuss einer Präbende im
Stift ist nach einer Königlichen Anordnung vom 15. Juli 1771 sowohl
bei dem vom Könige exspectivirten, als bei den durch Einschreiben von
Seiten des Stifts zur Ascensiou stehenden Personen das zurückgelegte
15. Lebensjahr erforderlich; jedoch treten die früher berechtigten, nur
wegen nicht vollständigen Alters ausgeschlosseneu Personen, wenn sie
das Alter erreicht habeu, den ihnen inzwischen „vortütenen" (vorgetreten eu),
sowohl rücksichtlich der Revenuen, als der Wohnung demnächst wieder vor.
Die Verfassung des Klosters kommt übrigens mit der Verfassung
des Klosters Stepenitz (Riedel, cod. diplom. brandenburg, B. I p. 236)
in den meisten Punkten genau überein.
Das Kloster gehörte dem Orden der Gistercienser an. — Dieser
Orden wurde im Jahre 1098 von Robert zu Citeaux bei Dijon gestiftet.
Der berühmte und gewaltige Abt Bernhard von Clairvaux, der diesem
Orden angehörte, erhob ihn zu. grossem Anselm. Im 13. Jahrhundert
zählte der Orden schon 2000 Mannes- und 6000 Frauenklöster. Die
Gistercienser- Mönche .teilten ihre Zeit zwischen gottesdieustlichen Ver-
richtungen und der Arbeit. Solche arbeitsamen Mönche waren recht
geeignet, die unwirtlichen ( legenden des Wendenlandes zu kultivieren, und
sie haben darin auch Grosses geleistet.
Bei dein hohen Rufe der Heiligkeit, in welchem die Gistercienser
standen, konnte es nicht fehlen, dass zur Entsngung geneigte Frauen
nach einein Leben- unter der Regel dieses Ordens sich sehnten.
Je höher der Ruhin des Ordens stieg, um so zahlreicher wurden
die Gesuche von Fürsten und Adeligen, dein Orden Nonnenklöster ein-
verleiben oder neue nach seiner Regel gründen zu dürfen. Als man sich
anfangs des 13. Jahrhunderts dazu entschloss, verbreiteten sich die
Nonnenklöster mit wissender Schnelligkeit im Abendlande und auch im
Morgenlande. — Das Mittelalter löste durch seine Frauenklöster zugleich
seine Frauenfrage — um mit einem anderen Ausdruck zu sprechen.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen • Klosters. fJ9
Hatte eine Jungfrau oder Wittwe den Entschluss gefasst, ins Kloster
zu treten, so wurde sie ins Kapitel geführt, und nachdem sie vor der
Äbtissin niedergekniet war, fragte diese:
„Was suchest Du?"
Sie antwortete: „Gottes und Eure Gnade".
Dann stand sie auf. Die Äbtissin hielt nun folgende Ansprache:
„Liebe, bist Du in der Absicht hier, um den heiligen Orden
„anzunehmen und das Ordenskleid zu empfangen und willst Du
„unserm Herrn gern dienen, so musst Du zum Ersten Gott Deine
„Reinheit geloben und Dein Eigentum übergeben, darfst kein Gut
„ohne den Willen Deiner Oberin haben und musst Deiner Oberin
„in jedem Stück gehorsam sein. Auch musst Du Dein Wesen um-
wandeln, demütig sein und gelassen in Worten und Werken,
„musst alle Deine Arbeit treulich nach allen Deinen Kräften thun.
„Aus diesem Kloster darfst Du nicht gehen, ausser wo es zum
„Nutzen desselben geschieht und dann auch nur mit Urlaub. Im
„Chor, Schlafsaal und im Kreuzgang musst Du Schweigen
„beobachten und die bestimmten Zeiten im Gebet zubringen."
Nach dieser Annahme musste sie als Schwester ein Probejahr durch-
machen. War dieses zu Ende, so kam der Vaterabt — der Visitator
und Vorgesetzte des Klosters — , um sie ordentlich aufzunehmen.
Mit dem Gesänge: „Komm hcil'ger Geist — " begann die Feier.
Singend: „Prüfe mich, Herr, und versuche mich, läutere meine Nieren
und mein Herz" (Ps. 26,2) trat die Nonne vor den. Altar, machte ein
Kreuz, neigte sich und legte den Professbrief auf den Altar.
Derselbe lautete:
„Ich verspreche Euch — dem Vaterabt, der Äbtissin und
„Euren Nachfolgern in allen göttlichen, ordentlichen und redlichen
„Sachen gehorsam zu sein, und ein keusches, reines und wohl-
„berüchtigtes Leben zu führen. Und würde ich hierin gebrechlich
„gefunden, dann will ich darum die gesetzliche Pönitenz leiden
„und mich bessern. Würde mir ein Amt von dem Kloster über-
tragen, so will ich das zu des Klosters Nutzen treulich führen.
„So helfe mir Gott und seine Heiligen".
Dann trat sie zu den Altarstufen zurück und sang dreimal „Nimm
mich an", warf sich dann vor dem Altar nieder, während der Chor der
Jungfrauen sang: „Herr sei mir gnädig'*. Der Abt weihte nun das
Ordenskleid, indem er betete:
„Herr Gott, Geber aller guten Gaben und Spender alles Segens,
„wir bitten Dich inbrünstig, Du wollest dies Gewand, welches
„Deine Magd zum Zeichen Deines Dienstes anziehen will, segnen
„und heiligen, damit sie unter den übrigen Frauen erkannt werde,
„als Dir geweiht.'*
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70
Emil vou Maltitz, Major i. D.
Dann besprengte er das Gewand und die Nonne mit Weihwasser,
nahm den Kopfschmuck vom Haupte und schor ein wenig vom Haupt-
haare ab. Nachher zog er ihr das weltliche Kleid aus, indem er sprach :
„Es ziehe der Herr Dir den alten Menschen aus mit seinem
„Wesen".
Darauf that er ihr das Ordensgewand an und legte den Schleier
auf ihr Haupt, indem er sprach:
„Der Herr ziehe Dir den neuen Menschen an, der nach Gott
„geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit".
Während nun die neue Nonne an den Stufen des Altars kniete,
sang der Chor:
„Gieb Segen Deiner Magd", und der Abt betete: „Nimm, o Herr,
„Deine Magd auf unter die Zahl Deiner Gläubigen, und da wir
„sie in unsere Gemeinschaft aufgenommen haben, so gieb ihr
„Beständigkeit auszuharren und Gnade, zur ewigen Seligkeit zu
„gelangen".
Die Communion beschloss die Feier.
Nach der Reformation änderte sich diese Ceremonie confessions-
gemäss, so dass das Gelübde, womit die Novizen nach Ablegung des
Probejahrs sich mit ihrer öffentlichen Vorstellung auf dem Chor und der
Leistung des Handschlages der Domina verwandt machen mussten, nach
den Statuten von 1710 folgendermassen lautete:
„Ich promittiere und verspreche Gehorsam, schuldige Reverenz
„und Ehrerbietung im Angesicht Gottes, Euch der hoch würdigen,
„hochedlen und andächtigen N. N. dieses jungfräulichen Klosters
„zum Heiligen -Grabe, so Gott zu Ehren und dem jungfräulichen
„Stande erbauet, wohlverordneten Dominae".
Die vorgeschriebenen Cistercienser- Regeln mussten auch in den
Cistercienser -Nonnenklöstern aufs Gewissenhafteste beobachtet werden.
Die Hauptbeschäftigung der Klosterfrauen war Gebet, Teilnahme am
Gottesdienste und Versenkung in die Geheimnisse des christlichen
Glanbens. Aber die Nonnen beschäftigten sich auch sonst noch. Da sie
in der Regel die Mauern des Klosters nicht verlassen durften, 60 be-
schränkte sich die Beschäftigung im Freien auf die Arbeit in den Kloster-
gärten, die — wie das noch heute in Heil igen- Grabe der Fall ist, —
von hohen Mauern umschlossen waren und nur vom Klosterhofe ans Zu-
gänge hatten. Vorzugsweise beschäftigten sich die Nonnen mit Hand-
arbeiten; ihre Stickereien wurden sehr gerühmt. Sie wählten dazu nur
heilige Gegenstände aus dem Alten und Neuen Testamente, um mit ihnen
die heiligen Altäre zu schmücken und die Anbetung Gottes zu fördern. —
Die Eintrittsgebühren bestanden ausser in einem Einbringen an Betten
und Leinenzeug, in 109 Thalern; die Häuser der ausser dein Kreuzgange
wohnenden Conventualiunen waren auch hier eigentlich Privateigentum,
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
71
wie zu Stepnitz, und mussten von den Bewohnerinnen gebaut und ge-
bessert werden; doch übernahm das Kloster im Jahre 1710 gleichfalls
die Bauten an Kellern, Wänden und Dächern. Von den durch die Con-
ventualinnen bestrittenen Baukosten wohnten dieselben jährlich den
vierzigsten Teil ab; was nach ihrem Abgänge übrig blieb, musste die
Nachfolgerin ausbezahlen.
Von bemerkenswerten Veränderungen in den früheren Besitzungen
des Klosters, die sich seit den Zeiten der Reformation ereignet hätten,
liegen in unsern Quellen keine Nachrichten vor. Nur das scheint in
dieser Beziehung erwähnungswert, dass George von Rohr und Caspar
Köne von Burghagen den 9. November 1650 dem Kloster die Feld-
mark Veltenhagen für 4000 Gulden verkauften. Unter dem 4. Juni 1652
wurde auch der lehnsherrliche Consens des Kurfürsten zu dieser Ver-
äussemng erteilt, jedoch die Lehnseigenschaft der Feldmark nicht auf-
gehoben. Das Stift musste daher die Bclehnung mit diesem Gute suchen,
und da diese später versäumt wurde, im Jahre 1685 um Verzeihung
seines Lehnsfehlers bitten. Diese wurde ihm unter dem 11. Januar 1685
zu teil, auch den 3. März desselben Jahres dem Stiftshauptmann von
Karstedt die Belehnung erteilt. Bei der bald darauf erfolgten Regierungs-
veränderung wurde das Lehn zwar von neuem gemutet, die nachherige
ordentliche Belehnung aber wieder versäumt. Letzteres kam 1710 zur
Sprache, worauf der begangene Lehnsfehler zwar nochmals verziehen,
aber die Bclehnung unter der Bedingung erteilt wurde,
„dass hinführo der jetzige Hauptmann des Klosters nicht mehr
„das Lehn tragen noch verfolgen, sondern damit possibilitas der
„Caducität existiren möge, entweder durch das Geschlecht des
»jetzigen Hauptmanns a. D. der von Rohr, oder einem anderen,
„welchen Wir (nb. der König) praesentiren werden, und durch
„dessen ersten Lehnsträgers Descendenten, nicht aber collaterales,
„dieses Lehn von Fällen zu Fällen verfolgt werden sollte."
Gegen diese Einrichtung verwandte sich zwar der Convent mit
dringenden Bitten, es bei der alten Observanz und bei dem im Edikt
vom 25. März 1685 bestätigten Herkommen, dass nur die Domina das
Lehn trage, bewenden zu lassen. Doch wurde dadurch nichts Anderes
erreicht, als dass dem Stifte durch die Königliche Resolution vom
5. März 1711 die Versicherung gegeben wurde, dass, wenn die erwähnte
Feldmark einmal zur Apertur kommen, und vom Könige einem andern
Vasallen verliehen werden sollte, alsdann dieser gehalten sein werde, dem
Stifte den für das Lehn gezahlten Kaufpreis zu restituiren.
(Diese Urkunden-Sammlung zum Stift Heiligen-Grabe aus dem Archiv
des Stifts daselbst entnommen; Riedel B. I von pag. 463 - 479.)
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Emil von Maltitz, Major z. D.
Kloster und Ruinen Heiligen - Grabe bei Wittstock.
Bruchstück aus einem Reisetagebuch des Professors Riedel.
(Märkische Forsc hungen B. I pag. 165.)
In dem zwischen der Elbe und der Oder belegenen Teile der Kur-
mark Brandenburg ist die Priegnitz, sowie an mannigfaltigen Spuren des
Altertums auch an alten Klostergebäuden, Burggebäuden und altertüm-
lichen Befestigungswerken der Städte besonders reich; während dagegen
die Überbleibsel der Vorzeit in keinem Teile der Mark Brandenburg in
dem Grade mangeln, als in der Mittelmark, wo das moderne Leben, was
sich von der Residenz aus verbreitet, die Spuren des Altertums am
meisten verwischt hat. Nach Burgruinen, welche nur in das 13. und
\i. Jahrhundert zurückreichen, sucht man in einem ziemlich weiten Um-
kreise um die Residenzstadt vergebens : die Stadtmauern von Mittenwalde
sind fast die einzigen noch wohl erhaltenen Umwehrungen einer mittel-
märkischen Stadt, und von den vielen geistlichen Stiften der Mittelmark
zeigen eigentlich nur Leitzkav und Lehnin noch ansehnliche Uberreste.
Dagegen bestehen in dem nördlichen Teile der Kurmark Brandenburg,
nämlich in der Priegnitz, in der Ukermark und in der Herrschaft Ruppin
nicht nur noch jetzt 4 stattliche Klöster aus der Zeit des 13. Jahrhunderts
her in der Form von adligen Fräuleinstiften, sondern auch zahlreiche
Ruinen von anderen in der kirchlichen Reformation eingezogenen geistlichen
Stiftungen, sowie von alten landesherrlichen und Ritterburgen führen hier
in die ältesten Zeiträume der Geschichte dieses Landes zurück. Selbst
die Städte dieser Gegenden sind noch meistens mit ihren altertümlichen
Befestigungswerken ganz oder zum Teil umgeben und gewähren mit
ihren Mauern und Wallgräben, mit ihren Warttürmen und Thortürmen,
Wykhäusern und sonstigen mittelalterlichen Schutzwehren interessante
Denkmale vorzeitiger Verhältnisse.
Heiligen-Grab e ist von den noch gegenwärtig bestehenden vier
Klöstern zwar nicht das älteste, aber das bedeutendste.
Es wurde im Jahre 1287 bei dem Dorfe Techow zwischen Witt-
stock und Pritzwalk durch den Markgrafen Otto den Langen gestiftet,
nachdem der Sage zufolge die Misshandlung einer geweihten Hostie
durch einen Juden, welche nach der Entdeckung des Frevels hier feierlich
begraben wurde und demnächst wunderthätig wirkte, dazu Veranlassung
gegeben hatte.
Das Stift liegt in einem reizenden von Bächen und Teichen durch-
zogenen und von mannigfaltigen Waldgruppierungen umgebenen Wiesen-
Thale und sehr abgeschieden von der Aussenwelt. Jede der beiden
nächsten Städte ist zwei Meilen vom Kloster entlegen; selbst das Dorf
Techow liegt noch eine ziemliche Strecke vom Kloster entfernt und durch
Gärten davon getrennt. Diese umschliesst eine weitausgedehnte Kloster-
niaiier mit dem eigentlichen Klostergebäude, mehreren Wohnhäusern der
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen • Klosters.
73
Conventualinnen, der Stiftsbauptmannschaft , der Klosterkirche, der
Heil igen -Grabes-Kapelle, dem Klostervorwerke und anderen
Gebäuden.
Die Gebäude des alten Klosters zu Heiligen-Grabe sind sehr
sehenswert und dürften wohl merkwürdiger als die den Freunden vater-
ländischer Altertümer gewöhnlich bekannten Ruinen von Lehnin und
Chorin sein; denn Heiligen-Grabe ist das einzige Kloster in der Kur-
mark, dessen Gebäude noch vollständig erhalten sind. Nun gewahrt man
aber bei Vergleichung der verschiedenen, von Märkischen Klöstern er-
haltenen Ruinen sehr leicht, dass bei Weitem die meisten gleichsam nach
einem Plane angelegt sind. In allen übrigen, von Märkischen Klöstern
erhaltenen Ruinen findet man nur mehr oder minder deutlich das Bild
des Klosters Heiligen-Grabe wieder vor. Die Betrachtung dieser
Klostergebäude giebt daher die beste Anleitung sich in Märkischen
Klosterruinen überhaupt zurecht zu finden.
Das älteste Gebäude des Ortes ist indessen nicht das eigentliche
Kloster, sondern die der Einfahrt etwas nähere, den Hauptgebäuden des
Klosters abgesonderte Grabkapelle. Die in der Sage erwähnten
zwölf Nonnen aus dem Cistercienser-Kloster Neuendorf in der
Altmark Hessen sich zunächst in dem Dorfe Techow nieder, bauten aber
sofort diese Kapelle über den Ort, wo das heilige Blut seine Wunder
that, und bildeten darin das Heilige Grab nach. Daher Kloster „zum
Heiligen-Grabe*. Sie ist von Backsteinen erbaut, in Vergleich mit
der gewöhnlichen Grösse von solchen Klosterkapellen, sowohl von ausser-
ordentlicher Höhe, als von ungewöhnlicher Ausdehnung. Man sieht, es
ist darauf gerechnet, dass die Kapelle eine grosse Menge von Ver-
ehrern des Heiligtums auf einmal aufzunehmen vermöge. Äusserlich ist
die Kapelle mit ausserge wohnlich schönen Giebeln geziert der Art, wie
man sie bei Gebäuden der Mark selten, doch öfters in den ihr südlich
benachbarten Ländern, z. B. an den Wohngebäuden des Abts zu Zinna,
und an dem schönen Rathause zu Zerbst erhalten, antrifft. Wie diese
schönen Giebel der Kapelle auf den Baustil der Gegend eingewirkt, er-
kennt man aber aus dem Umstände, dass in dieser Gegend viele sonst
in gewöhnlicher einfachen Weise aufgeführten Landkirchen, namentlich
von Heiligen-Grabe aus gegen Putlitz und Freienstein hiu, mit Giebeln
im Character der Giebel dieser Grabkapelle verziert sind. Auch bei dem
erst 1520 vollendeten Bau der ausserordentlich schönen Kirche zu Alt-
Krüssow, welche dieser Ort den Wallfahrten zu einem dortigen wunder-
tätigen St. Annen- oder Marienbilde verdankt, die bis zu den Zeiten der
Reformation fortgesetzt wurden, scheint die Grabkapelle noch zum Vor-
bild gedient zu haben.
Im Innern der Kapelle in den Aussenwänden der Chöre hat sehr
alte Malerei die Legende bildlich dargestellt, wie der Jude aus Meissen
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74
Emil von Maltitz, Major z. D.
die geweihte Hostie aus der Kirche zu Techow stahl, wie er sie auf der
Stelle, wo jetzt die Kapelle, ehemals aber ein Galgen stand, zerrieb und
blutend unter Schmähungen einscharrte, wie die Schlauheit eines Pritz-
walker Bürgers, welcher sich als Geistlicher verkleidete, dem Juden das
Geständnis der Frevelthat ablockte, wie der Jude dann hingerichtet, die
Hostie aber von Pritzwalk, wohin sie anfangs gebracht war, mit grossem
Gepränge nach ihrem Fundorte zurückgebracht wurde, wie der Bischof
Heinrich von llavelberg von seinem in die Wunderkraft der Hostie
gesetzten Zweifel durch eine Krankheit, welche ihn beim beabsichtigten
Vorbeiziehen vor dieser Stelle überfiel und hier des Heiligtums zu ge-
denken zwang, durch die Kraft des heiligen Blutes geheilt wurde, wie
der Markgraf Otto der Lange, indem er ein Jagdschloss statt eines
Klosters hier zu errichten beabsichtigte, und von den hier durch Gläubige
bereits zusammengebrachten Opfern seine Tafel bestellen Hess, durch die
Verwandlung der Speisen in Blut und durch eine nächtliche Vision zur
Gründung des Klosters aufgefordert wurde, u. s. w., wie solche im Ver-
folg der Legende.
In späterer Zeit stand die Kapelle zum Heiligen-Grabe unbenutzt;
endlich wurde sie sogar als Kornspeicher gebraucht. —
Der hochselige König Friedrich Wilhelm IV. interessierte sich bei
seiner Anwesenheit im Stift für den schönen mittelalterlichen Bau; er
Hess die Kapelle im Innern würdig restaurieren und durch den General-
Superintendenten Dr. Hoffmann im Jahre 1855 neu weihen zum gottes-
dienstlichen Gebrauch. Der König selbst war bei der Feier zugegen.
An der Stelle des „Heiligen Grabes" erhebt sich nun der Altar der
Kapelle.
Solche Erläuterungen der Sagen von der Stiftung des Klosters durch
bildliche Darstellungen waren in frühern Zeiten sehr gewöhnlich. Dahin
gehört z. B. die bis in das 18. Jahrhundert erhaltene Vorstellung der
Fundation des Bistums Havelberg durch Kaiser Otto in einem Saale
der bischöflichen Burg zu Wittstock.
Wahrscheinlich sind auch die beiden bekannten in der Klosterkirche
zu Lehnin aufbewahrten alten Tafeln von der Ermordung des ersten
Abtes Siboldus, der versuchten Auswanderung der Mönche und der
Erscheinung der Jungfrau Maria mit dem Christuskinde, welche sie zur
Rückkehr aufforderte, nur Bruchstücke solcher altertümlichen, in den
Klöstern häufig anzutreffenden, in Bildern dargestellten Geschichts-
erzählungen der ersten Schicksale des Stiftes. Denn selbst bis in die
neuere Zeit hinab erstreckte sich die alte Sitte, den Akt der Gründung
solcher Stiftungen durch die Sprache des Pinsels zu beschreiben, wie
namentlich Pinacker's schönes, bis jetzt zii wenig beachtetes Gemälde
zeigt, wodurch des Grossen Kurfürten Stiftung des Waisenhauses zu
Oranienburg verherrlicht, und welches dort im Waisenhause zu sehen ist.
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Zur Geschichte des Cißtercienser Jungfrauen -Klosters.
75
Ganz ähnlich den Chor-Gemälden von Heiligen-Grabe sind aber
im Umfange der Priegnitz selbst, die in das 14. Jahrhundert gehörigen
bildlichen Darstellungen der Geschichte des Wilsnacker Wunderlandes an
dem Chore in der Kirche zu Wilsnack. Auch hier ist die ganze be-
kannt« Sage von der Einäscherung der dortigen Pfarrkirche, der blutigen
in der Asche gefundenen Hostie und von den Wundern, welche dieselben
wirkten, in einer Reihe von vielen, die einzelnen Scenen vor Augen
führenden Gemälden dargestellt. Diese Gemälde sind zwar der Gegen-
wart noch erhalten, aber bei der Baufälligkeit der Chöre, welche deren
baldige Erneuerung erwarten lässt, in der höchsten Gefahr des Unter-
ganges. Da der — ohnehin durch das grossartige Gebäude der Pfarr-
kirche zu Wilsnack ungewöhnlich beschwerte adlige Patron — Fritz
von Saldern — dasselbe — sich schwerlich veranlasst fühlen dürfte,
kostbare Anstalten zur Conservation der wurmstichigen Bretter, welche
von diesen Gemälden überdeckt sind, zu treffen.
Was sonst das Innere unserer Kapelle des Heiligen-Grabes
betrifft, so ist die freie Ansicht dessolben seit längerer Zeit durch die
Einrichtung einer Zwischendecke und dergleichen mehreren Anstalten ge-
raubt; denn seit langer Zeit war diese ehemals frommer Andacht ge-
widmete Stätte zu gemeinem Wirtschaftsgebrauche bestimmt, welcher
dergleichen Eingebäude erforderlich machte. Doch die Sorgfalt, womit
der zeitige Stiftshauptmann und Ritterschaftsrat von Avemann für die
Conservation und Herstellung aller altertümlichen Zierden des ihm an-
vertrauten Stiftes bemüht war, lässt zuverlässig die bald erfolgende
Hinwegräumung auch dieser Verunstaltung der gedachten Kapelle er-
warten, — wenn solche nicht vielleicht in dieser Zeit, seitdem der Bericht-
erstatter selbige nicht gesehen, schon vorgenommen sein sollte.
Das eigentliche Kloster mit der Klosterkirche liegt einige
Schritte entfernt von dieser Kapelle. Es bildet ein aus Backsteinen auf-
geführtes Viereck, wovon die eine (östliche) Seite durch die Klosterkirche,
die andern drei Seiten durch die ehemaligen Wohnungen der Nonnen und
des Convents eingenommen werden. Diese Gebäude umschliessen einen
geräumigen Klosterhof. Ein breiter Kreuzgang mit schöner Wölbung
läuft im Innern des Klostergebäudes an allen vier Flügeln hin und um-
giebt zugleich den innern Klosterhof, die Begräbnisstätte der Nonnen. —
Im Innern des Gebäudes sind die Zellen verschwunden; sie sind zu
wohnlichen Sälen, Zimmern und Schulräumen ausgebaut, denn eine
fröhliche Kinderschar tummelt sich jetzt in den Räumen und Gängen,
wo früher die schweigsamen Nonnen in düsterer Tracht umhergingen.
Im obern Stock ist ebenfalls ein Gang, der jedoch ungewölbt und zum
Teil mit einem Getäfel, was Spuren sehr alter Malerei zeigt, bedeckt,
auch wegen neuerer Einbauten nicht mehr ganz erhalten ist. Von diesen
Gängen begab man sich in die Zellen, welche jetzt meistens nicht mehr
von den Stiftsdamen bewohnt werden.
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Emi! von Maltitz, Major z. D.
In dem untern Gange sind einige Begräbnissteine alter
Äbtissinnen und Stiftshauptleute. Die Inschriften derselben hat jedoch
der Fusstritt zerstört. Auffallend ist unter denselben besonders ein Stein
von ausserordentlicher Länge und Breite, der unmittelbar vor dem Ein-
gange zu einer Zelle liegt, und zwei Begräbnisse zu decken scheint. Auf
demselben sieht man die Umrisse von den Bildnissen zweier geharnischter
Ritter mit einer Umschrift, welche die Namen und die Veranlassung des
Todes dieser Ritter angegeben haben soll, von der jedoch jetzt nur noch
an einer Ecke die Jahrzahl „MCCCCXXXI« zu lesen ist. Die Sage er-
gänzt aber die Inschrift also:
„Zwei Ritter liebten eine dem Himmel geweihte Jungfrau, welche
„in dieser Zelle wohnte; beide gleich hoffnungslos, gaben sich
„hier gegenseitig den Tod, wo der Convent ihnen mit weiblicher
„Milde verzeihend, wenigstens eine Begräbnisstätte verstattete".
Jetzt wohnen die Stiftsdamen meistens in kleinen Häusern hinter
dem Kloster und stehen die Zellen zum Teil unbewohnt. So wohnte
z. B. Dorothea Anna Charlotte Gottliebe von Zieten a. d. II. Gross-
Gotsehow zur Miete im Stift Heiligen-Grabe, und starb hierselbst
den 29. Juli 1813 in einem Alter von 53 Jahren. Doch die Gebäude sind
wohl erhalten und nach Hinwegräumung von allerhand Vorgebäuden,
welche die freie Ansicht beschränkten, bieten sich die alten Spitzbogen
der Kreuzgänge in grosser Schönheit noch vollständig dem Blicke dar.
Die Kirche ist ein ebenfalls schön gewölbtes geräumiges Gebäude,
jedoch ohne sonderlichen Merkwürdigkeiten. Ihr grosser Umfang erklärt
sich aus der Menge von Fremden, welche ehemals hier an hohen Fest-
und Feiertagen zusammen kamen, und aus der grossen Anzahl von
einzelnen Altären, welche darin betanden. Jetzt ist sie freilich für das
Bedürfnis der kleinen Gemeinde, zu deren Gottesdienst sie gebraucht
wird, viel zu gross.
Altäre, deren in den Urkunden gedacht wird, waren namentlich:
ein Altar der Familie von Predöhl und
ein Frühmessen-Altar nach einer Urkunde von 1420;
ein Altar der Jungfrau Maria und des Evangelisten Johannes,
den Conrad von Plate n gestiftet hatte, und dessen im Jahre
1351 gedacht wird, und - •
ein Altar der Familie von Rohr, der zu Ehren der Apostel Petrus
und Paulus geweiht war, dessen 1468 Erwähnung geschieht.
Diese bestanden in der Pfarrkirche.
Ausserdem gab es aber auch in der Kapelle eigene Nebenaltäre, z. B.
nach einer Urkunde von 1386 einen Marien- und Johannis- Altar.
Nach dec Reformation sind diese Altäre vermutlich bald aus der
Kirche entfert worden, und jetzt findet sich keine Spur ihres ehemaligen
Vorhanden mehr.
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen-Klosters.
77
Dagegen steht noch eine kleine, in den Klosterhof hineingebante
Kapelle, welche unmittelbar mit der Klosterkirche zusammenhängt und
jetzt als Aufbewahrungsort eines reichhaltigen Archives des Klosters
benutzt wird.
Auf der andern Seite der Kirche ist die Ruhestätte der Entschlafenen,
der Klosterkirchhof. Die ehemalige Probstei — die jetzt Stifts-
hauptmanuswohnung — mit den Wirtschaftsgebäuden, ist einige Schritte
vom Kloster entfernt.
Der Zeit nach gehört die Erbauung der Kapelle des Heiligen-
Grabes wahrscheinlich in das 13.,
Der Bau des Klostorgebäudes und der Klosterkirche in das
U. Jahrhundert.
Es lag nämlich diese Kapelle eine ziemliche Strecke vom Dorfe
Techow entfernt, überdies war es in Tcchow auch zu einer abgeschlossen
klösterlichen Einrichtung nicht gekommen, so dass man an den Bau
eines Klosters nahe jener Grabkapelle ging. Uni 1317 muss dieser Bau
begonnen sein. Während bis dahin nur der Name „K loste r Techow"
vorkommt, tritt nun die Bezeichnung „Kloster zum Heiligen-Grube
in Techow" auf. 1819 verspricht — nach einer alten Urkunde im
Stifts-Archiv — die Familie von G üblen zum Heile ihrer Seelen 76 Mark
Silber zum Bau des Klosters zum Heiligen Grabe herzugeben. Man
führte dergleichen Bauten damals nicht so schnell auf, wie in neuerer
Zeit; sondern baute, gewöhnlich mit Unterbrechungen, Jahrzehnte daran
fort, sowie unentgeltliche Hilfeleistungen, unentgeltliche Hergabe von
Materialien oder Geldspenden frommer Wohlthäter die Fortsetzung ge-
statteten. Wenn daher gleich schon im Jahre 1287 oder 1289 der Anfang
mit der Errichtung des Klosters gemacht worden ist, so kann doch sehr
wohl sein, dass selbiges erst nach 50 oder 100 Jahren vollendet wurde.
Das Jahr 1803 war verhängnissvoll für die Bistümer, Klöster und
geistlichen Stifte in Deutschland. Im Frieden zu Luneville 1801 inusste
das linke Rhein-Ufer an Frankreich abgetreten werden: zugleich wurde
hier stipuliert, dass die deutschen Fürsten für die am linken Rhein-Ufer
abgetretenen Gebietsteile sich schadlos halten sollten durch die Media-
tisieruug der kleineren Reichsfürsten und der Reichsstädte und durch die
Säcularisierung der geistlichen Güter. Durch den am 25. Februar 1803
erfolgten Reichsdeputations-Hauptsehluss wurde die Säcularisierung in
Vollzug gesetzt. Preussen wurde dadurch «las Recht beigelegt, alle in
seinem Gebiete liegenden Bistümer und Stifte einzuziehen. — Indess
blieben die evangelischen Frauenstifte bestehen: unter ihnen auch
Heiligen -Grabe. In der bezüglichen ;m das Stift Heiligen -Grabe
unter dem 5. Dezember 1805 erlassenen Kabiuets-Ordre heisst es:
„Von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm König von Preussen etc.
„Unsern gnädigen Gruss zuvor. Würdige und Andächtige, Liebe,
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Emil von Maltitz, Major t D.
„Besondere. Obwohl Wir durch den Reichs-Deputations-Schluss
„die Befugnis erhalten haben, die Stifte in allen Unsern alten,
„mit dem Deutschen Reiche in Verhältnis stehenden Landen
„aufzuheben, so haben Wir dennoch Uns allergnädigst entschlossen,
„solche fortdauern zu lassen, jedoch Uns das Recht vorbehalten,
„die bisherige Verfassung zu modificieren". —
Diese Modifikation bestand unter anderem darin, dass der König je
zwei Stiftsstellen besetzte, sich bei der dritten das Recht der ersten Bitte
vorbehielt, ausserdem das Recht auf die Vorschläge des Kapitels zur
dritten Stelle nach Befinden Rücksicht zu nehmen. Ausserdem wird be-
stimmt, dass fortan nicht allein au Damen lutherischer Confession
— wie bisher — sondern auch an solche reform irten Bekenntnisses
Stiftsstellen im Stifte verliehen werden sollen.
Als durch den unglücklichen Krieg mit Frankreich 1806/1807 uud
durch die zu leistenden Kriegs -Contributioneu die Finanzen des Staates
aufs äusserste erschöpft waren, sah sich der König Friedrich Wilhelm III.
genötigt, durch Edikt vom 30. October 1810 zu verfügen:
„Alle Klöster, Dom- und andere Stifte, Collegen und Kommenden
„werden von jetzt ab als Staatsgüter betrachtet Über die pro-
testantischen, weiblichen Stifte aber wird bestimmt, dass in den
„Verhältnissen derselben nichts geändert, sondern sie in ihrem
„Wesen erhalten bleiben sollen".
Indess verlor das Stifts -Capitel das — freilich sehr bedingte —
Vorschlagsrecht zur dritten Stelle. Alle Präbonden wurden von Sr. Majestät
vergeben und dabei ist es seitdem verblieben.
In den äussern Verhältnissen des Stifts traten in jenen Zeiten noch
weitere, bedeutende Veränderungen ein. Auf Grund des Gesetzes vom
14. September 1811 erhielten die Bauern der dem Stifte zugehörigen
Dörfer die freie Verfügung über ihren Grundbesitz; die an das Kloster
zu leistenden Hand-, Spann- und andere Frohndienste und Abgaben
wurden abgelöst.
Der Besitz des Stiftes beschränkte sich von nun an auf die drei
gutsherrlichen, dem Stifte gehörigen Rittergüter mit einem Vorwerk uud
auf die Kapitalien, die dem Stifte durch die eben erwähnten Ablösungen
zuflössen. So bestanden die Verhältnisse des Stiftes bis in die vierziger
Jahre fort, dann fanden neue Veränderungen statt.
Der hochselige König Friedrich Wilhelm IV., der in lebendigem
Interesse für die Kirche und kirchlichen Stiftungen das aus alter Zeit
noch als lebensfähig Vorgefundene zu erhalten, das Veraltete zeitgemäss
zu reformieren und mit dem Geiste christlichen, evangelischen Lebens zu
erfüllen suchte, wandte dem Stifte Heiligen - Grabe besonderes
Interesse zu. Die thatkraftige, mit christlichem Geiste und Sinn erfüllte
Äbtissin von Schierstädt, von der wir noch später einiges erfahren
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Zur Geschichte <les Cisteroienser Jungfrauen Klosters.
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werden, und die im Jahre 1843 zur Äbtissin erwählt worden war, kam
dein Könige in dem Streben, die Verfassung des Stifts in dem auge-
deuteten Sinne neu zu gestalten, willig entgegen. Nach eingehender
Prüfung der Stifts -Verhältnisse wurde beschlossen, die Revenuen- Über-
schüsse des Stifts zu Werken christlicher Liebe im Dienste der Kirche
zu verwenden. Der König besuchte wiederholt das Stift und wandte den
.Stifts-Angelegenheiten ein lebendiges Interesso zu. Unter dein 11. Üctober
1853 erschien eine Königliche Kabinets-Ordre, in welcher es unter
Auderem heisst:
„Ich habe Mich bewogen gefunden, unter Berücksichtigung des
„kirchlichen Ursprungs und Charakters des Klosters zum
„Heiligen-Grabe — dieser von Meinen in Gott ruhenden Vor-
„fahren gegründeten, frommen Stiftung durch Emanation eines
„neuen Statuts wiederum eine solche Einrichtung und Verfassung
„zu geben, dass die Dienste der in das Kloster aufgenommenen
„Frauen und die aus der Vermögens-Verwaltung desselben auf-
kommenden Überschusse fortan dauernd zu christlichen Liebes-
„zweeken gewidmet sein sollen. Um aber den rechtlichen
„Charakter des Klosters als einer Anstalt der evangelischen
„Kirche für alle Folgezeit sicher zu stellen, habe Ich ferner be-
schlossen, die Aufsicht über dasselbe dem Evangelischen Ober-
„kirchenrate zu übertragen".
Nach Massgabe dieser Allerhöchsten Ordre wurden nun die Statuten
von 1714 in verschiedenen Punkten geändert, so dass die Stifts-Ver-
hältnisse in folgender Weise geordnet wurden:
Die oberste Verwaltungsbehörde des Stiftes bildet der
Evangelische Oberkirchenrat, der in wichtigen Fällen die Entscheidung
Se. Majestät des Königs einzuholen hat. Der Evangelische Oberkirchen rat
hat ein aus drei Mitgliedern bestehendes Kuratorium gebildet, welches
zunächst mit der Verwaltung der Stiftsangelegen heiten betraut ist. Zwei
Mitglieder desselben gehören dem Evangelischen Oberkirchenrat, eins dem
Ministerium des Innern an.
Die Stiftshauptinannschaft war eine Zeitlang aufgehoben und
die Verwaltung der äussern Stifts -Angelegenheit führten zwei Stifts-
Vorsteher, welche schon in frühern Zeiten zur Stiftsverwaltung gehörten.
Durch die Allerhöchste Kabinets-Ordre vom 31. Mai 1881 ward dem-
nächst unter Beseitigung der Stifts -Vorsteher von Neuem ein Stifts -
Hauptmann eingesetzt, — zunäch der Landgerichts-Präsident Petrenz
in Neu-Ruppin, 1884 Magdeburg — und unter wesentlicher Beschränkung
der Rechte des Kapitels, der Äbtissin unter Zuziehung des Stiftshauptmanns
bei gewissen wichtigeren Geschäften im Wesentlichen die Verwaltung
des Stift-Vermögens übertragen.
Zugleich wurde die Stelle eines Stift-Probstes wiederhergestellt,
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Emil von Maltitx, Major z. D.
aber die Funktionen desselben auf die inneren Angelegenheiten des Stifts
beschränkt. — Das Kapitel nebst der Äbtissin ist an den Beirat des
Probstes in allen Angelegenheiten, welche die wohlthätigen Anstalten,
die Besetzung der unter dein Stifts - Patronate stehenden Pfarr- und
Schulstellen, und welche das Verhältnis der Äbtissin zum Convente be-
treffen, gebunden. Derselbe hat feiner, so oft er im Stifte anwesend ist,
das Recht der Predigt und Seelsorge. Der Probst soll ein angesehener
Geistlicher der Landeskirche sein.
Das Stifts-Kapitel besteht aus der Äbtissin und den Conventua-
linnen, die im Stifte wohnen. Ihre Zahl betrug im Jahre 1884 zwölf.
Die übrigen vierzehn Stiftsdamen, welche Präbenden beziehen, wohnen
ausserhalb des Stiftes, üben aber keine Rechte in Bezug auf die Stifts- Ver-
waltuug aus. Wenn eine Conventualin ernannt ist, so wird sie — in-
sonderheit wenn sie im Stift Wohnung nehmen will — auf feierliche
Weise und unter specieller Verpflichtung zum Gehorsam gegen die
Kloster - Ordnung von der Äbtissin in Gegenwart des Kapitels aufge-
nommen.
Das der Äbtissin speciell geleistete Gelöbnis — das in die Hand
derselben abgelegt wird — lautet:
„Ich N. N. promittire und verspreche willigen Gehorsam,
„schuldige Reverenz und Ehrerbietung im Angesichte Gottes Euch
„der Hochwfirdigen , Hoehedelen und Andächtigen N. N. dieses
„jungfräulichen Klosters zum lleiligen-Grabe — so Gott zu Ehren
„und dem jungfräulichen Stande erbaut ist — wohlverordneten
„Äbtissin*.
Der Aufnahme schliesst sich eine kirchliche Feier unmittelbar an.
Der Conventualin wird auf das Gelübde eines frommen, gottseligen
Lehens der kirchliche Segen erteilt.
In der durch die neuen Statuten mit dein Stifte verbundenen Er-
ziehung*-A ustalt werden 16 Töchter aus bedürftigen adeligen Familien
erzogen und unterrichtet. Die Art und Weise, in welcher diese Er-
ziehung geführt werden soll, wird durch das Reglement vom H. September
1853 unter anderen in folgenden Worten bezeichnet: „Die Aufgabe der
„Anstalt ist, — eingedenk der Worte des Herrn:
„Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht!"
„— die ihr anvertrauten Kinder auf Grund des Wortes Gottes also zu
„erziehen, unterrichten und auszubilden, dasssie in demselben gewurzelt,
„sich durch des Herrn Gnade im Leben erweisen lernen als Bäume der
„Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise — und nach vollendeter
„Erziehung im Stande sind, in der Kette der menschlichen Gesellschaft,
„nach Massgabe ihrer Gaben und Fälligkeiten, den ihnen vom Herrn
„angewiesenen Platz — sei es als Hausfrauen, Erzieherinnen, Lehrerinneu
„oder Gesellschafterinnen — einnehmen, ausfüllen und sich auf diesem
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen Klosters.
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„Wege ohne Verleugnung ihres Standes eine anstündige Existenz bereiten
„zu können. Insbesondere sollen die Befähigteren tinter den Kindern
„soweit ausgebildet werden, dass sie den Anforderungen für das Lehrerinnen-
„Examen zu genügen vermögen."
Die Leitung der Erziehung dieser Kinder soll unter Oberaufsieht
der Äbtissin einer sich dazu eignenden Conventualin übertragen werden.
Der Unterricht wird von einein Theologen, der das Rektors-Examen ab-
solviert hat, und der Vorsteherin der Anstalt unter Teilnahme und Kenntnis-
nahme der Äbtissin und des Frohstes geleitet. Mit der Revision der
Schule ist der Provinzial-Schulrat betraut. Die vier unterrichtenden
Minorinneu haben Anwartschaft auf eine Conventualinnenstelle. Die
je dritte Präbende soll an eine solche thätige Dame, die vor ihrer An-
stellung ein Probejahr an der Anstalt zu absolvieren hat, verliehen wer-
den. Die Vorsteherin der Anstalt, die Lehrerinnen und die Kinder
wohnen in der Abtei, dem alten Klostergebäude; sie bilden gleichsam
die Familie der Äbtissiu, die als Hausmutter unter ihnen waltet.
In der Abtei werden ausserdem acht Waisenkinder aus den untern
Ständen frei erzogen und ausgebildet.
In dem sogenannten „Beginenhause" des Stifts finden alte, arbeits-
unfähige Wittwen aus den Stiftsgütern Aufnahme und Verpflegung. Eben-
so werden in dem im Dorfe Techow gelegenen Armenhause des Stiftes
unterstützungsbedürftige Personen oder auch ganze Familien aufgenommen
und nach Bedürfnis versorgt.
Endlich geniessen die Bedürftigen in dein Dorfe Techow aus den
Tagelöhnerhäusern der Stiftsgüter Unterstützung an Nahrungsmitteln,
Arzt und Arzneien.
Es sind also wirklich Werke der christlichen Barmherzigkeit an
den Verlassenen, Armen und Elenden, zu welcher die Revenuen -Über-
schüsse des Stiftes verwandt werden.
Eine praktische Lösung der socialen Frage in diesem kleinen
Bereiche.
Die Stifts-Conventualinnen, von denen jede ein eigenes kleines
Haus nebst Garten inue hat, — erweisen sich thiitig für die Zwecke der
äussern und inneren Mission, auch in den Werken christlicher Barm-
herzigkeit an den Armen und Kranken.
So ist das Leben in dem frühern alten Nonnenkloster mit
der Zeit ein anderes geworden, dem Leben und Wesen der
evangelischen Kirche entsprechend.
Ehe wir zum Schluss übergehen, möge noch Nachstehendes hier
eine Anreihuug finden.
Wir haben gesehen, dass im letzten halben .Jahrhundert sich Vieles
in der Organisation im Klosterstift Heiligeu-Grabe geändert hat,
und so wollen wir solche Reorganisation nochmals kurz durchgehen.
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Emil von Maltitz, Major z. D.
Es ist nicht bloss die Stifts probatste He besetzt worden, der
zeitige Probst hat nicht bloss das Stifts-Ordens -Kreuz erhalten,
sondern es ist auch eine Erziehungs-Anstalt für adlige Töchter
und ein Waisenhaus eingerichtet und damit verbunden worden.
Am 23. August 1876, Morgens VU Uhr, ward durch einen sanften
Tod von ihrem jahrelangen schweren Leiden die FrauÄbtissin Katharina
Elisabeth Auguste Ernestine Luise von Schierstedt erlöst und
sie aus dem dunklen Thal der Trübsal in die ewige Herrlichkeit des
Herrn eingeführt.
Sie war im tiefsten Sinne des Wortes eine treue, liebevolle, un-
ermüdlich sorgende Mutter dieses Stiftes, der Abtei, der wohlthiitigen
Anstalten und jedes einzelnen Gliedes derselben, eine Mutter der Armen,
eine Trösterin der Verlassenen, der Wittwen und Waisen, und Aller, die
der Hilfe und des Beistandes bedurften. — Der Herr, Der gesagt hat:
„Was Ihr gethan habt, diesen geringsten unter meinen Brüdern,
„das habt Ihr Mir gethan";
wolle ihr ein reicher Vergelter sein aller Liebe, die sie dem Ganzen und
jedem Einzelnen unter den Stiftsdamen, Beamten und Waisen, erwiesen
hat, und in Gnaden zu ihr sprechen:
„Ei Du fromme und getreue Magd, Du bist über Wenigen ge-
„treu gewesen. Ich will Dich über Viel setzen, gehe ein zu Deines
„Herrn Freude".
Mit diesen Abschiedsworten und mit diesem Nachruf betrauerten
dieselbe ausser dem Stiftshauptmann "n(l den anderen weltlichen und
geistlichen Beamten das Stiftskapitel zum Heiligen-Grabe:
Gräfin von Schlippenbach, Vertreterin der Frau Äbtissin,
Fräulein von Greiffenberg,
Gräfin Herzberg,
Fräulein von Trützschler,
Fräulein Clara von Banchet,
Fräulein Marie von Lancizollc,
Fräulein Clara von Hagen,
Fräulein Sophie von Schmeling,
Fräulein Luise von Tippelski rch, Thätige Stiftsdanie der Abtei,
Fräulein Adelhaid von Wentzel,
Fräulein Agathe von Folie r, Stiftsdame, früher Zögling der
Erziehungs-Anstalt,
Fräulein Minna von Wedel 1, Thätige Stiftsdanie der Abtei,
Fräulein Marie von Clausewitz, Thätige Minorin der Abtei,
Fräulein Therese von Foller, Thätige Minorin der Abtei,
Fräulein Fanny Scheder, Sprachlehrerill der Abtei.
Die früheren Zöglinge der Erziehungs-Anstalt, die der dahin-
geschiedenen Frau Äbtissin aber dem Herzen nach noch angehörten:
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Zur Geschichte des Cistercienser Jungfrauen - Klosters.
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Fräulein Paula von Wedel, Pflegetochter,
Fräulein Ida von Wedel,
Fräulein Eveliue von Oer teil,
Frau Marie Ciaessen, geborene von Dollen,
Frau Clara Hankey, geborene von Cellani,
Fräulein Marie von Kaphengst,
Fräulein Sophie von Hheinbaben,
Fräuleins Martha, Käthe und Rosa von Wulf fen,
Fräulein Martha von der Osten,
Gertrud Gräfin von Rittberg,
Fräulein Mathilde von S chachtmey er,
Fräulein Hedwig von Enckevort,
Frau Clara Ger lach, geborene von Förster,
Fräulein Elisabeth von Dewitz,
Frau Ida von Bülow, geborene von Dewitz,
Fräulein Anna von Seehausen,
Fräulein Anna von Milecka,
Fräulein Luitgard von Bünau,
Fräulein Ida von Alten,
Fräulein Eva von Eickstedt,
Fräulein Cilly von Briesen,
Fräulein Marie von der Goltz,
Fräulein Anna von Albedyil.
Die Kinder der Erziehungs-Anstalt:
Martha von der Decken,
Meta von Goddenthow,
Camilla von Gfug,
Therese und Anna von Wietersheim,
Anna und Ida von Dorpowska,
Ethelka von Kl och,
Agathe von Böhmer,
Luise und Edith von Z an t hier,
Adele von Dambska,
Anna von Ramm,
Agnes von Enckevort,
Erika von Pfeil,
Hedwig von Restorff,
Edith von Zedlitz.
Die acht Kinder des Waisenhauses.
In der letzten Woche des Monats Juni 1881 fand im Stift
Heiligen-Grabe eine für dasselbe bedeutungsvolle Doppelfeier statt.
1) An Stelle des verewigten Oberhofpredigers von Hengsten-
berg war von dem Capitel der Hof- und Dom-Prediger Dr. Baur
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Emil von Maltitz, Major z. D.
zum Stiftsprobst gewählt und als solcher von Se. Majestät dem
Kaiser und König bestätigt worden. Derselbe erhielt im Juni
1883 die Berufung als General-Superintendent nach Coblenz.
2) Ferner wurde die seit 1876 erledigte Stelle der Äbtissin wieder
besetzt und von Se. Majestät die Conveutualin Gräfin Mathilde
von Schlippenbach, welche bereits viele Jahre die Erziehungs-
Anstalt des Stiftes geleitet und seit 1876 auch die Geschäfte
des erledigten Äbtissin-Amtes mit voller Anerkennung versehen
hatte, zur Äbtissin ernannt worden.
Zu dieser Doppelfeier versammelten sich die Mitglieder und Freunde
des Stiftes.
Aber auch diese Äbtissin verstarb schon nach kaum vierjähriger
Amts-Thätigkeit am 19. Mai 1887 nach kurzem, aber schwerem Leiden
im Alter von 72 Jahren und 2 Monaten.
Ihre Beerdigung war ausserordentlich feierlich in Gegenwart des
Stiftshauptmanns, Präsidenten Petrenz aus Magdeburg, des neuernannten
Stiftsprobstes, Oberconsistorialrats Hofpredigers Bayer, nebs den Geist-
lichen aus dem Stiftspatronat mit ihrem Superintendenten, Oberpfarrer
Spiess, des Capitels, der Zöglinge der Erziehungs-Anstalt und des Waisen-
hauses, und vielen andern Freunden und Bekannten.
Auf dem Stiftskirchhofe im Schatten ehrwürdiger Bäume wurde der
Sarg der Entschlafenen beigesetzt. Hier am offenen Grabe sprach der
langjährige Gehilfe und Freund der Heimgegangenen, der Orts- und
Stiftsgeistliche, Pastor Lütgert, noch ein wehmütiges Abschiedswort im
Anschluss an die Stelle 1. Petri 1, 8—4.
Mittelst Erlass Sr. Maj. des Kaisers und Königs vom 8. Oktober 1887
ward die Conventualiu und bisherige Vertreterin der Äbtissin, Adelhaid
von Wentzel zur Äbtissin ernannt.
Manches wird sich im Stifte und vielleicht schon in der nächsten
Zukunft wandeln und ändern — dabei ist unser Wunsch, dass dem Stifte
in Bezug auf die äussern Mittel auch ferner die Möglichkeit bleibe, die
Armen und Elenden thatkräftig zu unterstützen und der christliche Sinn
und Geist erhalten werde, der solche Werk« übt aus Liebe zu Gott und
dem Nächsten, um dem Herrn zu dienen in seinen unmündigen und armen
Gliedern.
Möge das alte Kloster ein Ort des stillen Lebens sein und bleiben,
damit auch hier Gottes Name geheiligt werde.
„Sein Reich komme und Sein Wille geschehe!"
„Das walte Gott in Gnaden!"
(Pastor Lütgert im Dorf Techow, 1884; Evang. Vereiu in Berlin 1879.)
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Das brandenburgisch -preussische Feldprediger-
wesen in seiner geschichtlichen Entwickelung.
Vortrag,
gehalten in der öffentlichen Sitzung dea Vereins für Heimatkunde der Provinz Brandenburg
zu Berlin, am 29. November 1898 von
Divisionspfarrer Erich Schild aus Torgau.
Der Ursprung des preussischen Foldpredigerwesens ist in jener Zeit
zu suchen, in der den brandenburgischen Landen alle Triebe einer grossen
Entwickelung eingepflanzt wurden, also unter der Regierung Friedrich
Wilhelm's, des Grossen Kurfürsten. Gleich nach seinem Regierungs-
antritt machte er den Anfang mit der Bildung eines stehenden Heeres.
Von seinem Vorgänger hatte er 5 Regimenter Fussvolk und 3 Regimenter
Reiterei, in Starke von 3600 bezw. 2500 Mann, 41 Mann Artillerie und
1 Kompagnie Leibwache überkommen. Aber bereits im Jahre 1651, als
— bald wieder vermittelte — Streitigkeiten zwischen dem Kurfürsten
und dem Herzoge von Pfalz-Neuburg entstanden waren, hatte die Starke
des brandenburgischen Heeres derartig zugenommen, dass Friedrich
Wilhelm 48 Geschwader zu Ross und 86 Hauptin annschaften zu Fuss auf-
stellen konnte. Vier Jahre später, anno 1655, war das brandenburgische
Heer, mit welchem der Grosse Kurfürst nach Preussen in den schwedisch-
polnischen Krieg zog, 26800 Mann stark und bestand aus 15 Regimentern
zu Ross, 7 Dragonerregimentern, 10 Regimentern zu Fuss, wozu noch
eine zahlreiche Feldartillerie, 72 Stücke, 73 Rüstwagen wie auch Schiff-
brücken und anderes erforderliches Kriegsgerät umfassend, kam. Das
Jahr 1655 ist dasjenige, seit welchem der Kurfürst ein grösseres Heer
fortwährend in seinen Diensten hielt.
Diesen brandenburgischen Truppen wurden zu Kriegszeiten besondere
Prediger beigegeben. Das Jahr 1655, wo der Kurfürst seine erste kriege-
rische Expedition unternahm, ist deshalb auch Geburtsjahr des preussi-
schen Feldpredigerwcsens. Die in diesem Jahre vom Kurfürsten erlassene
Interims- Verpflegungsordonnanz bestimmt bereits Sold und Servis für die
bei den Regimentern zu Fuss und zu Ross angestellten, auf der Prima
Plana der Musterrolle unter den Personen des Regimentsstabes aufge-
führten Prediger. Der Feldprediger im Regimentsstab zu Ross bekam
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Erich Schild, Divisionspfurrer.
monatlich 10 Thaler, der im Kegimentsstab zu Fuss monatlich 12 Thalcr
Traktatucnt. Als Feldprediger bei der kurfürstlichen Leihgarde und zu-
gleich der Zeit nach erster Garnisonprediger von Berlin wird 1655 Hanisius
genannt, dem 1663 Georg- Jordan im Amt folgte.
Bekannt ist des Grossen Kurfürsten frommer Sinn und fester Glaube
an die evangelische Wahrheit. Wir haben noch ein von ihm eigenhändig
niedergeschriebenes, jetzt im Hohenzollernmuscum uuter Glas und Kähmen
aufbewahrtes Gebet, das höchstwahrscheinlich sein täglicher Huf zu Gott
gewesen ist. Dasselbe Ist ungemein charakteristisch für des Kurfürsten
ganze religiöse Denkweise und lautet buchstäblich also:
„O Almechtiger Herr Herr, Alle deine straffen undt Züchtigungen
so ich von Deiner vatterlichen Hundt empfange, seindt nur alle
zeichen Deiner Gnaden gegen mich, denn ein Vatter, so sein
Kindt liebet, züchtiget selbiges; verlei mir die Gnadt, dass ich
sie auch also erkenne undt aufnehme, dass Du dadurch recht
Dein vattcrliehes Hertze gegen mich erweissest und mich prüffest,
auf dass ich mich an dich desto fester in inbrünstiger Liebe,
Vertrauen undt Hoffnung zu volführung deines heilligen Willens
halte, undt gewis des Ewigen Lebens und Selligkeit versichert
sein undt in Ewigkeit genissen möge. Amen."
Noch in späteren Jahren hat er verzeichnet, wie seine Mutter ihm
die Lehre gegeben, Gott vor allem und seine Unterthanen zu lieben,
dann werde Gott seinen Stuhl bestätigen. Weil nun solchergestalt die
Religion recht eigentlich der innerste Kern seiner gewaltigen Persönlich-
keit, seines thatkräftigen, geistig umfassenden Lebens war, so wollte der
Kurfürst, dass dieselbe Gesinnung auch auf seine Soldaten übergehe und
der feste Grund werde, auf dem die Tüchtigkeit seines Heeres sich er-
baue. Das zeigt deutlich der von ihm im Jahre 1656 erlassene „Articuls-
Brieff oder Churfürstlich Brandenburgisch Krieges-Recht", dem nach kur-
fürstlichem Willen „männiglich insgemein und insonderheit unsere hohen
und niederen Kriegs -Offiziere und gemeine Soldatesca stricte nachleben
sollen". Da heisst es im § 1 : „Da von dem grundgütigen und allmächtigen
Gott alles Glück, Segen und Gedeihen herrühret, derselbe auch von allen
wahren Christen einzig und allein, wie er sich in seinem heiligen Worte
geoffenbart hat,. geehrt und angebetet sein will: so verbieten wir hiermit
alle Abgötterei dergestalt, dass nun und hinführo kein anderer, als der
einige wahre Gott angebetet werden soll, alle falschen Anbeter dagegen,
Abgötterei*, Zauberer, Waffenbeschwörer, Teufelskünstler in unseren
Lagern, Guarnisonen und Quartiren unter unserem Kriegsvolk nicht ge-
litten werden sollen, sondern da einer betreten würde, der Abgötterei,
falsche und dem Worte Gottes zuwiderlaufende Handlung treibet, die
Leute, Waffen und Gewehr beschwöret, mit Zauberei und sothanem
teuflischen Wesen und Führnehmen umgeht und auf geschehene Warnung
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Das brandenbg. preuBS. Feldpredigerwesen in seiner goschichtl. Entwickelung. 87
und Unterrichten davon nicht abstehen will, mit einem Solchen nach
göttlichen und unseren Rechten verfahren werden, oder, da während der
Exekution Ober einen solchen ruchlosen Menschen etwas Bedenkliches
fürfallen würde, er unseres Lagers und Landes verwiesen werden soll. —
§ 2: Welcher Soldat Gottes Wort lästert oder mit demselben und mit
dem Gottesdienst, es sei auf was Mass es wolle, trunkenen oder nüchternen
Mundes Alfenspiel treibet, von den Hochwürdigen Sacramenten lästerlich
und spöttisch redet, der soll ohne Gnade am Leben gestraft werden. —
§ 3: Der hochheilige Name Gottes soll mit Fluchen, Schwören, Lügen und
Trügen nicht gemis*braucht werden; wer darüber betreten wird, der soll
nach Gelegenheit seines Standes Etwas in die Armenbüchse zur Busse geben,
und, da er sich weigert, beim Gottesdienst in Gegenwart seines Regiments
gepfändet werden. — § 4: Der Gottesdienst soll, damit die wahre Gottes-
furcht in der Kriegsleute Herzen eingepflanzt werde, vor allem Kriegs-
volk im Lager Morgens und Abends abgewartet, und allemal durch des
Lagercommandeurs Pauken, Trompeten und Trommelschlag vor und nach
dem Gottesdienst ein Zeichen gegeben werden, und soll kein Priester bei
Verlust eines Monatssoldes, der den Armen verfallen sein soll, ohne er-
hebliche Ursachen denselben versäumen, auch kein Soldat bei Vermeidung
der Strafe des Halseisens vom Gottesdienst wegbleiben. — § 5: Es soll
sich kein Priester, wenn er den Gottesdienst halten soll,' trunken finden
lassen, oder auf solchen Fall aus dem Lager relcgiret werden. —
§ 6: Welcher Priester sonsten ausser der Zeit, da der Gottesdienst gc-
schiehet, einen ärgerlichen Wandel führet und sein Leben nicht nach
seiner Lehre anstellet, derselbe soll durchaus in unserem Lager, wenn er
vorher davon abzustehen dreimal ermahnet und sich nicht bessert, nicht
gelitten werden. — § 7 : Unter währendem Gottesdienst sollen die Schenken
und Markedenter bei Verlust der Waaren kein Fressen und Saufen ge-
statten, sondern ihre Buden verschlossen halten."
Wenn in diesen Kriegsartikeln (im Ganzen einige 60 Paragraphen)
des Grossen Kurfürsten — die sich übrigens auf die Verordnungen
Karl's V. für die Landsknechte und auf das Kriegsrecht Gustav Adolfs
von Schweden gründeten — auch die Trunkenheit der Feldprediger mit
besonderen Strafen bedräuet wird, so muss man berücksichtigen, dass
das nur der Auffassung und Lebensweise einer Generation entsprach,
die erst durch acht Jahre von der wilden Zeit des dreissigjährigen
Krieges getrennt war.
Ausser deu angeführten Paragraphen des Articuls- Briefes gab es
besondere schriftliche Verordnungen für die Feldprediger damals noch
nicht Zwar fehlt es nicht an einzelnen kurfürstlichen Erlassen aus
jener Zeit, die auch das Militärkirchenwesen berühren. So wird im
Februar 1665 dem Garnisonprediger in Berlin befohlen, keinen Soldaten
zu kopulieren, er sei denn von ihm drei Sonntage nach einander im
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Erich Schild, Divisionspfarrer.
Militärgottesdienst aufgeboten worden. Ferner befahl der Kurfürst im
Jahre 1682, dass sich kein Soldat ohne Vorwissen seiner Offiziere ehelich
trauen lassen dürfe, eine Verordnung, die seitdem in voller Kraft ge-
blieben ist. Aber eine eigentliche, ausführliche und schriftliche Amts-
anweisung für die Feldprediger war noch nicht vorhanden. Das Gesetz
des Gewissens veitrat die Stelle vieler gedruckter Befehle. Der Grosse
Kurfürst instruierte selbst den in seiner unmittelbaren Umgebung be-
findlichen Generalstabs-Feldprediger und überwachte seine Amts-
tätigkeit. Nach diesem richteten sich die Regimentsprediger der kur-
fürstliehen Prinzen, Generale und Obersten. Es wurden für die Feld-
prcdigerstellen in der Regel schlecht besoldete, schon im Amt gestandene,
erfahrene kräftige Männer gewählt, die nach Beendigung des Krieges,
wenn die Regimenter auf Friedensfuss gesetzt wurden, bessere Zivil-
pfarrstellen erhielten.
In Berlin war eine eigene Garnisonkirche noch nicht vorhanden,
vielmehr winden daselbst zum Militärgottesdienst die Hospitalkirche zum
Heiligen Geist und der dabei gelegene Kirchhof benutzt.
Um das Jahr 1670 fing auf Befehl des Grossen Kurfürsten die so-
genannte Kirchen -Parade in der Weise an, dass die Garnison von
Berlin jeden Sonntag Vormittag in Parade zur Kirche geführt wurde.
Die Ileilige-Geist-Kirche, mit der die Garnison sich behelfen musste, war
aber so klein, dass sie kaum den dritten Teil der am Sonntag Vormittag
ihr zugeführten Truppen fassen konnte. „Die übrigen zerstreuten sich
indessen hierhin und dorthin, auch entzogen sich einige freche Gemüter
bei solcher (Gelegenheit dem Gehör göttlichen Wortes wohl ganz und
gar, und trieben unter währendem Gottesdienst allerlei Unordnungen."
Die vom Garnisonprediger hierüber erhobene Klage veranlasste
unter dem Nachfolger des Grossen Kurfürsten den Bau einer besonderen
Garnisonkirche in Berlin.
In Bezug auf die Ausstattung anderer kurbrandenburgischer Garni-
sonen mit besonderen Garnisonkirchen ist bemerkenswert eine Stelle in
den Ratsprotokollen der Stadt und Festung Küstrin vom Jahre 1683, wo
einer Verordnung des Grossen Kurfürsten gedacht wird, dass „boi genüg-
samer Versicherung die kleine Kirche am Walle der das igen Garnison
vergönnt werden solle", nachdem bis dahin für die Soldaten in Küstrin
auf dem Rathause durch einen Diakonus Predigten gehalten worden
waren. Es kam am 21. Mai 1683 zu einem Vergleich zwischen Magistrat
und Garnison, demzufolge crsterer besagte Kirche der Garnison zur be-
ständigen Benutzung einräumte. Die Garnison von Küstrin betrug da-
mals (J00 Gemeine und 150 Gefreite in 6 Kompagnien. Ausserdem stand
dort eine kleine Artillerie-Besatzung.
Aus der Rangliste des 20. Leibregimentes zu Fuss. Kurfürstin, vom
Miirz 1683 entnehmen wir, dass damals Feldprediger beim Regiment war
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Das brandenbg. preuss Feldpredigerwesen in seiner geschicbtl. Entwickelung. 89
Ernst Daniel Jablonski. Er wurde später Königlicher Ober-Hofprediger
bei der reformierten Hof- und Dom -Gemeinde und als solcher persona
grata beim König Friedrich Wilhelm I. Auch als Gelehrter, namentlich
als Kenner der rabbinischen Schriften und Sprache hat er sich später
einen Namen gemacht.
Als der Grosse Kurfürst im Jahre 1674 den Versuch machte, das
elsässische Land dem deutschen Volke zurückzuerobern, war jedes der
mitgeführten Regimenter von seinem Feldgeistlichen begleitet, während
in der Umgebung des Kurfürsten selbst sich sein „calvinistiseher Hof-
prädikant" befand, welcher sowohl in der Reichsstadt Strossburg, als
auch im kurfürstlichen Hauptquartier zu Kolinar amtlich fungieren
musste. Der grosse Hohenzoller scheint dabei die Konfession der
evangelischen Bürger der Stadt Kolmar in fürstlicher Toleranz respektiert
zu haben, denn er Hess seinen calvinischeu Hofprädikanten nicht in dem
Gotteshause Augsburgischer Konfession, sondern in der Schneiderzunft
predigen. Über eine Predigt „Von des Deutschlands Wehr und Waffen
wider Frankreich", die einer der kurbrandenburgischen Feldprediger
damals gehalten, findet sich eine Notiz in dem interessanten Protokoll
der sogenannten Dreizehner der freien deutschen Reichsstadt Strass-
burg, welche das diplomatische Korps der städtischen Republik dar-
stellten. Aus dem Jahre 1674 steht im Protokoll folgender Vermerk:
Montag den 5. Octobris 1674. Ses. ord. M. g. Herren d. XIII. Der
regierende Herr Ammeister berichtet, es habe ein Chur-Brandenburgischer
Feldprediger Namens Johann Hermann Thal hausen Meinen gnädigen
Herren eine Predigt von des Deutschlands Wehr und Waffen wider
Frankreich dedicirt und ihm 6 exemplaria zugestellt, werde zu M. g.
Herren stehen, was sie ihm erkennen wollen, dass ihm dagegen verehrt
werden solle. Bekandt: Soll ihm 6 Reichsthaler verehrt werden."
Auch nach Ofen, der von 8000 Türken besetzten Festung, haben
brandenburgische Feldprediger das im April 1686 vom Grossen Kur-
fürsten entsandte, 8269 Mann starke, unter dem Kommando des General-
lieutenants von Schöning stehende brandenburgische Hilfskorps begleitet
und angesichts des türkischen Halbmondes evangelischen Gottesdienst
gehalten.
Unter dem Nachfolger des Grossen Kurfürsten, Kurfürst Friedrich HI.,
dem nachmaligen ersten König in Preussen, trat eine für die Weiter-
entwickelung des brandenburgisch -preussischen Feldpredigerwesens be-
deutsame Änderung des früheren Modus dadurch ein, dass der Kurfürst,
als er 1692 seine Armee gegen die Franzosen vermehren musste, durch
den zum WTirkl. Geh. Staats- und Kriegsrat ernannten Eberhard von
Dankelmann die erste -schriftliche Instruktion (vom 7. April 1692) für
seine Feldprediger geben Hess, die Errichtung eines besonderen Militär-
Konsistoriums verfügte und von da an die Feldprediger auch in Friedens-
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Krich Sehild, Divisionspfarrer.
Zeiten beibehielt. Der Regimentschef bekam das Recht der Wahl des
Feldpredigers für sein Regiment, den dann die kirchliche Behörde exami-
nierte und, wenn es sich um einen Kandidaten handelte, ordinierte. Das
Militär- oder Feld-Konsistorium (Consistorium Militare Castrense) hatte
als beständigen Präsidenten den General-Auditeur. Beisitzer waren zwei
Stabsoffiziere und zwei gottesfürehtige und verständige Feldprediger vom
Generalstabe oder von den Regimentern. Unter dem Militär-Konsistorium
als ihrem forum competens standen alle Garnison- und Feldprediger so-
wohl in Amts- als Personalsachen, ferner alle übrigen Militärpersonen,
Ofliziere und Gemeine, mit ihren Frauen und Kindern, auch Domestiken
in Militärfamilien oder bei einzelnen Militärs, sowie die Enrollirten, die
noch den Pass hatten. Alle Ehesachen dieser Personen, insonderheit alle
Ehescheidungsprozesse , die bei der Armee vorkamen, wurden vor dem
Militär-Konsistorium geführt, nachdem vorher der Garnison- oder Regi-
ments-Auditeur des Ortes, wo der Beklagte sich aufhielt, die Akten zum
Spruche instruiert hatte. Insonderheit sollte das Militär-Konsistorium auch
dahin sehen, dass „Gottes Ehre und dessen Dienst bei der Armee befördert,
die Hochachtung und Feierung des Sonntages und der Besuch der Bet-
stunden gehandhabt würde, auch alle scandala, Ärgernisse und Steine
des Anstosses gänzlich aufgehoben oder zum Wenigsten so viel als
menschenmöglich aus dem Wege geräumet und vermieden werden." Zu
dem Zweck sollen „etwa befindliche ruchlose und einen ärgerlichen
Wandel führende Regiments-Prediger vom commandirenden General und
Officirer dem Feld-Consistorio angezeiget und von demselben, dem Be-
linden nach, angesehen werden aus dem Grunde, weil das Krieges-Volk
durch der Priester exemplarisches Leben zur Gottesfurcht, zu aller Zucht
und Ehrbarkeit erbauet und gebessert werden muss. Wie dann denen
Feldpredigern sonderlich recommandiret wird, einen unsträflichen Wandel
zu führen und den Soldaten mit gutem Exempel vorzugehen."
Im Jahre 1704 Hess König Friedrich I. einen „Unterricht für christ-
liche Kriegesleute" aus dem Englischen übersetzen, auf seine Kosten
drucken und in fünftausend Exemplaren unter seine Soldaten verteilen.
Die kriegerische Thätigkeit der Brandenburger ist niemals ausge-
breiteter gewesen, als unter Friedrich I. Da haben sie in der Schlacht
von Höchstädt und zwei Jahre später bei Turin auf das tapferste ge-
fochten. Mit den Türken haben sie sich in gefährlichen Feldschlachten
gemessen. Im südlichen Frankreich erschienen sie bei dem Unternehmen
von Toulon. Auf dem Gebiete des Papstes, ganz nahe bei Rom, wurde
der protestantische Feldgottesdienst zuerst in ihrer Mitte gehalten; denn
überall hin folgten ihnen ihre geistlichen Pfleger und Berater, die Feld-
prediger. Brandenburgische Truppen, die in Italien überhaupt eine neue
Erscheinung waren, nahmen, allerdings nur in der Stärke von einem
Regiment zu Pferde (es war das kronprinzliche Reiterregiment), im
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Das brandenbg. preusB. Feldpredigerwesen in seiner geschieht!. Entwicklung. 91
Jahre 1708 an dem Zuge teil, den der Graf Daun auf Befehl des Kaisers
gegen den Papst ausführte. Um letzterem die Galle möglichst zu er-
regen , hatte Graf Daun gerade dies Regiment ketzerischer Prcussen
mitgenommen. Mit seinen Truppen trieb er die päpstlichen Völker, die
ihm Widerstand leisten sollten, immer vor sich her, bis ganz nahe vor
Koin. Der Papst wurde dadurch gezwungen, sich dem Kaiser zu fügen
und Karl III. als König von Spanien anzuerkennen. Während Daun mit
seinen Truppen vor Horn stand, hielt der Feldprediger des preussisehen
Reiterregiments des Öfteren angesichts der „einzigen" Stadt, wie s'u- der
römische Bürger heute noch in stolzem Selbstgefühl nennt, den evangeli-
schen Gottesdienst für seine Soldaten ab. Dieser Feldprediger wurde
nachmals Zivilpfarrer in einer kurmärkischen Stadt und hat da, wie
Buchholtz in seiner Geschichte der Kurmark Brandenburg berichtet, gern
und vielfältig erzählt, „welch eine Menge Menschen aus Rom und anderen
Orten des Kirchenstaates, als die erste Furcht vorbei gewesen und sie
gemerkt, dass die Preussen eben keine Menschenfresser wären, in das
deutsche Lager gekommen seien und sonderlich gern dem preussisehen
Feldgottesdienst beigewohnt hätten mit den richtigsten äusserliehen Kenn-
zeichen ihrer Erbauung, obwohl sie die deutsche Sprache nicht ver-
standen. Ja, es hätteu auch sehr viele Deutsche, die man in Korn für
Katholiken gehalten, weil sie da gewohnt, um deren Gottesdienst sich
aber dortselbst Niemand bekümmert, sich des Abendmahls mit den
preussisehen Soldaten bedienet."
Neue Förderung erhielt das preussische Feldpredigerwesen durch
Friedrich Wilhelm I., dem die Pflege religiöser Gesinnung in seinen
Soldaten ganz besonders am Herzen lag. Er trennte die Feldprediger-
stellen ganz von der kirchlichen Verfassung des Landes, vereinigte sie
für sich in ein besonderes System und ernannte im Jahre 1717 den ersten
Feld-Inspektor oder Feld-Propst. Lampertus Gedike, bis dahin Garnison-
Prediger in Berlin, erhielt die Stelle. Ihm als beständigem Beisitzer des
Militär- Konsistoriums in Friedenszeiten wurden die Feldprediger vor-
nehmlich in Rücksicht des Inneren der Militär -Kirchen- und Schul-
angelegenheiten unterstellt.
Man versteht, dass bei der Zusammensetzung des preussisehen
Heeres in jener Zeit die Arbeit der Feldprediger ihre besonderen
Schwierigkeiten hatte. Damals bestand ja nach und nach ein immer
grösserer Teil, ja endlich die Hälfte des preussisehen Heeres aus frei-
willig oder gewaltsam geworbenen Fremden, zum Teil dem Auswurf aller
Nationen, die nur durch die allerschärfsten, bis zur Grausamkeit gehen-
den Strafen in Zucht und Gehorsam erhalten werden konnten. Das jetzt
vergessene Sprüchwort: „Wer Vater und Mutter nicht hören will, muss
dem Kalbfell folgen", stammt aus jener Zoit und zwar aus der innersten
Anschauung der sozialen Verhältnisse jener Tage. Mit Abneigung sahen
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Ü2
Erich Schild, Divieionepfarrer.
Bürger und Bauer den übelbeleumundeten Soldatenstand an. Betrat ein
Soldat die Gaststube eines Wirtshauses, so entfernten sich die etwa an-
wesenden Gäste bürgerlichen Standes augenblicklich. Einzelne Feld-
prediger, die es mit der Katechismuslehre und dem von ihnen für die
Mannschaften eingeführten Unterricht im Lesen und Schreiben besonders
ernst nahmen, wie z. B. 1729 Feldprediger Michaelis vom Regiment
v. Kalkstein, zogen sich dadurch den Hass roher und unwissender
Soldaten in solchem Masse zu, dass sie zu Zeiten ohne Lebensgefahr
nicht ausgehen konnten, und Nachts, wenn sie zu Kranken gerufen
wurden, auf Befehl des für sie besorgten Regimentschefs durch eine
Wache begleitet werden mussten. „Unter einem solchen Haufen un-
wissender, roher, boshafter Menschen", seufzt eine Hirtenstimme aus
jenen Tagen, „muss ein Feldprediger das Wort führen. Und darin hat
er von den Befehlshabern und Officieren schlechten Beistand. Denn ein
Teil derselben ist im Grunde nicht viel besser. Der wahre Feldprediger
mag sagen, was er will, er findet wenig oder nichts Gehör. Und sei er
um den Schaden Josephs noch so bekümmert, so ist doch Niemand, der
Lust hätte, ihm seinen Kummer zu erleichtern."
Wir sehen sie vor uns, jene gewaltthätige, absolutistisch willkürliche
Zeit, wo ein roher General im Despotismus so weit geht, dass er aus
einer kleinlichen Ursache seinen Feldprediger in Arrest setzen und, weil
täglich Betstunden gehalten werden mussten, ihn acht Tage lang durch
ein Kommando zum Versammlungsorte hin- und nach beendigtem Gottes-
dienste wieder in die Wache zurückführen lässt; wo ein anderer Regiments-
chef, dessen Sohn der Feldprediger noch dazu aus Gefälligkeit Privat-Unter-
richt erteilte, sich nicht schämte, den Feldprediger nach Beendigung eines
Spazierganges, den derselbe mit seinem Zögling zu einem Amtsbruder
im benachbarten Dorfe unternommen, am Thore der Stadt arretieren
und in die Wache setzen zu lassen, weil er sich um mehrere Stunden
mit der Rückkehr verspätet habe. An interessanten Willkürakten wird
in den alten Militärkirchenbüchern, denen als verschwiegenen Freunden
die Feldprediger nicht selten ihre Klagen vertrauten, ferner gemeldet,
dass das Regiment N. N. vier Jahre ohne Feldprediger gewesen, weil des
damaligen Herrn Generallieutenants v. N. N. Excellenz das Tractament des
Feldpredigers — monatlich 16 Thaler — als ein „Douceur" bezogen ; in-
gleichen, dass der Rittmeister v. N. N. von Ihro Königlichen Majestät zum
Offizial des Pommeranischen Konsistoriums gesetzt wurde, eine Ernennung,
dio uns unwillkürlich an den Kandidaten der Theologie erinnert, der, ge-
waltsam zum „langen Kerl" gepresst, von da unerwartet zum General-
Superintendenten von Pommern avancierte und, als das Stettincr Kon-
sistorium gegen diese Ernennung geltend gemacht hatte, dass der
solchergestalt Beförderte nicht die zur Prüfung der Kandidaten erforder-
liche Fertigkeit im mündlichen Gebrauch der lateinischen Sprache habe,
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Das brandenbg.-preuss. Feldpredigerwesen in seiner geschieht). Entwicklung. 93
in seinem neuen Amt bestätigt wurde durch ein Reskript Friedrich
Wilhelms I. an das pommersche Konsistorium des Inhaltes: „Kann er
kein Latein, so kann ich es auch nicht; bedürfenden Falls soll er sich
einen lateinischen Lesebengel halten."
Heutzutage sehnt sich vielleicht Mancher nach der angeblich „guten
alten Zeit" zurück. Würde ihm sein Begehren erfüllt, könnte er um
160 Jahre plötzlich zurückversetzt werden, er würde sich mit Schrecken
in einer hässlichen, uns Kindern der Gegenwart völlig unerträglichen
Wirklichkeit finden, wo viel Rohheit der Sitte unter gefirnisster, ge-
schnörkelter und gezierter Oberfläche sich nur schlecht verbarg; es
würden ihm Bildungselemente, sittliche Lebensfaktoreu fehlen, die uns
so in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass wir sie gar nicht mehr
als solche spüren und würdigen ; kurz, es würde sich an ihm im vollsten
Masse erfüllen das Shakespeare'sche Wort:
So geschieht's,
Dass, was wir haben, wir nach Wert nicht achten,
So lange wir's gemessen; ist's verloren, ja dann
Erkennen wir den Wert, den uns Besitz
Missachten Hess.
Bei vielem Trüben fehlten jedoch für die damaligen Feldprediger
die Lichtseiten nicht ganz. Neben den Geworbenen diente ja eine giHis.se
Zahl gutgearteter kantonpflichtiger Landeskinder, an denen der Feld-
prediger schon eher Früchte seiner Wirksamkeit wahrnehmen konnte.
Die alten Autoren wissen auch von manchem „ausbrechenden Segen und
bleibenden Nutzen" zu berichten, den die Amtsführung treuer Feld-
prediger geschaffen. Hatten diese doch an dem obersten Kriegsherrn,
dem König selbst, den besten Rückhalt und eifrigsten Beförderer für
alle ihre auf sittlich -religiöse Hebung des Soldatenstandes gerichteten
Bestrebungen! Auf das ernstlichste Hess es sich der König angelegen
sein, durch Unterricht im Christentum wie auch im Lesen und Schreiben
deu gemeinen Soldaten zum guten Christen und brauchbaren Menschen
heranzubilden. Die Arbeit seiner Feldprediger an den Soldaten suchte
der König auf jede Weise zu unterstützen, unter anderem dadurch, dass
er Exemplare des neuen Testaments, in einem Anhange die Psalmen
Davids sowie eine Anzahl kirchlicher Gesänge enthaltend, an die Kom-
pagnien verteilen liess. Für den Feldzug sollte jede Kompagnie
22 Exemplare, jedes Zelt eines haben. Er verordnete, dass die in jenem
Anhange gedruckten Gesänge regelmässig beim Militärgottesdienst wieder-
kehren sollten, damit der Soldat sich daran gewöhne, sie auswendig
lerne. „Die rechten Eigenschaften eines Kriegsmannes", sagt Leopold
v.Ranke, „entwickelte man damals an den Beispielen des alten Testaments,
au Benaja, der mit seinem Stecken deu wohlbewaffueteu Egypter er-
schlägt, oder an Samma, der mitten unter dem flieheuden Volk sein
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Erich Schild, Divisionspfarror.
Ackerstück gegen den Feind verteidigt. So nährte sich an den ältesten
Urkunden der menschlichen Geschichte die künftige Tapferkeit des
preussischen Heeres."
Am 22. Januar 1720 erschien eine Königliche Verordnung, durch
welche den Feldpredigern besonders das Halten von Katechismus-
predigten und Katechisationen zur Pflicht gemacht wurde, damit die Un-
wissenden, vornehmlich die Jugend, gehörig unterrichtet würden. Wie
schwach es damals mit der in der Armee vorhandenen allgemeinen
Bildung bestellt war, zeigen die vielfach sehr ungünstigen Resultate des
Katechismusexamens, das die Feldprediger mit jedem Soldaten, der zur
Kommunion ging, ja auch mit deren Frauen, vorher abzuhalten pflegten.
Bei einer grossen Zahl von Soldaten und Frauen findet sich in den
Kommuiükantenlisten aus jener Zeit die Note: „Kann nicht lesen", bei
noch mehreren die Bemerkung: „Hat den Katechismus nicht inne", oder
„Kann ihn so so", oder „Kanu nur die Gebote, nicht die Erklärungen",
oder „Kann die Gebote nur bis zu dem oder dem Gebot." Einmal heisst
es auch: „Kann den Katechismus so so, aber vor vielem Lachen weiss
er nichts"; meist aber wird bemerkt: „Doch will er ihn lernen."
An Sonn- und Festtagen sollte der Feldprediger in der ihm ange-
wiesenen Kirche predigen und dabei besonders auf die Bedürfnisse der
hohen und niederen Kriegsmänner Rücksicht nehmen. Inbetreff des
dogmatischen Inhalts seiner Predigten hatte er sich bei schwerer Ahndung
der Verunglimpfung der Reformierten und anderer Religionsverwandter
zu enthalten, sollte auch keine bitteren Kontroverspredigten über die
Gnaden wähl und andere streitige Lehren halten. Die Predigt selbst
durfte nicht länger als eine Stunde dauern; im Übertretungsfalle konnte
der betreffende Prediger vom Wache habenden Adjutanten mit einer
Geldbusse zu Gunsten der Invalidenkasse belegt werden.
Nach Friedrich Wilhelm's I. Willen sollten eben die Prediger aller
Religionsparteien die ihnen anvertrauten Seelen nur „in der Furcht dos
Herrn und den» wahren thätigen Christentum" unterweisen, Kontroversen
aber, die dazu nicht dienen, nicht auf die Kanzel bringen. Der König
wollte also Erbauung, Seelsorge, Toleranz, wie er denn selbst in voll-
kommener Tolerenz voranging. „Ich bin gut reformirt", schreibt er in
der Instruktion für den Kronprinzen 1722, „glaube aber, dass ein
Lutherischer eben so gut selig werden kann, und der Unterschied nur von
den Predigerzänkereien herrührt." Für seine katholischen Soldaten, die
infolge der ausländischen Werbungen so zahlreich waren, dass zu Zeiten
ein Vierteil des ganzen Heeres aus Katholiken bestand, billigte er nicht
allein, sondern beförderte er die Wirksamkeit einiger Dominikanermönche,
sorgte auch dafür, dass neben jenen Ordensleuten katholische Welt-
geistliche die Garnisonen regelmässig bereisten, um monatlich einmal
die Katholiken in seinen Regimentern zum Gottesdienst zu versammeln.
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Das brandenbg. prcuss. Feldpredigerwesen in seiner geschieht!. Entwickelung. 95
Er hat sich die Namen derjenigen katholischen Soldaten angeben lassen,
die in den herkömmlichen Zeiten nicht zur Beichte gekommen waren.
„Er wusste wohl, dass ohne die allgemeinste religiöse Verpflichtung, die
Heilighaltung des Eides, weder sein Staat, noch sein Heer bestehen
würden" (Leopold v. Ranke). Nur die Jesuiten wollte er durchaus nicht,
weder in der Armee, noch in seinen Ländern überhaupt sehen.
Da die Riesengardo des Königs aus allen Ecken und Enden der
Welt zusammengeholt war und die Grenadiere den verschiedensten
Glaubensbekenntnissen angehörten (auch Moliren waren darunter, die
mit einem türkischen Bunde auf dem Kopfe in militärischem Aufzuge
vor dem Riesenregimente einherschritten), so hatte man auf königlichen
Befehl neben dem evangelischen und römisch-katholischen auch einen
griechisch- katholischen Gottesdienst eingerichtet; ja es Hess der König
mit grossen Kosten sogar griechische Priester und Kirchensänger aus
Russland kommen, um für das geistliche Wohl der blauen Riesen zu
sorgen. Den Türken, die er vom Herzog von Kurland für sein Leib-
regiment geschenkt erhielt, liess er einen Saal in Potsdam zur Abhaltung
des muhammedanischen Gottesdienstes überweisen. Grosse Summen ver-
schlang der Militärkirchhof in Potsdam, wo der König seine Riesen be-
grub, die in ihrer engen und uuzweckmässigen Kleidung meist durch
Schwindsucht und Blutbrechen schnell weggerafft wurden.
In Berlin war die von dem Vater des Königs erbaute Garnison-
kirche durch die Explosion eines benachbarten, als Pulvermagazin be-
nutzten, alten Vertoidigungstunnes am 12. August 1720 teilweise zer-
stört worden. Kurze Zeit nach der Katastrophe befahl Friedrich Wilhelm I.
den Neubau der Kirche auf derselben Stelle. Ende Mai 1722 war der
Bau vollendet. Die feierliche Einweihung der neuen Kirche fand am
Sonntag den 31. Mai statt.
Betreffs des geordneten Kirchenbesuches der Soldaten erging unter
unter dem 4. Juni 1725 eine Königliche Cirkular-Ordre an alle Regiments-
chefs, die Kapitäns anzuhalten, dass sie in Person ihre Leute in die
Kirche führen. Die lutherischen Offiziere sollen allemal in die Kirche
gehen und die Schildwachen an den Kirchentüren Niemanden vor dein
Segensprechen herauslassen. Offizieren und Gemeinen wird in derselben
Ordre eingeschärft, den Genuss des heiligen Abendmahls nicht zu
unterlassen.
Aus der trüben Zeit tiefgreifender Konflikte in der Familie des
Königs ist besonders der Feldprediger Müller von dem in Berlin stehen-
den Regiment Gensd'armes, dem Musterregiment unter der Reiterei des
Heeres, bekannt geworden. Der König hatte viel Gutes von ihm gehört.
Anf Königlichen Befehl musste Müller den Lieutenant v. Kattc zum Tode
vorbereiten und mit ihm nach Küstrin gehen, wo der unglückliche junge
Mann auf dem Wege zum Blutgerüst von Müller und dem in Küstrin
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Erich Schild, Divisionspfarrer.
stationierten Garnisonpredigfi* Besser begleitet wurde. Dem Feldprediger
Müller war vom König noch besonders befohlen, er solle nach der
Exekution zu dem gefangenen Kronprinzen gehen und ihm ins Gewissen
reden, in sieh zu gehen und Gott mit zerknirschtem Herzen um Ver-
zeihung der schweren Süude zu bitten, die er begangen, indem er Leute
verführt, deren einer das mit dem Leben gebüsst habe. Müller, dem der
Kronprinz viel Zuneigung und Vertrauen bezeigte, konnte Gutes be-
richten und erhielt Weisung vom König, bei dem Prinzen in Küstrin zu
bleiben, unablässig an dessen Bekehrung zu arbeiten und ihm vorzüglich
den schweren Irrtum von der unbedingten Gnadenwahl zu benehmeu,
eine dem König besonders widerwärtige Lehre, die der Prinz früher
wiederholt seinem Königlichen Vater gegenüber verteidigt hatte. Wie
Müllers Bemühungen vom besten Erfolg gekrönt wurden, der Kron-
prinz seinen Vater schriftlich bat, ihm zu verzeihen, und der Gnade
seines Vaters sich völlig unterwarf, ist aus der vaterländischen Ge-
schichte bekannt.
Am 31. Mai 1740 beschloss der König, dessen Bedeutung für die
innere Geschichte Preusseus erst in unserer Zeit voll und ganz erkannt
und gewürdigt worden ist, mit den Worten: „Herr Jesu! Du bist mein
Gewinn im Leben und im Sterben", seine irdische Laufbahn. Einige
Tage vor seinem Tode, am 27. Mai, hatte er den Feldpredigor Oesfeld
rufen lassen, um sich zum Tode vorbereiten zu lassen. Gute treue Seel-
sorger hatte der König stets gern gehabt, wenn sie ihm auch die herbsten
Wahrheiten sagten. So durfte der strenge Kousistorialrat und Propst
Roloff, der mit den beiden Feldpredigern Oesfehl und Cochius am 30. Mai
am Bette des Königs weilte, dem sterbenden Monarchen noch so scharfe
Ermahnungen erteilen, wie sie sich wohl selten jemals ein Fürst hat
gefallen lassen. Der König behauptete, dass er die Geistlichen immer
geehrt, Gottes Wort gern gehört, die Kirche tleissig besucht, auch keinen
Ehebruch begangen habe, sondern seiner Frau unverbrüchlich treu ge-
wesen sei, und wollte von Siunesäuderung nichts wissen. Roloff wider-
sprach ihm aber, indem er anführte, dass der König z. B. durch er-
zwungenes Häuserbauen in Berlin viele seiner Unterthanen gedrückt,
dass er Todesurteil«? geschürft und ungerechte Hinrichtungen verfügt
habe. Da sagte der König: „Er schont meiner nicht; er spricht als ein
guter Christ und als ein ehrlicher Mann mit mir. Ich danke ihm dafür
und erkenne, dass ich ein grosser Sünder bin." So starb er mit der
frommen Ergebung eiues Christen in der gewissen Hoffnung auf
Gottes Gnade.
Seinem Nachfolger hinterliess er ein trefflich geübtes und mit allem
zum Kriege Notwendigen reichlich ausgerüstetes Heer, das er während
seiner Regierungszeit von 38000 bis auf einige und 80000 Manu ver-
mehrt hatte. Bei keinem stehenden Heere der damaligen Zeit, ja des
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Da* bramlunbg.-preuss. FeMpredigonvesen in seiner geschieht!. Entwicklung 97
vorigen Jahrhunderts überhaupt, war für (Ho religiösen Bedürfnisse der
regulären Truppen in Friedens- uud Kriegszeiten so ausgezeichnet ge-
sorgt, als bei diesem, wo jedes auf dem Feldetat stehende Infanterie-
und Kavallerieregiment seinen eigenen evangelisch-lutherischen Feld-
prediger hatte, wahrend mit der Seelsorge für die reformierten und
katholischen Soldaten, die in Friedenszeiten der geistlichen Fürsorge
bestimmter Zivilpfarrer ihrer Konfessionen empfohlen waren, in Kriegs-
zeiten (seit Friedrich 'dem Grossen) eigens für die Dauer des Krieges
angestellte und besoldete evangelisch - reformierte Feldprediger bez.
katholische Feldpater betraut wurden.
Friedrich der Grosse, obwohl für seine Person dem Glauben der
Kirche abgewandt, wollte doch die Religion in Armee uud Volk erhalten
wissen. Carlyle, sein englischer Biograph und begeisterter Verehrer, sagt
von ihm: „Er giebt sich viel Mühe mit seiner predigenden Geistlichkeit
von dem Feldprediger an aufwärts — giebt ihnen wohl mitunter bei
Gelegenheit Text und Thema für ihre Predigt an; ist allezeit bedacht,
zum geistlichen Beamten den rechten Mann am wichtigen Platze zu
haben; . . . und es ist bemerkenswert, welch ein Fond von Gottesfurcht
und religiösem Glauben in rauher, wirksamer Form in den Armeen und
Völkern eines solchen Königs existirt."
Unter Friedrich dem Grossen trat an die Stelle aller früheren Ver-
ordnungen eine ausführliche Aintsordnung für die Feldprediger des
preussischen Heeres, die sogenannte Feldpredigerordnung vom lü. Juli
1750, die vom Feldpropst Decker in Gemeinschaft mit dem damaligen
General -Auditeur Mylius ausgearbeitet ist und bis zum Erlass des
Militär-Kirchenreglements vom 2^. März 1811 Geltung gehabt hat. Sie
handelt im ersten Hauptabschnitt vom Militär- oder Krieges-Konsistorium,
im zweiten von der Kirchenordnung der Feldprediger: im dritten giebt
sie agendarische Formulare. Die Gesammtzahl der evangelischen Feld-
prediger belief sich nach einem im geheimen Staatsarehiv befindlichen
vollständigen Verzeichnis aus dem Jahre 1756" auf 118. Die Armee war
damals 152 000 Mann stark. Rechnet man die Katholiken -ah, so hatte
jeder Feldpredigcr durchschnittlich etwa 1000 Mann geistlich zu versorgen.
Friedrich der Grosse hielt etwas auf tüchtige Feldprediger. Man
darf dies wenigstens aus der Weisung schliesscn, die er einige Jahre
vor dem siebenjährigen Kriege dem Fehlpropst Decker erteilte, keinem
Kandidaten ein Feldpredigeramt zu geben, wenn er nicht „im Examen
seiner Wissenschaften und Moraütät wohl bestanden wäre." Auch seine
Äusserung zu dem englischen Gesandten Mitehel: „Nun wird das Land
und die Armee bald mehr Prediger bekommen, denn ich lasse an der
Verbesserung der Schulen und Universitäten tüchtig und tapfer arbeiten",
zeigt, dass der ihm früher gemachte, jedoch schon von seinem Zeit-
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Erich SchiM, DivisionHpfarrer.
genossen «lern Oberkonsistorialrat Abrah. Teller widerlegte, Vorwurf, er
habe die Verminderung des Predigerstandes bei seiner Armee eingeführt,
ein ungerechter war.
Andererseits freilich gab es doch auch wieder Zeiten, wo er un-
gerechter Weise die Thätigkeit der Feldprediger gering schätzte und die
Feldprediger selbst mit dem Spottnamen Chekers (in seiner Schreibart)
belegte. Das geschah besonders, wenn er im Gespräch mit Voltaire
oder anderen französischen Gelehrten seiner Umgebung auf die Unduld-
samkeit der katholischen Priester zu reden kam, wobei er sein abfälliges
Urteil wohl auch auf die protestantischen Geistlichen ausdehnte, sie
„dumme Pietisten oder Heuchler" schalt, die nach seiner Ansicht nicht
„helle" genug dächten.
Diesem Vorurteil des grossen Königs steht die Thatsache entgegen,
dass in den schlesischen Kriegen und im siebenjährigen Kriege im Heere
Friedrichs eine grosse Zahl nachweislich ausgezeichneter Feldprediger
diente, die durch unermüdcte Sorgfalt für die Kranken und Blessirten,
durch Beförderung und Verbreitung einer religiösen Gesinnung unter
den Soldaten, durch Besonnenheit und Klugheit in entscheidenden Augen-
blicken sich rühmlichst hervorthaten. Es genügt, in dieser Beziehung
zu nennen Seegebart, von dem F. L. .Jahn im deutschen Volkstum
sagt: „Seegebarts Bildniss — der als Feldprediger das Regiment Erb-
prinz von Dessau und einige Schwader Reuterei in dem Treffen bei
Chotusitz sammelte und gegen den Feind führte — sollte jeder Feld-
prediger auf einer Denkmünze tragen." Ferner: Tiede, gestorben als
Konsistorialrat in Schweidnitz; Herrnschmid , später Hauptpastor zu
St. Michaelis in Hamburg; die Feldpröpste Carsted, Decker, Balk.
Letzterer war früher Feldprediger beim Seydlitzschen Regiment Kürassiere
gewesen, mit welchem er, jedoch ohne selbst ein Schwert zu führen,
bei Rossbach die berühmte Attacke gegen die feindliche Kavallerie mit-
geritten hatte. Seydlitz hielt grosse Stücke auf diesen seinen Feldprediger,
der dem berühmten Reitergeneral auch insofern eine geistige Rüstkammer
war, als er sämmtliche Bücher, die Seydlitz vom König zur Lektüre
erhalten, indessen selbst durchzulesen keine Lust hatte, eingehend
studieren und Seydlitz kurz über den Inhalt berichten musste, damit
dieser an der Tafel des Königs, wenn das Gespräch auf jene Bücher
sich lenkte, darüber mitreden konnte. Zur Aufbewahrung für solche
ihm von seinem Regimentschef übergebene königliche Bücher führte
Balk im Felde ein besonderes Kistehen mit sich. Andere tüchtige
Feldprediger aus jener Zeit waren Protzen, Feldprediger bei dem
Prinz Leopold Braunschweig'schen Infanterie-Regiment, später Inspektor
und Oberprediger in Züllichau, Verfasser der ausgezeichneten, in
mehreren Auflagen erschienenen, jetzt noch für den Militärprediger
sehr lesenswerten „Feldaudachten und Predigten für Kriegsleute";
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Das brandenbg.preuss. Feldpredigerwesen in seiner gesebiehtl Entwicklung. 99
Töllner*), später Professor der Theologie in Frankfurt a. 0.; Karl
Daniel Küster, reformierter Stabsfeldprediger, später Konsistorialrat,
Inspektor und erster Prediger der reformierten Gemeinde in Magdeburg;
Samuel Christian Küster, Feldprediger des Graf Gessler'schen Kürassier-
regimentes, später Inspektor und erster Prediger auf dem Friedrichs-
Werder und der Dorotheenstadt in Berlin; Sadewasser, von 1741 an
Fehlprediger bei dem damals neuerrichteten Dragoner -Regiment von
Nassau, später Ober-Konsistorialrath in Berlin; Borowsky, am 5. Juli
1762 in Berlin zum Regimentsprediger ordiniert, später geadelt und zum
evangelischen Erzbisehof ernannt; Süssmilch, später Ober-Konsistorial-
rat, Propst und Inspektor in Berlin: Fischer, Verfasser von „Homilien",
die ihrer Zeit mit vielem Beifall aufgenommen wurden: Haehn, bis
1752 Feldprediger beim Regiment Gensdarmes, später Generalsuperinten-
dent von Ostfriesland: Pappelbaum, Feldprediger beim von Bornstedt'-
sehen Regiment und der Berliner Garnisonkirche, Verfasser von „Feld-
predigten": Schröter, Goldbeck, Benike, und viele andere. Benike
war Garnisonprediger in Küstrin, wo am 5. Juli 1762 gegen 4000, in
den Kasematten der Festung liegende, österreichische Gefangene revol-
tierten, die Wachen ermordeten und, nachdem sie der vor den Eingängen
der Kasematten aufgepflanzten Kanonen sowie der Gewehre der Wach-
mannschaften sich bemächtigt, auf die Wälle drangen und aus dem
Geschütz von hier in die Strassen der Stadt feuerten. Der Kommandant
Oberstlieutenant v. Heyderstädt wurde dadurch am Fasse verwundet.
Da wagte sich Garnisonprediger Benike mit Lebensgefahr auf den Wall,
redete den Rebellen gütlich zu und trug dadurch sehr viel zur Stillung
der gefährlichen Revolte bei.
Neben den pastoralen Funktionen, war die Thätigkeit des Feld-
predigers für den Jugendunterricht vielfach in Anspruch genommen, da
sich in den Garnisonsorten viele Soldatenfainilien befanden, deren Kinder
auf Kosten des Regimentes Schulunterricht empfingen. Tin preussischen
Heere war die Zahl der Soldatenkinder erstaunlich gross, weil das
Heiraten der Unteroffiziere und Gemeinen „ zur Steigerung der Population"
von allerhöchster Stelle aus im vorigen Jahrhundert in jeder Weise be-
fördert wurde. Stabsfehlprediger Küster rechnet im Durchschnitt auf
1000 Mann 500 Kinder, so dass nach seiner Meinung gegen Ende der
•) Töllner war Feldprediger im Regiment des Fcldmarschalls Schwerin, der dem
König wiederholt bei Tafel von der Amtswirksamkcit seines Feldpredigers erzählt
hatte. Als nun Töllner vom Feldprcdiger zum Frankfurter Universitätsprofessor be-
fördert war, sagte der König dem FHdmarschnll Schwerin: „Empfehle er seinem
bisherigen Fehlprediger nur, dass er du- künftigen jungen Priester besser unterrichtet,
als es von so vielen butten Professoren geschieht. Die Studenten müssen zuvörderst
Locke's und Wolff's Philosophie studiren und dann erst ihre Theologie verstehen und
prüfen lernen; sonst werden sie Saalhaders."
7*
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loo
Erich Schild, Divisionspfarrer
Regierung Friedrich des Grossen „die auf 200,000 Mann angestiegene
Armee gewiss 100,000 Söhne und Töchter zählte." Schon im .Jahre 1740
hatte das aus dem Potsdamer Riesenregiment nach Autlösung desselben
hervorgegangene Grenadier-Garde-Bataillon allein 5*3. Kinder. Und eine
„Seelenliste der Berliner Garnison vom Jahre 17 76" berechnet die Starke
der letzteren ohne die Beurlaubten, die mit ihren Frauen und Kindern
auf dem platten Lande lebten, auf 18,052 Köpfe, wozu 552(3 Soldaten-
frauen mit 6662 Kindern gehörten.
Die Soldatenfrauen und Soldatenkinder wurden als zur Armee
gehörig betrachtet. Für den Unterricht der letzteren sorgten die Regi-
ments- oder Garnisonschulen, deren Inspektor der Regiments- oder
Garnisonprediger war. Die Regiments- oder Garnisonschule war eine
niedere Bürgerschule. Als Lehrer fungierte vielfach der Regimentsküster.
Den Religionsunterricht erteilte der Feldprediger oft selbst, dem auch
die Führung des Rechnungswesens der Schule oblag.
Im allgemeinen empfahl Friedrich der Grosse, man solle die Kinder
nicht mit der „sogenannten Schultheologie" belästigen; denn dieSoldaton-
und Bürgerkinder sollten „nicht gelehrte, sondern nur vernünftige
Christen" werden, welche Gott und ihrem Landesherrn gehorchten und
einen guten Wandel führten, der Gott und Menschen wohlgefiele. Dazu
werde aber nur ein einfacher und auf den Charakter des Menschen ein-
wirkender Unterricht erfordert. Namentlich sei recht deutlich zu lehren,
was der grösste Menschenkenner Christus als wichtig klar vorgestellet hätte.
Wie die Regiments- und Garnisonschulen, so hatten die Feldprediger
auch die Lazarette fleissig zu besuchen und von Zeit zu Zeit daselbst
Betstunden zu halten. Den Fahnjunkern aber sollten sie in der Friedens-
garnison wöchentlich zweimal über religiöse Moral und über geschicht-
liche Themata Vorlesungen halten. Später wurde diese Einrichtung
durch Kabinetsordre dahin erweitert, dass der Feldprediger in der
Junkerschule seines Regimentes den Fähnrichen Unterricht im deutschen
Stil, Geographie, Geschichte, Moral, französischer Sprache und in den
Anfangsgründen der Mathematik zu erteilen hatte.
Ihr schmales Einkommen suchten manche Feldprediger dadurch
zu verbessern, dass sie einem oder mehreren Fahnjunkern gegen Be-
zahlung Wohnung und Essen in ihrem Hause gewährten, sie also zu
sich in Pension nahmen. Männer wie York von Wartenburg, der
preussische Generalfeldmarschall, haben nach Drovsens Zeugnis ausser
dem Elementarunterricht in früher Jugend keine andere geistige Aus-
bildung in ihren Jünglingsjahren genossen, als diejenige, die sie als
Fahnjunker durch den Feldpredigcr ihres Regimentes erhielten.
Betreffs der Amtskleidung der Feldprediger hatte schon eine könig-
liche Ordre vom 14. Dezember 1742 bestimmt: „Wegen der Feldprediger
ist es mein Wille, dass solche ebenso gekleidet sein sollen als der jetzige
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Das brandenbg. prenss Feldpredigerweson in seiner geschieht!. Entwiekelung. 101
Feldprediger von meinem Regiment (Gartie). u Eine besondere Tracht
für seine Feldprediger anzuordnen, war der gross« König im ersten
sehlesischen Kriege durch den Umstand veranlasst worden, dass einige
katholische Ordensleute um desswillen mit Verachtung von den prote-
stantischen Feldpredigern gesprochen hatten, weil diese für gewöhnlich,
wenn sie nicht Amtshandlungen zu verrichten hatten, einen einfachen
blauen Kock trugen. „Seheu die Herren auf die Kleidung", sagte der
König, „so will ich meine protestantischen Feldprediger bald in den
Augen dieser Schwachköpfe Schätzungswert machen. Ich will ihnen den
Anzug eines distinguirten katholischen Geistlichen geben". Und so er-
hielten denn die Feldprediger Befehl, ein kurzes gekräuseltes Haar,
seidenen Mantel, blau-weisse Kragen, seidene Strümpfe und kurze blaue
Manschetten, wie ein französischer Abbe, anzulegen. Als in Preussen
durch Königliche Verordnung vom 1. Januar 1811 die Amtskleidung
der evangelischen Geistlichen geregelt und überall der „Chorrock oder
Hube von Satin, oder anderen leichten wollenen Zeugen von schwarzer
Farbe nebst Sammtbarett und weissem Halskragen unter dem Kinn"
eingeführt wurde, verschwand auch die bisherige Amtstracht der Feld-
prediger. Doch ist speziell das blaue Päftchen vielfach noch in den
Freiheitskriegen das Abzeichen des Feldpredigers gewesen. In einer
jetzt im Hohenzollern- Museum befindlichen Sammlung kleiner Wachs-
ligürehen von Offizieren aller Regimenter der friderieianischen Annen,
dem Unifo einschnitt nach aus der Zeit kurz vor dein siebenjährigen
Kriege, ist auch die Figur eines Feldpredigers, die in ihrem Anzüge
ganz der erwähnten, vom König 1742 für die Feldprediger erlassenen
Bekleidungsordre entspricht.
Die Rangliste der prenssischen Armee vom Jahre 1801 zählt auf
bei jedem Infanterie- und Kavallerieregiment sowie bei jedem der sechs
Füsilier-Bataillone (deren Garnisonorte Bialystok, Plock, Bielsk, Petrikau,
Wloclawek und Kreuzberg waren) einen Feldprediger — mit Ausnahme
des Husaren regimeutes Nr. 10 (im Jahre 1800" Regiment Usedom), das
zwei Feldprediger, nämlich bei jedem Bataillon «'inen hatte. Ausserdem
gab es Garnisonprediger in Königsberg, Magdeburg, Kosel, Kolberg,
Spandau, Küstrin, Pillau, 1 Prediger beim Invalidenkorps und 1 Prediger
beim Kadettenkorps in Berlin. Auch zwei katholische Militärgeistliche
verzeichuet die genannte Rangliste, 1 beim Invalidenkorps und 1 beim
Regiment Courbiere Nr. 58. Merkwürdigerweise war damals auch ein
muhamedanischer Feldgeistlicher in der prenssischen Armee angestellt.
Bei dein fünf Eskadrons starken Bataillou der Towarczys nämlich (einer
Art Ulanen, 1788 als selbstständiger Truppenteil aus dem Bosniakenkorps
gebildet, heute 1. und 2. Ulanen-Regiment) bestand die fünfte Eskadron,
die sogenannte Tataren-Eskadron, aus wirklichen Tataren. Sie hatten
einen eigens für sie besoldeten inuhainedanischen Kaplan (fmam).
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102
Erich Schild, Diviftionspfarrer.
Nach der Zertrümmerung der alten, durch den Tilsiter Frieden von
Napoleon auf 42,000 Mann verringerten preussischen Armee brach eine
furchtbare Not herein wie über so viele entlassene Offiziere und Staats-
beamte, so auch über die grosse Mehrzahl der preussischen Feldprediger.
Einer derselben schreibt im März 1807: „Jetzt, in den Tagen allgemeiner
Zerrüttung und Auflösung, ohne Amt, ohne Besoldung, müssen wir die
harte Hand des Schicksals männlich ertragen und uns durch die Hoffnung
besserer Zeiten beruhigen. * Von den Beamten aller Grade, welche
schaarenweise durch das Unglück des Staates brotlos geworden waren,
sah man damals Männer aus hohen Stellungen, Regierungs- und andere
Räte, selbst Dorfschullehrerstellcu annehmen, um nur das nackte Leben
zu fristen. Ein Feldprediger in Neisse, dein es in dieser furchtbaren
Zeit der Prüfung nicht gelang, auch nur die dürftigsten Existenzmittel
zu finden, gab sich aus Verzweiflung über seine Lage mit seiner Frau
in den Wellen des Flusses den Tod.
Sehr instruktiv für diese Zeit und zugleich interessant für die
bürgerlichen Zustände der letzten dreissig Jahre des vorigen Jahrhunderts
ist das bis zum Jahre 1810 reichende Tagebuch des w eiland preussischen
Feldpredigcrs Johann Adam Stahr, Vaters des im Jahre 187ü verstorbenen
bekannten Aesthetikers und Literarhistorikers Adolf Stahr. Vor etwa
zehn Jahren schrieb mir des letzteren Wittwe Frau Fanny Lehwald Stahr,
dass sie beabsichtige, diese Lebensbeschreibung ihres Schwiegervaters
selbst durch den Druck zu veröffentlichen. Leider hat der Tod sie er-
eilt, ehe sie diese ihre Absicht zur Ausführung bringen konnte.
Im Jahre 1811 unter dem 28. März erschien das, die Feldprediger-
ordnung vom Jahre 1750 aufhebende, umfangreiche Königl. Preuss.
Militair-Kirchen-Reglement, wodurch die religiöse Versorgung des nume-
risch so stark reduzierten Heeres von neuem fest geordnet wurde. Bei
jeder der sechs Brigaden der Armee wurden sowohl im Frieden, als im
Kriege drei Prediger angestellt, deren Gehalt im Frieden jährlich für
jeden 400 Thaler betrug. Sie hatten ihre Gemeinden überallhin, es sei
im Kriege, oder im Frieden, zu begleiten. In jeder der drei Hauptstädte
Berlin, Königsberg und Breslau befand sich ausserdem ein „für immer
an diesem Ort fixierter" besonderer Garnisonprediger, von denen der
in Königsberg auch der littauischen Sprache völlig kundig sein musste.
Besondere Festungsprediger wurden für Pi Mau und Silberberg angestellt.
Bezüglich der Militärprediger überhaupt bestimmte das Reglement: „Sie
sind sämtlich der evangelisch -lutherischen Konfession zugethan. in
Kriegszeiten sollen jedoch ausserdem bei einem jeden Armeekorps auch
ein oder einige reformierte und katholische Geistliche angestellt werden,
auch soll bei den Haupt- Lazaretten, wo es nötig ist, ein besonderer
Prediger alsdann angesetzt werden."
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Das brandenbg.preuss. Feklpredigerwesen in seiner geschichtl. Entwickelung. 103
Das Kriegskonsistorium wurde aufgehoben. Sämtliche
Militärprediger standen nunmehr unter der Civil -Konsistorial- Behörde.
Auch die Stelle des Feldpropstes ging ein. Ebenso ward das
Recht der Wahl des Feldpredigers durch den Regiments- oder jetzt
Brigade-Chef beseitigt. Die Vokation für den Militärprediger fertigte
nunmehr diejenige geistliche Regierungs-Deputation aus, in deren Bezirk
die dem Prediger zum Wohnort angewiesene Garnison lag.
Als nach den Befreiungskriegen, aus denen leider nur wenige Auf-
zeichnungen preussischer Feldprediger vorliegen — der namhafteste unter
ihnen war Offelsmeyer — , das preussische stehende Heer wieder eine
Stärke von 130,000 Mann erhalten hatte, wurden durch die jetzt noch
geltende Militär-Kirchen-Ordnung vom 12. Februar 1832 die kirchlichen
Verhältnisse der Armee dementsprechend neu geregelt. Die 1811 ein-
geführte Unterstellung der Militärprediger unter die Superintendenten
wurde wieder aufgehoben und die Zahl der Militärgeistlichen dadurch
etwas vermehrt, dass bei jeder Division zwei Divisionspfarrer und eine
Anzahl Garnisonpfarrer für die Festungen angestellt wurden.
In Bezug auf die Thätigkeit der preussischen Feldgeistlichkeit irn
letzten Kriege darf ich zum Schluss mitteilen das Telegramm, das der
verewigte Kaiser Wilhelm I. am 8. März 1871 von Ferneres aus dem
Feldpropst Thielen zusandte:
„Erst jetzt, nachdem der Friede gesichert, vermag Ich Ihnen Meinen
aufrichtigen Dank für Ihr Glückwünschungsschreiben auszusprechen.
Wenn der Herr der Heerschaaren mit uns ist, wer will wider uns sein?
Es hat sich hier erwiesen in den gewaltigen Kämpfen, die immer zum
Siege führten, und in dem ehrenvollen Frieden. Dass er dauernd sein
möge nach so schweren Opfern, die das Heer im Felde und die Vater-
landsliebe in der Heimat brachte! Mir ist ein Loos zugefallen, das Ich
niemals erträumt hatte und das Ich in Demut von Gottes Willen an-
nehme. Ihre Feldgeistlichen haben allgemeines Lob und An-
erkenntnis gefunden und sind in ihrem Berufe gefallen und
haben geblutet.
Wilhelm.14
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Das Bauernhaus in der Mark.
Von Robert Mielke.
Mit 1 Tnfel und 33 Textabbildungen.
Die reiche Literatur, welche sich mit iler Geschichte und der Ver-
breitung des deutscheu Bauernhauses beschäftigt, ist bisher im Wesent-
lichen bei den einzelnen Arten desselben stehen geblieben, ohne Rücksicht
auf die Abwandlungen zu nehmen, die der herrschende Typus im Rahmen
eines bestimmten Territoriums erlitten hat. Dabei ist die Mark Branden-
burg insofern zu kurz gekommen, als man sie im Allgemeinen mit in
jenes umfangreiche Gebiet einschloss, für welches der fränkische Typus
als der vorherrschende gilt. Meitzen*) lässt zwar in der seiner Schrift
beigegebenen Verbreitungskarte das sächsische Haus den nördlich der
Spree gelegenen Teil der Mark bis zur Oder einnehmen, ohne jedoch in
dem Text weiter darauf einzugehen; während Henning**), der für die
norddeutsche Tiefebene zwischen Elbe und Weichsel drei Stilgattungen
annimmt, die Grenzlinie zwischen fränkischem und sächsischem Haus
von Taugermündo nach den Odermündungen zieht. Wenn auch in den
nachfolgenden Ausführungen, die als Ergebnisse mancher tag- oder
wochenlangen Wanderung auf märkischen Boden nur eine bescheidene
Würdigung beanspruchen, diese Trennungslinie nicht weiter verändert
wird, so werden sie doch erkennen lassen, dass sich innerhalb des be-
schränkten Gebietes eine rege Tliätigkeit in dem Häuserbau entwickelt
hat, die im engsten Zusammenhange mit der Kolonisationsbeweguug
steht. Denn wie sich hier die einzelnen Völkerstämme durcheinander-
schoben, nicht ohne ihre besonderen Eigentümlichkeiten in breiten
Schichten abzusetzen, so haben sich auch die Typen des Bauernhauses
deutlich abgelagert. Wie wir slavische, flämische, sächsische und
fränkische Elemente in der Bevölkerung nachweisen können, die teil-
weise vermischt, teilweise auch noch getrennt in lokalen Distrikten
nebeneinander bestehen, so zeigt sich auch in der bäuerlichen Architektur
der formale Niederschlag dieser so verschieden beanlagten Stämme.
*) Meitzen. Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen. Berlin 1882.
**) Henning. Das deutsche Haus in seiner historischen Eutwiekelung. Strasa-
burg 1882.
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Das Bauernhaus in der Mark.
105
Zwar beherrscht das fränkische Haus, das ja nachweisbar immer
.siegreicher in Deutschland vordringt, und das eines Tages vielleicht alle
anderen verdrängt haben wird, auch im Lande des roten Adlers alle
anderen Formen; doch tritt schon in dem slavischen, wie es sich mehr
oder minder beeinflusst in den Spreewaldlandschaften erhalten hat, eine
in sich abgeschlossene Abart deutlich hervor. Hei aufmerksamer Be-
obachtung zeigt sich aber, dass die Mark reicher an Stilgattungen ist,
als ein flüchtiger Umblick erwarten lässt, wenn auch so prachtvolle
Entwickelungen, wie sie Norwegen, die Schweiz und einzelne Gegenden
Mitteldeutschlands hervorgebracht haben, hier nicht zu suchen sind.
Gegen das Übergewicht des fränkischen Hauses haben sich die anderen
nur schwer und das zum Teil unter Aufgeben einzelner ihrer Eigentüm-
lichkeiten halten können; dazu kommt dann noch, dass der Einfluss des
städtischen Hauses, der von einer so beherrschenden Centrale wie Berlin
auf das Land getragen wird, umgestaltend auf die altererbten Über-
lieferungen einwirkt und neue, den ländlichen Bedürfnissen schon ent-
fremdete Formen erzeugt. Es ist nicht schwer diese letzteren, zum
grössten Teil recht geschmacklosen Einflüsse, herauszufinden; schwieriger
ist es schon, die ursprünglich nebeneinander bestehenden 1 laustypen zu
erkennen. Hier kann nur ein Verfolgen der einzelnen und ihre Ver-
gleichung mit den anderen in Deutschland vorkommenden Hausarten
Klarheit geben. Haben wir also einerseits mit erheblichen Schwierig-
keiten zu kämpfen, um zur Erkennung der Urformen zu gelangen, so
haben wir andererseits die Befriedigung, der Entwicklung der Typen
auf einem Boden nachzugehen, der wie wenige einen Reichtum von den-
selben besitzt, und dessen festgelagerte Schichten das allmälige Werden
illustrieren. Von der armseligen Lchmkuthc durch alle Stadien des
Holzbaues hindurch bis zum feuersicheren Backsteinbau lässt sich in
der Mark die Entwicklung und mit dieser zugleich die Wechselbeziehung
des Bauernhauses mit dem Stadthause verfolgen.
Von den vier Typen, die sich deutlich von einander abheben, nimmt
der fränkische den grössten Raum ein; obwohl auch das wendische
Haus in verhältnismässig zusammenhängenden Komplexen erscheint.
Daneben sind die Grenzdistrikte im Osten von dem polnisch-slavischen,
im Norden von dem sächsischen reichhaltiger durchsetzt. Während aber
das letztere sich in einzelnen Linien bis zur Spree hinzieht, finden sich
auf dem ganzen Gebiet die Einflüsse des wendischen mehr oder minder
deutlich ausgesprochen. Das fränkische Gehöft kehrt überall in seinen
typischen Grundanlagen wieder, bestehend aus dem grossen, an der Dorf-
strasse gelegenen Thorhause, der gegenüber liegenden Scheune und den
die beiden anderen Seiten des Grundvierecks abschliessenden Wohn-
und Stallgebäuden (Abb. 1). In der Regel steht das Wohnhaus links
von dem in den Hof Eintretenden ; doch ist es auch vereinzelt, z. B. in
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10G
Robert Mieike.
1. Seegefeld bei Spandau.
Mellon bei Zossen (Abb. 2) auf der rechten Seite angeordnet Der Haus-
eingang ist stets auf der Langseite nach dein Wirtschaftshof zu. Das
Thorhaus , welches häufig
Kammern für die Wirtsehafts-
geräte enthält, ist nicht immer
vorhanden, sondern wird, be-
sonders nördlich von Berlin,
durch ein einfaches Bretter-
portal ersetzt. Zu einer neuen
Variante ist es auf dem öst-
ft^'i^/p liehen Ende des Fläming, wo
sich überhaupt viel wendische
Einflüsse geltend gemacht haben,
ausgebildet, dadurch, dass es den
ganzen Raum zwischen dem Wohn-
und dem Stallgebäude ausfüllt und
auch in gleicher Frontlinie mit
beiden steht (Abb. 3 u. 4). Nur
ein schmaler Gang bleibt in diesem
'/w^ Falle zwischen den Mauern stehen,
' der auch noch bisweilen kassirt
wird, so dass dann das Thorhaus mit den
beiden oder einem der beiden Nachbarhäuser
organisch zusammenwächst, eine um so be-
fremdendere Bildung, als sie an das in
Dänemark vorkommende Gehöft oder den
bayrischen Einödhof erinnert, ohne dass
an eine gegenseitige Einwirkung zu denken
wäre. Sie unterstützt aber die
Behauptung Bank alaris*), dass
der sogenannte oberösterreichische
Vierkant, der ein ganzes Carre
bildet, aus Einzelhäusern zusam-
mengewachsen sei, eine Behaup-
tung, der sich Dr. R. Meringer
4. Horsdorf. anschliesst **j
Eine bemerkenswerte Erscheinung und, wie es scheint, noch nicht
als Wegweiser für die Besiedelungsgeschichte der Mark herbeigezogen,
ist, dass sich vorzugsweise in der westlichen Hälfte der Provinz und
auf Anhöhen ganze Wirthschaftsgehöfte linden, die in ihrer einsamen
2. Mellen bei Zossen.
3 Görsdorf.
•j Ausland 1891.
*•) Sitzungsberichte der Anthropologischen Gesellschaft in Wien XXII. Band 181)2.
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Das Bauernhaus in der Mark.
107
Lage, von stämmigen Linden oder Kastanien umrauscht, an die Einzei-
lig fe Westfalens und Manövers erinnern, nur dass in der Mark das
Sächsische Wohnhaus durch das fränkische ersetzt ist. Ob dies nun
eine spätere Ersetzung ist, oder ob gleiche Verhältnisse zu gleichen An-
lagen geführt haben, sei dahingestellt. Jedenfalls verdienen diese Bauern-
höfe ein eingehendes Interesse.
Neben diesen (irosswirthsehaften, haben die Drangsale, welche in
jahrhondertlanger, reicher Folge die agrarischen Verhältnisse Branden-
burgs mehr als andere Länder zerrütteten, vereinfachtere Anlagen ge-
schaffen, die sich auf das fränkische, mit der Langseite der Dorfstrasse
zugewandte, Wohnhaus beschränken, dem sich ein hinterwärts parallel
gebautes Stall- und Scheunenhaus zugesellt. In den Dörfern des Ruppiner
Kreises hat man den Häusern durch ein aufgesetztes Stockwerk ein ganz
stattliches Aussehen gegeben, während anderwärts, z. B. in der Nuthe-
niederung mittels einer vorgebauten Laube eine höchst malerische Wirkung
erzielt ist.
Besonderer Ausbildung ist vielfach dem Stallgebäude gewidmet,
dessen Daehranm, um für die Heuvorräte den nötigen Platz zu schaffen,
oft um ein halbes oder ganzes
Stockwerk erhöht und an der
Hofseite bedeutend hervorgekragt
ist. (Abb. 5.) Bisweilen wird
diese Her vorkragung zu einer
offenen (lalerie ausgebildet, die
bald weniger, bald mehr künst-
lerisch verziert ist. (Abb. (>. 7.)
ß. Mellon bei Zossen.
Es scheint diese Galerie, welche auch im Erz-
gebirge vorkommt*), eine alte Bautradition
zu sein, denn sie findet sich schon auf dem
Merianschen Prospekt des Amtes Zehden
(Abb. 8). Im Verein mit den Vorlauben und
der noch weiterhin zu erwähnenden Holz-
ornamentik bezeugt diese, dass auch das mär-
kische Bauernhaus eine gewisse künstlerische
Ausbildung erfahren, die es
in der Gegenwart leider auf-
gegeben bat.
Da die fränkischen Wohn-
häuser bei uns in der Hegel
selten älter als hundert Jahre
sind, in den meisten Fällen 7 Bucbholi b xiemeok.
f. Zöllmomlort.
« Such Merian.
•) Landau. Beilagen zum Correspond<-n/.Matt d. deutsch. Gesch. u. Alt -Vereine VI. S.U.
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108
Robert Mielke
sind sie sogar erst in dem laufenden Jahrhundert entstanden, so ist die
ursprünglich einfache Anlage durch die Bedürfnisse der vorgeschrittenen
Zeit verwischt. Die alte Einteilung in zwei Haupträume, welche durch
den quer das Haus durchschneidenden Gang hergestellt wird, ist zwar
noch vorhanden, aber beide Hälften sind jetzt zu Wohnstuben herge-
richtet und der Herdrauin, einst den bedeutenderen Flur einnehmend,
ist heute durch eine Querwand von dein vorderen Teil desselben getrennt
und zu einer selbständigen Küche umgewandelt, in der die Feuerstelle
so an die Seitenwand gerückt ist, dass von ihr aus der benachbarte
Stubenofen mit erwärmt werden kann. Doch giebt es ohne Zweifel noch
ursprünglichere Anlagen. Herr Stadtrat Friede 1 entdeckte eine solche
in nächster Umgebung von Berlin, die nicht nur die älteste Einteilung
klar erkennen, sondern sicli auch urkundlich bis zum Jahre 1G71 zurück-
verfolgen lässt. Wahrscheinlich ist diese, das in dem Dorfe Dallgow
bei Spandau befindliche Pfarrhaus, noch viel älter, denn erst von dem
gedachten Jahre führen die noch vorhandenen Kirchenrechnungen die
einzelnen Verbesserungen und Veränderungen auf. Die Vermutung ist
gerechtfertigt, dass es noch immer seinem ursprüng-
lichen Zwecke dient, weil der Wirthsehaftshof (Abb. D)
einen nur kleinen Betrieb voraussetzen lässt. Das zwei-
geschossige Wohnhaus ist, wie sich aus der Lage der
: Dachbalken erkennen lässt, in späterer Zeit auf beiden
• Langseiten mit Anbauten versehen, von denen einer
> (Abb. 10 u. 11) schon seit Ge-
i— — *-< — — i
*-.i.ip *.r<*+*jn.fi. nerationen teilweis als Kaum
i^i^lnndnu für Abfälle benutzt wird, die
denselben noch heute bis zu dem zweiten Stock
füllen. Auch der hinterste Stall scheint erst
nachträglich hinzugefügt zu sein, denn die
durchgehende Fundamentschwelle beweist, dass
er mit dem benachbarten Seitenbau zugleich Dallgow,
errichtet wurde. Denkt man sich die durch Schraffur in dem Grundriss
angedeuteten späteren Anbauten fort, so ist die
alte Aidage deutlich erkennbar. Vom Flur aus
gelangt der Eintretende in die jetzt durch eine
Wand von diesem abgeschiedene überraschend
grosse Küche, in deren rechten vorderen Ecke
sich der aufgemauerte breite Herd erhebt. Zu
beiden Seiten führen Thüren in die nach der
li. Dallgow. Strasse gelegenen Stuben und, wenn man Bich
die eingebaute Kanuner fortdenkt, unmittelbar in den Stall. Verrät auch
die Eintheilung eine, vielleicht des besonderen Zweckes wegen beab-
sichtigte, Neigung zu ungewöhnlicher Wohnlichkeit, so gehört das Haus
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Das Bauernhaus in der Mark
109
doch zu den selteneren Denkmälern, welche noch durch die Wertschätzung
des Ilerdraumes an die älteste deutsche Bautradition gemahnen.
Nördlich der Spree haben die Dörfer ein wesentlich anderes Aus-
sehen als südlich derselben. Zwar herrscht auch hier der fränkische
Hof vor; aber es schiebt sich, erst bescheiden, dann immer stärker
hervortretend, das sächsische Haus dazwischen, um sich an der Elb-
Kreuze in dem reinen sächsischen Altmarkshause zu verlieren. Bekannt-
lieh vereinigt dieser Typus Menschen, Tiere und Ernte unter demselben
Dache. Die dafür bestimmten Einzelräume sind dann derartig gruppiert,
dass die ganze wirtschaftliche Thätigkeit nach demselben grossen Räume,
der Diele, zustrebt. Zu beiden Seiten der Diele befinden sich die offenen
Ställe, am Ende derselben der, in den ältesten Häusern freistehende
niedrige Herd, hinter dem mehrere Zimmer das Haus abschliessen. Durch
den Giebeleingang steht es zu dem fränkischen Hause in einem scharf
ausgesprochenen Gegensatz. Von dieser ursprünglichen Art sind Beste
nur noch in dem äussersten nordwestlichen Zipfel, der sich in den von
Elbe und Löcknitz gebildeten Winkel hineinschiebt, vorhanden, liier
tinden wir auch noch das uralte Rauchloch; hier beweisen noch die
schwarz angeblakten Balken, dass der Rauch einst das ganze Haus
durchzog, ehe er in das Freie gelangte. (Abb. 12).*)
Abwandlungen dieses alten Grundschemas lassen
sich bis in die Nähe von Berlin nachweisen. Es
giebt solche in Marzahne, 2 Meilen nördlich
von Brandenburg, Neueudorf a. Havel, Wans-
dorf und Bötzow im Osthavellande, Seege-
feld und Rohrbeek bei Spandau, Liepe bei
Oderberg und in Blankenburg bei Berlin. In
Rohrbeck stehen heut nur noch wenige, von
denen mehrere als aus dem vorigen Jahrhundert
stammend datiert sind. Eines derselben aus dem
i2. MMiich. Jahr 1744 lässt die ursprüngliche Anlage deutlich
hervortreten. Die Dreiteilung des Grundrisses in Diele und seitlich an-
geordnete Ställe ist erkennbar, nur sind letztere zu
Wohnräumen und Kammern umgewandelt, während der
Herd nach der rechten vorderen Ecke des Flures gewan-
dert ist, um die benachbarten Stuben mit zu erwärmen.
Noch lässt sich aber durch einen sonst ganz unmotivierten
Wandvorsprung und einen darauf lagernden, mächtigen
**t* Balken erkennen, dass gerade der hintere Teil der Diele
u KohrUok. einschneidenden Veränderungen unterworfen wurde.
*) Nähere Angaben in: Zeitschrift für Ethn. etc. 1886 Seite 42(5 fg.
>
3i. I./. 1 1
JUX./.
*
fffWII
F
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110
Robert Mielke,
Es ist nicht immer leicht, den sächsischen Typus ohne weiteres
festzustellen, da oft ausser dem Giebeleingang, der aus örtlichen Gründen
auch an fränkischen Hänsern bisweilen angebracht wurde (z. B. an dem
oben erwähnten Pfarrhans zu Dallgow) nichts weiter darauf hinweist
und selbst dieser, welcher bei den Stammhäusern in Westfalen, Hannover
und selbst bei den erwähnten Häusern im Nordwesten der Mark durch
ein grosses zweiflügeliges Portal angezeigt wird, schrumpft bei den
Märkern zu kleinen unbedeutenden Thülen zusammen. Die alte Diele
ist zu einem, zwischen den Wohngelassen laufenden Gang komprimiert,
der auf die Küche zu führt. Den hinteren Teil des Hauses nehmen,
wenn nicht besondere Gebäude dafür vorhanden sind, die Ställe ein,
und häutig hängt dann noch die Scheune hinten an. Nichtsdestoweniger
haben wir in dieser so veränderten Gestalt Verkümmerungen des sachlichen
Hauses zu suchen. Einmal ist das häutige Vorkommen an der nördlichen
und nordwestlichen Grenze der Mark, die an das grosse Verbreitungs-
gebiet des sächsischen Typus stösst, nicht minder beweisend als die in
den Kaumdispositionen noch immer festgehaltene ursprüngliche Einteilung;
es linden sich aber vereinzelt auch noch Exemplare, wie das Rohrbecker
Haus, bei denen die Verkümmerung noch nicht in dem skizzierten Masse
fortgeschritten ist. In dein Dorfe Herzberg im Kuppiner Kreise steht
ein solches, das wahrscheinlich mit zu den ältesten der Mark zu rechnen
ist. Auch bei ihm ist die Eingangsthür nur klein, der Flur befindet
sich in der Mitte, zu deren Seiten die Wohnzimmer liegen. Im Hinter-
grunde sehliesst sich aber die Küche
an, die einen verhältnismässig sehr
grossen Kaum einnimmt und in dieser
Gestalt an das „Flet" des sächsischen
Hauses erinnert. Da die weiteren An-
bauten nach Aussage des Besitzers 1779
errichtet sind, so können wir das Haus
selbst in den Anfang des Jahrhunderts,
wenn nicht noch früher setzen. Das-
selbe erregtauch noch dadurch Interesse,
dass ein Teil als eine Art Blockbau
mit Lehmverstopfung ausgeführt ist,
eine in der Mark ganz vereinzelt vor-
kommende Technik.
Neben diesen beiden genannten Haustypen tritt in der Provinz
Brandenburg noch eine dritte auf, die weder mit der fränkischen noch
mit der sächsischen und der noch zu erwähnenden wendischen zusammen-
gehört. Bei derselben ist die Giebelseite meistens der Strasse zugekehrt,
häutig zweigeschossig, und es wird der mächtig vorspringende obere
Teil des Giebels derartig von Säulen oder Pfosten gestützt, dass hier
L
14. Horrberg bei Nou-Rappin.
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Das Bauernhaus in der Mark.
111
eine räumlich ganz bedeutende Vorlaube entsteht, unter der sich, bald
in der Mitte, bald an der Seite, der Eingang befindet. Letzterer öffnet
einen Gang, der geradenwegs zu dem imponierenden Herdraum führt
An den Seiten liegen Stuben. Der sich an die Küche schliessende Kaum
ist ursprünglich für Stallungen bestimmt, in neuerer Zeit jedoch oft zu
Wohnräumen umgebaut, während erstere dann in Nebengebäuden unter-
gebracht sind. Am interessantesten ist der Herdraum, welcher sich in
einen mächtigen Schlot nach oben öffnet. Neuerdings ist derselbe nicht
mehr im Gebrauch, weil er zuviel Feuerung verschlingt; man hat dann
eine Kammer zur Küche umgewandelt, ihn aber meistens unverändert
gelassen. Der Stall ist für Pferde, Kinder und Schweine bestimmt. In
einem solchen Hause in Zäckerick*) am rechten Oderufer führen einige
Stufen von dem Herdraum in denselben, der früher für 16 Kühe, die
mit dem Kopf nach aussen
standen, eingerichtet war
I Abb. 15). Die Laube ist jetzt
häufig zugebaut (Zäckerick)
oder auch abgebrochen. In
dem letzteren Falle ähneln sie
dem sächsischen Typus, und
es ist fraglich, ob nicht Häuser ifc Ziickori.k «. o.
welehe demselben zugesprochen werden, hier hingehören. Zweifelhaft
ist es mir bei Häusern des Dorfes Liepe bei Oderberg. Der Grundriss
(Abb. 16) könnte sie zu sächsischen machen, die Nähe
jedoch des Gebietes der I,
mutung, dass sie verderbte
Immer sind Taubenhäuser von sehr grossen Ausdehnungen jr- j
und eignen sich vortrefflich für die häufig in ihnen betriebene \*' \
Gastwirtschaft. Der Zweck der Lauben wird von den Land-
leuten übereinstimmend dahin gedeutet, dass sie zum
Unterfahren des Erntewagens gedient haben. In den Dörfern des rechten
Oderufers, Alt-lilessin und Zäckerick sind noch verhältnismässig viel
Exemplare vorhanden, in anderen wie Alt-K üthnick (1849 durch Brand)
hat sie die Zeit verschwinden lassen.*) Wenngleich von diesem, an der
Oder Läwing- oder Löwinghäuser genannten Typus immer mehr ver-
schwindet, so kann er doch als ein solcher gelten. Denn wenn ein
Haus in räumlich so entfernten Punkten erscheint und dabei nach Grund-
riss und mehr noch nach äusserer Erscheinung übereinstimmend gebaut
ist, dann hat nicht nur der Zufall bei der Entwicklung bestimmend
•) Das Dorf, welches noch heute 7 von diesen alten Häusern besitzt, ist nach
einer Kircheninschrift 1774 abgebrannt; es müssen die Häuser also nach diesem Jahr
entstanden sein.
*♦/ Einige sind abgebildet und beschrieben in: Zeitseh. f Kthn. XXII JS'io. S. 530.
sächsischen machen, die Nähe , .
aubenhäuser gestattet die Ver- St^ite*
e Formen derselben darstellen, r~ tu )
ltl. Liepo
bei Oilertterg.
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112 Hubert Miclkc.
gewaltet. Der gedachte Aufsatz in der Zeitschrift für Ethnologie er-
wähnt Alt-Blessin und Zäckerick als Orte, wo solche Läwinge noch
vorhanden sind und Nahausen bei Königsberg i. N., Roderbeck in
Pommern und ganz allgemein den Templiner Kreis (Ukermark), wo
welche stehen .sollen. Diesen kann ich noch anreihen: Jädiekendorf
b. Königsberg i. X. (heute ohne Vorlaube), Butterfelde b. Mohrin i. N.,
_ Zichow (Abb. 17) zwischen Greifenberg und Prenzlau,
n'i^t_E3 Gr. Wubiser bei Mohrin; dann Linn in*), Sehönfliess
''"jZ / nördl. Herlin, Giesendorf bei Berlin (in jüngster Zeit
j*. t jtH^pr^j erst verschwunden), Rüthnick im Kreise Ruppin, Zinna*)
17. zichow. und Gerswalde i. U.
Wo ist nun die Urform dieses Hauses zu suchen? Sächsisch ist sie
sicher nicht, wie sehr auch der Grundriss zu einer solchen Annahme
herausfordert ; denn sonst müsste die Laube auch auf sächsischem Boden
zu linden sein. An fränkischen Ursprung ist erst recht nicht zu denken.
Wohl aber giebt es in Pommern, Posen, West- und Ostpreussen ein
Haus, das eine gewisse Übereinstimmung mit unserem märkischen Hause
aufweist, und das bis nach Russisch-Polen und Galizien hin verbreitet
ist. Auch bei ihm erhält das Äussere durch die mehr oder minder
freie Vorlaube sein charakteristisches Aussehen; auch bei ihm schliesst
sich an den Herdraum der Stall, nur dass, je mehr wir nach Osten
kommen, Herd- und Wohnraum zusammenfallen. Ist die Laube zuge-
baut, dann liegen auch noch vor dem ersteren Wohnräume. Wir können
also eine dreifache Entwicklung der Grundform verfolgen: Im Osten
Laube, Heid- und Stallraum, westlicher die erstere in Stuben verwandelt
und in der Mark offene Laube, aber der einfache Grundriss hat sich
unter den Einflüssen der überlegeneren Kultur zu einer grösseren Wohn-
lichkeit herausgestaltet. Je weiter wir nach Westen vorschreiten, um
so mehr entfaltet sich die letzte Phase und um so mehr entfernt sie sich
von der Urform. In der Neumark linden sich sicher noch mehr von
diesen Laubenhäusern, da ja der Typus bei seinem Weiterschreiten von
Osten nach dem Westen sicher häufigere Spuren seines Daseins jenseits
der Oder zurückgelassen haben wird.
Dass wir es hier mit einer alten Bautradition zu thun haben, bezeugt
Merian, der uns in seiner er. 1650 erschienenen märkischen Topographie
ein solches Haus aus Arnswalde im Abbilde (Abb. 18) er-
halten hat und ferner die in Schlesien seit Jahrhunderten
übliche Bauweise, deren Reste nicht allein in den alten
18 Nach Mormn städtischen Häusern noch erhalten sind, sondern die auch
in der Mark seit langer Zeit Eingang gefunden hat. Ein klassisches
Beispiel dieser Laubenhäuser bilden die am Ringe zu Schwiebus
'*) Abbildung in Bergan. Inventarisation »1. Hau- u. Kunstdunkm. d.M. Brandenburg
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Das Bauernhaus in der Mark
113
stehenden, welche Berg au in seiner Inventarisation erwähnt*), Suto-
rius**), der im Anfange des vorigen Jahrhunderts in Löwenberg lebende
Geschichtsschreiber dieser Stadt schildert uns Häuser in dieser ehemals
slavischen Gegend, die mit unseren Laubenhäusern viel Ähnlichkeit be-
sitzen. Auch wissen wir von ihm, dass schon 1519 die Lauben offiziell
abgeschafft wurden, dass sie also entbehrlich waren, wie sie ja auch
heute in den Dörfern des Oderbruches nicht mehr ihrem ursprünglichen
Zwecke, sondern dem Trocknen der Tabackblätter, dienen. Es ist dies inso-
fern von Bedeutung, als diese Entbehrlichkeit erklärt, warum von dem sicher
einst viel verbreiteren Typus heut nur noch Spärliches vorhanden ist.
An einer anderen Stelle, im Spreewald, ist, worauf noch zurückzukommen
sein wird, die Laube zu einer rein ornamentalen Bedeutung zusammen-
geschrumpft.
Vorerst sei jedoch des Spreewaldhauses gedacht, das zwar keinen
selbständigen Typus darstellt, das aber zu einer bestimmten künstle-
rischen Ausprägung gelangt ist, welche wie keine andere auf die Ge-
staltung einer volkstümlichen Bauweise in der Mark eingewirkt hat.
Wie bei den anderen Häusern liegen auch bei ihm die unterscheidenden
Merkmale in der Grundrissdispositiou des Wohnhauses. In der Anlage
des Wirtschaftshofes hat sich der wendische Bauer hauptsächlich an das
fränkische Vorbild angeschlossen, indem er Thor-, Wohn-, Stallhaus und
Scheune in gleicher Anordnung erbaut. Das Wohnhaus ist ein lang-
gestreckter, einstockiger Bau, der auf grösseren Bauern wirtschaften nur
Wohnräume, in kleineren Betrieben aber Ställe, Scheune und Wohngelasse
unter demselben Dache vereint. Der Eingang befindet sich wie bei dem
fränkischen Hanse, aus dem das wendische ohne Zweifel hervorgegangen
ist, immer an der Langseite; er führt auf den durchgehenden Flur, der
in älteren Häusern noch den Kochherd hat, bisweilen durch eine tren-
^ 1. nende Mauer zur eigentlichen Küche umgewandelt.
I Auf der einen Seite des Flures liegt die Stube,
■^a I auf der anderen Stall und Scheune, wenn nicht
I auch hier Wohn-
19. spreewaidhani. gelasse angeord-
net sind. (Abb. 19 aus der Zeitsch. f. Ethn.
etc. 1836 S. 123.) Auch
beschränkt sich der Flur,
namentlich bei ärmliche-
rer Anlage, auf einen
kleinen Vorraum, hinter
dessen Rückwand die
£5
e3
b L
<.--| tu,l. |
2J. Bargor-Kfttipen.
beiderseitigen Stuben direkt aufeinanderstossen (Abb. 20).
* ) Abbildung in: Burgau. Inventarisation S. 702.
Vergl. Latsch. Die Kunstdenkmttler Schlesiens III. S. 33:1 ff.
Die ganze
8
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1U
Robert Mielke.
Anordnung ist der Verbreitung sein* günstig, weil sie dem Bedürfnisse
des Kleinbauern, der nicht die Mittel für abgesonderte Wirtschaftsgebäude
besitzt, sehr entgegenkommen. Wir finden es darum auch in manchen
Abschwächungen über einen grossen Teil der Mark verbreitet, und wenn
die innere Einteilung längst in die rein fränkische wieder aufgegangen
ist, zeugt noch das Äussere von diesem Ursprung.
Das Interessanteste und von dem fränkischen Vorbild abweichend
ist, dass die Stuben einen besonderen Vorflur haben, den man häufig zur
Küche umgewandelt hat, nachdem sich diese von dem grossen Hausflur
zurückgezogen. Danach scheint es fast, als ob die Wenden, bevor
sie allgemein das fränkische Haus aceciitierten, eine I rausform benutzten,
welche ihnen die Anlage eines solchen Vorraumes nahelegte. Dieses
ältere Haus kann nur das oben erwähnte Laubenhaus gewesen sein, das
sich nun in dieser Vereinfachung mit dem fränkischen verband. Es
lässt sich dies um so mehr annehmen, als sich selbst im Spreewahl
diese Giebellaube, wenn auch in verderbter Gestalt, erhalten hat.
Bevor ich jedoch diesen Gedanken weiter verfolge, seien vorerst
einige Worte dem Baumaterial im Allgemeinen gewidmet. Das deutsche
Bauernhaus ist ein Fachwerkbau, soweit nicht die Holzbestände des
Gebirgslandes zu dem Block- und Ständerbau geführt haben. Bei dem
fränkischen und sächsischen Hause ist an dem Fachwerk festgehalten,
das meistens unverhüllt bleibt. So schildert sie uns auch unser märkische
Chronist Leutinger in seiner Topographia*), in dem er sagt: „Die
Häuser der Reichen baut man aus Ziegel- oder Bruchstein, Mörtel und
Holz; die der Ärmeren aus Lehm und Holz; letztere auch niedriger.
In der Mittelmark deckt man sie mit Ziegeln oder Schiefer, sowohl des
besseren Ansehens, als der geringeren Feuersgefahr halber; in der Lausitz
und im Krossenschen mit Schindeln, was in letzterer Hinsicht weniger
sicher ist. In der Ukermark, sowie in der alten und neuen Mark sind
Strohdächer die Regel." **) — Haben die Einflüsse der Backsteintechnik
*) Ich folge hier der vortrefflichen Übersetzung, die Herr Dr. Bolle in dein
„Bar" 1893 gegeben hat.
**) Der Krieg, der im übrigen Deutschland bereits seit Anfang des 15. Jahr-
hunderts behördlicherseits gegen die Strohdächer geführt wird, entbrennt in der Mark
erst mit dem Jahre 1540, in welchem der Markgraf Johannes durch Polizeiverordnung
befiehlt, dass die Hlluser in den Städten anstatt mit Stroh mit Ziegelsteinen zu decken
seien. Ferner erliessen Polizeiverordnungen in diesem Sinne : Friedrich Wilhelm 1660,
1601, 108«. Friedrich I 1601, 1701 und Friedrich Wilhelm I. 1718, 1720, 1731, 1732,
„welcher letztere auch einem jeden, der binnen 4 Jahren sein Stroh-, Rohr- oder
Schindeldach und Haus niederreissen und ein neues Haus mit Ziegeln wieder auf-
bauen würde J3 Thlr. Procent reichen zu lassen versprochen." Nithere Angaben in
Beckmann I Tb. S 287. Sp. 1.
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Das Bauernhaus in der Mark.
115
keinen Eingang gefunden, und das ist im Allgemeinen überall der Fall,
wo nicht eine besondere Behäbigkeit vorherrschend ist, da sind die
Räume zwischen den Pfosten und Riegeln des Fachwerks mit Lehm aus-
gefüllt. Um demselben Halt zu geben, werden roh bearbeitete Holz-
scheite zwischen den Riegeln senkrecht eingeklemmt, die den mit Stroh
gemischten Lehm aufnehmen und in seiner Lage erhalten. Die Aus-
füllung mit roten Backsteinen zeigt einen Kulturfortschritt an, der, wenn
er auch nicht immer eine zeitliche Folge andeutet, doch stets Einfluss
eines überlegneren technischen Könnens ist. In ihrer höchsten Ent-
wicklung tritt uns diese Bauweise in den unteren Elbmarschen entgegen,
wo die Backsteinziegel zu mosaikartigen Gebilden höchst malerisch zu-
sammengestellt sind. Bescheidener ist sie in der Mark, die reine unver-
putzte Ziegelbauten nur vereinzelt aufzuweisen hat. Nach meinen Er-
mittelungen giebt es nur auf dem westlichen Fläming solche Dörfer
(Grubo, Buchholz), in denen die Häuser dieser Art übereinstimmend
aufgeführt sind. Vielleicht steht diese örtliche Backsteintechnik nicht
ohne Zusammenhang mit der niederdeutschen Kolonisation, denn die
Häuser, obwohl sie erst diesem Jahrhundert entstammen, deuten doch
mit der nahen Kirche von Pechfile darauf hin, dass eine solche Technik
eine lange Tradition voraussetzt, die nicht nur von dem lehmhaltigen
Boden verursacht sein kann. Doch dies hier nur in Parenthese. Die
Backsteinhäuser, welche Mörtelbewurf tragen, sind, wenn nicht der
letztere nachträglich auf das alte Mauerwerk kam, neueren Datunis.
Der Mörtel als Bekleidung ist erst aus den Städten und zwar vorwiegend
seit der Mitte unseres Jahrhunderts, wie aus den klassizierendeu Orna-
mentformen hervorgeht, auf das Land gedrungen, wo er die Periode der
Geschmacklosigkeit und des Verfalls anzeigt.
Dieser deutschen Art des Bauens steht die slavisch-wendische gegen-
über, welche auf dem reinen Holzbau begründet ist. Das Spree wald-
haus ist noch echter Blockbau (Abb. 21)
der, je weiter er nach Westen gelangt,
diesen Charakter mehr und mehr verliert
und sich mit Bretterverschalung begnügt.
Diese ist also als Rudiment des ehemals
ganz aus Holz erbauten Hauses aus der
Konstruktion hervorgegangen, während *i Burgor-Kaupon.
die Bretterverkleidung, welche sich in reindeutsehen Gebieten findet,
sich umgekehrt aus ornamentalen Beweggründen entwickelt hat, falls
nicht von vorn herein wendischer Einfluss angenommen werden muss.
Es geht das daraus hervor, dass bei dem deutschen Hause die Bretter
nicht schlechtweg ganze Mauerwände sondern nur Teile derselben be-
decken, nachdem sie zu runden oder eckigen Profilen zurechtgeschnitten
oder gar wie in Norwegen und an sagenhaften Bauten der deutschen
8*
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116
Robert Mielke
Vergangenheit skulptiert sind.*) Auch die wagerechte Lage der Bretter
spricht für diesen Ursprung der deutschen Bretterverkleidung, während
sie, wenn sie am wendischen Hause den Blockbau verhüllen mit einer
noch zu erwähnenden Ausnahme senkrecht angeordnet sind, um den
Regen ablaufen zu lassen und durch ihre Struktur die Festigkeit der
horizontal geschichteten Balken zu erhöhen. Je mehr man aber nach
Westen in ehemals von Slaven bewohnte Gebiete kommt, um so mehr
nimmt die Bretterverschalung zu, die dann Fach- und Lehmwerk bedeckt.
Zuerst wird noch die ganze Langfront oder der Giebel damit verkleidet,
wie ein Haus aus Hennigsdorf a. Havel
(Abb. 22) belegt ; dann aber ist es nur der
obere Teil des letzteren, der ohne Balken-
unterbrechung mit langen Brettern bedeckt
wird und, da der Bodenraum hauptsäch-
lich für Lagerung der Stroh- und Heu-
vorräte dient, also auch keinen Wärme-
schutz verlangt, ohne Lehmunterlage. Hennigsdorf * Havel.
Im Spree wald, wo der Dachraum demselben Zwecke dient, sind die
Giebeldreicke bei sonst streng durchgeführtem Blockbau ebenfalls nur
mit Brettern in einer ganz charakteristischen Weise bekleidet. Bis zur
Mitte desselben stehen nämlich die Bretter senkrecht, die obere Abschluss-
linie wird dann durch ein wagerechtes, nach vorn etwas herabgeneigtes
Brett markiert, worauf die übrigen Bretter parallel den Windlatteu ein-
ander zugekehrt sind und in einer senkrechten Linie aufeinanderstossen
(Abb. 20, 21, 23). Es entstellt dadurch ein sehr geschmackvolles Muster,
das durch die, über den Fugen aufgenagelten, Leisten noch lebendiger
wird. Dieses so eigenartig ausgestaltete Giebeldreieck kehrt fast überall
da wieder, wo einst Wenden gewohnt haben und zeugt dann, nachdem
Sprache, Sitte und Tracht längst verschwunden sind, noch immer von
ihrer einstigen Herrschaft.*)
Die slavische Vorliebe für ornamentalen Holzschmuck kommt aber
auch an anderen Stellen zum Vorschein. Das wagerechte Abschlussbrett,
zu dem sich oft noch ein zweites oberes gesellt, wird an den Enden
und in der Mitte profiliert und von schönlinigen Konsolen unterstützt.
*) Priscus, der 44S im Gefolge einer byzantinischen Gesandschaft zu Attila
kam und dessen Äusserungen wir wohl auf deutsche Stamme beziehen kennen, rflhnit
in seinem Bericht die mit Schnitzwerk verzierten Bretter, welche die Gebäude be-
kleideten (Schnaase Gesch. d. Bild. Kttnst. III. 1. S. 509.
**) Üie Bretterbekleidung wendischer Häuser fiel schon dem preussischen Mus-
ketier Dominikus auf, der in seinem Tagebuch, welches den siebenjährigen Krieg
urnfasst, bemerkt, dass die Wenden „haben kleine Ililuser, aber grosse Stuben, sind
allerorten mit Bretter bekleidet." (Siehe: Aus dem siebenjährigen Kriege. Tagebuch
des preussischen Musketiers Dominikus. Nebst ungedruckten Kriegs- und Soldaten-
Uedem. München 1801.
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Das Bauernhaus in der Mark.
117
Seinen eigenartigsten Schmuck besitzt aber das echte Spree waldhaus in
der Behandlung der vorderen Giebelseite, die zugleich auf den ursprüng-
lichen Zusammenhang mit dem sogenannten nordisch-ostdeutschen Hause
hinweist, dessen eine Abwandlung wir schon in den Laubenhäusern
kennen gelernt haben. Wer den Spreewald besucht hat, wird sich jener
alten Häuser erinnern, deren Giebelseiten
durch ihre fremdartige Behandlung auf-
fallen. Es stehen bei diesem unmittelbar
vor der Blockwand 4 aufrechte Pfosten,
je einer an den beiden äusseren Ecken
und zwei in der Mitte, die einen wage-
rechten Querbalken tragen, mit dem sie
durch schräge Kopf bänder verbunden sind
(Abb. 23). Diese einst konstruktive Bil-
dung ist nichts weiter als die in der
Form festgehaltene Vorhalle, welche hier
nur noch eine ornamentale Bedeutung
besitzt. Dieselbe ist aber nicht bloss auf
das Gebiet der Spreewaldwenden beschränkt. Noch heute ist sie in Masuren
zu finden, wie aus einem in der Gartenlaube*) unlängst abgebildeten
Hause (Abb. 24) hervorgeht, obgleich der Abstand
der Pfosten von der Wand hier etwas weiter zu
sein scheint. Auch Meitzen bringt in seiner Schrift
über das deutsche Bauernhaus (Siehe dort Tafel I.
Fig. 1) ein solches, das von ihm als ein fränkisches
bezeichnet wird, das aher wohl umsomehr ein sla- 24. Masnren.
visches ist, als auch das masurische wie jenes den Eingang an der
Langseite hat, und die Grundrissanlage des wendischen Hauses über-
haupt viel Ähnlichkeit mit dem fränkischen hat. Am auffallendsten ist
aber das Vorkommen dieses Giebels im nördlichsten Zipfel Deutschlands
in Caspergaard bei Wonsbeck im Kreise Hadersleben, wo er an dem
Blockbau des Pfarrhauses erscheint.**) Hat dieses die Wanderung vom
slavischen Osten oder vom skandinavischen Norden dahin gemacht? —
Jedenfalls haben wir es in diesen Fällen (den letzten vielleicht ausge-
nommen!) mit einer Venpüekung zweier Typen zu thun, bei der das
Innere nach dem wohnlicheren fränkischen Vorbilde umgebildet ist, das
Äussere jedoch noch immer den ererbten Habitus beibehalten hat.
Von besonderem Reiz ist an all diesen Bauwerken die vortreffliche
*) Gartenlaube 1892 S. 512
•*) Abbildung in Haupt. Die Bau- und Kunstdenkmale der Provinz Schleswig-
Holstein. Kiel 1889. — Nach Bericht eines Landmannes au» der Ukermark, der in
»einen jungen Jahren in Schleswig war, kommen auch Laubenhäuser ähnlich den
markischen in jener Provinz vor.
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118
Robert Mielko
künstlerische Holzbearbeitung. Die Pfosten und Stützen sind mit einer
technischen Sorgfalt und mit einer KenntuLss der stilistischen Eigen-
schaften des Materials bearbeitet, die eine hohe
Achtung vor der Zimmerkunst der Verfertiger
! erweckt. (Abb. 23, 25.)
Wie nachhaltig sich auch an der deutsch-
slavischen Grenze die Bauarten mischten, so
wurde doch dabei, wie sich aus der reichen 2'» Detail an» zarkerick.
Verwendung des Materials ergiebt, fest an dem slavischen Holzbau ge-
halten. Ein glänzendes Beispiel dafür sind die Laubenhäuser am Ringe
zu Schwiebus. In den Distrikten mit ehemals slavischer Bevölkerung
grenzt die Verwendung des Holzes zu Fachwerken fast an Verschwendung.
Je mehr man nach dem Osten kommt, um so auffallender ist diese; in
Dahme und den Dörfern der Umgebung giebt es Häuser, deren Fach-
werke bis zur Hälfte des Materials aus grossen dicken Balken bestehen,
deren Backsteinfüllungen oft nur einen Fuss im Geviert gross sind.
Wenn wir sehen, wie auch an anderen Orten, in Oberbayern, sich die
Fachwerkhäuser durch einen überraschenden Holzreichtum auszeichnen,
der hier von dem Blockbau der Alpen beeinflusst ist, dann wird dieses
Festhalten an dem alten Material erklärlich. Die Vorliebe der Slaven
für eine gestaltungsreiche Holzornamentik kommt auch an Thüren, Zäunen
und am Mobiliar zum Ausdruck, was auf einen jahrhundertelangen
volkstümlichen Gebrauch schliessen lässt. Nur unschwer trennt sich der
Bauer von der altgewohnten Bretterverkleidung und versucht noch lange,
sie in ihren verblassten Zügen festzuhalten. So giebt es beispielsweise
in der Lieberoser Gegend Häuser, die vollständig aus Backsteinen erbaut
sind, bei denen aber noch immer die oberste Spitze des Giebeldreiecks
mit Brettern bekleidet ist. Auch bei dem sächsischen Hause ist zu be-
obachten, wie mit äusserster Zähigkeit die ehemals gewalmte Dachkappe
festgehalten ist, welche die Ornamentik des Giebelfeldes beherrscht.*)
Bis in die Nähe Brüssels kann man verfolgen, wie der Giebel mit
besonderer Sorgfalt künstlerisch ausgeschmückt wird. Erinnert man
sich dabei, dass bei den klassischen Völkern das Giebeldreieck für ge-
heiligt galt und nur an Tempeln angebracht werden durfte, dass anderer-
seits der kleine walmartige Vorbau an der Spitze englischer Häuser, das
Thanszeichen, als Symbol eines grösseren Bodenbesitzes galt, so scheint
es fast, als ob das Giebeldreieck bei einzelnen Gliedern der indogerma-
nischen Völkerfamilie eine gewisse sakrale Bedeutung besessen hätte,
die im Volksbewusstsein noch immer nachwirkt. — — —
Eine offene Frage bleibt es noch, wieweit sich der Einfluss wendischer
*) Vergl. meinen Aufsatz: Zur Giebelentwickelung des sächsischen Bauernhauses
in der Zeitsch. d, Ver. f. Volkskunde 189"J S. 134 ff.
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Das Bauernbaus in der Mark.
119
28 Döbciitz
Bauart auf die Ausschmückung der Häuser mit Lauben erstreckt. Bei
den bisher erwähnten Laubenhäusern befanden sich dieselben stets an
der Giebelseite; doch kommen auch solche in verschiedener Ausführung
au Häusern von zweifellos fränkischer Art vor. Döberitz bei Spandau
(Abb. 26). Beuten, Groeben
im Nuthethal, Schünow bei
Trebbin (Abb. 27), B o r n s t ä d t
bei Potsdam (Abb. 28), Rangs-
dorf bei Zossen (Abb. 29). In
Rangsdorf besteht sie aus
kolossalen dicken Mauernfei-
len], die noch ein oberes Ge- «• Bönstadt,
schoss tragen. Da auch fränkische Häuser in
anderen Provinzen
mit solchen Lauben
versehen sind, so ist
es immerhin möglich,
dass dieselben auf
deutsche Vorbilder 29 Ringsdorf,
zurückgehen;*; doch möchte ich auch hier auf
slavischen Eintluss schliessen, weil in den ge-
nannten Dörfern andere Häuser deutliche wen-
dische Züge bewahrt haben, und weil das
russische Bauernhaus ganz allgemein diese Vorlaube besitzt.**) Vielleicht
spricht aber noch etwas anderes mit, das die Verbreitung derselben
förderte. In vielen unserer märkischen Laubenhäuser wird oder wurde
eine Krugwirtschaft betrieben. Ebenso ist es mir von mehreren andern
bekannt, dass teils heute, teils früher der Inhaber zugleich das Lehn-
schulzenamt besass. Der Zusammenhang zwischen diesen Häusern und
solchen in Dörfern repräsentierenden Persönlichkeiten, wie es Schulz
und Gastwirt sind, scheint demnach kein zufälliger zu sein, sondern
es liegt nahe, dass sich ein gewisses Standes- oder Berufsinteresse bei
der Verbreitung geltend gemacht hat.
Mit dem wendischen Haus ist die Reihe der in der Mark vor-
kommenden Typen erschöpft: es dürfen jedoch bei einer Umschau einige
Varianten nicht unerwähnt bleiben. Da ist zunächst das Haus des
Käthners, welches als Wohnung des ärmeren Teils der Bevölkerung eine
grössere Verbreitung hat. Es findet sich häufig in ehemaligen Fischer-
dörfern, in den Kietzen und in von den grossen Verkehrsadern abge-
~7{ Bögen o<ler Lauben dobia) lassen sieh schon 1184 in Münster und zwar in
der Gegend der Lambertikirche, also am Markte nachweisen. (Nordhoff. Der Holz
und Steinbau Westfalens S. 42ü.)
Nach mündlichen Berichten und Haxthausen, Etudes. 1847.
27. Schünow.
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Robert Mielke.
schnittenen Ortschaften und ist in den ineisten Fällen eine Vereinfachung
des fränkischen Hauses. So beschränkt es sich auf die notwendigsten
Wohngelasse; Ställe befinden sich in kleinen, ohne Regel angebauten
Annexen. Der Eingang ist an der Langseite; ein Gang führt auf die
Küche, wenn nicht beide vereint sind, während rechts und links je eine
oder zwei Stuben sind. Mit dem freundlichen Fachwerk, dem bretter-
bekleideten Giebel, dem moosbewachsenen Rohrdache und der Giebel-
verzierung machen sie in der Regel einen freundlichen Eindruck, der
durch den üppigen, am Spalier sich emporrankenden wilden Wein noch
sehr gehoben wird.
Den Landbaumeistern Friedrichs d. Gr. haben ohne Zweifel diese
Häuser vorgeschwebt, als sie die trockengelegten Niederungen des Oder-
bruches und anderer Flüsse mit Kolonistenhäusern besetzten. Dieselben
sind übereinstimmend paarig gebaut, so dass dasselbe Dach immer zwei
Häuser vereinigt. Die Fluren sind in der Mitte gelegen und durch eine
massive Brandmauer getrennt; hinter ihnen sind die rzmIZT'~T''~rZZJZl
Küchen, eine Stube nach der Strassenseite und da- h— ^
hinter eine Kammer vervollständigen den Grundriss. jj*"'* ( 7t^ j
Wirtschaftsgebäude sind auf dem Hof errichtet ( Abb. 30). 1o. DiedendorT*
Die Ziegeldächer märkischer Häuser werden seit der Mitte dieses
Jahrhunderts mit Vorliebe abgewalmt, ein Verfahren, das fast gleich-
massig in dem nördlichen Deutschland verbreitet ist. Zweifelhaft mag
es sein, ob dieser Walm eine Erinnerung an den ältesten Hausbau oder
eine fremde, vielleicht orientalische Einwirkung ist, die durch die unga-
rische Tiefebene und Böhmen zu uns gelangte. Sicher lässt sich dieses
Walmdach schon früh nachweisen. 1649 erscheint es auf einer Miniatur
in der Handschrift des Froissard*) und dann 1493 auf einer Abbildung
in Hartmann S che d eis Chronik, in der fast alle Häuser ein solches
tragen. Auch Merian zeichnet in den Prospekten von Boytzenburg,
Fürsten walde, Wulfshagen u. a. vereinzelte Wahne. Für städtische
Häuser scheinen dieselben also schon sehr lange in Gebrauch zu sein,
von denen sie in diesem Jahrhundert mit der Verbreitung derselben auf
dem Lande dahin gelangt sein werden.
Zu Schluss seien auch der Giebelverzierungen gedacht, (S. Tafel 1),
die in der Mark ebensowenig fehlen wie in anderen Gegenden Deutsch-
lands. Während aber in anderen Distrikten bestimmte Formen lokalisiert
sind, haben wir bei uns eine ganze Reihe von Bildzeichen, die vielleicht
auf wenige Urformen zurückgehen, aber im Laufe der Zeiten zu unbe-
stimmten ornamentalen Gebilden verflüchtigt sind. Der Pferdekopf im
westlichen und nördlichen Deutschland häufig vorkommend, ist bei uns
*) Stadtbibliothek Breslau. .Siehe auch A. Schultz. Deutsches Leben im 15. und
16. Jahrg. Fig. 10.
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Das Bauernhaus in der Mark.
121
GrM*chnow. Gr G Um che. Jütrylotz aJ,*,*« ßtryfeldt. fihönflitfs.
Muenclorj,.H. Xuftei/Uuen, liebelet Aaaen. Byhlcguhrc ß«^oT\M*<AU.
£um*nt. Lähars. fVfflttndorf. Wolteridorf B uytr XaiyxJt.
J*d<cktn<io>j. JadicAenderf JZdtcktndorf Mfert&gMW** Wolterrdorf
Liepe. ytueHk<nyt*t.AltCus(rtncht*.ALCustnr*chtn. ÄärtericA.
Xxttrick. Xarkenck. X*ckerük. %itfrric*. Au-MtitfW,
Tafel L
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122
Robert Mielke.
eine Seltenheit. Desto zahlreicher treten zwei Typen hervor: Der Hahnen-
kopf vorwiegend bei wendischen Häusern und ein sehr stilisierter, den
man vielleicht als Hasen- oder Hundskopf deuten kann; wenigstens
lassen die bisweilen herausgearbeiteten Extremitäten auf einen Vierfüsser
schliessen. Daneben kommen dann rein ornamentale Giebelzeichen vor,
die aber nichtsdestoweniger nur Abbreviaturen des einstigen animalischen
Vorbildes sind, was sich aus einer Reihe von Übergängen erkennen lässt.
Die Deutung der manchmal sehr abenteuerlichen Figuren ist oft schwierig,
denn mehr als in anderen Provinzen Ist bei uns die Erinnerung an die
einstige Bedeutuug erloschen. Häufig findet man sogar zwei verschiedene
Sinnbilder, von denen das zweite nachlässiger gearbeitet, also wohl eine
spätere Ergänzung ist. Es giebt übrigens neben diesen Giebelfiguren
noch geometrische, die als senkrecht stehende Bretter an die Stelle der
eigentlichen Windlatten getreten sind; namentlich ist die Neumark reich
an ihnen (Tafel 1).
Die unbeabsichtigte Wandlungsfähigkeit der Giebeltiere lässt sich
bisweilen gut verfolgen. Bekanntlich entstehen dieselben dadurch, dass
in die über den First hinaus verlängerten Windlatteu Tierprofile geschnitten
Ä werden. Eine Verzierung aus Rangsdorf
& (Abb. 31) zeigt noch die ausgesprochene Nacken-
buchtung, während der Kopf des zweifelhaften
j-^/iz»- jMVuj lüi,r*»+ Tieres nur ungeschickt angedeutet ist. Bei
si. Giebelfiguren. anderen Beispielen aus Schönwalde bei
Bernau und Schiepzig bei Lübbenau ist dieser Kopf in eine Spitze
ausgezogen und schliesslich erscheint eine Form, welche, wie eine Ver-
zierung aus der Gegend von Lieberose erkennen lässt, beinahe wie
zwei sich ansehende Tiere aussieht. So ist also aus den sich abkehren-
den Tieren die Umkehrung geworden; eine Mahnung zur Vorsicht bei
der Deutung solcher» Gebilde. Wer das Beispiel ohne die vorherigen
Übergänge sieht, würde es vielleicht für zwei gegeneinander gerichtete
Pferde halten.
Fragen wir nun, wie der geschichtliche Verlauf in der Entwicke-
lung des märkischen Hausbaues war, so wird die Antwort nur im
Zusammenhange mit den Völkerwellen, welche über das Land gingen,
erfolgen können. Aber wenn wir auch die politischen Veränderungen
in der Mark einigermassen kennen, so sind wir um so mehr im Dunkeln,
je weiter wir den Anfangen der Kultur daselbst nachgehen. Die äusserst
spärlichen Nachrichten, welche römische Autoren gelegentlich über den
germanischen Hausbau bringen, sind einesteils zu widersprechend, als
dass wir ihnen eine besondere Autorität zusprechen dürfen, andererseits
werden wir aber auch das wenige, welches unbestritten bleibt, nur mit
Vorsicht für unsere Gegenden gebrauchen können. Plinius, der die
an der unteren Elbe sitzenden Stämme aus eigener Anschauung kannte,
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Das Bauernhaus in der Mnrk.
323
berichtet, dass die nördlichen Völker, zu denen wir die in der Mark
sitzenden Seinnonen rechnen dürfen, sich des Rohres bedienen, um ihre
Häuser zu bedecken, und dann rühmt er, dass die hohen Dächer Jahr-
hunderte dauern. Erkennen wir in dieser Beschreibung unschwer die
hohen, in Nord Westdeutschland fast bis zur Erde herabreichenden Dächer
des sächsischen Hauses wieder, so wissen wir aus Funden prähistorischer
Wohnstätten, wie sie unter anderen nördlich vom Harz*) und bei Guben**)
gemacht sind, dass die Wände aus Lehm mit unterstützendem Holzgeflecht
bestanden haben müssen. Wir dürfen ferner annehmen, dass die Haus-
urnen***), welche teilweise auf märkischem Boden, in dem Stromgebiet
der mittleren Elbe, der Havel und der Saale, gefunden wordeu sind, ein
schwaches Bild des alten Semnonenhauses geben, das danach ans einem
rechteckigen Schiff mit hohem Walmdach bestand; auch sie weisen also
auf ein, dem sächsischen Typus nahestehendes, Hans hin. Es würde
dem auch eine Nachricht bei Strabof), nach der die sue vischen Völker
ihre Hütten mit Leichtigkeit in andere Gegenden hin verpflanzten, durch-
aus nicht widersprechen, wie man wohl angenommen hat, denn der ein-
fache Konstruktionsgedanke des sächsischen Hauses, der bei den bedürf-
nislosen Germanen der Vorzeit wahrscheinlich noch weniger Umstände
als heute verursachte, gestattet eine solche Wandelbarkeit des Hauses
leicht.
Mit der hereinbrechenden Slavenflut sind dann jedenfalls andere
Formen ins Land gedrungen, die, wenn sie auch weit unter der von den
Deutschen erreichten Höhe standen, doch eine abweichende Fortentwicke-
lung nahmen und sich neben den deutschen Formen behaupteten. Ver-
mutlich waren sie mit den primitiven Hütten zufrieden, von deren
Bedürfnislosigkeit uns die spärlichen Pfahlbaureste eine schwache Kunde
geben. Noch aus dem 12. Jahrhundert erzählt unser alter Gewährsmann,
der Pfarrer Helmold von Bosau bei Plön von ihnen „dass sie sich nicht
einmal beim Häuserban viele Mühe geben, dass sie vielmehr Hütten aus
Flechtwerk verfertigten, wo sie nur zur Not Schutz gegen Sturm und
Regen suchen." Ein Anfang zu höherer Kultur kann erst sehr spät
versucht worden sein; er setzte vor allen Dingen Ersatz des Flecht-
werkes durch eüi dauerhafteres Material voraus und ein solches erhielten
sie mit der Annahme des Blockbaues, der ihnen wahrscheinlich durch
durch eine Verkettung von Umständen von den Germanen mitgeteilt wurde.
Während nämlich die Slaven mit der Front nach Westen standen,
*) Vergl. M. Much. Über prähistorische Bauart und Ornaraentierung der mensch-
lichen Wohnungen in „Mitt. d. anthropol. Gcsellsch. in Wien. Bd. 7.
**) Vergl. Mitt d. Verf f. d. Gesch. Berlins 1890. S. 152 flg. „Ein Kulturbild
aus unserer Vorzeit.
***) 3 Abb. in Meitzen. Das deutsche Haus. Tafel IV.
f) Strabo B 7 c. 1.
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124
Robert Mielke.
um die zurückflutende deutsche Völkerwelle zurückzustauen, hatte sich
hinter ihrem Kücken eine tiefgehende Änderung vollzogen. Die Waräger
überfluteten von dem südlichen Schweden aus den westlichen Teil des
heutigen Russland und machten dort den in ihrer Heimat hochentwickelten
Blockbau heimisch, der nun westwärts vordringend, dem sla vischen
Hause eine bestimmte Form gab.*) Diese ist das langgestreckte, an der
Giebelseite mit einer Vorlaube versehene, Haus, das, wie oben erwähnt,
in Russisch-Polen, Galizien, Ost- und Westpreussen, Posen und Pommern
heimisch ist und in seinen Ausstrahlungen bis in die Mark Brandenburg,
ja vielleicht selbst bis Schleswig-Holstein noch heute zu verfolgen ist,
und dessen Vorbilder man in Skandinavien zu suchen hat. In Schlesien
hat dann dieser Typus seine weiteste, in Böhmen aber seine künst-
lerischeste Ausbildung erfahren, während das Gros der Slaven bei dem
unausgebildeten , rohen Schema stehen blieb oder dasselbe zu Gunsten
des fränkischen Hauses aufgab. Der Blockbau kann allerdings auch
direkt von Deutschland aus zu den Slaven gelangt sein, denn auch hier
war derselbe nicht ganz unbekannt. An einer Stelle des römischen
Schriftstellers Herodianus**) haben wir einen Beleg dafür, dass der-
selbe um 236* in Deutschland in Gebrauch war; es ist diese Bemerkung
aber wohl auf die nadelholzreichen südlichen Gebirgsländer zu beschränken.
Wir haben also wenig Grund den durch die heute noch stehenden Häuser
gekennzeichneten Weg aufzugeben zu Gunsten einer so unbestimmten
Äusserung. Mit der Neubesiedelung der Mark durch die deutschen Stämme
mögen dann Kulturströmungen in das Land gekommen sein, die das
fränkische Haus hier dauernd heimisch machten.
Merkwürdigerweise haben dio Spreewaldwenden schon früh den
ihnen vom Osten überbrachten nordischen Typus verlassen, um sich dem
fränkischen zuzuweuden. Dass sie ihn vorher besessen, beweist nicht
allein das Lehdesche Haus mit der rudimentären Laube sondern auch
der Gebrauch des Blockbaues selbst. Das fränkische Haus ist ein Fach-
werkhaus; nur das Schwarz wälder und Schweizer Haus kennt den
Blockbau, und keine Spur leitet darauf hin, dass von ihm aus diese
Technik zu den Wenden gelangt sei. Der Grnndriss des Spreewald-
hauses ist aber, wie die oben besprochenen Häuser klar erkennen lassen,
aus dem fränkischen entwickelt. Durch das Hineinziehen der Laube
als Vorhalle und am Äusseren kommt allein der nationale Sinn zum
Vorschein.
*) Diese Beeinflussung ist um so wahrscheinlicher, als die übersiedelten Skandi-
navier noch bis etwa 1100 mit ihrer Heimat in lebhafter Verbindung blieben und die
nordische Hausform, soweit bis jetzt Beobachtungen vorliegen, nur in den westlichen
Gouvernements, der alten transbaltischen Völkerbrticke zwischen Skandinavien und
Deutschland, vorkommen.
**) Herodianus. VII. c. 2.
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Das Bauernhaus in der Mark.
125
Können wir annehmen, dass das fränkische Haus mit den deutschen
Einwanderern in die Mark gelangt sei, so dürfte das sächsische noch
eine ältere Geschichte besitzen : denn es sind sieher viele von den alten
Semnonenhäusern mit den zurückgebliebenen Germanen im Lande ge-
lassen worden, die auch von den neuen Herren übernommen wurden.
Von der Altmark, dem hannoverschen Wendlande und Holstein wissen
wir, dass die dort sesshaften Slaven ihre ursprüngliche Hütte mit den-
selben vertauschten. Jedenfalls hatte in der ersten Zeit der christlichen
Besiedelung das sächsische Haus eine ungleich grössere Verbreitung als
heute, wo es nur im äussersten Nordwesten und in einzelnen Linien
bis zur Spree vorkommt. Noch im vorigen Jahrhundert mnss es weit
mehr verbreitet gewesen sein, denn der Zeichner zu dem 1751 erschienenen
Buche des Christian Ludwig Beckmann giebt auf einer sehr ausführ-
lichen Karte des oberen Rhin nur sächsische Häuser an, was doch ein,
wenn auch ungewisser, Beleg für die allgemeine Ausbreitung ist. Aber
auch abgesehen von dem heutigen Vorkommen auf dem ebenen Lande
deutet das Stadthaus noch auf seine Gleichberechtigung mit dem frän-
kischen Hause hin. Wie in allen Städten der norddeutschen Küstenländer
die Häuser mit der Giebelseite der Strasse zugekehrt sind, so ist dasselbe
auch für viele märkische Städte, namentlich nördlich der Linie Branden-
burg-Frankfurt a. 0., nachweisbar. Der Sehultz'sche Plan von Berlin
vom Jahre 1688 lässt erkennen, dass die Häuser, je näher sie den alten
Stadtteilen Berlin und Köln stehen, den Giebel nach der Strasse gekehrt
haben. Allerdings giebt es auch solche Häuser in Süd- und Mittel-
deutschland, aber liier mischt sich schon früh dieser Stadttypus mit dem
Langhaus, so dass wir annehmen müssen, er sei, wenn nicht direkt
vom Norden übertragen, nur aus Gründen der besseren Raumverwertung
entstanden.
In der südlichen Hälfte der Mark überwiegen denn auch die Lang-
häuser; in Jüterbock, Beizig, Treuenbrietzen, Baruth, Golssen ,
Dahme, Luckau sind fast nur solche erhalten. Bisweilen aber taucht
in ihrer Reihe ein Frontgiebel auf, der um so mehr an sächsischen Ur-
sprung gemahnt, je mehr er isoliert erscheint. Ganz frappierend ist
z. B. die Ähnlichkeit, wenigstens im Äusseren, zwischen einem nause
in Niemegk ( Belzigerstr. 362)
und einem solchen in dem Dorfe
Ma rz a h n e nördlich Brandenburg
(Abb. 32, 33). Für Berlin kann
es als sicherstellend gelten, dass
seine ältesten Stadthäuser säch-
sisch sind; in gewissem Grade
wird dies ja auch durch die Namen
der Bewohner und durch die Sprache bestätigt, die beide nach sächsischer
33. Marzabne.
32. Niemegk
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126
Robert Mielke.
Heimat weisen. Das wendische Haus, welches wahrscheinlich für die
Gestaltung märkischer Stadtarchitekturen nicht ohne Einfluss war, hat
jedenfalls erst spät Eingang in dieselben gefunden, was ja bei der
Aversion der Deutschen gegen die Slaven natürlich war. Sein Einfluss,
der besonders auf dem östlichen Fläming und in den Spreewaldstädten
bemerkbar ist, beschränkt sich aber immer auf den Giebel mit seiner
eigenartigen Bretterverkleidung.
Zum Schluss sei noch des Hauses gedacht, das heute in der Mark
mit Vorliebe gebaut wird. Was wir hier und zwar dicht vor den Thoren
Berlins sehen, ist in mehr als einer Hinsicht bedauerlich. Nicht mehr
die alten malerischen Vorbilder werden bevorzugt sondern ein stillose.?
und darum geschmackloses Surrogat des modernen Schablonenhauses,
das in nicht seltenen Fällen sogar noch von dem Mörtel entblösst bleibt.
In der Gegend vonTeupitz sind ganze Dorfzeilen in dieser widerlichen
Armseligkeit entstanden, die sich aus Liederlichkeit und falsch ange-
wandter Sparsamkeit ergiebt. Wenn erst einmal dieses Prinzip des
Trivial-Nützlichen bei der Landbevölkerung zur Anerkennung gelangt,
dann wird es schwer sein, seinen Rückwirkungen auf die Volksseele
entgegenzutreten. Schon ist das gemauerte, teilweise mit Stuck und
Mörtel überladene Haus, das in seiner stereotypen Stubenöde , weder
Charakter noch Reiz besitzt, auf dem Wege, neben den alten Formen
ein gleichberechtigter Typus zu werden; schon siud vollständige Dörfer
in diesem gleichförmig-langweiligen Geisto entstanden, erstehen täglich
und erfüllen den Bauer mit Gleichgültigkeit gegen seinen Hof. Kein
Baum beschattet diesen, keine freundlichen Fensterladen oder Stiegen
schmücken das Haus, keine Laube ladet zum Verweilen ein — alles
traurig — monoton — nüchtern. Das Haus steht nicht mehr im Zu-
sammenhange mit der Landschaft, der Bewohner nicht mehr mit dem
Hause. Und mit der Nüchternheit im Äusseren zieht die Oede ins Imaere
hinein; die Häuslichkeit verliert ihren Reiz und entfernt sich immer
mehr von jenem Ideal, das der Engländer so schön durch das Wort
ausdrückt: „My house is my Castle". Wenn auch die moderne Zeit so
manche Änderung in dem Bauernhause hervorruft, so ist es doch zu
beklagen, dass dabei die alten Formen verschwinden müssen zu Gunsten
des langweiligen Kastenbaues der Gegenwart. Möge er wenigstens in
der Mark wieder den alten Typen Platz machen, dann werden wir auch
in den malerischen Dörfern wieder eine freundlich zufriedene Bevölkerung
linden, dann wird auch die Poesie wieder eine Heimstätte auf dem
Lande haben.
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt
während des siebzehnten Jahrhunderts.
(Königsberg N.-M.)
Von Dr. Paul Schwär tz -Friedenau.
In die Neumark führen wir den Leser, zu einem Städtchen, das
in einem Thal des baltischen Landrückens liegt. Bei Schwedt über-
schreiten wir auf einem langen, von alten Bäumen beschatteten Damm
die breite Oderniederung. Nun geht's den steilen Abhang des baltischen
Laudrückens hinauf. Oben empfangt uns eine freundliche Hügelland-
schaft, durch welche die Strasse bergauf und bergab zieht, einem Walde
zu. Da zeigt sich in einer Senke ein schlanker Kirchturm, an den sich
ein gewaltiges Dach lehnt; von der Stadt selbst ist nichts zu sehen.
Das ist der Kirchturm von Königsberg; fast 100 Meter ragt er auf,
das höchste Bauwerk der Mark. In diesem Jahrhundert ist er aufge-
führt, würdig der alten Kirche, die man als eine der schönsten der
engeren Heimat rühmt. Er verschwindet wieder hinter dem Walde.
Beim Austritt aus demselben erblicken wir das Städtchen vor uns aus-
gebreitet. Wie ein Riese ragt die Marienkirche über alle Gebäude hin-
auf, als ein Denkmal jener Zeit, in der das Gotteshaus die Seele der
Stadt war, in der sich die bürgerliche Gemeinde vorwiegend als eine
Gemeinschaft von Christen fühlte. Von der Zeit wollen wir berichten,
von den Äusserungen und den Erscheinungen kirchlichen Lebens, wie
sie in dem engbegrenzten Raum des genannten Städtchens zu Tage ge-
treten sind. Sie dürften aber für die ganze Mark typisch sein.
Als das siebzehnte Jahrhundert anbrach, hatte die Mark Branden-
burg eine lange, glückliche Zeit des Friedens hinter sich. Die Unruhen
and Kriege der Reformationszeit waren von ihren Grenzen fern geblieben,
dank der Klugheit ihrer Fürsten; ohne den Blutpreis hatten die Märker
das Evangelium erworben. In behaglicher Ruhe floss das Leben dahin.
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Dr. Paul Schwirls Friedenau.
Manchmal jedoch wich die Freude am Dasein dem jähen Entsetzen vor
einer verheerenden Seuche, oder der Frohsinn räumte auf kurze Zeit
dem Bedenken das Feld, wenn der Herr durch feurige Zeichen am
Himmel sprach. Auch die Astrologen sorgten für die nötige Unter-
brechung der Reihe von guten Tagen, indem sie allerhand Unheil ver-
kündeten, kritische Tage erster Ordnung oder wohl gar den Untergang
der Welt. So hatte ein anerkannter Königsberger Prophet für das
Jahr 1588 vorausgesagt:
Geht alsdann die Welt nicht unter,
So geschehen doch viel Wunder.
Die Welt blieb zwar bestehen, aber der Wunder geschahen genug:
in der Stadt wurden viele Leute unsinnig, und in der Nachbarschaft be-
kamen zahlreiche alte Leute Stechen in der linken Seite, und am dritten
oder vierten Tage waren sie tot Gern knüpfte auch die warnende
Stimme des Geistlichen an einen seltsamen Vorgang an. Da kommt
1593 ein Monstrum, eine Missgeburt, zur Welt, ein Kind mit Backen-
und Yorderzähnen, statt der Oberlippe trägt es unter der Nase ein Ge-
wächs wie einen Rüssel. Der gelehrte Oberpfarrer von Königsberg,
Pontanus, hält darüber eine Predigt, die auch im Druck erscheint: die
Zähne seien eine Mahnung gegen den Kornwucher, es drohe Teurung
und der Einfall barbarischer Völker, die kommen werden wie das beissige
Vieh; der Rüssel aber deute hin auf das viehische Leben in Essen und
Trinken. Doch Hess man sich solche Warnungen nicht anfechten,
soudern ass und trank weiter wie zuvor.
Die Freude am Leben äusserte sich auch in der Art, wie man den
religiösen Pflichten nachkam. Der neumärkische Kanzler Hans Georg
von dem Borne hat bald nach dem Regierungsantritt des grossen Kur-
fürsten ein Büchlein geschrieben „Über den gegenwärtigen, betrübten
und kümmerlichen Zustand der Mark Brandenburg". Darin suchte er
die Ursachen darzulegen, weshalb Gott die Mark so furchtbar heimge-
sucht habe. Die erste Ursache erkannte er in der Gottlosigkeit, die alle
Stände gleichmäßig ergriffen hatte. Von den kirchlichen Zuständen in
der Mark gab er folgende Schilderung: „In den Städten überall hat man
es für einen grossen Gottesdienst gehalten, und noch, wann man an
den Sonn- und Festtagen sich stattlich ausgeputzet und der Gewohnheit
nach zweimal öfters ohne einige Andacht in die Kirchen gangen. Nach
geendigten Predigten hat man alsbald angefangen, alle Sünden, die man
auf den Werktag nicht hat thun mögen, mit freudigem Mut zu verüben.
Da hat es müssen — wir bitten wegen der kräftigen Ausdrücke um
Verzeihung, aber der brave Kanzler hat nun einmal so geschrieben —
gefressen, gesoffen, gespielet, spazieret, banketieret, buhlieret sein; da
hat man alle Gasthöfe, Sckänken, Wein- und Bierkeller voller Gesell-
schaft gesehen, die sich toll und voll gesoffen und bis in die Nacht
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Kirchliches Lehen in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. 129
geschwärmet, ihnen mit Trommeln, Pfeifen und Geigen aufwarten lassen;
da hat man müssen nach der Scheiben oder den Vogel abschiessen;
öfters hat man Komödianten auch wohl in den Kirchen, Fechtmeister,
Springer, Linienflieher, Tanzmeister, Bären-, Affen- und anderer unge-
wöhnlicher wilden Tiere Leiter und Führer auftreten und durch die-
selbigen dem Volke ein Spektakel und Kurzweil machen lassen, welchem
auch der Magistrat und die Geistlichen selber mit sonderbarer Ergötz-
lichkeit beigewohnt. — Auf dem Lande in Flecken und Dörfern ist es
mit dem Gottesdienst noch viel schlechter dahergegangen. Dann obgleich
ein Dorfpriester in seinen zugeordneten Kirchen die Woche einmal auf
den Sonntag mit grosser Mühe nur eine einige Predigt abgeleget und
zuwege gebracht, so ist es manchmal mit solcher Kaltsinnigkeit und
schlechten Disposition geschehen, dass die Zuhörer und Pfarrkinder wenig
Lehre und Trost daraus begreifen und mit nach Hause nehmen können.
Wann etwa der Pfarr mit den Patronen und Zuhörern in Streit und
Misshelligkeit geraten, so ist das eben eine Materia gewesen, damit die
meisten Predigten gespicket, und dabei des Decems, Messkorns, Opfers
etc. nicht vergessen, der wahren Busse aber, Bekehrung zu Gott und
Besserung des Lebens wenig oder selten gedacht worden. In den Filial-
kirchen ist der Gottesdienst mehrenteils zu unrechter Zeit nach Mittage
oder des Winters auf den späten Abend, wann sich die Leute und Zu-
hörer voll gesoffen und gefressen, verrichtet und mit Schlafen zugebracht
worden. Nach gehaltener Predigt ist der Pfarr zu dem Patron oder
Schulzen des Dorfes eingeladen, die Bauern aber sämtlich mit den
Weibern und Kindern in den Krug oder Gasthof gangen, sich daselbst
toll und voll gesoffen und die ganze Nacht durehgeschwärmet und nach
der Sackpfeifeu herumgesprungen, dabei sich denn auch öfters der Beicht-
vater weidlich mitgebrauchen lassen." Diese Stelle ist seltsamerweise
missverstanden und als ein Beweis dafür angeführt worden, wie entsitt-
lichend der dreissigjährige Krieg gewirkt habe, während der Verfasser
offenbar die Zustände vor dem Kriege gemeint hat. Während des Krieges
verging den Leuten das Singen und Springen, da lernten sie inbrünstig
beten, wie ein unten mitgeteilter Brief zeigen wird.
Weihnachten 1603 wurde die Festfreude der Königsberger Gemeinde
gestört: die grosse Glocke, die Marienglocke, welche weithin über Stadt
und Land ihre Stimme hatte ertönen lassen, bekam einen Sprung. Uber
ein Jahr fehlte im Dreiklaug des Geläutes der tiefe Ton. Die Kosten
eines Glockengusses konnte die Kirche allein nicht aufbringen; deshalb
wandten sich die Kirchenvorsteher um Beihülfe an die Gemeinde. Die
Gaben an Geld und Erz reichten aus, eine 100 Centner schwere Glocke
zu schaffen. Am Donnerstag vor Johann i 1605 wurde sie vor der Stadt
gegossen, nachdem sich die Gemeinde in der Kirche versammelt hatte,
um Gottes Segen für die Arbeit zu erflehen. Unter welchen Feierlich-
9
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130
Dr. Faul Schwärt» Friedenau.
Weiten sollte sie an ihre Stelle geschafft werden? In der katholischen
Zeit hatte man die Glocke wie ein lebendes Wesen behandelt. Für die
Taufe wurde ihr wie einein Täufling ein weisses Kleid angelegt. So
stand sie unten im Turm. Die Gevattern aber — vornehme Herren aus
der Nachbarschaft oder besonders freigebige Spender — fassten die
Stricke, wahrend der Geistliche die Taufrede hielt und der Glocke den
Namen gab. Danach wurde sie in die Höhe gezogen. Da man aber
nun ängstlich alles zu vermeiden suchte, was an „den päpstlichen Aber-
glauben" erinnern konnte, so wurde von .solcher Feier abgesehen. Die
Glocke wurde auf einen Wagen geladen, mit Kränzen geschmückt und
„zu inehrenteil vom gemeinen Volk, Frauen, Jungfern, Mägden und
Kindern" in den Turm gezogen, ein Anblick, „der vielen aus Freuden
und Wehmut die Timmen zu den Augen herausgetrieben*. Die Glocke
trag die Aufschrift: Laudo Deum verum. Plebem voco. Congrego clerum.
Defunctos ploro. Satanam fugo. Fes tu decoro.
Allein die Freudenrufe sollten sich bald in Wehklagen verwandeln.
Schon waren einzelne verdächtige Krankheitsfälle in der Stadt vorge-
kommen; aber kaum hatte man die Glocke in den Turm geschafft, da
brach das Verderben herein — die Pest. Im Juni erlagen ihr 20, im
Juli 202, im August 354, im September 324, im Oktober 109, im
November 21; im ganzen 1030 von etwa 3000 Einwohnern. Dabei hatte
die Stadt erst vor zwanzig und vor fünfzig Jahren eine gleiche Heim-
suchung erfahren: 1585 waren 1085 au der Pest gestorben, 1550 sogar
1900. Erst am Sonnabend vor Palmarum 160G wurde die Glocke auf
den Turm gebracht, um das Osterfest einzuläuten.
In höchste Aufregung geriet die Gemeinde, als Kurfürst Johann
Sigismund 1613 zum reformierten Bekenntnis übertrat. In der Voll-
macht, welche im Namen der Gemeinde den städtischen Abgeordneten
zum Landtage 1014 ausgestellt wurde, ward denselben eingeschärft: sie
sollten namentlich dahin sehen, dass die Bürger und ihre Nachkommen
zuvörderst bei der reinen Lehre göttlichen Wortes mögen erhalten und
geschützet werden. Ähnlich lauteten die Weisungen auch für die übrigen
Abgeordneten, und so äusserte denn der Landtag in einer Vorstellung
an den Landesherrn die Besorgnis : es scheine, dass man das Land vom
Hofe aus zum reformierten Bekenntnis bringen wolle. Die besorgten
Stände erhielten aber vom Kurfürsten die Versicherung, dass jedem
Freiheit des Gewissens vergönnt sein, dass keiner wegen der Religion
gehasst oder verfolgt wei den solle : doch forderte der Kurfürst auch für
sich Gewissensfreiheit und das Recht, in der Religion zu leben, in der
er selig zu werden festiglieh vertraue.
Die ersten Jahre des d reissigjährigen Krieges verschonten die Mark
vor Kriegesnot. Aber zahlreiche Flüchtlinge, zumal aus Böhmen, durch-
zogen das Land und wussteu von der entfesselten Kriegswut zu berichten.
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt wahrend des 17. Jahrhundert». 18 1
Dann kamen die erbarmungslosen Feinde selbst, im Jahre 1626. Vor
ihnen aber meldete sieh 1625 noch ein anderer Feind an den Thoren
Königsbergs, die Pest. Schon zu Pfingsten hatte keine rechte Fest-
stimmung aufkommen wollen, denn einige Häuser waren von dem un-
heimlichen Gast heimgesucht worden. Zahlreicher wurden die Opfer,
und am Trinitatissonntag musste der Geistliche der geängstigten Gemeinde
die vom Rat erlassene Pestordnung vorlesen. „Wegen der grossen
Sünden", so leitete er die Mitteilung ein, „lässt Gott seine ernste Straf-
rute sehen, um allhier auch mit der abscheulichen Seuche der Pestilenz
die Menschen etlichermassen anheimzusuchen." Schwer war die Heim-
suchung der von allem Verkelir mit der Nachbarschaft abgesperrten
Stadt. Als im Oktober die Seuche erlosch, hatte sie 990 Opfer gefordert.
Daun kam der Feind.
Nunmehr begann eine Zeit, in der die Geistlichen sich als gute
Hirten bewähren konnten. In der schweren Bedrängnis, welche jetzt
ihren Anfang nahm, war das ermutigende oder tröstende Wort des Seel-
sorgers, sein Beispiel der Standhaftigkeit und Duldung von höherem
Wert für die Gemeinde als die weltlichen Behörden. Weltliche Macht
erwies sich machtl os ; der sonst gefürchtete Bürgermeister wahr wehrlos
gegenüber dem pochenden Trossknecht. Da scharte sich die Gemeinde
um iliren Seelsorger, und wohl ihr, wenn sie eine gute Wahl getroffen
hatte. Bei einem Brande im Königsberger Kathaus 1674 sind die Rats-
protokollo bis auf eins vernichtet worden, welches die Jahre 1638 und
1639 umfasst, gerade die traurigste Zeit des Krieges für die Neumark.
Aus diesem Buch erfahren wir auch einiges über kirchliche Verhältnisse.
Der Inspektor (Superintendent, Oberpfarrer) Gödenius, der sonst als
„ein feiner Mann" gerühmt wird, besüss nicht das Vertrauen der Gemeinde.
Bei der ersten Bürgersprache auf dem Rathaus, am 11. Januar 1638,
richtete die Bürgerschaft an den Rath die dringendo Bitte, er möchte
den Inspektor anhalten, seine Predigten „zu Trost, Lehr und Vermahnung
zu dirigieren". So wenig gewissenhaft waltete der Geistliche seines
Amtes, dass er sich nie auf die Predigten vorbereitete und zuweilen
erst beim Besteigen der Kanzel den Küster nach dem sonntäglichen
Evangelium fragte. Darauf erging an ihn ein Schreiben des Rats. Die
Bürger haben sich beklagt, schrieb derselbe, „wie sie nebst den Ihrigen
nicht allein wenig oder garnichts an Trost und Lehren aus des Herrn
Predigten vernehmen, sondern vielmehr nur mit weitläuftigen und ametho-
dischen und übel disponierten Diskursen nicht ohne Verdruss und Ärger-
nis, sonderlich bei jetziger kalten Winterzeit aufgehalten würden, und
daher uns gebeten, wir möchten dem Herrn dieses zu einer Änderuug
und gewünschten Besserung untersagen. — Es wird dem Herrn sein
eigen Gewissen predigen, dass der Herr wider des Sirachs Vermahnung
cap. 39 v. 11 auf seine Predigten wenig studieret, die Textus zwar ab-
9*
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Dr. Paul Snhwarlz-Friedenaa.
liese, aber ohne gute Disposition den Nervuni wenig berühret, sondern
seinem dono eloquentiae und lang gezogenen, oft wiederholeten Worten
mehr trauet, denn dass er um den nucleum und pondera verborum,
weniger gute res, womit unsern Seelen am meisten gedienet, sich be-
kümmern sollte. Zudem ist dem Herrn bewusst, wie er wider Ihre
Kurf. Durchlaucht diesesfalls ausgegangenen, ausdrücklichen, vorge-
schriebenen, eigentlichen Willen auf die Busstage gar impertinentes
textus, etwa überbliebene Teile aus den Predigten u. dgl., auf den Frei-
tagen aber aus gar unzeitigem Eifer die Augsburgische Konfession abe-
lieset und davon weitläuftig, auch mit eingemengeten Fabeln und Alcoran-
Historien sermonieret, da uns doch bei dieser höchst kläglichen Zeit
mehr mit Busstexten und Psalmen, Threnis Jeremiae oder dem Buche
Josuä, Hiob u. dgl. trostbringenden Sprüchen und Büchern nach dem
Exempel anderer fleissigen Lehrer gedienet wäre. Wenn aber dem Herrn
das schlechte Maledictum beim Jeremia 48 v. 10 wohl bekannt, die
minus praemeditatae conciones auch an einem andern Ort maledietae
genennet werden; als bitten den Herrn wir all im Namen der ganzen
Stadt um Gotteswillen, er wolle doch zu seiner schweren Verantwortung
unsre Seelen nicht versäumen, dieselben bei diesen trostlosen Zeiten
mehr mit Gottes Wort methodice zu unserer Behaltnuss trösten und lehren,
als mit weitläufigen und zu den abgelesenen Texten wenig gehangen
Discursen verdriesslich sein." Die nächste Sonntagspredigt war des
Inspektors Antwort, über die sich der Rat bei der Regierung beschwerte :
der Inspektor habe diejenigen, welche er für Verfasser des Schreibens
halte, auf der Kanzel „sareastice angestochen" und feierlich erklärt, der
Teufel selbst müsse sie angestiftet haben. Dem Streit zwischen der
Gemeinde und ihrem Seelsorger machte die Pest ein Ende, die zwischen
Ostern und Pfingsten ausbrach. Am Himmelfahrtstage konnte das Abend-
mahl nicht gereicht werden, weil kein Tropfen Wrein in der Stadt auf-
zutreiben war; zum Ptingsfest wurde das Gotteshaus — zum erstenmale,
so lange man denken konnte — nicht mit Maien geschmückt. „Nach
Pfingsten", berichtet das Ratsprotokoll, „haben die schwedischen Soldaten
von den Banerschen die Stadt etzliche Wochen aufeinander geplündert,
dass kein Mensch hat bleiben können". Am ersten Sonntag nach Trini-
tatis brach der Feind ein. Die Kirche, welche bisher verschont geblieben
war, und in welcher manches Besitztum, namentlich das der unmündigen
Waisen geborgen war, wurde erbrochen und ausgeplündert. „Der Tempel
des Herrn", lautet ein Bericht, „ward feindseliger Weise erbrochen,
seines herrlichen Ornats beraubet und dergestalt profanieret, dass man
innerhalb sechs Wochen und mehr ihn nicht hat besuchen können ;
dessen Priester wurden ohn einigen Respekt greulich geschlagen, ver-
windet, aufgehängt, andere, so von Dörfern hineingeflohen waren,
gleicherweise also traktieret, mit stinkendem Wasser gequälet, mit härenen
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Kirchliches Lehen in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. 133
Seilen gepeiniget, an ihrem Leibe entblösset, mit Seilen an Pferde ge-
bunden, von einem Gut zum andern geschleppt mit höchster Gefahr und
Bestürzung ihres Lebens." Da raffte die Gemeinde zusammen, was ihr
noch geblieben war, und flüchtete in die Sümpfe des Oderbruchs. Hier
hauste sie in Hütten, bis sie Michaelis in die verwüstete Stadt zurück-
kehren konnte. Wieder hatte das Jahr ihre Reihen schrecklich gelichtet:
494 Gestorbene zählt das Kirchenbuch auf, „darunter 2*h Hundert peste,
die andern teils Hungers, teils aber natürlichen Todes verblichen". 1640
starb der Inspektor Gödenius, nachdem er, wie ihm bezeugt wird, mit
der Gemeinde getreulich Kriegs-, Sterbens- und Hungersnot geteilt hatte.
Die verwaiste Herde sah sich nach einem neuen Hirten um, den
sie in Konrad Wittscheibe fand. Im Vertrauen auf Gottes Schutz machte
er sich von Fürstenau her, einem Dorf bei Arnswalde, auf den gefahr-
lichen Weg — der Rat sandte ihm sechs Wagen zur Fortschaffung seines
Hausrats — und langte auch unbeschädigt an Leib und Gut in Königs-
berg an. Zwar hatte er jährlich 160 Gulden an Gehalt zu fordern, aber
die Kirche war gänzlich verarmt. Von den 119 Hufen der städtischen
Feldmark besass sie 15 V2; aber die meisten lagen unbebaut, weil sich
keine Pächter mehr gefunden hatten, und 1611 kündigten auch noch die
letzten Pächter auf. Selbst für die halbe Pacht wollte niemand das
Kirchenland haben. So wurde es denn «lern neuen Inspektor überlassen,
der nach und nach 5 Hufen in Beackeruug nahm.
Endlich zog der Friede ins Land, und langsam kehrte die Ordnung
zurück. Auf 50 Bürger war die Gemeinde zusammengeschmolzen; von
420 Baustellen lagen etwa 300 wüst, und aus den Trümmern der Stadt
ragte als gewaltige Ruine die Kirche auf. Dazu schlug 1658 der Blitz
in den Turm, der in Flammen aufging und niederbrannte; die Glocken
schmolzen in der Glut. 1664 wandte sich der Rat an den Kurfürsten
mit der Bitte, für den Bau des Turmes eine Sammlung im Lande zu
gestatten. Da die Stadt selbst nicht die Mittel besass, Leute mit Bitt-
briefen abzusenden, wie das sonst gebräuchlich war, so erging vom
Konsistorium an die Inspektoren der Mark die Weisung, von den Kanzeln
herab zu Beiträgen auffordern zu lassen. Allein die Gemeinden hatten
genug mit sich selbst zu thun, und so erscholl der Hilferuf vergeblich.
Der Turm blieb in Trümmern stehen, bis die Stadt seine Wiederher-
stellung aus eigenen Mitteln in Angriff nehmen konnte. Doch waren
wenigstens schon 1659 aus dem beim Brande geschmolzenen Glockengut
zwei Glocken gegossen worden, deren gross te dieselbe Inschrift tragen
sollte wie die vom Jahre 1605. Allein das Konsistorium rügte den
Satz Satanam fugo, da er den Schein „des päpstlichen Aberglaubens"
trüge. Dazu war zwischen dem Rat und dem Inspektor ein heftiger
Streit entbrannt über die Forderung des Inspektors, dass auf der Glocke
sein Name vor denen der Ratsnütglieder stehe. Deshalb wurde von
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134 I>r. Paul Schwarte- Friedenau.
jeglicher Inschrift abgesehen, und ausser der Jahreszahl schmückte nur
der Name des Kurfürsten die Glocke. Die beiden Glocken hingen bis
1687 in einem Glockenhaus auf dem Kirchhof.
Dreissig Jahre vergehen nach dem Frieden, bis die Gemeinde daran
denken kann, die Kirche auszubauen und annähernd in früheren Stand
zu setzen.*) 1680 sind die Bürger eifrig bemüht, für den Ausbau die
von der Obrigkeit geforderten Mittel aufzubringen. Wer Fuhrwerk be-
sitzt, fährt Bauholz und Steine heran; nicht vergebens hat der Rat die
Bürgerschaft ermahnt, „zu Gottes Ehre eine Fuhre zu thun" ; „sie würde
sich zu Gottes Ehre nicht entbrechen", hat sie durch ihre Vorsteher
erwidern lassen. Die andern schicken Knechte, Mägde und Kinder, um
Handlangerdienste zu verrichten. Den Maurern und Zimraerleuten wird
eingeschärft, „weil es ein Bau, der Gottes Ehre anbelanget, sich fleissig
und getreu bei der Arbeit zu erweisen und die Zeit nicht vergebens zu-
zubringen". So schreitet bei freudigem Eifer aller Beteiligten der Bau
rüstig vorwärts. Im Innern benutzt man die Gelegenheit, die letzten
Spuren aus der katholischen Zeit zu tilgen, nämlich „die abenteuerlichen
Figuren und Gesichter", mit denen Wände und Gewölbe bemalt sind.
Der naive Humor des Mittelalters, der sich sogar in die Gotteshäuser
hineinwagte, sagt der ernsten Zeit nicht zu, und so werden seine Gebilde
durch einen weissen Anstrich den Augen der Andächtigen entzogen. Die
Fahnen, Degen und Sporen aber, die Bilder und Inschriften, mit denen
Pfeiler und Wände zum Gedächtnis der in der Kirche Beigesetzten ge-
schmückt sind, lässt man an ihrer Stelle. Eine Orgel ist wohl vor-
handen, aber sie reicht für die weiten Hallen nicht aus; es ist eine
Hausorgel, welche die Kirche einem Bürgermeister abgekauft hat. Der
Königsberger Orgelbauer erbietet sich, wenn ihm das Material geliefert
wird, für 400 Thlr. eine Orgel zu bauen. Nun wird Geld gesammelt,
und die Kirehenvorsteher gehen von Haus zu Haus, um Zinn zu erbitten,
und die Hausfrauen suchen aus, was sie von dem zinnernen Hausgerät
missen können. 1684 ist der Orgelbau schon so weit vorgeschritten,
dass zum Weihnachtsfest ein Stimmwerk vorgetragen werden kaun. Als
1689 die Orgel vollendet ist, wird die alte der Klosterkirche überwiesen,
die mit dem abgelegten Schmuck der Marienkirche ausgestattet wird.
Auch der Altar fällt der neuen Zeit zum Opfer, da er „etwas altvaterisch"
erscheint. Zwei Jahre nimmt die Arbeit an dem neuen in Anspruch.
Die kleinen Seitenkapellen rings herum sind einzelnen Gewerken über-
lassen gewesen, die hier in der katholischen Zeit ihre eigenen Altäre
gehabt hatten und jetzt ihre Begräbnisgerätschaften aufbewahren, Bahre,
Leichentücher und Grabscheite. Auch leere Särge stehen hier, lebenden
Personen gehörig, die noch bei Lebzeiten ihre letzte Lagerstatt sich
selbst hergerichtet haben. Jetzt werden die Kapellen geräumt, um mit
*) Vgl. Schriften des Vereins für Gesch. der Neuinark, Heft II, 80 ff.
Kirchliches Leben in einer märkischen StAdt während des 17. Jahrhunderts. 135
Sitzplätzen versehen oder zu Erbbegräbnissen für vornehme Familien
eingerichtet zu werden.
Die Kirchensitzo sind durch einen Gang in zwei Teile geteilt. Auf
der einen Seite sitzen die Männer, auf der andern die Frauen, alle in
peinlicher Ordnung nach dem Rang, der jedem und jeder gebührt. Wenn
einmal unter den Männern ein Versehen vorfällt, so lassen es die Be-
nachteiligten wohl stillschweigend geschehen; die Frauen aber dulden
keine Zurücksetzung. Lange vor Beendigung des Ausbaus richtet die
Bürgerschaft an den Rat die besorgliche Bitte: „wann nur die Frauens
wieder ihre Stühle in der Ordnung, wie sie die jetzo besitzen, wieder-
erlangen und nicht ein Streit unter den Frauen wegen der Obersitze
entstünde". Die Besorgnisse sind nur zu sehr gerechtfertigt, und Jahre
lang tobt unter den Frauen der Kampf um die Obersitze, mit Worten
und Werken. Sie schimpfeu und schlagen sich, sie treten einander ab-
sichtlich auf Schürzen und Röcke, sie reissen sich die Kleider vom Leibe
und die Anne aus den Gelenken. Der Rat muss oft strafend eingreifen.
Da führt die Frau eines Ratsherrn zum erstenmal ihre herangewachsene
Tochter mit sich in die Kirche; sie selbst nimmt den ersten Platz auf
der Bank ein, ihre Tochter neben ihr den zweiten. Darob gewaltige
Entrüstung auf der ganzen Bank. Du Grünschnabel! Du Schlaraffen-
gesichte! muss das arme Kind sich zuzischeln lassen. Solche- Frevle-
riuneu aber werden vom Rat in den Kahlwinkel gesetzt, einen dunklen
Verschlag unter der Treppe im Rathaus, der „für die unnützen Zänker
bestimmt ist, sonderlich die Weibesbilder, so mit der waschhaft ver-
logenen Zungen den Nächsten verunglimpfet4'. Die Frau eines andern
Ratsherrn will von ihrem Platz zum Altar treten, um das Abendmahl
zu nehmen. Als sie bei der Kannegiesscr Kaseler vorbeigeht, wird sie
von derselben „frevelhafter und boshafter Weise" mit der Faust in das
Kniegelenk geschlagen, dass sie zusammenbricht. Die Untersuchung er-
giebt, dass die Kaseler sich hat vom Zorn hinreissen lassen, weil die
Frau Ratsherr ihre Schwiegertochter mitgebracht und neben sich über
den andern Frauen hat sitzen lassen. Sie entschuldigt sich zwar, es
köune ja wohl vorkommen, dass man erzürnt und voll Eifers würde;
jedoch der Rat lässt solche Entschuldigung nicht gelten und verurteilt
sie zu einer Strafe von 10 Thlrn. oder 10 Tagen Kahlwinkel. Als aber
schliesslich auch die Frauen der Ratsmitglieder „sich in loco sacro an-
fochten und allerhand tort erwiesen", da wird 1732 vom Kat eine Sitz-
ordnung erlassen, welche alle nur möglichen Streitfälle zu schlichten
bestimmt ist. Für „konditionierte Frauen", das sind die Frauen der
Rathsherren und Geistlichen, werden geschlossene und vergitterte Sitze
längs der Wände errichtet. Frauen, deren Männer ein Ehrenamt be-
kleiden (als Kirchenvorsteher, Gerichtsbeisitzer, Stadthauptleute, Bürger-
deputierte), sitzen unter einander, nach dem Rang ihrer Männer. Kommen
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136
Dr. Paul Schwarte Friedenau.
sie mit gewöhnlichen Bürgerfrauen zusammen auf eine Bank zu sitzen,
so haben sie vor diesen den Obersitz. Die Bürgerfrauen ordnen sich
nach der Zeit, in der sie in den Ehestand getreten sind; die sich zuerst
verheiratet hat, erhält den ersten Platz. Die Jungfrauen sitzen unter
den verheirateten Frauen, doch so, dass die „aus einem Ehrenstande"
den Obersitz vor den gewöhnlichen Bürgerfrauen haben. Den Dienst-
mädchen werden die Plätze in den Gängen angewiesen. Dieselbe Ord-
nung gilt auch für Begräbnisse, bei denen die Frauen im Leichengefolge
mitgehen.
Der Gottesdienst ist viel ausgedehnter als heute. An den hohen
Festtagen und den Sonntagen werden drei Predigten gehalten : die Früh-
predigt um 7, die Hoch- oder Rechtpredigt um 9 und die Vesperpredigt
um 2 Uhr. Auch an jedem Dienstag, Mittwoch und Freitag wird ge-
predigt; die Freitagpredigten stehen den Landpredigern der Königsberger
Inspektion zu, die der Reihe nach sich hören lassen müssen. An den
übrigen Wochentagen werden früh um 6 oder 7 Uhr Betstunden veran-
staltet. In der Fastenzeit wird täglich gepredigt, ausser am Sonnabend;
dann findet Katechismusprüfung und Vorbereitung zur Beichte statt,
indem der Geistliche die Anwesenden prüft, ob sie auch die Stücke des
Katechismus, sowie die Haupt- und Kernsprüche aus der Bibel im Ge-
dächtnis haben. Ausser den bestimmten Predigten werden noch welche
zu besondern Gelegenheiten gehalten. Da werden Buss- und Bettage
angesetzt zur Abwendung der Türkengefahr, in gefährlichen Kriegs-
lasten, gegen die Heuschrecken, gegen die Pest; sind die Gefahren
glücklich beseitigt, so werden Dankfeste gefeiert. An solchen besondern
Bettagen hat die Gemeinde wirklich eine angestrengte Thätigkeit im
Singen, Beten und Anhören von Predigten zu entfalten. So wird von
einem Bettag bei Pestgefahr berichtet, dass der Gottesdienst ununter-
brochen von 8 Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags gedauert hat. Der
Gottesdienst nimmt darum viel längere Zeit in Anspruch als heut, weil
die Gemeinde aktiver, möchte man sagen, an demselben beteiligt war.
Zunächst durch den Gesang. Zur Vorbereitung auf die Predigt und
nach ihrer Beendigung werden mehrere Lieder gesungen. Die neu-
märkische Kirchenordnung von 1736 schränkt die Zahl der Lieder ein,
weil sie von den Unwissenden „doch nur ohne Verstand und Erbauung"
gesungen würden, und gestattet für die Früh- und Vesperpredigt nur
drei, für die Hochpredigt vier. Ausser dem Gesangbuch hat jeder Kirch-
gänger die Bibel mitzubringen, um sofort die Sprüche und Bibelstellen
aufzuschlagen und nachzulesen, mit denen der Geistliche seine Predigt
würzt; deshalb wird auch in der Schule das Bibelaufschlagen so eifrig
geübt. Nach der Vespergredigt soll die Gemeinde noch beisammen
bleiben, um einem Examen über die eben gehörte Predigt beizuwohnen,
welches der Geistliche anfangs mit der ganzen Gemeinde, in späteren
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. J37
Jahren mit Rindern, Knechten, Mägden und Almosenempfängern anstellt.
Durch die Kirchenordnang von 1736 wird die Prüfung auf die Kinder
beschränkt; die älteren Leute soll man nur „mit Liebe und Sanftmut
dahin zu disponieren suchen, dass sie sich auch öffentlich mitzuantworten
nicht entziehen mögen". Der Notarius Rohde, eine bei dem Rat wenig
beliebte Persönlichkeit, weil er das Walten der rathäuslichen Gerechtig-
keit durch seine Advokatenkniffe stark erschwert, hat sich einer solchen
Prüfung entzogen. Der Inspektor verklagt ihn deshalb bei dem Rat,
der ihn vorfordert und in Gegenwart des Klägers ermahnt, sich nicht
wieder vor beendeter Prüfung zu entfernen. „Herr Rohde", so berichtet
das Protokoll, „gehet hierauf aus der Thüre, wirft die Nase in der Höhe
und fönget darüber ganz höhnisch an zu lachen, sagende: ha, ha, ha!"
Der Rat lässt ihn sofort durch den Diener zurückholen und einige
Stunden in den bürgerlichen Gehorsam setzen.
Bei so ausgedehnter Amtstätigkeit — auch ein benachbartes Dorf
muss noch mitbesorgt werden — haben die Geistlichen eine angestrengte,
aufreibende Arbeit, wenn sich auch ihrer drei in dieselbe teilen: der
Inspektor, der Archidiakonus und der Diakonus. Doch haben sie vom
1. Juli bis zum 1. September Hundtagsferien, während deren sie nur
den Sonntagsgottesdienst abzuwarten und die nötigen kirchlichen Hand-
lungen vorzunehmen brauchen; es ist dies die Erntezeit, in der über-
haupt nur ein schwacher Kirchenbesuch zu erwarten gewesen wäre.
Nach dem dreissigjährigen Kriege blieb die Stelle des Diakonus aus
Mangel an Mitteln unbesetzt; 1684 aber wird auf den Wunsch der Bürger-
schaft wieder ein Diakonus berufen, der auch als Rektor die Stadtschule
leitet. Die Stelle des Inspektors vergiebt der Landesherr. Anfangs wird
bei der Besetzung auf Wünsche des Rats und der Gemeinde Rücksicht
genommen, aber bei Friedrich Wilhelm I. linden sie nicht mehr Gehör.
Er schickt einen seiner Feldprediger, und damit ist die Sache erledigt.
Soll ein Archidiakonus oder ein Diakonus gewählt werden, so wird der
Inspektor ersucht, „dass er es wolle anordnen, dass zu dem höchsten
Gott ein andächtiges Gebet in öffentlicher Kirchenversammlung möge
gethan und er um Zusendung eines tüchtigen und der Kirche anständ-
lichen Subjecti, durch den sein heiliges Wort lauter, rein und erbaulich
möge gelehret werden, herzlich angeflehet werden. Nun laufen die Be-
werbungen ein, darunter manche wohl begründete wie die folgende:
„Dass man gar wohl, ohne Verletzung des Gewissens, um ein Predigamt
anhalten könne, dessen bin ich überzeuget a) aus der Beteuerung Pauli:
das ist je gewisslich wahr, so jemand ein Bischofsamt begehret, der
begehret ein köstlicli Werk, 1. Timoth. 3, 1; b) aus denen Gleichnissen,
hergenommen von jenen treuen Knechten, die ihre von ihrem Herrn
empfangenen Talente nicht vergraben und also vermodern und verrusten
lassen, sondern damit gewuchert haben, Matth. 25, 14; c) aus dem
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138
Dr. Paul Schwartz-Friedenau.
Excmpel Jesaiä, welcher, als er hörete, dass man eines treuen Predigers
benötiget, selber kam, sich anböte und zum Herrn sprach: Hie bin ich,
sende mich, .Tes. 6; d) wenn nur die in der H. Schrift verbotenen und
verdammten viae obliquae vermieden werden, der Hauptzweck aber
Gottes Ehre und der Gemeine Erbauung ist." Die Bewerbung schliesst
mit den Worten : „Der Herr aber zeige, wen er erwählet hat. Will der
alleinweise Gott mich senden und reflektiert ein Hochedler Magistrat
auf meine Person, siehe, hie bin ich !" Nachdem die Bewerber ihre Probe-
predigten gehalten haben, wird die Gemeinde um ihr Urteil befragt, und
danach schreitet der Hat zur Wahl. Die Stimmen werden, wenn nicht
eine einmütige Wahl vorauszusehen ist, schriftlich abgegeben; oft werden
sie mit einem Bibelspruch oder einer eingehenden Begründung begleitet.
Bei der Anstellung der Geistlichen gerät der Rat seit 1733 in Abhängig-
keit; da befiehlt der König, dass über die Anzustellenden zuvor das
Urteil der Berliner Pröbste Rolofl' und Reitibeck einzuholen sei. Übrigens
hat das Konsistorium jede Wahl zu bestätigen.
Bei der Einführung eines neuen Geistlichen bringen ihm die Kirch-
gänger „mit christlichem Gemüte nach Vermögen" ein Opfer. An den
Gottesdienst schliesst sich im Hause eines der Herren vom Rat, der die
Ausrichtung übernommen hat, ein Gastmahl, zu dem die Geistlichkeit,
der Rat, die Gerichtspersonen und die Kirchenvorsteher geladen werden.
Die Kosten trägt zu einem Drittel die Stadtkasse, zu zwei Dritteln die
Kirche. Nicht verächtlich ist, was bei solcher Gelegenheit von den
städtischen und kirchlichen Würdenträgern geleistet wird. Wir teilen
mit, was einmal bei der Einführung eines Diakonus draufgegangen ist.
GO Thlr. sind für das Mahl bewilligt, an dem 30 Personen teilnehmen.
Für die Speisen sind 30 Thlr. angesetzt. Der vom Oberbürgermeister
entworfene Speisezettel lautet:
Die Gerichte werden doppelt und auf 30 Personen eingerichtet.
Erster Gang.
1. Eine potage und zwar in einer Schüssel 4 Hühner und in der zweiten
eine Hammelkeule.
2. Zwei Schüsseln Sauerkohl mit Wurst.
3. Zwei gute Schinken und ein Paar geräucherte Ochsenzungen.
4. Zwei Pasteton von Hirschfleisch.
5. Zwei Schüsseln Salzfische, wobei Salat.
6. Zwei Schüsseln Rindfleisch mit grossen Rosinen und Meerrettig.
Zweiter Gang.
1. Zwei Hirschbraten.
2. Zwei Hasenbraten.
3. Eine Schüssel mit K rammeis vögeln, so nachgebracht wird.
4. Zwei Putliahnen.
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt während des 17. Jahrhunderts. 139
5. Ein Paar Capaunen.
6. Ein Paar Gänsebraten.
Dritter Gang.
1. Zwei Bisquitknchen.
2. Zwei Napfkuchen.
3. Zwei Apfeltorten.
4. Zwei Citronattorten.
5. Zwei Schüsseln mit Äpfeln.
6. Zwei Schüsseln mit Birnen.
Eine Schüssel mit Pflaumen und eine mit Walnüssen wird nach-
gebracht, nebst Butter und Käse.
Für 60 Quart französischen und 15 Quart Rheinwein, die aus
Stettin verschrieben werden, sind 22 Thlr. in Rechnung gesetzt; für die
noch übrigen 8 Thlr. wird eine Tonne Schönfliesser Weissbier, eine Tonne
Königsberger Braunbier, nebst Pfeifen und Tabak beschafft.
Dem Geistlichen steht es anfangs frei, seine Predigten so kurz oder
so lang einzurichten, wie ihm beliebt. Doch werden häufig dem Rat
Klagen aus der Gemeinde über zu lange Predigten vorgetragen , bei
denen einem alle Andacht vergehe. So erweist sich denn Friedrich
Wilhelms I. Befehl von 1714 als eine Wohlthat: die Predigten sollten
nicht länger als eine Stunde dauern; wer die Zeit überschritt, sollte
2 Thlr. Strafe zahlen. Damit deshalb der Geistliche weiss, über wie
viel Zeit er zu verfügen hat, steht auf der Kanzel eine Sanduhr, die er
beim Beginn der Predigt umdreht. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer
wird durch den Kirchenwecker überwacht, der auch Hundepeitscher
oder Mägdewecker heisst. Er geht mit einem langen Stecken umher
and mahnt die Schläfer daran, dass die Kirche keine Sehlafkammer ist.
Namentlich während der Vesperpredigt hat er viel zu thitn. Die Aus-
übung seines Amtes schafft ihm häufig Gelegenheit, die Andächtigen
zum Lachen zu bringen. 1708 wird auf Antrag des Inspektors der
Kirchenwecker abgesetzt, „weil er bei der Aufweckung der Leute viele
Insoleutien und Affekte verübet hat." Für seine Mühewaltung bezieht
er jährlich 2 Thlr. 15 Gr. und 2 Scheffel Roggen.
Die Predigten knüpfen häufig an Vorfälle in der Gemeinde, in einer
Familie, an bestimmte Personen an; oft in einer Weise, dass die Betroffenen
sich „wegen des Anstechens" von der Kanzel herab beim Konsistorium
beschweren. Will der Geistliche in einer Predigt ausschliesslich von
einem besondern Vorfall oder einer Person sprechen, so muss er beim
Konsistorium tun Erlaubnis dazu nachsuchen. Vor versammelter Gemeinde
erteilen die Geistlichen ihre Rügen; auch der Rat wird nicht verschont
und muss „stachlicbte Predigten" über sich ergehen lassen. Da predigt
ein Diakonus über den Mangel an frommer Gesinnung in der Stadt und
„stichelt" dabei auf die leeren Ratsstühle. Dafür fordert ihn der Rat
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140
Dr. Paul iSchwartz Friedenau.
vor sich und giebt ihm zu verstehen, dass er nicht nötig habe, bei dem
Diakonus sich Urlaub zu erbitten. Ein anderer spricht über das laster-
hafte Treiben in der Stadt und wird dabei so deutlich, dass sich aller
Augen auf zwei Itatsherren richten, die voll Ingrimms die Predigt über
sich ergehen lassen müssen. Wegen seiner „anzüglichen Formalien"
wird er vor den Rat zur Verantwortung gezogen. Er erklärt: „seine
Rede wäre generale gewesen, und hätte er die Laster im allgemeinen
gestrafet; wenn es sich aber jemand anzöge, so müsste ers geschehen
lassen; er könnte nicht sagen, dass er diesen oder jenen gemeinet, zu-
malen er mit seiner Predigt auf alle diejenigen, so in den Lastern er-
soffen wären, gezielet." Die Diakonatshäuser bedürfen dringend der
Ausbesserung, aber der Rat hält die Bewohner lange mit leeren Ver-
heissungen hin. Da macht der Diakonus seinem Verdruss gegen den
Rat in einer Predigt Luft, und zwar auf eine Weise, „dass ein gross
Gelächter unter der Gemeinde entstanden, hat auch endlich zu seinen
weitläufigen verdrießlichen Reden allerhand Fluchen und Vermaledeiung
gethan," wenn der Rat nicht bald zu dem Ausbau Anstalt treffen würde.
Sind die Beleidigungen besonders schwere, so wenden sich die Beleidigten
mit einer Beschwerde an das Konsistorium. Dieses beruft nun Kläger
und Beklagte zum Verhör nach Küstrin oder sendet eine Kommission
zur Untersuchung.
Nach der Predigt macht der Geistliche noch verschiedene Mitteilungen.
Was heut von den Behörden durch die Zeitungen bekannt gemacht wird,
das wird damals der Bürgerschaft von der Kanzel herab mitgeteilt.
Zwar wird wiederholt von der Regierung verboten, von der Kanzel „alle
und jede das Polizeiwesen und andere Profansachen concernierende Edicta,
Man data und Verordnungen abzulesen"; aber bei dem damals so regen
Kirchenbesuch war die Verkündigung von der Kanzel sicher das be-
währteste Mittel, au die Bürgerschaft eine Bekanntmachung gelangen zu
lassen, deren Mitteilung keinen Aufschub bis zur nächsten Bürgersprache
auf «lein Rathaus duldete. So erhält sich auch in Königsberg die Ge-
wohnheit, und noch 1729 schickt der Rat dem Inspektor einen Zettel
zum Verlesen, des Inhalts, „dass niemand sich solle gelüsten lassen,
Schoten vom Felde zu holen".
Der Kirchenbesuch ist ein recht reger, und der Eifer der Gemeinde-
mitglieder wird auch von den Geistlichen überwacht, namentlich ihre
Teilnahme am Abendmahl. Ist jemand seit längerer Zeit nicht zum
Tisch des Herrn getreten, so wird er an seine Pflicht gemahnt. Die
Zünfte überwachen selbst ihre Mitglieder in dieser Beziehung und be-
drohen mit Entziehung der Rechte oder Ausschliessung den, welcher
seine kirchlichen Pflichten vernachlässigt. Übrigens hat jeder Bürger
in langem schwarzen Mantel in der Kirche gleichwie im Rathaus zu
erscheinen; wer gegen diese Vorschrift verstösst, hat einen Groschen
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Kirchliches Leben in einer märkischen Stadt wahrend des 17. Jahrhunderts. 141
Strafe zu zahlen, „damit er sich künftig besser nach dieser zur Ehrbarkeit
zielenden Anordnung reguliere".
Stets und überall wird dem Bürger seine Zugehörigkeit zur christ-
lichen Gemeinschaft zum Bewusstsein gebracht, auch in Angelegenheiten,
die zur Kirche nicht in unmittelbarer Beziehung stehen. Die Neue
General-Polizei-Ordnung von 1661 beschäftigt sich gleich im ersten Ab-
schnitt mit der Gottesfurcht und der Heiligung der Sonn- und Festtage.
Es soll Hand-, Feld- und Gartenarbeit ruhen und kein Fuhrwerk benutzt
werden; die Stadtthore werden bis 4 Uhr Nachmittag geschlossen gehalten,
die Kaufläden den ganzen Tag, die Bierhäuser während der Predigt und
von 9 Uhr abends ab. Wer während der Predigt spazieren geht, tanzt,
bosselt (d. h. Kegel schiebt), wird mit Gefängnis oder einer „tapfern
Geldstrafe" belegt. Gastmähler müssen spätestens um 10 Uhr „unter
vernünftigem und ehrbarlichem Gespräch" beendet sein. Von Gottes-
lästerung, Fluchen und Schwören handelt der 5. Abschnitt. Wer solche
Sünden begeht, erhält zunächst eine Strafandrohung durch den Geist-
lichen oder die Obrigkeit, Fruchtet sie nicht, so tritt Gefängnisstrafe
ein, sodann eine empfindliche Geldstrafe oder der Pranger und endlich
die Leibesstrafe. Der 9. Abschnitt weist die Geistlichen an, gegen die
Völlerei zu predigen.
Steht der Bürger als Zeuge vor Gericht, so werden ihm ausser
den allgemeinen Fragen über seine Person auch noch andere vorgelegt,
die seinen Glauben angehen: ober sich gern zum Gehör göttlichen Wortes
und zum heiligen Abendmahl halte; wann er sich zum letzten Mal dazu
eingefunden habe; auf wen er seiner Seele Heil und Seligkeit setze; ob
er das achte Gebot verstehe und dessen Inhalt sagen könne; ob er
auch wisse, was ein Eid und falsches Zeugnis auf sich habe. Der Rat
führt die Aufsicht über die Sitten der Bürgerschaft wie ein Hausvater
über die Familie. Wollen aber seine Zuchtmittel, die weltlichen Strafen,
nicht mehr verfangen, so wendet er sich um Beistand an den Geistlichen;
wenn auch dessen gütliches Zureden nicht fruchtet, so wird als höchste
Strafe die Kirchenbusse verhängt. Natürlich handelt es sich hierbei
nicht um Verbrechen, die nach der peinlichen Gerichtsordnung abzu-
urteilen sind, wie Diebstahl, Mord u. dgl., sondern teils um leichtere
Vergehen, «Iis heut unter den Paragraphen vom groben Unfug fallen,
teils um Verstösse gegen das Gebot der Sittlichkeit, die durch das
Strafgesetz keine Sühne finden würden. Die Kirchenbusse verläuft nun
so. An dein für die Busse bestimmten Sonntage begiebt sich der Sünder
vor dem Gottesdienst zum Geistlichen, um an seiner Seite zur Kirche
zu gehen. Hier erhält er einen Platz angewiesen, auf dem er von der
ganzen Gemeinde gesehen werden kann. Nach beendigter Predigt lässt
er sich auf die Knie nieder und erwartet die Fragen des Geistlichen, die
er „mit geziemender Sittsamkeit und Niedergeschlagenheit4* zu beantworten
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Dr. Paul Schwartz-Friedenau.
hat. Der Geistliche stellt nun der Gemeinde den Sünder vor und
erwähnt sein Vergehen. Darauf fragt er ihn, ob er seine Sünden be-
daure und sich künftig eines besseren Lebenswandels befleissigen wolle.
Hat der Sünder die Fragen reumütig bejaht, so wird er losgesprochen.
Wie die Kirche eine Stätte ist, an der sich ein reges Leben der
Gemeinde entfaltet, so ist sie auch der Mittelpunkt für die stille Gemeinde
der Toten, die sich um sie schart, um in der Nähe des teueren Gottes-
hauses die ewige Ruhe zu finden. Um die Kirche breitet sich der
Friedhof aus. Wer sich als schlechter Christ bewährt hat, wer das
Gotteshaus gemieden hat, dem wird auch nicht der Friedhof aufgethan;
ausserhalb desselben dicht an der Mauer wird ihm sein Grab bereitet.
Kein Glockengrnss geleitet ihn auf seinem letzten Wege, ohne Sang und
Klang wird er eingescharrt, wie der arme Sünder draussen vor dem Thor am
Galgenberg. Doch sind es nur wenige Gräber, die da draussen an der
Kirchhofsmauer schmucklos verfallen. Auch die Kirche selbst nimmt
die Toten auf. Die Geistlichen, die Herren des Rats, vornehme Bürgers-
leute und ihre Angehörigen finden hier ihre letzte Ruhestatt, beneidet
von den Armen, die sich einmal mit einem Plätzcheu draussen bescheiden
müssen; denn ein Begräbnis in der Kirche kostet 20 Thaler. In den
Erbbegräbnissen, im Kellergewölbe reiht sich Sarg an Sarg.
So haben sie gestanden bis vor 10 Jahren. Da wurde die Ruhe
der Toten gestört, als die Kirche ausgebaut und mit Heizungsanlagen
versehen wurde. Die Gebeine wurden gesammelt und in eine gemein-
same Gruft gelegt. Auch der Friedhof ist seit einem Jahrhundert ver-
schwunden. Kein Stein, kein Kreuz erinnert daran, dass hier unter
dem Pflaster und den Blumenbeeten sich Tausende zum ewigen Schlaf
gebettet haben.
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Vom Sagensammeln.
Von Wilhelm Schwartz.
Erinnerungen aus meinen Wanderungen in den Jahren 1837—1849.
(Ein Vortrag in der Sitzung des hies. Vereins für Volkskunde aui 2ß. Januar 1894 gehalten.)
Die Aufforderung, welche mir von unserm hochverehrten Vorsitzen-
den*) geworden, um heutigen Tage aus meiner laterua magica, wie
derselbe sich ausdrückt, wieder einige Schlaglichter auf das Volkstum zu
werfen**), hat mich angeregt, einige Bilder Ihnen vorzuführen aus meinen
volkstümlichen Studien, namentlich aus den Jahren 1837/49, wo ich mit
Kuhn anüng, die Marken und überhaupt Norddeutschland, so oft die Zeit
es irgend gestattete, zu durchwandern, um die Sagen, besonders die
mythischen Traditionen und die Gebräuche, die sich in diesen Land-
strichen noch erhalten hatten, zu sammeln.
Wenn ich, so viel als möglich, Thatsachen sprechen lassen werde,
um Ihnen ein anschauliches Bild von dem Verkehr mit dem Volke auf
jenen Wanderungen und den Erfahrungen, die wir dabei gemacht, zu
geben, so muss ich um freundliche Nachsicht bitten, wenn persönliche
Beziehungen z. T. dabei nicht bloss berührt, sondern auch gelegentlich
ausführlicher geschildert werden ; sie gehören eben dazu, den Hintergrund
des Bildes zu zeichnen und dasselbe zu vervollständigen.
Ich muss gleich mit einer solchen anfaugen.
Es war Ende der 30er Jahre ein höchst angeregtes Leben auf dem
Gebiet der philologisch- historischen Wissenschaften, namentlich hier in
Berlin. Wie in den neusten Zeiten Schliemanns und seiner Nachfolger
Entdeckungen auf mehr archäologischem Gebiet blitzartig den Horizont
■
•) Geheimrat rrof. Dr. Weinhold.
••) Es bezieht sich dieser Ausdruck auf die vom Verf. in dem I., II. und III. Bande
der Zeitschrift für Volkskunde veröffentlichten vier Aufsätze mit dein Titel „Volks-
tümliche Schlaglichter".
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144
Vom Sagensainmeln.
der Studien des Altertums weiteten, so war es damals das Sanskrit und
die Germanistik, welche die Geister fortrissen und der Wissenschaft
eine neue Welt zu eröffnen und die klassischen Studien mehr in den
Hintergrund zu drangen schienen. Bopp und dann J. Grimm waren gleich-
sam die Sonnen, um die sich Alles drehte. Ich wurde in diesen Zauberkreis
durch Kuhn hineingezogen, der damals meiner Familie näher trat und
mich, seinen zukünftigen Schwager, für die neuen Wissenschaften gewann,
während er selbst an seine Doktor -Dissertation de conjugatione in — /ut
dachte. Obwohl ich eben erst in die Prima des Grauen Klosters hier-
selbst eingetreten war, fing ich an mit Gustav Freytag, der noch hier
in den letzten Semestern studierte und mit Kuhn befreundet war, sowie
mit einem jüdischen Studenten, — dem Freytag dann ein Ehren -Denkmal
in seinem „Soll und Haben" gesetzt hat — bei Kuhn Sanskrit zu treiben,
wie dieser mich auch in Grimms Mythologie einführte, die erst kürzlich
erschienen war. Freudig folgte ich auch seiner Aufforderung, mit ihm
in Grimms Sinne die ländlichen Traditionen der Mark zu sammeln.
In den Ferien, ja Sonnabends und Sonntags, so oft es möglich war und
die Jahreszeit es gestattete, wanderten wir hinaus in das Land.
In Stralow (wo damals noch, wie der Berliner sagte, der Eier-
kuchen nur auf einer Seite gebacken wurde, es hatte nur eine Reihe
Häuser) beim Schulzen Kracht, einem ächten Märker von klarem Kopf
und trocknein Humor, von dem sich manche Anekdoten erzählen Hessen,
machten wir unsere ersten volkstümlichen Studien. Knüpften sich doch
auch allerhand Gebräuche, ja auch Sagen an den sogen. Stralauer Fisch-
zug, (den Eröffnungstag des Fischfangs,) der damals noch im lebendigen
Volksleben stand. An Stralau reihte sich bald weiter im Osten Köpnick und
Rahnsdorf sowie die Umgegend der Müggelsberge mit ihrem Sagenkranze,
auf der anderen westlichen Seite Berlins dann Pichelsdorf mit dem
Schildhorn. Es hatte einen besonderen Reiz, so dicht vor den Thoren
Berlins mit dem Sagensammeln anzufangen. Freilich sah es damals noch
anders vor denselben aus als jetzt. In Pichelsdorf gab es damals nur Stroh-
dächer, und der Rauch kam unter denselben hervor; von Schornsteinen
war noch keine Rede. Und am Teufelssee bei den Müggelsbergen, wo
jetzt eine Restauration ist und der Berliner Kellner waltet, war noch
ein dichter Urwald alter Eichen, und an dem Wege, der sich im Dunkel
derselben an dem See hinzog, sollte es vor allem nicht recht richtig sein,
wie uns auch ein Rahusdorfer Bauer, mit dem wir von der Prinzessin
plauderten, deren Schloss dort untergegangen sein sollte, allen Ernstes
versicherte, dass, als er einmal in der Johannisnacht zu Wagen da vorbei-
gekommen, er Mühe gehabt hätte, die Pferde zu halten. Er selbst sei
auch betroffen geworden, als er an dem grossen Stein beim Teufelssee,
wo das Schloss der Prinzessin einst versunken sein sollte, leibhaftig
eine weisse Gestalt im Mondenschein hätte sitzen seilen.
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Vom Sagensamineln.
145
So wurden wir allmählig mit dem Volke vertrauter, leniteu es,
ein Gespräch mit den Leuten anzuknüpfen, das sie schliesslich geneigt
machte, auf unsere Ideen einzugehen, vor allein übten wir uus in der
Geduld, was dabei eine Hauptsache ist.
Eine recht charakteristische Secne, an die wir oft nachher noch,
wenn unsere Geduld auf die Probe gestellt wurde, in Humor zurück-
dachten, begegnete uns z. B. gleich in der ersten Zeit in Heiligensee bei
Tegel. Wir hatten uns eines Sonnabends Nachmittags dorthin aufgemacht,
um die an den dortigen sog. Ileiligensee sich knüpfenden Sagen zu erforschen
uud fanden in dem Schulmeister, der uns von einem Bauer, welcher uns
begegnet war, als ein alter Geschichtenmann, der alle solche Sachen
wisse, empfohlen war, und den wir deshalb aufsuchten, auch, wie es
schien, einen zugänglichen Mann. Er war aber leider schwerhörig, und
das sollte für uns verhängnisvoll werden. Denn als wir nach eiuigen
einleitenden Worten von den „alten" Geschichten anfingen, „Ja, sagte er,
es passiert viel Merkwürdiges in der Welt; ich erzähle auch meinen
Kindern in der Schule immer davon" und nun kam die Geschichte von
Josef zu Tage. Scheinbar andächtig hörten wir zu, in der Hoffnung,
dass wenn dies abgesponnen, doch noch etwas anderes hei1 vor kommen
würde. Von einein Ab- und auf eine andere Bahn Einlenken war bei
dem alten, tauben Herrn nicht die Rede. Als er mit Josef glücklich
fertig war, und wir wieder hoffnungsvoll einsetzten, fing er an: „Ja und
da ist noch die Geschichte von den drei Brüdern." Wir stutzten, denn
wir dachten, es würde sich etwa ein deutsches Märchen erschliessen.
Zu unserm Schrecken war es aber die Geschichte von den 3 Horatiern
und Cnriatiern, die er natürlich ohne Namen und ohne die spezielle
Beziehung auf Rom, sondern auf einen anderen Ort übertragen, — ich
weiss nicht mehr welchen, — in voller Behaglichkeit abspann. Wir
machten noch verschiedene Versuche, aber umsonst. Der Mann lebte
nur in den Geschichten, die er in der Schule verwertete, — und zu
unserm Schrecken hörten wir, da es inzwischen schon spät geworden
war, dass wir in Ileiligensee nicht bleiben könnten, es sei da kein Gast-
haus, wir lnüssten hinüber nach Nieder-Neuendorf: aber das Eis der Havel
hielte noch, — es war März, — er wolle uns jemand stellen, der uns
sicher hinüberführe.
Die Geschichte nahm übrigens noch schiesslich eine gute Wendung
und hatte am andern Tage ergiebige Resultate. Wir waren nämlich
ganz gut über die Havel gekommen, obgleich das Eis stellenweise un-
behaglich donnerte, es auch nicht gerade angenehm war, dass der vor-
angehende Führer bald rechts, bald links uns vor einer Luhme warnte,
die die Fischer sich gehauen hatten. Auch fanden wir noch ein Nacht-
quartier, — freilich keine Betten, sondern nur ein Strohlager, — indem
unser Führer mit Mühe das Mädchen im Krug herausklopfte. Von Essen war
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146
Wilhelm Schwärt*.
auch nicht mehr die Rede, kaum dass das Mädchen einen Kienspan an-
zündete und uns in der Wirtsstube noch etwas Stroh aufschütten zu
wollen erklärte, „wo, wie sie sagte, schon andere lägen". Wir machten
gute Miene zum bösen Spiel, richteten uns so gut es ging ein, und
sollten auch am andern Morgen reichlich dafür belohnt werden. Als
die Sonne durch die Kitzen der Laden blickte, wachte ich auf, zumal
es mir an der Seite so eigentümlich warm wurde und sich so rauh an-
fasste, was da lag. Es war ein schwarzer Kater, der sich zwischen mir
und meinem Schlafnachbar, dem Semmelmann aus Spandau, wie sich
nachher herausstellte, eine warme Stelle ausgesucht hatte und der nun
gleich, als wir etwas gefrühstückt, den Stoff bot, auf Katzengeschichten,
und dass Hexen oft als Katzen spukten, einzugehen. Und unser Semmel-
mann erwies sich in diesem Genre so bewandert, dass wir nachher noch
einen weiten Umweg mit ihm machten, um ihn möglichst gleichsam
auszupumpen.
Dass man, wenn man ins Volk geht, wie die russischen Nihilisten
sagen, sich möglichst weit ihm amalgamieren muss, um nicht den Ein-
druck des Fremdartigen zu machen, sondern als Einer von ihnen zu
erscheinen, davon hatte ich gleichzeitig eine besondere Erfahrung in Berlin
gemacht. Ich wollte ein Puppenspiel von „Linde" in der „Kurzenstrasse"
besuchen, nachdem ich mich mit dem Herrn angefreundet hatte, um seine
alten Manuskripte, nach denen er Fausts Höllenfahrt und ähnliche Stücke
spielte, näher kennen zu lernen. Trotzdem ich mich mit einem befreun-
deten Studenten, der noch jetzt hier als Geheimer Sanitätsrat lebt, so
schlecht als möglich angekleidet hatte, — es war im Jahre 1839, — und
wir uus ganz bescheiden benahmen, erregten wir doch Verdacht bei
einem etwas händelsüchtigen Teil des Publikums. Es fielen allerhand
Redensarten, als süssen da in der ersten Reihe welche, die nichts unter
ihnen zu suchen hätten und hinaus müssten, so dass wir uns für alle
Fälle enger mit einigen kräftigen Gardisten in unserer Nähe befreundeten,
indem wir ihnen Cigarren anboten, aber doch froh waren, dass Linde
in einer Pause an uns herantrat und unsern Besuch des Theaters so
coram publico legalisierte. Interessant war übrigens im höchsten Grade
die Spannung, mit der das Publikum der Vorstellung trotz der Dürftig-
keit solcher Marionettenvorstellung folgte, und oft brach die Teilnahme
in lauten Jubel aus. Besonders war dies bei einer Stelle der Fall, als der
Kasperle, der Diener Fausts, der Repräsentant des gesunden Volkshumors im
Stücke, den Zauberring seines Herrn findet und nun die Geister Fitzliputzli
undConsorten citierte und mit ihnen sein Spiel trieb. Als z.B. der Auerhahn,
ein kleiner Teufel, von ihm u. a. gefragt wurde, was er treibe, und sagte,
er mache die Kaiser und Könige, und Kasperle meinte, ,,aha ! darum fallen
sie auch so aus", da brach so ein grosser Jubel los, aber er hatte in der
harmlosen Heiterkeit der ganzen Aufführung nichts besonders Verfang-
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Vom Sagensamnieln.
147
liches. Anders machte es sich freilich, als ich nachher die Stelle im
Manuskript fixiert las ; und so war es auch erklärlich, dass die demselben
angehängte „Konzession zur Aufführung" aus der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts die betreffende Partie gestrichen sehen wollte. Das Manu-
skript schrieb ich übrigens nachher für Professor v. d. Hagen ab, der
Materialien für eine Herausgabe des Puppenspiels von Dr. Faust« Höllen-
fahrt sammelte.
In eine so bedenkliche Lage, wie bei jenem Puppenspiel in der
Kurzenstrasse bin ich freilich nie wieder gekommen; die Verhältnisse
auf dem Laude waren ja auch meist einfacher und gemütlicher, und
suchten wir uns da auch meist mehr zunächst an Einzelne zu halten, schon
deshalb, weil bei Anwesenheit Mehrerer leicht Debatten entstanden, die
nicht vorteilhaft für unsere Erörterungen waren. Aber auch, wo manch-
mal auf dem Lande wir uns bei einer grösseren Anzahl unter das Volk
mischten oder gar auch einmal an ihren Vergnügungen teilnahmen, fanden
wir meist harmloses Entgegenkommen. So erinnere ich mich, dass wir
einmal den 3. Weihnaehtsfeierhig, als der Winter gerade mild war,
nach dem Fläming eine Exkursion machten und gegen Abend in ein
Dorf kamen, wo im Kruge flott getanzt wurde, und man uns sogar dazu
aufforderte. Wir gingen auch darauf ein, hielten uns aber bald zu den
Alten, denn was uns für unsere 2 Groschen zugemutet wurde im Drei-
tritt in der Reihe abzutanzen, überstieg bald unsere städtischo Übung,
so dass ich wenigstens mich erinnere, bald mehr von meiner Tänzerin
geführt worden zu sein, als dass ich sie führte. Wir hatten aber doch
soviel erreicht, dass wir keine Spielverderber zu sein schienen, so dass
uns die älteren Männer, als wir uns zu ihnen an den Tisch setzten, ganz
freundlich annahmen und sich je länger je mehr, als namentlich noch ein
paar Unterförster eintrafen, ein Gespräch, wie wir es brauchten, entspann,
zuerst von allerhand Uäubern ä la Riualdini, dann von Spukgeschichten,
zu denen wir reichlich beisteuerten, aber auch entsprechende Gegengabe
empfingen, so dass, als die Mitternacht heraukam, und wir zu Bett gehen
wollten, einer der Förster unter allgemeiner Zustimmung uns einlud,
bald wieder vorzusprechen, indem er, wie Wagner im Faust dem
Gefühle Ausdruck gab, „mit uns zu diskut ieren, sei ehrenvoll und bringe
Gewinn."
Derartiges war und blieb freilich nur vereinzelt, hauptsächlich
schlössen wir uns jedem Wanderer an, der desselben Weges ging, um im
Gespräch mit ihm das sagenhafte Material der Gegend zu sondieren;
schwenkten vom Wege ab, wenn wir irgendwo eine Schaf- oder Kuh-
herde salien und wenn der betreffende Hirt zugänglich war, plauderten
wir mit ihm, so lange er gern zu plaudern schien oder wir von ihm
hofften etwas zu hören. Der nächste Krug war dann unsere Haupt-
station und besonders kamen wir gut an, wenn wir die Krügerfamilie
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Wilhelm Schwürt«.
allein fanden, wo sie zugänglicher war. Dann wurden die für die Gegend
angeknüpften Fäden weiter gesponnen, nachdem zuerst meist das Wetter
oder der Stand der Früchte oder eine besondere Eigentümlichkeit, zum
Beispiel ein grosser Stein, den angeblich ein Hiese dahin geworfen haben
sollte, Anknüpfung für Weiteres geboten.
Beziehungen zu gewissen volkstümlichen Gebräuchen an den hohen
Festen, die sich ja zum Teil in der Zeit an heidnische Feste anlehnen,
namentlich zu Weihnachten an den sogen. Zwölften, dem alten „Mitwinter-
sonnenfest", schlössen sich leicht an und verbreiterten den Inhalt der
Unterhaltung. Lernte sich ein derartiges Anknüpfen leichter, so war
die richtige Fragstellung behufs eingehender Feststellung der verschiedenen
Momente einer Sago oder eines Gebrauches sowie die Leituug eines Ge-
sprächs in der Weise, dass der Gefragte nicht mit einem , ja" oder „nein"
ant worten konnte, sondern selbst zu einem konkreten Ausdruck des Faktums
gebracht wurde, in jedem einzelnen Falle gleichsam eine besondere
pädagogische Aufgabe. Denn der natürliche Mensch ist in solchem
Falle nur zu leicht zu einem „ja" bereit, um den lästigen Frager los
zu werden, wie ein Kind auch seinem Lehrer, wenn derselbe, nach einer
gegebenen Auseinandersetzung einer Sache, es fragt „hast du es ver-
standen" in neun Fällen unter 10 mit „ja" antwortet. Derartiges spielt
auch, nebenbei bemerkt, bei sogen. Fragebogen oft eine Rolle, wie denn
überhaupt manches Apokryphe durch dieselben zu Tage gefördert wird,
wenn sie nicht bloss zur Orientirung benutzt werden, und das Einzelne
ohne weitere Kontrolle in die Wissenschaft übergeht, zumal auch die
meist gebildeten Mittelspersonen leicht „Subjektives" hineinbringen.
Konzentrierte sich nun aber der Verkehr mit dem Volke zunächst
meist in den Krügen und um die Personen, die wir in denselben antrafen,
so besuchten wir doch oft auch auf Einladungen, die wir unterwegs
erhielten, einzelne Bauernhäuser oder Leute, die angeblich etwas von so
alten Dingen wissen sollten. Namentlich haben wir in der ersten Zeit
oft einen alten Kuhhirten in Brodewin iin Barnimer Kreise besucht und
es war jedesmal ein Festtag der Familie, wenn wir einsprachen und der
Grossvater seine Geschichten, namentlich Märchen und Tierfabeln,
auspackte.
Der Zufall spielte aber immer eine besondere Holle. So erinnere
ich mich eines Nachmittags im sogen. „Hans Jochenwinkel" in der
Altmark, wo wir in einem Dorf unter einer alten Linde Grenzjäger und
Bauern trafen und uns zu ihnen setzten, und plötzlich von einem über
Jemand, der gerade gestorben, die Äusserung fiel „ja de is nu all auch
hen nach Nobiskrug". Das war für uns eine Veranlassung, in dem
Dorfe uns festzusetzen, und allmählich enthüllte sich nun der ganze Vor-
stellungskreis von einer Art Unterwelt, die sich aus heidnischer Zeit
hier erhalten und lokalisiert hatte. Denn mit Nobiskrug, was wir aus
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Vom Sagensammeln.
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Grimm als eine Bezeichnung für Hölle kannten, bezeichnete man dort
noch allgemein das Dorf Ferchau (Seelenau) an der Sumpfgegend des
Drömling. Dieselbe Vorstellung also, die bei den Griechen und Römern
solch ein Terrain für den Eingang zur Unterwelt hielt, hatte sich hier auch
am Rande der Sumpfgegend, die als unergründlich galt, im Namen
Seelenau wie Nobiskrug lokalisiert, und der Gebrauch, dass man dem
Toten eine Münze als eine Art Fährgeld in den Mund legte, den wir
bald allgemein verbreitet fanden, gab der Sache einen bedeutsamen
Hintergrund, zumal es hiess, Jemand, bei dem dies nicht geschehen,
komme sonst als „Nachzehrer" wieder und ziehe andere nach.*)
Wir machten dabei noch gleich eine besondere Erfahrung. Da wir
hörten, der Geistliche kümmere sich viel um Altertümer, und der Aber-
glaube das Begräbnis betraf, bei dem er doch auch zu fungieren hatte,
dachten wir Näheres von ihm zu hören. Wir suchten ihn deshalb auf.
Er hatte auch verschiedene Altertümer und Sammlungen, und es war
ein interessanter Herr.**) Von der Sache mit dem Totenpfennig wusste
er aber nichts und bestätigte sie erst nachher nach eingezogenen Er-
kundigungen. Zuerst fiel uns dies auf, aber bei eingehender Erwägung
erschien es natürlich, dass gerade ein solcher abergläubischer, aus dem
Heidentum herstammender Gebrauch speziell vor dem Prediger geheim
gehalten wird. Eine wunderbare Bestätigung der Sachlage hörte ich
auch nach Jahren noch von dem Kantor Hille in Liepe im Havelland,
dem ich mal die Sache erzählte, und der mir später eingestand, trotzdem
er dreissig Jahre dort fungiere und bei jedem Begräbnis zugegen gewesen
sei, sei er doch jetzt erst, durch mich aufmerksam gemacht, dahinter
gekommen, dass er keinen Toten zu Grabe gesungen, der nicht seinen
„Sechser" unter der Zunge gehabt. Die Sache ergab sich dann als auch
im Havellande allgemein üblich.
Ein ähnlicher fast komischer Zufall führte uns später auch zu der
Entdeckung der Frigg in der Uckermark, die Jacob Grimm noch so
viel Freude machte. Ich traf in einem Bauerhause, wo wir einmal in
den Herbstferien eingesprochen, die Mädchen beim Waschen und spielte
das Gespräch darauf über, dass es auch Zeiten gäbe, wo man nicht
waschen dürfe, z. B. an den Zwölften. Man lachte darüber, aber eine
der Mädchen meinte, dann dürfe man ja auch nicht spinnen, sonst käme
*) Den Namen Nobiskrug für Ferchau erwrthnt schon Walther, Sing. Magd. 1753
VII. 57. und dass er als Bezeichnung für den Aufenthalt der Toten andererseits
ru derselben Zeit noch allgemeiner bekannt war, zeigt die Krwahnung desselben
in diesem Sinne in einem Loblied auf das Bernauer Bier, welches Beckmann, Iiistor.
Beschreibung der Churmark Brandenburg. Berlin. 1751. S. 6.7J mitteilt.
••j So viel ich mich erinnere, spielte sich das (iauze in Lagendorf ab, und der
Prediger war der Pastor Krilger, den Parisius fast *J0 Jahr spater (1SG0) einmal auf-
suchte und von dem er in seinen „Bildern aus der Altmark*4. Hamburg 1S8:{, dann
S. 245 ff. erzählt.
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Wilhelm Schwartx.
„de Pfui" in den Wocken. Tch fragte, was denn das heisse, und man
meinte, der Wocken würde sonst beschmutzt, dass es ein Ekel sei. So
eigentümlich dies als Erklärung für den Namen Pfui klang, wenngleich
der Aberglaube von dem Beschmutztwerden des Wockens, wenn er in
den Zwölften nicht abgesponnen, uns schon aus den anderen Teilen der
Mark bekannt war, mussten wir uns zunächst mit der Erklärung
begnügen. Doch aufmerksam gemacht, forschten wir in dem betr.
Landstrich weiter danach und hörten zunächst deutlich die Formen
Fuick, Frick, dann wurde uns die Frick hier als eine alte Hexe be-
zeichnet, die in den Zwölften umzöge und jede Arbeit bestrafe, dort
hörten wir, sie zöge mit der wilden Jagd und Hunden, denen das Feuer
nur immer so aus dem Maule schlüge, kurz es ergaben sich Ueberreste
alter Mythen im Anschluss an den Namen, wie der Gebrauch noch das
unbewusste Fortleben altheidnischen Aberglaubens zur Zeit der Winter-
sonnenwende zeigte, und zwar in ähnlicher Weise wie es in Mecklen-
burg an den Wode in der Mittelmark an Frau Harke sich knüpft.
Oft täuschte aber, was vielversprechend zu werden schien, und Zeit
und Mühe, eine Sache zu verfolgen war vergeblich. Aber das half dann
nichts und durfte nicht entmutigen. So hatten wir einmal in der Ucker-
mark die Bezeichnung Puks für Kobold in einer Familie gehört und bei
weiterem Nachforschen ergab sich, die Geschichte rühre von einer alten
Verwandten her, die im Hospital zu Lydien sei. Der Puks in der
Uckermark war etwas besonderes, da er sonst nur an der Ostsee auf-
trat. Wir änderten unsere Marschroute und wanderten nach Lychen,
fanden auch glücklich die Frau im Hospital daselbst. Es war aber zum
Unglück an einem Sonntagmorgen, wo alle die alten Frauen im Hospital
in dem Saal zusammensassen. Vergeblich dass wir versuchten, die Frau
allein zu sprechen. Schon unser Erscheinen und Nachfrage erregte einen
gewissen Jubel. Die alten Frauen, keine war unter siebzig Jahr, fingen
sofort an, sich in die Unterhaltung zu mischen, die Unglückliche zu
necken, indem sie allerhand Sticheleien machten. Der Puks sei nur ein
Vorwand, wir seien ein paar schmucke Bräutigams, die sie sich bestellt,
kurz die ganze Sache fiel ins Wasser, und wir waren zuletzt froh, aus
der halb toll werdenden Versammlung glücklich wieder herauszukommen.
Ebenso missglückte öfter ein Versuch, wenn wir nachträglich erst
auf eine Sache besonders aufmerksam geworden, weiter „brieflich ' an-
zuknüpfen unternahmen. Mancher, wie der Schulze in Diesdorf, der des
Schreibens wohl mächtig war und auch sonst Interesse gezeigt hatte,
uns dies oder jenes zu erzählen, antwortete garnieht. Ein Bauer aus
dem Dröinling liess mir nach einem Vierteljahr einen langen, langen
Brief schreiben, in dem garnieht berührt war, wonach ich gefragt,
sondern aus einer alten Chronik mehrere Seiten abgeschrieben waren,
und der dann mit den Worten schloss „die Zeit wird sie wohl lang
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Vom Sagensainmeln.
151
dauern, aber meine umstände habens wollen nicht ehr Erlauben. Es
hat mir zwar Umstände und etwas kosten verursacht, aber was thut die
liebe bei Menschen. Lieber Schwartz leben Sie recht wohl, nun Adieu.
Natürlich ermutigten derartige Erfahrungen nicht zu ähnlichen Ver-
suchen, beim Wandern selbst aber darf man sich nicht abschrecken
lassen, wenn man an einem Orte nicht gleich bei den ersten Nachfragen
einen Erfolg erzielt. Es hängt nämlich sehr oft einfach davon ab, auf
welchen Teil der Bevölkerung eines Ortes man gerade stösst. Als wir
z. B. das erste Mal in Kloster Lehnin waren, bemühten wir uns ver-
geblich, noch etwas anderes zu hören als die bekannten Geschichten von
den in der Klosterkirche daselbst befindlichen alten Bildern, wie der
Abt Sebaldus von den heidnischen Bewohnern des Nachbardorfes Lehnin
erschlagen worden und die Jungfrau Maria den Mönchen dann erschienen
sei und sie zum Ausharren ermutigt habe. Wir waren nämlich, wie sich
später herausstellte, in ein Gasthaus und den Teil der Stadt geraten, in
dem die Nachkommen der alten französischen Kolonisten ansässig waren.
Als wir aber bei einem neuen Besuch dem anderen Teil der Bevölkerung
näher traten, in dem sich das deutsche Element reiner erhalten hatte,
hörten wir eine Fülle hübscher Sagen von Lehnin und namentlich auch
der Umgegend, die dann u. A., wie überhaupt unsere märkischen Sagen,
Willibald Alexis besonders erfreuten, so dass er einzelne auch in
seinen märkischen Romanen gelegentlich in die Schilderungen verwebte,
und sie so auch dem litterarischen Publikum als heimatliche, poetische
Genrebilder bald bekannt und vertraut wurden.*)
Spasshaft waren oft die Gedanken der Leute, weshalb wir so das
Land durchwanderten, da in der Mark es damals noch wenig Touristen
gab. Meist suchte man diesen oder jenen lokalen Grund in der Um-
gegend heraus, ein Gut oder eine Familie, dem eigentlich unsere Wan-
derung gelte, namentlich dass wir in der Gegend auf die Freite gingen.
Nur zweimal trat uns eine besondere Auffassung in eigentümlicher Art
entgegen. Ein uckermärkischer alter Manu, mit dein wir etwa eine
*i Dieselbe Beobachtung die wir speziell in betr. der Lehniner Verhältnisse ge-
macht, war, wie ich nachher sah, auch Riedel entgegengetreten, als er bei seiner
Suche nach märkischen Urkunden nach Kloster Lehnin gekommen und die Bevölke-
rung, wie er sagt, in Hinsicht auf alte Erinnerungen Gespensterfurcht und dergleichen
vollständig in zwei Gruppen geteilt fand, und derartiges nur bei den alten Unterthanen
des Stifts, wie er sich ausdruckt, hervortrat, wahrend den Reformierten, d. h die er-
wähnten Kolonisten, da sie überhaupt nicht an solche Sachen glaubten, geradezu die
Fähigkeit, Gespenster zu sehen, im Volke abgesprochen wurde. — Je mehr seit den
inzwischen verflossenen 50 Jahren die alten angesessenen Verhaltnisse durch Eisen-
bahnen, Freizügigkeit und dergl. durchbrochen sind, weiden ähnliche Erscheinungen
eich ev. mehren, zumal Zeitungen und überhaupt Lektüre mannigfacher Art auch bei
dem Landvolk dem Interesse für die alten Geschichten immer mehr den Boden
entzieht und nur in den langen Winterabenden in höchstens noch einmal auftauchen.
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Wilhelm Schwarte.
Meile zusammengegangen, auch unterwegs eingekehrt und ein Glas Bier
ihm spendiert hatten, fasste beim Abschied die Sache verschmitzt praktisch
auf, indem er sagte: „Nun meine Herren. Ich weiss nicht weshalb Sie
nach all' den alten Geschichten gefragt und sich das alles haben er-
zählen lassen. Aber einen Zweck haben Sie dabei, umsonst thun Sie
das auch nicht. Und wenn Sie etwas dabei verdienen, können Sie mir
auch was davon geben." Da er zumal etwas reduciert aussah, gaben
wir ihm gern eine Kleinigkeit, zumal er uns u. A. auch von der alten
Frick eine Geschichte erzählt hatte.
Fast wissenschaftlich, wenngleich vom Standpunkt des Elementar-
unterrichts aus, den er genossen, fasste ein Schulze aus der Nähe von
Boitzenburg die Sache auf. Es war eines Sonntags morgens, Anfang
der Vierziger, als wir ihn in dem Kruge vou Boitzenburg, das dem Grafen
Arnim gehört, trafen. Nach einigen Präliminarien kam er uns näher
und erzählte mit einem gewissen Stolz, er sei von der Frau Gräfin aufs
Schloss gerufen worden. Eines der Kinder hätte die Rose, deshalb habe
sie ihn holen lassen, dass er selbige bespreche. Herr Graf hielte zwar nicht
viel davon, aber Frau Gräfin sei eine sehr verständige Frau. „Übrigens,"
sagte er, „ich kenne die Herren wohl wieder, sie waren schon einmal
hier, und ich habe es gleich dem Wirt gesagt, „das sind die Herrn, die
so die Welt herum reisen und hören was sie überall für Sprachen
sprechen und für Geschichten haben," das ist 3 Jahr her, dass sie hier
waren und nun kommen sie wieder herum." Dies Factum mit den
drei Jahren war richtig, aber der Schluss daraus auf eine Wranderung
um die Welt, war die Folge eines Residuums seiner Schulbildung. Wenn
der Riese Schlagradodo in Immermanns Tulifäntchen das Resultat seiner
elementaren Bildung in den Spruch zusammenfasst:
Asien, Afrika, Europa
Und Amerika, und unten
Da im stillen Meer das viele
Gänseklein von Inselsuiten,
Sind die fünf Weltteil; es lebet
Ein allmächfger Gott im Himmel,
Sterben wir, ist die Geschichte
Nichts so mir nichts dir nichts aus.
Nein dann kommt das ewige Leben,
Und der Mensch hat freien Willen,
Wenn ich frage: Wem? Dann setz ich
Mir und frag' ich: Wen? Dann ziemts
Mich zu sagen; und die Erde
(i leicht 'ner alten Pomeranze. —
so war unserem Schulzen auch noch die Reminiscenz geblieben, dass man
drei Jahre gebrauche, die Erde zu umfahren, und so war ihm unst<r
Vom Sagensamineln. 153
Wiedererscheinen in Boitzenburg nach 3 Jahren zu einer Art Erd-
umsegelung geworden! —
Inzwischen waren aber unsere Sammlungen in den Marken im Laufe
der Jahre durch fortgesetzte Wanderungen schon zu einem Abschluss
gediehen, so dass im Jahre 1843 eine Herausgabe an der Zeit zu sein
schien. Trotz Kuhns Protest figurierte ich aber nicht auf dem Titel,
sondern nur in der Vorrede. Denn mein guter Vater fürchtete, dass,
da ich gerade vor dem Examen stand, mir das Bekenntnis eines fort-
gesetzten Wanderlebens bei demselben nachteilig werden könne, zumal
damals das Sagensammeln noch mehr als nutzloser Zeitvertreib oder
höchstens mehr alsein Amüsement denn als eine ernste Kulturarbeit erschien.
Uns hatte aber der Erfolg so angeregt, dass, zumal Kuhn eine
Unterstützung bei dem Könige Friedrich Wilhelm IV. fand, wir den Plan
fassten, die Sammlung der Volkstraditionen weiter über ganz Nord-
deutschland bis an den Rhein auszudehnen. Wir gingen aber nun plan-
massig ans Werk, zumal schon in den Marken eine geographische Gliederung
des alten Volksglaubens, dem wir immer mehr unsere Hauptaufmerk-
samkeit schenkten, hervorgetreten war, und wir dieselbe in den einzelnen
(»ruppen Norddeutschlands weiter verfolgen wollten. Die in kleinerem
Kreise der Mark gewonnene Praxis stählte unsern Mut und kam uns
dabei zu statten
Mit jedem neuen Landstrich eröffnen sich nicht blos sagenhafte
Nüancierungen, sondern auch ein gewisser Wechsel in der Landschaft,
der auf das Volkstum reflektierte. Hatte uns z. B. das fruchtbare West-
falen bei einer grösseren Tour in seinen lang sich hinziehenden Dörfern,
einzelnen Höfen schon äusserlich ein besonderes Bild selbständigen Bauern-
lebens gegeben, wie es Immennann so charakteristisch in seinem Münch-
hausen schildert, so bot der im Münsterlaude beginnende durch Sumpf viel-
fach unterbrochene Landstrich ganz andere Lebensverhältnisse und Be-
dingungen. Auch dass wir mitten in streng katholisches Land gekommen,
trat hervor. Als wir z. B. eine Frau, mit der wir längere Zeit geplaudert
hatten, wobei es herausgekommen, dass wir evangelisch waren, nach der
Wünschelrute und allerhand ähnlichen Dingen fragten, meinte sie: das
müssten wir doch viel besser wissen als sie, wir dürften doch die Bibel
lesen, und im 7. Buch (!) Mosis stände doch alles davon ganz ausführlich. Wir
thaten natürlich, als sei das eine neue Belehrung, die wir uns zu nutze
machen würden und später nachsehen, inzwischen möchte sie uns doch
immer sagen, was so die Leute davon dächten, denn in jeder Gegend
fasse man es doch anders auf.
War in betreff der Moore, der nördliche Teil des Münsterlandes,
-ohon charakteristisch gewesen, so war es noch in erhöhterem Masse
Ostfriesland, namentlich um das Saterland herum. Es war gerade das
Ende des Hochsommers und das Ilaidekraut stand in voller Blüte.
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Wilhelm Schwartz.
Soweit das Auge reichte, nichts als ein rötlicher Tcppich. Von den
Dimensionen in dieser Beziehung kann es ein Bild geben, wenn ich den
Weg beschreibe, den wir einmal eines Nachmittags etwa um 3 Uhr von
einem Dorfe aus nach Scharrel im Saterlande einschlugen. Ein Bauer
hatte uns aus dem Dorfe, das in einer Art Mulde lag, auf das Plateau
geführt und bezeichnete uns eine Baumgruppe, die am Horizont hervor-
ragte, als das nächste Ziel unserer Wanderung. Wir sollten dann nur
eine Strecke in der Richtung weitergehen, dann würden wir an einen
Graben kommen, an dem sollten wir entlang gehen, bis wir an einen
Fusssteig kämen, der uns nach einem Damm führen würde, welcher uns
schliesslich nach Scharrel brächte. Während dieser ganzen Zeit — es
kam der Abend heran, — sahen wir keine Spur menschlicher Thätigkeit
(keine spya dv$pww wie Homer sagt,) nichts als die endlose Ilaidefläche
vor uns, nur ab und zu flatterte ein Wasservogel auf, nur einmal hörten
wir ein Zischen in unserer Nähe, es kam von einer Otter, die sich über
dem Kraut erhob und sofort wieder verschwand.
Von den primitiven Zuständen, die gelegentlich im Saterlande auf-
tauchten, nur zwei Beispiele. In Tyrol hatte ich einmal in früheren
Jahren gesehen, wie Leute einen kleinen Quell, der bei ihrer Hütte
herabkam, benutzten, ein Rad zu treiben, das mit der im Innern des
Hauses an der Wand stehenden Wiege in Verbindung gebracht, diese in
Bewegung setzte. Hier im Saterlande hatte man in einer Torfhütte eine
Kuh zu demselben Zweck verwendet. Sie stand nämlich dicht neben
dem mittleren Raum, in dem die Leute selbst wohnten, nur durch eine
Bretterwand getrennt. Durch dieselbe war ein Loch gebohrt, und wenn
die Leute aufs Feld gingen, zogen sie den Schweif der Kuh hindurch
und befestigten ihn an der Wiege, welche dann durch das Zerren des
Tieres in die nötige Bewegung gesetzt wurde.
Mit dem Feueranmachen war es dort auch noch eine etwas
umständliche Sache, zumal die damals aufgekommenen Schwefel-
streichhölzer bei der feuchten Atmosphäre viel versagten. In jedem
grösseren Gehöft hielt man deshalb fortwährend Feuer auf dem Heerde,
indem man stets, namentlich auch des Nachts, Kohlen unter der Asche
barg, damit, wie Homer bei ähnlicher Gewohnheit sich ausdrückt, man
für den folgenden Tag „den Samen des Feuers" hätte.
Sonst trug die Bevölkerung hier einen eigentümlich selbstbewussten
historischen Charakter, indem der Konrapersweg (König Radbods Weg),
der mitten durch das Land ging, die Erinnerung an den alten Friesen-
fürsten Radbod aufrecht erhielt, und sie auch sonst gern von ihren alten
Häuptlingen, gestützt auf allerhand Chroniken, die in einzelnen Familien
waren, erzählten. Da auch sonst in Sprache, Gebrauch und Sage manches
Interessante uns entgegentrat, glaubten wir noch aus dem Volleren
schöpfen zu können, wenn wir eine der abgelegenen friesischen Inseln
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Vom Sagensauimeln.
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aufsuchten. Von Norderney aus Hessen wir uns nach Baltrum über-
setzen, aber wir sollten stark enttäuscht werden. Die ganze männliche
Bevölkerung der Insel bestand aus Seeleuten, die auf grösseren Fahrten
abwesend waren, und so waren meist nur Frauen und Kinder da, die
mit einem alten Ortsvorsteher, einem Geistlichen*) und einem Fährmann
bei Thee und Zuckerkant, Kartoffeln und Stippe und schwerem Brot ein
kärgliches Leben führten, bis zum Herbst die Männer wieder heim-
kehrten, wo dann ein verhältnismässig reiches Leben begann, aber auch
die Erinnerungen von Bombay und Madras und Amerika alles andere
überwucherten. So merkten wir bald, dass von alten friesischen Er-
innerungen wenig mehr übrig geblieben war.
Aber wir waren gefangen; denn der Fährmann, der uns allein
fortschaffen konnte, war nach Aurich hinüber, um seinen Sohn unter
die Soldaten zu bringen, und durch das Watt waten konnten wir uns
doch nicht zumuten, abgesehen davon, dass es auch gefährlich war. So
mussten wir denn aushalten, bis der Fährmann zurückkehrte und unsero
Erlösungsstunde schlug. — Neues hatten wir eben nicht gehört, ausser
die Bezeichnung Küpat für Milchstrasso. Aber wenn auch volkstümliches
deutsches Leben unter dem grossen Weltverkehr, der sich hier, wenn
auch nur in einzelnen Namen abspielte, geschwunden war, so glimmte
doch unter der Asche der Funke deutschen Lebens, der aufflammen
sollte, wenn seine Stunde gekommen. Der Ortsvorsteher — es war das
Jahr 1847 — studierte in seiner Trösteinsamkeit eifrig in der Spenerschen
die Verhandlungen des vereinigten preussischen Landtags. Der Mann
war natürlich damals noch hannöversch, aber sein Herz schlug ahnend
für Preussen und Deutschlands Zukunft. Es machte dies umsomehr
Eindruck auf uns, als im Paderbornsehen und Münsterlande in den Vor-
geschichten und den Sagen von der letzten Schlacht es immer noch
meist damit endete, dass zuletzt die Weissröcke (die Österreicher) siegten.
Die katholischen Sympathien überwogen damals immer noch.
So durchwanderten wir fast in allen Ferien der Jahre 1843—42
den Harz, Thüringen, Xiedersachsen, sowie Westfalen, Oldenburg, Ost-
friesland bis hinauf zu dem Inselkranz an den dortigen Watten. Aber
nicht bloss umfangreicher, sondern auch inhaltstiefer wurde unser Ein-
dringen in das Volksleben. Je mannigfacher die volkstümlichen Ge-
staltungen, die uns entgegengetreten waren, desto mehr galt es stets,
alle Seiten des Volksglaubens und der Gebräuche im Auge zu haben
und nach allen Kategorien hin die Sonde anzulegen. Es ward gleichsam
jede unserer Unterhaltungen ein stilles Examen nach Grimms
Mythologie. Bildete die wilde Jagd, die weisse Frau, Riesen, Zwerge
(Unterirdische), und Nixe den Hauptansgangspunkt für die Erforschung
*) Der zugleich nach hannoverschem Gebrauch Sclnillehrer war.
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Wilhelm Schwarte.
der mythischen Traditionen, so waren es in betreff der Gebräuche für
den Harz und Thüringen die Gebräuche der Pfingst- und Johanniszeit,
für Norddeutschland mehr die der Zwölften. Waren diese Themata er-
schöpft, so durchliefen wir im Gespräch, wenn es irgend ging, die
himmlichen Erscheinungen, forschten nach besonderen Bezeichnungen
für eine Gewitterwolke, die Milchstrasse, Sternschnuppen, Wirbelwind
u. dgl. Unsere gemeinsame Thätigkeit kam uns dabei sehr zu statten.
Denn nicht allein, dass es uns frisch erhielt bei der Arbeit, die sonst
leicht in den fortwährenden Wiederholungen derselben Thätigkeit von
des Morgens früh bis zum Abend Wochen hindurch leicht monoton ge-
worden wäre, auch im Einzelnverkehr war die Gemeinsamkeit sehr
förderlich. Kuhn hat auch dem in der Vorrede der Norddeutschen Sagen
Ausdruck gegeben, wenn er hervorhebt, dass unsere Art der gemein-
samen Wanderung und Forschung für die Zwecke der Sammlung äusserst
förderlich gewesen; „denn oft, wenn wir an eine reichlich fliessende
Quelle geraten waren'* sagt er, „und der Eine schon alle Kapitel der
Mythologie in seinen Fragen durchlaufen zu haben glaubte, kam der
Andere mit einem neuen Punkte zum Vorschein, der nicht selten Neues
und Wichtiges ans Licht brachte".
Ich reihe gleich noch ein anderes Moment an, dass unser Zusammen-
wirken auch für das Niederschreiben sehr vorteilhaft war. Wir haben
nie, um die Unbefangenheit der Leute nicht zu stören, etwas in ihrer
Anwesenheit niedergeschrieben ausser Lieder, auf die wir gelegentlich
auch unsere Aufmerksamkeit richteten. Aber am Abend, wenn wir auch
noch so müde von der Wanderung des Tages waren, gingen wir an die
Arbeit des Niederschreibens, damit das Gedächtnis noch frisch reagiere.
Kurze Daten fixierten wir gemeinsam, in betreff längerer Geschichten
teilten wir uns in die Arbeit. War namentlich der Gegenstand schwie-
riger aus den Unterhaltungen herauszuschälen, so schrieb jeder für sich
das betr. Stück nieder und in gemeinsamer Besprechung wurde dann
die Fassung so objektiv als möglich fixiert.
So entstanden neben den „Märkischen Sagen" unsere „Norddeutschen
Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Pommern, der Mark,
Sachsen, Thüringen, Brauuschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen
aus dem Mundo des Volkes gesammelt" und unter den Wehen des
Jahres 1848 herausgegeben und Sr. Majestät dem KönigFriedrich Wilhelm IV.
als hochherzigen Förderer des Unternehmens gewidmet. Später ver-
suchten wir noch einmal zusammen dann im Herbst 1849 die Sache
wieder aufzunehmen, aber ein unglücklicher Fall, den ich bei Seesen im
Harz eines Abends im Gebirge that und leicht nahm, schob mir einen
Hiegel vor. Während längeren Liegens schrieb ich dann meine mytho-
logische Erstlingsschrift „Der heutige Volksglaube und das alte Heidentum".
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Vom Sagcnsammeln.
157
Kuhn nahm in den fünfziger Jahren allein noch einmal das Sammeln
in Westfalen auf, von dem er die Resultate in den „Westfälischen Sagen"
niedergelegt hat. Ich fand später Gelegenheit hei einem Sommerauf-
enthalt in Nenstadt-Eberswalde und während meiner amtlichen Thätig-
keit als Direktor in Neuruppin noch manche Sage zu pflücken, auch
späterhin während gelegentlicher Sommerfrische in Colberg, Flins-
berg, Friedrichrode nnd Lauterberg, sowie auf Rügen es fortzusetzen,
aber nicht mehr im systematischen Wandern, das war nach jenem
unglücklichen Fall vorbei, sondern im zufällig sich bietenden Verkehr
hier und da, denn mir war das Schöpfen aus dem Volkstum eine Art
lieber Gewohnheit geworden, wo freie Zeit und Gelegenheit sich dazu
bot. Sagensammeln muss man aber eigentlich in der Jugend, wo man
zu einem alten Geschlecht aufschauend gleichsam als belehrungs- oder
wenigstens wissensbedürftig erscheint, als in alten Tagen, wo eher Andere
von Einem etwas zu hören erwarten und, wenn mau sie fragt, dies eher
Miss trauen als Vertrauen von Haus aus weckt, wie ich oft bemerkte.
Ich schliesse meine Schilderung, indem ich für einen besonderen
Vortrag mir vorbehalten möchte, darzulegen, wie die geschilderten, jahre-
lang fortgesetzten Wanderungen und der Verkehr mit dem Volkstum für
Kuhn und mich gleichsam zu einer praktischen Propädeutik auf
dem Gebiet des Volksglaubens und überhaupt der mythologischen Wissen-
schaft geworden sind, indem, während Kuhn in seinem Buche „Über die
Herabkunft des Feuers und des Göttertrankes bei den Indogermanen",
die historischen Bezüge der betr. Völker in gewissen Urge-
b rauchen darlegte, ich, wie Manhardt in seinen Wald- und Feldkultcn.
Berlin 1877 am Schluss S. 350 sagt: „Die Entdeckung machte,
dass der Volksglaube der Bauern (d. h. der naturwüchsigen, länd-
lichen Kreise) grösstenteils in unmittelbarem Zusammenhang
stehende Keime der höheren Mythologie in sich berge", welchem
Prinzip ich dann in meinen mythologischen Schriften auch eine allge-
meinere Geltung verschafft habe.
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Seite
Seite
Abschaffung der Propstwürde zu Hei-
Beizig, Stadt,
. . . . 129
55
Adliges Friluleinfltift zum Heiligen
55
„ niarkgräfl. Münzstätte
. . .13-11
Äbtissinnen zu Heiligen Grabo 53, 03,
„ städtische „
. . . . 19
78, 84
. . . . 125
4
. . . . 90
8, 9
Bettagu in Königsberg. N. M.
. . . . 130
11
. ... 119
Allerhöchste Kabinet sordre betr. Hei-
Bischöfe zu Havelberg 21, 38, 39, 40,
, 78
48, 51, 54, 74
VII
. . .21-22
Alvensleben v., M Ungerechtigkeit . .
23
. ... 109
Amtskleidung der Feldprediger . . .
100
. . 111, 112
Anhalt, als Name auf Münzen . . .
9
. . 110, 115
III
. . . . 25
Apostel auf dem Flügelaltar in Zie-
. ... 109
20
VII
. ... 128
112
. . . . 99
80
. ... 119
-10
. . . . 5
. . . . 21
115
, Münzstätte . .
. . . 13, 18
17
. . .1, 3, 4
1
Brennabor, falscher Name .
155
Barutb, Stadt,
125
. ... 115
104
-20
13
Münzstätte- d. Herrn v. Strele
21
Garstedt, Feldpropst ....
. . . . 9S
Reginenbaus zu Heiligen Grabe . . .
81
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160
Register.
Seite
Cochius, Feldprediger 96
Conventualinnen zum Heiligen Grabe
55, 01, 81
Caapergaard, Kr. Hadersleben. ... 117
Cottbus, Herren v., Münzgerechtigkeit 23
„ Stadtwappen 24
Crossen, Münzstätte 1:1, 14
Dahme, Herren \\, Münzgcrcchtigkcit 23
„ Stadt 118, 12;»
Dallgow bei Spandau 108
Dankehnann v 89
Daun, Graf 91
Decken, Feldpropst 07
Denar, mittelalt. Münze ö
Deutsche Aufschriften auf Münzen . 7, 9
„ Siegeln. . 0
Dietrich I, Bischof v Havelberg . . 21
Döberitz bei Spandau 119
Dornum, Würde zu Heiligen Grabe 61, Gf>
Dominikus, preuss. Musketier . . . .116
Dreissigjahrige Krieg i N. M 130
Kdelberren i. d. M., Münzrechlc 22, 23, 21
Kinfübning der Geistlichen in Königs-
berg i. X. M 138
Ermann, Dr IX
Erwerbungen des Stiftes zum Heiligen
Grabe 4G
Krziehungshaus zum Heiligen Grabe 80
Evangelische Prediger zum Heiligen
(trabe 60
Fach werk bau 114. 124
Familiennamen aus der Geschichte
des Klosters Heiligen Grabe 10, 46,
71, 76
Feldpredigerordnung Friedrichs des
Grossen 97
Feldpredigerwesen 85
Feldpropst 91
Fläming 10«, 126
Ferchau, Scelenau, um Deimling . . 1 19
Feueranmachen 154
Fischer, Feldprediger 99
Forschungsgebiet der Gesellschaft für
Heimatkunde der Provinz Bran-
denburg VIII
Fränkisches Haus 10"», 12;"»
Frey tag, Gustav . III
Seite
Friedel, Geheimer Regierungsrat und
Stadtrat VII
Friedrich I., Feldpredigerwesen ... 90
Friedrich der Grosse, Feldprediger-
wesen 97
FriedrichWilhelm, der Grosse Kurfürst,
Feldpredigerwesen 85
Friedrich Wilhelm I., Feldprediger-
wesen 91
Friedrich von Plötzke, Bischof . . . 22
Friesack, Edele Herren v., • 2
Frigg i. d. Uckermark 149
Froissard, Stadtbibliothek in Breslau . 120
Fürstenwalde a d. Spree 120
Galland, Dr. Georg 28
Garnisonkirche in Berlin 8S, 95
Gebet d. Gr. Kurfürsten 86
Gedike, Feldpropst ........ 91
Geldlehre, Zweig d. Nationalökonomie 2
Geldrechnung i. d. Mark 14
Generalstabsprediger H6
Gerswalde i. Uckermark 112
Giebeldreieck . 116, 118
Giebelverzierung . 120, 121
Giesendorf bei Berlin 112
Gödcniu», Oberpfarrer in Königsberg
X. M 131
(iürzke, Münzstätte 13
Goldbeck, Feldprediger ...... 99
Golssen, Stadt 125
Gottesdienst in Königsberg ... 136
I Grimm, Jacob .... 144
1 Groeben im Xuthethal 19
Groschen, böhmische 21
markische 21
Grube, Fläming llr>
Guben, Stadt . . 123
„ Münzstätte 13
Hnlbbrakteat, Münze 15
Hülm, Feldprediger 99
Hahnenkopf, an Häusern 122
Hans Jochenwinkel 1 18
Harke, Frau 50
Hnsenkopf an Häusern 122
Hausnrnen 123
Havelberg, Bistum, Münzstätte . . 21
Heer des Grossen Kurfürsten . . . S5
„ Friedrich Wilhelms d. I. . . . 96
Heilige Geist Kit ehe H8
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1Ü1
Kietz
120
Kirchenbesuch in Königsberg N. M. HO
„ der Soldaten .... 95
Kirchenordnung in Königsberg N. M. 130
Kirchenparaden in Berlin 88
Kirchensitze in Königsberg N. M. . 135
Kirchliches Leben in Königsberg N. M. 127
Kloster Heiligen Grabe 30
Knesebeck, Herr v., Mflnzgerechtigkeit 23
Königsberg N. M 107
Koepenick, Münzstätte . . . . 4, 5, 0, 13
„ Stadt 144
Konrapersweg 151
Kracht, Schulze in Stralau 144
Kriegsrecht, brandenburgisches ... 80
Kruger, Pastor 149
Küster, Feldpredigcr 99
Küstrin, Garnison 88
Kuhn, Forscher 144
Kurfürstin, eine v. Brandeburg ... 28
Landbuch der Mark Brandenburg
von 1375 21
Heiligen Grabe, Kloster 30
Heiligensee bei Tegel 145
Heimatkunde, Umfang VII
Heinrich IH. v. Bodendyk, Bischof . 25
Hennigsdorf a Havel 110
Herbord, Münzmeister 11, 23
Herodianus, Schriftsteller 124
Herrnschneid, Hauptpastor .... 98
Herzberg, Kr. Ruppin 110
Hofpradikant 89
Holzbau 115
Hundepeitscher 138
Hundskopf 122
Instruktion für Feldprediger .... 89
Jablonsky, Feldprediger 89
Jadickendorf b. Königsberg N. M. 112
Jakza, Knaes von Koepenick .... 4
„ dessen Münzen 5, 0
„ angeblich in Kopnitz in Posen 0
Joachim I., Kurfürst 9
Johann Sigismund, Kurfürst .... 130
Johann I., Markgraf 11, 12
Jüterbock, Stadt 125
Kahlwinkel der Kirche 135
Karl IV., Kaiser 20
Katte v., Lieutenant 95
Seit«
Landstände 18
Lebus, Bistum .... 22
Lehde, Spreewald 124
Lehmann, Dr. Richard VII
Lehnin, Kloster 72, 151
Libra 14
Lieberose 118, 122
Liepe, Dorf im Havelland ..... 144
„ bei Oderberg 109, 111
Lindow und Ruppin, Grafeiur., Münz-
gerechtigkeit 23
Linum 112
Löwenberg ..113
Luckau, Münzstätte . . 13
„ Stadt 125
Ludwig I , Markgraf 19, 20
Ludwig IL. ,, 19, 20
Luxemburger Markgrafen 20, 21
Lydien, Münzstätte 13
Mägdewecker in Königsberg ... 138
Malerei des Altars in Zielenzig ... 20
Maltitz, Major z. D 30
Maria, Bild der Jungfrau 28
Marienglocke zu Königsberg . . . .129
Mark Silber 14
Marzahne b. Brandenburg . . . 1»»*', 125
Masuren 117
Mellen bei Zossen 100
Merlan, Künstler 120
Michaelis, Feldprediger 92
Mielke, Robert 104
Militär-Konsistorium 89
t, Kirchenreglement 97
„ Kirchhof in Potsdam 92
Missgeburt in Königsberg 128
Mitchel, englischer Gesandter .... 99
Morin, Münzstätte 17
Moritzpfennige aus Magdeburg, Vor-
bilder d. brandenburgischen Münz-
prägung G, 10
Müuzbezirke (Münzyscr) 17, 18
Münzforscher, Aufgabe 2
Münzfunde: Michendorf b. Potsdam. 4, 9
„ Schollehne b. Ilavelberg 5
Münzkunde als Archäologie 2
„ Nutzen 2
., antike, mittelalterliche,
neue 3
Münzrecht 14, 22, 23
11
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1C2
Register.
Seito
Soitu
Münzstätten, nulrkische, 11, 13, 14,
>»4ia« 1 , 1 1 .1 «-» «m/I i /\ «a
yö
1 T
17,
1 Q Ort
rrziuisia« , iie\ euciiursi, ais v^nrisi.
„ Verpachtung . . . .
. 17
4, ü
i
Przibislaw, Hevellerfürst, Münzen . .
4, 5
\T \*ima i m fki i rti*<i 1 «i 11 1 1 1 ■ & 1 1 1*
Q7
Quellen zur Oeschicute des Klosters
40
Imhausen h. Königsberg >. M. . .
. 112
144
122
03
"Wiliialr rim
14«
"Rhin
1°5
112
OKaI nlln AIflr»Tr»
in
Reformation und Kloster Heiligen Grabe
54
Oft
Rohde, Xotarius in Königsberg . . .
137
lirAii iliA Mi*uiiaaitn l\Ai
ko
100
■ ■•♦/"kl £»•-■ i • r m' \+ 1 #"1 • il>il vi • f VA
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96
1 r.o
112
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1 1\ 1 1
Wy Iii
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99
Sachsisches Haus 109. 123. 125
1 £!
77
Otto, Bischof von Brandenburg . .
. 21
Salzwedel, Münzstätte . . . . 11, 13, 14
18
153
120
l'enck, Dr. Albrecht
. VII
10
17, 18
Schild, Erich, Divisionspfarrer. . . .
85
15
122
Pfahlbau
. 123
112
Pfennig (vergl. Brakteat, Denar, Übol,
Schöning, v., Generallieutnant ....
89
Si-herf).
122
. 17
99
. 10
99
„ alljährliche Uuiwechselung
. 10
23
07
„ AVertverringerung . . . 15,
17, 20
127
Pferdekopf 120, 122
Schwärt z, Geheimer Regicrungsrat . .
143
. 144
13
Plotho, Edle Herren von, Münzge-
118
. 22
98
pio
109
Pontanus, Oberpfarrer in Königsberg 128
Seelenliste der Berliner Garnison . .
100
Präbenden des Klosters Heiligen
123
65, 68
Siegel, Mittel zur Mtinzbestimmung .
11
Prägestätte, vergl. Münzstätte.
Silberbarren als Geld . . *
14
. 40
Soldatenkinder, Erziehung der ...
95
Priorinnen zu Heiligen Grabe . . .
53
Soldin, Münzstätte
17
■ 110
Sophie, Gemahlin Albrechts des Bären
8
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Register.
163
Seite
Stiftung des Klosters zum
Heiligen
Stiftshauptmann daselbst 55
62, 71, 74, 79
Stiftskapitel „
82
Stiftskreuz „
63
Stiftsorden „
Stiftsprobst „
. . . . 70, 84
Stempelschneidekunst im Mittelalter . 10
»»
»
. ... 17, 18
Münzstätte . . .
. . 11, 13. 14
Stepenitz. Kloster ....
. . 41, 48, 68
Stepban v. Heideburg, Bisebof v. Culin 1
123
Strehle, Herren v.. Münzgerecbtigkeit 23, 24
Tafelbilder in Zielcnzig . .
14
81
Thalhausen, Feldprediger .
89
Thütigkeit, kriegeriscbe der
Branden-
90
98
Tollen, Prof. d. Tbeologie .
99
125
Seite
Untergang der Welt 128
Urkunde des Klosters zum Heiligen
Grabe 38
Voltaire 89
Vorgescbicbte des Klosters zum Hei-
ligen Grabe 36
Verfassung des Stiftes 68, 78
Verwaltung des Stiftes .... 52, 78, 80
Walin 120, 123
Wansdorf, Osthavelland 109
Wappen als Mittel zur Mönzbestim
nmng 11, 16
Waräger 124
Wechselbank 16
Wenzel von Böhmen, Markgraf ... lJO
Wilhelm 1 103
Wilsnack, Kirche 41, 75
Wittscheibe, Oberpfarrer zu Königs-
berg 133
Wode 150
Wubiser-Gross, Kr. Königsberg N. M. 112
Wulfshagen 120
York von Wartenburg 100
Zückerick a. Oder 111, 112
Zehden a. Oder 107
Zehdenick, Quelle zu 41
Zentral- Kominission VII
Zichow, Uckermark 112
Zielenzig, Flügelaltar 25
Zinna 112
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ARCHIV
DER
„BRANDENBURGIA"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
BERLI1V.
Unter Mitwirkung des türkischen Provinzial-Museunis
herausgegeben
Gesellschafta - Vorstände.
2. Band.
Berlin, 1896.
Druck und Verlag von P. Stankiewicz' Buchdruckerei,
Bernburgerstrasse 14.
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Joh. Leonh. Frisch's
Briefwechsel
mit
G. "W. Leibniz.
Ein Beitrag itur Geschichte des geistigen Lebens in Berlin
zu Anfang 18. Jahrhunderts-
Mit Einleitung und Anmerkungen
herausgegeben
von
Dr. L. H. Fischer.
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Dem Andenken
des grossen Philosophen, Staatsmannes und Patrioten
Gottfried Wilhelm Leibniz
zu der 250. Wiederkehr seines Geburtstages
am 1. Juli 1896.
•
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Übersicht.
Seite
A. Einleitung I
ß. Der Briefwechsel XXXII
0. Anmerkungen zum Briefwechsel 49
D. Namen- und Sachregister 74
■
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Einleitung.
Die im Folgenden veröffentlichten Briefe befinden sich auf der
Königlichen Bibliothek zu Hannover in der grossen Sammlung des
Leibnizschen Briefwechsels (Vgl. Eduard Bodemann, Der Briefwechsel des
Gottfried Wilhelm Leibniz in der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu
Hannover. Hannover 1889.) und sind dem Herausgeber durch das freund-
liche Entgegenkommen des Herrn Oberbibliothekars Dr. Bodemann zu
Hannover in einer sorgfaltigen Abschrift zugänglich gemacht.
Da 37 Briefen Frisch's an Leibniz nur 3 Briefe Leibniz' an Frisch
und ein von Leibniz an den Grafen von Wartenberg gerichteter und an
Frisch zur Übergabe gesandter gegenüberstehen, so ist diese Briefsamm-
lung in erster Linie für die Beurteilung des Berliner Schulmannes
Johann Leonhard Frisch und für die Kenntnis des geistigen Lebens in Berlin
zu Anfang des 18. Jahrhunderts von Wichtigkeit. Gleichwohl darf sie
hoffen, auch von den Leibniz-Forschern nicht übersehen zu werden.
Sind doch die Mitteilungen in den Schreiben Frisch's meist die Aut-
worten auf die uns nicht erhaltenen Briefe Leibniz', so dass sich aus
jenen teilweise der Inhalt der Leibnizschen Briefe wiederherstellen lässt.
Und wenn auch der vorliegende Briefwechsel nicht wesentlich neue Züge
zu dem Bilde des grossen Gelehrten und Politikers, dessen zweihundert-
undfünfzigjährigen Geburtstag wir in diesem Jahre(1896) feiern, hinzuzufügen
vermag, so giebt er doch dankenswerte Erläuterungen zu den mannig-
fachen Anregungen, welche das wissenschaftliche Leben Berlins Leibniz
zu verdanken hat. Für das Verständnis der Briefe ist die Kenntnis von
Frischs*) Leben und Wirken und eine Darstellung von Leibniz' Bemüh-
ungen um die Gründung, Erhaltung und Hebung der Societät der Wissen-
schaften zu Berlin nicht zu entbehren.
*) Eine Biographie Frischs nach den Quellen habe ich bereits als Einleitung
zu meiner Ausgabe von Frischs Schulspie] gegeben. (Heft 26 der Schriften des Vereins
für die Geschichte Berlins. Berlin 1890.) Dort ist besonders auf die äussere Lebens-
führung des Mannes eingegangen, hier gilt es, sein durch Leibniz' Ideen beeinflusstes
Wirken darzustellen.
1
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II
Kinleitung.
1. J. L. Frischs Lehr- und Wanderjahre.
Johann Leonhard Frisch wurde am 19. März 1666 zn Sulzbach bei
Nürnberg als der Sohn des kaiserlichen Notars Johann Leonhard Frisch
und seiner Gemahlin Sabina geb. Fecher (alias Fechner) geboren. Den
Überlieferungen der Familie entsprechend wurde der Knabe, der früh-
zeitig gute Begabung erkennen Hess, für den gelehrten Beruf bestimmt;
er widmete sich, nachdem er in Nürnberg das Gymnasium besucht, wie
sein Urgrossvater uud Grossvater väterlicherseits dem Studium der
Theologie. In den Jahren 1683—1690 lag er in Altorf, Jena und Strass-
burg diesem Studium ob. Da seine Eltern mit irdischen Schätzen nicht
gesegnet waren, rnusste er sich mühsam genug durchschlagen. Die
Ausgaben für seine Studien in Altorf und Jena bestritt er zum Teil von
den Ersparnissen, die er während seiner Gymnasialzeit als Famulus
eines Predigers und als Kurrendeschüler gemacht hatte, und in Stras-
burg erwarb er sich durch Privatunterricht seinen Lebensunterhalt.
Schon in diesen Jugendjahren trat bei ihm das vielseitige Interesse, das
ihn später wahrscheinlich' mit Leibniz in Verbindung brachte, deutlich
hervor. Auf seinen Wanderungen von einer Hochschule zur anderen
und von Strassburg nach Frankreich und durch die Schweiz besuchte
er, woJbin er kam, Bibliotheken und Kunstsammlungen, besichtigte
Fabriken, Maschinen, Zeughäuser und Werkstätten berühmter Meister
und bemühte sich um die Bekanntschaft hervorragender Gelehrter, deren
Äusserungen er aufzeichnete. Im Jahre 1690 oder öl bestand er in
Nürnberg die Prüfung als Kandidat der Theologie und sollte nach seiner
mit Beifall aufgenommenen Probepredigt Adjunkt eines Predigers werden,
verzichtete aber freiwillig, als er sah, dass durch seine Wahl ältere
Männer hintenangesetzt und gekrankt werden würden, und zog wieder
in die Fremde. Zu Neusol in Ungarn linden wir ihn als Adjunkt eines
Pastors Breithoru, wie er den bedrängten Evangelischen in einer Scheune
wegen ihres rohen, unchristlichen Wesens Busse predigt und als „Apostel
Herrn Magister Frankens** verhöhnt wird. In der Türkei, durch die er
darauf wandert, wird er von einem kaiserlichen Kriegskorps, «las gegen
die; Türken kämpft, als Dolmetscher angenommen und in Dragoneruni-
form gesteckt. Über Ober- Italien kehrt er 1693 nach Deutschland
zurück mit dem Vorsatz, „nechst dem studio theologico sich auch auf
Jura und oeconomie zu legen". Er tritt in den Dienst eines Barons
von Bodenhausen und ist zunächst auf dessen in der Nähe Nürnlwrgs
gelegenem Gute Oberdachsbach, dann auf den Besitzungen desselben
Mannes am Eichsfeld als Landwirt und Hofverwalter praktisch thütig.
In gleicher Eigenschaft wurde er 1696 von einem Herrn von Hartefels
in Blankenburg a. H. in Dienst genommen, und im nächsten Jahre wurde
er durch die Vermittlung eben dieses Mannes Erzieher des jungen Grafen
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Einleitung.
ITT
George Albrecht von Erbach. Schon nach einem .lahre treibt ihn die
Wanderlust wieder von dannen. Hicsmal sind es wesentlich theologische
Interessen, die sein Wanderziel bestimmen. In Erbach hatte er zum
ersten Mal wieder gepredigt und jetzt wollte er, wie sein Biograph
Wippel erzählt, „die Gemüts-Beschaffenheit etlicher dainahligen Fanati-
corum, Chiliasten und ausgeschriebenen Propheten gründlich prüfen".
Hatte er vor fünf Jahren den praktischen Beruf des Landwirts ergriffen,
weil religiöse Bedenken und Zweifel ihn bestürmten, und war diese
Krisis nun vorüber? Über Mainz und Köln begab er sich nach Amster-
dam und lernte hier Gichtel, den Stifter der asketischen Sekte der
Engelbrüder, und den Seh wärmer Quirin Kuhlmann kennen, besuchte
hier auch den Gottesdienst der Quäker. Als ihm die ßaarmittel völlig
ausgegangen waren, verdingte er sich als Arbeiter zum Einrammen von
Pfählen und wurde von einem Vorübergehenden, dem er bei dieser
Thätigkeit auffiel, mit einigen Dukaten Reisegeld unterstützt. Er begab
sich nun nach den beiden Akademien zu Franecker und Groningen,
ging nach Ostfrieslaud und von da zur See nach Hamburg. Von hier
wandte er sich nach Berlin und fand im Hause eines Landsmannes, des
Predigers au der Nikolaikiriche Paul Astmann, freundliche Aufnahme.
1698 wurde ihm das damals erledigte Subrektorat am Gymnasium zum
Grauen Kloster übertragen, und der uuruhige Wanderer dadurch und
durch seine ein Jahr später erfolgte Vermählung mit Sophie Elisabeth
Darnmann, der Tochter des Stadtpredigers Dammann zu Blankenburg a. IL,
für die Zeit seines Lebens in Berlin sesshaft gemacht.
2. Leibniz1 Wirken für die Gründung, Hebung und Erhaltung
der Societät der Wissenschaften .zu Berlin.
Um diese Zeit war auch Leibuiz, geboren den 1. Juli 1646, seit
1676 in Hannover, in nähere Beziehung zu Berlin getreten. Seine
Schülerin, die Prinzessin Sophie Charlotte von Hannover, die ebenbürtige
Tochter ihrer hochbegabten Mutter, der Kurfürstin Sophie, hatte sich im
Jahre 1684 mit «lern brandenburgischen Kurprinzen Friedrich vermählt.
Trotz des hohen Ansehens, in dem Leibniz bei der Kurfürstin Sophie
stand, und der Wertschätzung, deren er sich ohne Zweifel schon damals
seitens seiner fürstlichen Schülerin erfreute, hatte diese .Vermählung
Leibniz zunächst nicht in nähere Beziehung zum Berliner Hofe gebracht.
Zwar wechselte er in der Folgezeit Briefe mit angesehenen Persönlich-
keiten aus der Umgebung des Königs (C'uneau und Dunkelmann), kam
sogar als Nachfolger des Hof historiographen Pufendorf eine Zeit lang
in Frage, aber erst aus dem Jahre lülJ7, demselben Jahre, in welchem
der allmächtige Dankclmann gestürzt wurde, liegen uns Zeugnisse*) dafür
*) Vergl. Leibniz Briefwechsel mit Sophie Charlotte in Leibniz Werken
hurausgeg. v. Onno Klopp. 1. Reihe, Bd. fl, S. 4« ff. u. Bd. 10.
1*
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IV
Einleitung.
vor, dass Leibniz die Kurfürstin Sophie Charlotte für die Verwirklichung
seiner umfassenden Pläne in Berlin zu gewinnen trachtete.
Leibniz' philosophisches System gipfelt in der Idee der Weltharmonie,
d. h. in dem Gedanken, dass eine glückliche Notwendigkeit alles Seiende
beherrsche und das Entgegengesetzte selbst zu gemeinsamem Fortschritt
zusammenführe. Diese Harmonie ausfindig zu machen oder, wo sie ge-
hemmt und gestört war, nach Möglichkeit herzustellen, war sein be-
ständiges Streben. Daher war sein Lieblingsplan die Reunion der seit
der Reformation getrennten Schwesterkirchen, der katholischen und
evangelischen, und als diese Bemühungen sich zerschlugen, suchte er
für die Vereinigung des reformierten und lutherischen Bekenntnisses zu
wirken. Hannover und Brandenburg schienen ihm besonders geeignet,
diese Vereinigung anzubahnen und von hier aus über die ganze evan-
gelische Kirche Deutschlands zu verbreiten. Das reformierte Bekenntnis,
das am Berliner Hofe herrschte, war an sich schon duldsam und auf-
geklärt; dazu kam, dass der grosse Kurfürst trotz seiner eifernden
lutherischen Unterthanen die persönliche Gewissensfreiheit an seinem
Hofe und in seinem Lande hatte tliätig üben lassen; und dass dieser
Geist der Duldung auch nach seinem Tode sich erhalten hatte. Auch
in Hannover lagen die Verhältnisse für diese Unionsbestrebungen günstig:
Ernst August war lutherisch, aber freisinnig und mild auch gegen die
anderen Bekenntnisse, seine Gemahlin dagegen war reformiert, so dass
in dieser Ehe die Union gleichsam vorgebildet war. Diese Unions-
bestrebungen, die, wie bekannt, scheiterten, um spater durch ein ein-
faches königliches Edikt verwirklicht zu werden, nahmen 1697 ihren
Anfang, indem Leibniz an den brandenburgischen Kabinetssekretär
Cuneau eine Schrift „Kurze Vorstellung der Einigkeit uud des Unter-
schiedes bei den Protestierenden" übersandte. Ln demselben Jahre ge-
lang es Leibniz, auch für seine harmonistischen Bemühungen auf wissen-
schaftlichem Gebiete in Berlin Boden zu gewinnen.
In der Wissenschaft wollte er nicht nur widerstrebende Meinungen
ausgleichen, sondern auch die divergierenden Kräfte, die auf dem
geistigen Kampfplatze hervortraten, zum gemeinsamen Wirken verbinden.
Da die Verschiedenheit der Sprachen der buchten Verständigung hinder-
lich ist, trug er sich jahrelang mit dem Gedanken an eine Pasigraphie,
eine Weltschrift, die statt der Worte die Dinge und ihre charakteristischen
Beziehungen mitteilen sollte. In demselben Sinne war er auf Gründung
neuer Bibliotheken und Verbesserung vorhandener bedacht, wirkte
für die Verbesserung des Erziehungswesens und die Errichtung von
Fürstenschulen und Ritterakademieen und verwandte sich für Gründung
von Gelehrten -Akaderaieeu, deren er ein ganzes Netz über die Haupt-
städte Europas verbreitet zu sehen wünschte. Diese Akademieen dachte
er sich nicht als blosse Gelehrtenkonferenzen, sondern als wissenschaft-
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Einleitung. V
liehe Gemeinwesen, in denen alle Kräfte zu gemeinsamer Arbeit organisiert
sind. Dass Leibniz den Gedanken einer solchen Akademie gegen Ende
des Jahrhunderts gerade in Brandenburg zu verwirklichen suchte, hatte
aber seinen Grund nicht bloss in dem Umstände, dass er auf die Hülfe
seiner fürstlichen Schülerin Sophie Charlotte dabei hoffte.
Er hatte sich in früheren Zeiten keineswegs freundlich über
Brandenburg geäussert*), weil er in ihm nur einen gewöhnlichen, dazu
nach Ungebührlichem strebenden und daher für die anderen un-
angenehmen Kleinstaat sah. Wenn er als guter Patriot durch die Ver-
wirklichung seiner harmonistischen Ideen sein Vaterland von den Leiden
des vernichtenden Krieges, von den Wunden, welche allerlei schlimme
Leidenschaften ihm geschlagen, zu heilen gedachte und Deutschland aus
seiner tötlichen Ermattung zu dem Range eines vollbürtigen Gliedes
unter den glücklicheren Völkern emporzuheben hoffte, so hatten sich in
erster Linie seine Blicke hoffend nach dem führenden Staate, nach
Österreich, gewandt. Er erkannte aber, dass er gerade auf den beiden
Gebieten, auf denen er das Vaterland zu heben suchte, in Kirche und
Schule, bei Österreich keine Förderung finden würde, und je genauer
er die Politik Brandenburgs und die geistigen Strömungen am Berliner
Hofe zu beobachten Gelegenheit und Veranlassung hatte, um so mehr
befestigte sich in ihm die Meinung, dass dem Ringen und Streben dieses
kleinen protestantischen Staates doch etwas mehr zugrunde liege, als
blosse Überhebimg und Unart , und dass von ihm zunächst in geistiger
Beziehung für Deutschland doch etwas Tüchtiges zu erwarten sei. Daher
bemühte er sich, 'an diesem Hofe festen Fuss zu fassen, und durch die
Hilfe seiner Gönnerin, der Kurfürstin Sophie Charlotte, hatten diese
Bestrebungen schliesslich Erfolg..
Im Herbste 1097 äusserte sie bei der Tafel ihr Missfallen darüber,
dass in Berlin, dem Zusammenfluss so vieler Gelehrter, kein eigener
Kalender ausgegeben werde, noch ein Astronom und ein Observatorium
vorhanden sei. Der Hofprediger Jablonski berichtete diese Äusserung
an den Minister von Dankelmann, der sogleich auf diese Anregung ein-
ging und sein Bestes zu tliun versprach. Auch Leibniz, der durch den
Kabinetssekretär Cuneau von der Angelegenheit hörte, wandte ihr seine
lebhafteste Teilnahme zu**). Schon in seinem Antwortschreiben an
Cuneau kommt der Plan zum Ausdruck, an den kleinen Anfang der
Sternwarte die ganz«' Akademiegründling zu knüpfen, die eine weithin-
strahleude wissenschaftliche Leuchte werden sollte***). Der Sturz
*) Vgl. Ldmund l'fleiderer. (iottfrie«! Wilhelm Leibniz als Patriot, Staatsmann
und BUdungstritger (Leipzig ls70), S. 1-17 f.
**) Vgl. «einen Brief an .lie Kmtürstin bei Klo^. I. IM. s, S. 47 11
■■■*■■) Vgl. Pfleiderer a. a. O., S (>?<;.
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VI Einleitung.
Dankelmanns verzögerte die Ausführung des Planes: als aber auf dem
Reichstage zu Regensburg die Verhandinngen über die Einführung des
verbesserten gregorianischen Kalenders in den protestantischen Ländern
aufgenommen und glücklich durchgeführt wurden, gab dies in Berlin
Veranlassung, auf die Errichtung eines Observatoriums zurückzukommen,
und für Leibniz die Gelegenheit, in Verbindung mit diesem Projekt die
Gründung der Akademie zu betreiben. In dem Briefwechsel mit dein Hof-
prediger D. E. Jablonski*), der um diese Zeit besonders lebhaft war, erwähnt
Leibniz des Societätsplanes zuerst am 12. März 1700. Er hebt hervor, dass
das Observatorium und das Kalender wesen nicht das Einzige und Wichtigste
bleiben dürften, „sondern als ein schön accessorium zu eonsideriren"
seien, und entwickelt über die Organisation folgenden Plan. rl)ie
Societät unter churfürstlicher Protektion (denn so wollte ich's nach
xlenj exemplo Regiae et Leopoldinae lieber nennen als Academie) sollte
aus einigen Mein bris ordinariis nebst einem Directore und vielen Hono-
rariis bestehen, welche nicht nur die Astronomie, sondern totam
Mattlieseos et Physices latitudinem zu dem hauptsächlichen Objecto
hätten, sonderlich aber auf gemeinnützige Applicationes bedacht wären.
Dazu gehören cura Astronomiae, Mechanicae, Arehitectonieae, Chymiae,
Botanicae et Anatoinicae, also neben dem Observatorio auch ein Labora-
torium samt allerhand Kunstwerken ; zu geschweigen des übrigen physici
apparatus, daran denn bei eines grossen Potcutaten Hof nicht wohl er-
mangeln kann." Sei auch alles nicht gleich ausführbar, so müsse man
es doch im Entwurf so fassen, dass das Ziel der Grösse und dem Ruhm
des Stifters entspreche, und könne sich mit der stufenweisen Ausführung
begnügen. Mit dem Observatorium und dem Kalenderwesen müsse aber
jetzt begonnen werden, weil Gefahr im Verzuge. Jablonski fasste diese
Gedanken mit Eifer auf und entwarf auf (Jrund der Leibniz'sehen Aus-
einandersetzung für den Kurfürsten einen ausführlichen Plan, dem eine kurze
Ubersicht zur leichteren Orientierung beigelegt wurde. Nur Botanik und
Anatomie hatte er in dem Plan nicht berücksichtigt, „so aber daher
geschehen, weil allhier seit einiger Zeit ein Collegium medicum**) etablirt
worden, so zwar noch nichts publice prästiret, jedoch hat man, um an-
fänglich Collision zu vermeiden, solche Dinge, darauf sie ein besonderes
Recht sich zuschreiben, vorbeigehen wollen. Mit der Zeit wir« 1 es sich
von Selbsten geben, weil nicht nur die scientiae nmnexae, sondern auch
wir die besten Leute aus solchem < 'ollegio an uns ziehen können."
•) .F. E. Kuppen* Sammlung einiger vertrauten Briefe, welche zwischen
G. W. von Leibnix u. D. K. JaMonski gewechselt worden find. Leipzig 1745.
**) Das Collegium Sanitati» oder, wie <-s gewöhnlich genannt wird, Medicum war
am ]•_' November 1 <;•<;. gegründet worden. Mylius C. »\ March. V. 4 No. 10. Bei
läge 1 Sp. 1 1 f.
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Einleite.
Vll
Während einer Reise des Kurfürsten nach Oranienburg am 19. März
1700 legte ihm der Requetenmeister (maitre des requöts) M: von Wedel
beide Schriftstücke vor und erstattete ihm Bericht über die Angelegenheit.
Der Kurfürst genehmigte den Plan in allen seinen Stücken und er-
klärte, „die Societät gnädigst fundiren und protegiren zu wollen," fügte
aber hinzu, dass mnn auf die Kultur der deutschen Sprache bei dieser
Fundation gedenken möchte, gleichwie in Frankreich eine eigene Akademie
hierzu gestiftet sei. Zugleich wurde Leibniz auf Befehl des Kurfürsten
eingeladen, nach Berlin zu kommen und die Ausführung seines Planes
persönlich zu fördern.*) Für das Observatorium wurden Räume über
dem neuen Marstall an der Ecke der Letzten (Dorotheen-) und Char-
lotten-Strasse zum Neubau angewiesen und der Baumeister Grünberg mit
demselben beauftragt.**) Mancherlei Umstände verzögerten die Voll-
endung des Baues bis 1711.
Es kann nun nicht die Aufgabe dieser Einleitung sein, eine genaue
Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften bis zii Leibniz'
Tode zu geben: denn abgesehen davon, dass zur vollkommenen Lösung
dieser Aufgabe u. a. der noch nicht veröffentlichte Briefwechsel Leibniz'
mit Cuneau, .Job. Theod. .Tubionski, Ancillon***) u. a. benutzt werden
müsste, ist es für unsere Zwecke nur nötig, diejenigen Thateachen her-
vorzuheben, welche zum Verständnis des nachfolgenden Briefwechsels
beizutragen geeignet sind. Unerlässlick^ scheint ein Eingehen auf die
beulen Denkschriften, welche Leibniz über die Organisation der Societät
verfasst hat, weil durch sie manche der im nachfolgenden Briefwechsel
enthaltenen Mitteilungen erst in das recht»' Licht gesetzt werden.
Mit welchem Eifer sich Leibniz der Angelegenheit annahm, geht auch
daraus hervor, dass er auf das Schreiben .lablonski's vom 23. März 1700, in
welchem dieser ihm von der günstigen Aufnahme des Akademieplanes
durch den Kurfürsten Nachricht gegeben hatte, umgehend am 26. März
antwortetet) und .lablonski's Denkschrift Punkt für Punkt durchging,
auch u. a. Katschläge über den Bau der Sternwarte, die Beschaffenheit
der astronomischen Instrumente und Anschaffung einer Bibliothek gab.
Ausserdem aber sandte er mit diesem Brief eine für den Kurfürsten
*) Das* Leibniz »'ine derartige Einladung annehmen konnte, Latte Sophie Char-
lotte in Hannover erwirkt Auch ist es nieht zweifelhaft, dass ihr KinHuss zu dem
schnellen Entschluss ihres Gemahls beigetragen hat; dass sie aber auif Leibniz' An-
stiften und in Gemeinschaft mit ihrer Mutter die Gründung der Societät vorzüglich
aus dem Gesichtspunkt betrieben und duichgesetzt habe, um durch Leibniz' Vermitt-
lung politische Zwecke zu verfolgen, scheint mir durch (>. Klopp'8 Ausführungen
<a. a. O. Bd. 10 S. XIII u S. XXIX it.) nicht erwiesen. V^l ebendort die Briefe Leibniz'
nn die Kurfürstin Sophie im Jahre 17(H> IM. S S l.M tf.
**\ Vgl Kapp a ». «i. S lf,5 und über den Fortgang des Baues 8. 1*5, 236. 288.
*'•) Vgl. Bodemann a. a. <>. zu diesen Namen.
S. Kapp a. a. O. S. I."i7 fl.
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VIII
Einleitung.
bestimmt« Denkschrift über die Errichtung der Societät und bald darauf
eine Auseinandersetzung über die Pflege der deutschen Sprache durch
die Societät.*) Der Inhalt jener Denkschrift**) ist im wesentlichen
folgender: »Die churfürstliche Societät müsste nicht auf blosse Curiosität
oder Wissbegierde und unfruchtbare Experimenta gerichtet sein oder bei
der blossen Erfindung nützlicher Dinge ohne Application und Anbringung
beruhen, wie etwa zu Paris, London und Florenz geschehen, daher eine
Verspottung erfolget und endlich die Hände abgezogen worden; sondern
man müsste gleich anfangs das Werk samt der Wissenschaft auf den
Nutzen richten und auf solche specimina denken, davon der hohe Ur-
heber Ehre und das gemeine Wesen ein mehrers zu erwarten Ursach
habe. Es wäre demnach der Zweck theoriam cum praxi zu vereinigen
und nicht allein die Künste und die Wissenschaften, sondern auch Land
und Leute, Feldbau, Manufacturen und Commerden und mit einem
Worte die Nahrungsmittel zu verbessern, überdies auch solche Ent-
deckungen zu thun, dadurch die überschwängliche Ehre Gottes mehr
ausgebreitet und dessen Wunder besser als bisher erkannt, mithin die
christliche Religion, auch gute Polizeiordnung und Sitten, theils bei heid-
nischen, theils noch rohen und barbarischen Völkern gepflanzet oder mehr
ausgebreitet würden. Wobei denn wohl zu betrachten, dass Churfürst-
liche Durchlaucht wegen Lagers oder Situation derer Lande und anderen
Conjuncturen dazu solche G^egenheit haben, dergleichen weder der
Kaiser noch König in Frankrei^ bei den ihrigen finden, und nicht allein
wegen guter Verständnis mit Moskau nach China , Indien und Persien
und in die grosse Tartarei trefl'liche Handlung anrichten uud neben dem
evangelischen Wesen ihren Ländern grosse Vortheile schaffen, sondern
auch in dem ihrigen wichtige, fast uukostliche Entdeckungen thun lassen
können, damit dem menschlichen Geschlecht überaus gedient sein würde."
Die Denkschrift beschäftigt sich sodann mit den Mitgliedern der Societät
und betont besonders die ausserordentlichen, deren Gewinnung und Er-
haltung keine besonderen Kosten verursachen würden. Als solche nennt
er „gelehrte Leute, Ingenieurs und Künstler, die von Churfürstlicher
Durchlaucht ohnedem besoldet werden" ; sie sollen „sowohl gegenwärtig,
wie sie bei Hof, als durch Correspondenz, wenn sie abwesend, con-
curriren, und nicht allein auf Begehren mit Nachrichten an die Hand
gehen, sondern auch von selbsten ihre observationes und Gedanken dar-
geben." „Ferner könnten die Churfürstlichen Gesandten, envoyes, resi-
denten, agenten und factoren, angewiesen werden, nicht allein, was ihnen
etwa von curiösen und nützlichen Dingen vorkommt, der Societät mit-
*) Vgl. Kapp a. a. O. S. 182. Vermutlich 1,.' „Unvorgreifüche Gedauken, be-
treffend die Ausübung und Verbesserung der Deutschen Sprache."
**) Abgedruckt bei Kapp a. a. 0. S. lOKff., Guhrauer, Leibniz" deutsche Schriften
II, 267 ff. und bei Klopp a. a. (>. Bd. 10 S. 2<»ö ff.
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Einleitung.
IX
zutheilen, sondern auch die von ihr verlangenden Erkundigungen einzu-
ziehen." Endlich solle man sich auch mit den tauglichsten unter den
Personen, welche an Universitäten, Akademien, Gymnasien und anderen
Schulen angestellt seien, ins Vernehmen setzen, „damit wackere Leute
darunter, die etwas Gutes zu thun Lust haben, dazu aufgemuntert, ihnen
die objecta, occasiones und allerhand dienliche Nachrichtungen zu ihrem
Zwecks suppeditiret, und also nichts zur Aufnahme der Wissenschaften
und Studien verabsäumt werde.** Zur Unterhaltung der ordentlichen
Mitglieder seien aber Einnahmen nötig, und damit die kurfürstlichen
Einkünfte möglichst wenig in Anspruch genommen würden, sei auf Er-
öffnung von Einnahmequellen für die Societät zu denken. In erster
Linie schlägt er vor, • diejenigen mit einer einmaligen Abgabe zu be-
lasten, welche aus kurfürstlichen Mitteln eine Gnadenerweisung erhalten.
Sodann empfiehlt er die Errichtung einer Feuerkasse: „Es sind auch ge-
wisse onera so bewandt, dass sie nicht beschwerlich, sondern angenehm,
wenn nämlich der Nutzen, so dadurch erhalten wird, ungleich grösser
als die Kosten, auf welchen Fall die Last nicht nur erträglich, sondern
auch erspriesslich und heilsam. Zum Exempel eines der nützlichsten
Dinge zum Besten von Land und Leuten wäre eine gute Anstalt gegen
Feuerschäden. Und weilen nun mehr vortreffliche Mittel dagegen auf-
gefunden, welche in machinis und mathematischen Grund beruhen, so
könnten alle grosse und kleine Städte in allen churfürstlichen Landen
damit aufs vortheilhafteste versehen, und ein Theil des fundi Societatis
zuvörderst darin gesuchet werden, indem alle Bürger nach Wert ihrer
Häuser ein Leidliches jährlich zu Anschaffung und Erhaltung der Brand-
spritzen und dazu gehöriger Mittel zu contribuiren hätten, solches auch,
als zu ihrer Wohlfahrt gereichend von Herzen gern thun würden, welches
denn also zu fassen, dass ein merklicher Übersehuss bleibe, welcher zu
nichts andern als ad cassam societatis scientiarum anzuwenden, damit
sie besser in Stand sei, mehr dergleichen landerspriessliche Dinge ab-
zufinden oder zu veranstalten. Daher auch die ganze Direktion dieses
Werkes nebenst denen dazu gehörigen Personen von ihr zu dependireti
hätte.«
Ebenso sei auf eine Anstalt gegen Wasserschäden zu denken, von
deren Einnahmen später ein Teil zum Besten der Societät verwendet
werden könnte. „Nun ist gewiss, dass an vielen Orten sich die Wasser
ergiessen und, wenn sie sich ergossen, lange Zeit stehen bleiben, da
entweder das allzu grosse Ergiessen durch diversiones zu verhüten oder
zu vermindern gewesen wäre oder das einmal ergossene Wasser förder-
lichst abgezogen werden könnte, so bloss aus Mangel Nachdenkens und
Erkenntnis unterlassen wird. Zu geschweigen der Seen und Moräste,
so allezeit stehen bleiben, und theils auszutrocknen und zu besserem
Nutz zu bringen."
X
-
Einleitung.
Entsprechend der kurfürstlichen Einladung kam Leibniz nun selbst
nach Berlin, wahrscheinlich am 21. Mai 1700. Vom 25. Mai 1700 ist
eine zweite Denkschrift*) datiert, die sich inhaltlich im wesentlichen mit
der ersten deckt und nur einige Punkte besonders hervorhebt. So be-
tont sie, dass die geplante Societät, wenn sie die realen Wissenschaften
pflege, alle ähnlichen Institute übertreffen und dem Gründer die Be-
wunderung der Mitwelt und unsterbliches Lob bei der Nachwelt ein-
bringen würde. Ferner wird der bereits in der ersten Denkschrift an-
gedeutete Gedanke von der Verbreitung des Christentums und christ-
licher Kultur durch die Societät weiter ausgeführt: es würde die Societät
„zur Ausbreitung der Ehre des grossen Gottes und Fortpflanzung des
reinen Evangelii gereichen, indem dadurch den Völkern, so noch im
Finstern sitzen, das wahre Licht mit angezündet werde, dieweil die
Wissenschaften und der irdische Himmel bequem befunden worden, die
verirreten Menschen gleich wie der Stern die morgenländischen Weisen,
zu dem, so recht himmlisch und göttlich ist, zu führen. Wozu nun-
mehr vermittelst sonderbarer Schickung der Providenz das so ungemein
gute persönliche Vernehmen mit dem Czar in dio grosse Tartarei und
das herrliche China ein weites Thor öffnet." Endlich aber giebt diese
Denkschrift eine Übersicht der Wissenschaften, welche die Societät zu
pflegen haben würde. ..Reale Wissenschaften sind mathesis und physica;
bei beiden sind vier Hauptstüeke. Bei mathesi diese: geometria, darunter
man inathesin generalem oder analysin begreifet, so den Anderen allen
das Licht anzündet: astronomia, worunter auch in der That geographia
und chronologia sowohl als optica, auf gewisse Maasse beschlossen,
dazu ein Observatorium mit instrumentis gehöret: ferner architectonica
(welche eivilem, militarem et nauticam architeetnram zusammenfasset,
tum picturam statuariam und andere artes ornamentorum als subordinatas
zu sich ziehet): und sonderlich mechanica, davon die Mühl- auch Kunst-
und Handwerke, so Bewegung erfordern, samt den Manufacturen regiert
werden, und sind zu der architectonica sowohl als mechanica Risse,
Modelle und Werkzeuge nöthig. Physica bestehet aus vier T heilen, näm-
lich chymia und den drei Reichen. Chymia ist die rechte physica gene-
ralis practica, so allen drei Reichen gemein, dadurch das Innerste der
Körper zu erfrischen, und wird ein Laboratorium dazu erfordert. Das
regnum ininerale hat zwar hauptsächlich in sich die Berg- und Hütten-
werke, auch mctalla, «loch sind auch Salz- und Salpeter- und andere
Siedereien, Stein- und Kohlenbrüche, Glasarbeiten aller Art und selbst
«las vortreffliche Regal des Agtsteins (Bernsteins i — so ( 'liurfiirstliche Durch-
laucht vor anderen Potentaten haben - dahin zu rechnen. Bei dem
reguo vegetabili ist botanica, daraus die agricultura neben der Gärtnerei
*■ l.eibni* Werke, herausy. v. Onnu Klo|ip, I. IM M.
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Einleitung
XI
und Forstwesen fliesser. — Und das regnum unimale, dessen rechte Er-
kenntnis von der anatomia dargegeben wird, hat Thierzucht, Waidwerk
und viel anders (der hohen Scienz der Medizin zu geschweigen) in sich."
Zunächst hatten die beiden Denkschriften keinen praktischen Erfolg,
denn der Berliner Hof war durch die Festlichkeiten in Anspruch ge-
nommen welche mit ausserordentlicher Pracht und grossem Aufwand
aus Veranlassung der Vermählung des Erbprinzen von Hessen-Kassel
mit Luise Dorothce Sophie, einzigen Tochter aus der ersten Ehe des
Kurfürsten, fast einen Monat lang gefeiert wurden. Auch Leibniz nahm
an ihnen teil und berichtete über sie allerlei Interessantes an die Kur-
fürstin Sophie nach Hannover.*)
Nach Beendigung der Festtage fand er Zeit, sich eingehender mit
der wichtigen Frage nach den Einkünften der Societät zu beschäftigen.
J'ar la socite ne doit rien couster ä l Electeur. Elle se doit faire son
propre fonds, qui ne consistera qu'en certaines concessions qne TElectenr
veut accorder saus qu'il luy en couste que des paroles et par eonsequent
res revenues seront un peu easuels"**) schreibt er unter dem 29. Juni
1700 an die Kurfürstin Sophie nach Hannover. Solcher Konzessionen
hatte er sechs vorgeschlagen, wie aus der Nachschrift eines von ihm an
den Kequetenmeister M. v. Wedel am 15. Juni 1700 gerichteten Briefes***)
hervorgeht: „Die ausser des Kalenderwesens ohnmassgeblich vorge-
schlagene puneta zum fundo societatis waren au der Zahl fünf. 1. Be-
dingte Indulgenz der Reisen pro re Germanica: 2. Feuerspritzen mit
ander Anstalt pro re meehaniea: 3. Cleri et ecclesiarum coneursus
pro missionibus et propaganda per scientias tide: 4. Bücher-* 'ommissariat
nnd Aufsicht dergleichen zu Frankfurt am Main, doch mit gewissem
Aufsatz auf rlie eingehenden Ballen, zum Theil nach dem englischen
frischen Exempel pro re litteraria: ö. Lotterie oder annehmliehe Ver-
losung". Leibniz erörterte die in Aussicht genommenen Einnahmequellen
teils in einer zusammenhängenden Darstellung (Einige Vorschlage pro
fundo Societatis scientiarum), teils in einigen Sonderaufsätzen, von
denen noch die Rede sein wird. Auf das Kalenderprivilegium noch ein-
mal genauer einzugehen, war keine Veranlassung, da bereits am 10. Mai
1700 ein „ Patent f), wodurch auswärtige Kalender verboten werden"
erlassen war. Doch waren die Einkünfte aus diesem Privilegium so
gering, dass Leibniz schon im ersten .fahre auf Verbcsserungen denken
musste und Jablonski eine grössere Mannigfaltigkeit in den zur Ausgabe
gelangenden Kalendern empfahl. ff ) Eine zweite Einnahmequelle sollte
*} Leibniz Werke, herausg. v. Unno Klopp, I. IM. s, SJ. löl ff.
**) Ebenda Bd. S, .S. 101.
***) Ebenda IM 10, S. .510.
-{■) Vgl. Mylius Corpus consiit. March. VI '1 N<>. •_> Sp. No. 14 Sp. U ; No. ss .Sp. 125.
ff) Ciuhrauer, Leibniz' Deuteln- .S-lirifton II, ISSfT.
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XII
Einleitung.
nach Leibniz' Meinung eine Steuer bilden, mit welcher alle Reisen ins
Ausland zu belegen soien. Die Begründung des Vorschlags ist zwar
nicht übel:*) „Weilen nach Churfürstl. Durchlaucht selbst eigenem
gnädigsten Gntlinden es eine teutech gesinnete Societät sein soll, so die
Ehre der teutschen Nation und Sprache sich angelegen sein lasse, so
könnte aus diesem scopo selbst ein Ansehnliches einkommen. Wann
nämlich anstatt der vorigen churfürstlichen Prohibitiv-Edicten gegen
gewisse ausländische Reisen, so als tacite durch den Frieden aufgehoben
geachtet werden wollen, gleichwohl aber nicht ausdrücklich revociret
worden, verordnet würde, dass alle churfürstlichen Vasallen und Unter-
thanen, so durch Reisen ihre Cultur zu suchen . vermeinen, solches nicht
anders als nach vorher erhaltener Special-Indulgenz zu thun befugt sein
sollen, und dass es ihnen nicht anders gnädigst zu erlauben als unter
gewissen Bedingungen, welche dieser teutsch gesinnten Societät zu statten
kommen könnten, damit der dabei waltende, der teutschen Nation so
schädliche Missbrauch einigermassen beschränket, das Böse selbst zum
Guten gekehret und Churfürstliche Durchlaucht zugleich von ihrer Vasallen
und Unterthanen Unternehmen und Fähigkeit zu dero Dienst desto bessern
Bericht erlangen mögen. " Aber der Vorschlag stimmt doch in keiner
Weise zu Leibniz' Grundanschauungen und ist ebenso wie der auf die
Lotterie bezügliche als ein Notbehelf zu betrachten. Die Lotterie wurde
auch, soweit ich habe ermitteln können, nicht bewilligt, dagegen erschien
am 8. Juli 1700 ein „Edikt**), wodurch das Reisen der Jugend in aus-
wärtige Provinzen verboten", zum Teil genau mit den Worten und
Wondungen des Leibniz'schen Entwurfes. Dass es für die Societät nutz-
bringend gewesen wäre, habe ich nirgends gefunden. Leibniz' Vorschläge
über die Feuerspritzen, wie wir sie in der ersten Denkschrift kennen
gelernt haben, werden jetzt ein wenig verändert: die Societät soll die
Spritzen anschaffen, die Leute wegen des Gebrauchs derselben unter-
weisen und dafür Sorge tragen, dass sie in gebührender Bereitschaft ge-
halten und von Zeit zu Zeit geprobt werden. Der Societät sollen von
den Gemeinden die Auslagen erstattet und ausserdem nach Zahl der
Spritzen eine gewisse Summe gezahlt werden. Einen greifbaren Erfolg
hat dieser Vorschlag nicht gehabt. Allerdings teilt Klopp ein vom
25. Juni 1700 datiertes Privilegium für die Societät auf Feuerspritzen
mit,***) und an einer anderen Stellet) wird ausdrücklich hervorgehoben,
dass ein derartiges Privilegium der Societät vom Könige verliehen worden
ist, zugleich aber geklagt, dass die neu gegründete Feuerkasse dasselbe
für die Societät wirkungslos gemacht habe.
) Leibniz' Werke, herausg. v. Onno Klopp I Bd. 10 S. öl l.
*■'") Mylhits Corp. const. Mareli. VT, •_» Sp. 7 ff.
Leibniz" Werke I Bd. 10 S. :}\:,.
j) ICbcndort S. 451.
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Einleitung.
XITI
Dio bereits in den ersten beiden Denkschriften zum Ausdruck ge-
brachten Ideen „fides per scientias" fortzupflanzen und die milden Stif-
tungen zu Beiträgen für die Erhaltung der Societät heranzuziehen, werden
jetzt in den „Vorschlägen pro fundo Societatis Scientiarum" wie in einem
besondern Aufsatz „Entwurf des Versuchs einer Besteuerung der milden
Stiftungen zum Zwecke der Missionen" vereinigt, und vorgeschlagen,
„diejenigen Mittel und Einkommen, so sonst zu milden Sachen gestiftet
und verwendet werden, wo dieselbigen Sachen ein solches erleiden und
entbehren mögen, in etwas zu Hülf zu nehmen" für die Missionsthätig-
keit, welche durch die Societät geregelt werden sollte.
Der „Entwurf des Auftrages eines Bücher -Commissariates für die
Societät der Wissenschaften" endlich empfiehlt, der Societät die Aufsicht
über die aus dem Auslande eingeführten Bücher und das Recht zu geben,
von jedem Zentner derselben einen gewissen Zoll für die Societätskasse
in Anspruch zu nehmen, ferner ihr ein Privilegium generale perpetuum
zu erteilen, „gewisse rechtschaffene Bücher zu verlegen und bei den
Schulen einzuführen" und ihr die Oberaufsicht über die im Lande vor-
kommenden Auktionen und Lotterien zu gestatten.
Ohne dass die Frage nach den Einkünften der Societät endgültig
entschieden wäre, wurde am 11. Juli 1700 der Stiftungsbrief*) der
Societät ausgefertigt und am 12. Leibniz zu ihrem Präsidenten**) er-
nannt. In dein Stiftungsbriefe wurde als Aufgabe der Societät be-
zeichnet, dass sie zur Ehre der deutschen Nation in Erhaltung der
deutschen Sprache und Pflege der deutschen Geschichte thätig sein, dass
sie dem genieinen Nutzen durch Förderung der Naturbeobachtung und
der Experimente dienen, und dass sie zur Verbreitung des christlichen
Glaubens und Hebung der Missionen beitragen solle. Leibniz war sich nicht
unklar darüber, dass sein Plan von seiner vollen Verwirklichung noch
weit entfernt war, aber er zweifelte nicht an der Durchführbarkeit und
war deshalb die folgenden Jahre unablässig bemüht, dem erstrebten
Ziele näher und näher zu kommen. Bis zum Tode seiner Gönnerin
Sophie Charlotte war er in jedem Jahre ein oder mehrere Male in Berliu
anwesend, um persönlich seine Sache zu betreiben und durch allerlei
Denkschriften seinen Vorschlägen Nachdruck zu geben. Dieselben sind
entweder bemüht, die Aufgaben der Societät zu erweitern oder ihr Ein-
nahmequellen zu erschliessen. So macht Leibniz noch im Jahre 1700
Vorschläge zur Verbesserung des Justizwesens und der Rechtspflege,***)
die er zwar zunächst nicht in Verbindung mit der Societät setzt: doch
ist nicht zu bezweifeln, dass wenn dieselben Eingang gefunden hätten,
*) Leibniz' Werke, herausg. v. Klopp, I Bd. 10 S. 32">.
**) Ebenda S. 328.
*♦♦) Ebenda S. 332 ff.
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XIV
Einleitung.
er die weitere Ausführung derselben an die Societät gezogen haben
würde. Wahrscheinlich aus dem nächsten Jahre .stammt seine „Summa-'
risclie punctation, die Medicinalische observationes betreffend, so durch-
geheuds anzustellen und beständig fortzusetzen seyu möchten"*), in
der er regelmässige Beobachtungen und Aufzeichnungen über das Wetter,
die Vegetation, die Viehseuchen und Krankheiten unter den Menschen
empfiehlt, Vorschläge, die spater zum Teil in den Acta medicorum
Beroliuensium collecta (Berlin 171 1 tf.) zur Ausführung gelangt sind.
Aus dem Herbst desselben Jahres stammt „Bedenken, wie bey «ler Neuen
Königl. Societät der Wissensehaften, der allergnädigsten Instruction ge-
mäss, propagatio lidei per scientias förderlichst zu veranstalten". Die
beiden von Kopp (Leibuiz' Werke I Bd. 10 S. 353) mitgeteilten Denk-
schriften sind vielleicht veranlasst durch die in England in demselben
Jahre gegründete Nova Soeietas propjigandae lidei und für uns in mehr-
facher Beziehung beachtenswert. Als besonders wichtig betont Leibniz
die Missionen „durch die Moscau nacher China. Denn in Moscau haben
Königl. Majestät und die ihrige vom Tzar alle gewogenheit zu erwarten.
In China ist ein vortrefflicher die Europäer und die Seieuzen hebender
Monarch und weise Leute: Man braucht auch, biss dahin zu kommen,
keine andere als die slavonische Sprach, und dann an der Stelle die
Mantchou-Tartarische zu anfangs, als welche in China doininiret und
ungleich leichter ist als die Chinesische selbst .... Es zeigen sich
auch dazu diese besondern Leichtigkeiten, dass jetzo leute vorhanden,
so an einem dictionario slavonico literali arbeiten, welches den Missionariis
Evangelieis in Muscovien hoch nöthig Es hat auch der Tzar bey
seiner an Wesenheit in Holland einem Lithauischen Reformirten in sla-
vonico literali sehr erfahrenen Prediger ein Privilegium auff den druck
slavoniseher Bibeln und anderer bücher geben, dessen executiou aber
durch intriguen eines andern (so nunmehr cessiren) etwas behindert
worden. Weil aber ein solches, zu mahl auf mehr libros pios slavonicos
extendirte Privilegium von einem überaus* grossen Nuzen seyn und ein
ansehnliches betragen würde, und gedachte Person mit »ler Societät sich
deswegen einzulassen gemeint, so köndte vcrhoft'entlich durch Königl.
reeommendation bey dem Tzar sowohl die billige manutenenz als an-
ständige Extension des privilegii zu grossem Nuzen dieser Mission er-
halten werden." Ferner wird ausgeführt, dass durch solche Missionen
nicht bloss Handelsverbindungen geknüpft und vorhandene befestigt,
sondern auch wissenschaftliche Beobachtungen, z. B. die Feststellung
der Isodynamen in den czarischen Ländern, ermöglicht würden. Die
in beiden Denksehritten befürwortete (iriindung eines der Societät zu
unterstellenden „Seminarium junger zu den Missionen bequemer Leute4,
•) Leibniz' Weike, horuusg. v. Klopp. I M. \i) S. :J4(i.
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Einleitung.
scheiterte am Mangel der erforderlichen' Geldmittel. Das Fehlen der nötig-
sten Mittel verursachte Leibniz grosse Sorge und veranlasste ihn (wahr-
scheinlich im Jahre 1702), dem Könige eine neue Denkschrift zu über-
reichen: „Erzählung von der Absieht der preussisehen Societät der
Wissenschaften, was sie bissher geleistet und wodurch sie gehindert
worden, ungleichen einige Vorschläge, was vor fundus ausser dem
Kalender- Wesen ihr zu statten kommen könne, wobey nebst den piis
causis und was aus allerhand Gnaden-eoneessionibus fallen könnte, ein
aufzurichtendes Bücher-eommissariat, reeeptur-Büehlein, Richtigkeit von
maass und gewicht, in betracht kommen."*) Der Aufsatz giebt wissens-
weite Aufschlüsse über die ersten Verhandlungen der Societat und bringt
die Hoffnung zum Ausdruck, „dermahleins zu einem rechtschaffenen
teutschen Wörter-sehaz gelangen zu können, sonderlich da durch hohe
hülffe die Kunst- und andere besondere Wörter, so bey verschiedenen
surfen der Menschen in gebrauch, zusammen zu bringen seyn möchten,"
stellt auch in Aussicht, „dass jahrlich einige miscellanea, durch Ver-
anlassung der societät, herfür kommen mögen". Ausser den in der
Uberschrift genannten Einnahmequellen wird die Feuerkasse, die im
Werk begriffen sei, genannt und gebeten, dieselbe für die Erhaltung der
Societät nutzbar zu machen. Die Receptur-Büchlein sollen an die Ka-
lender geheftet uud die obrigkeitlichen Einnehmer gehalten werden, den
Empfang der Steuern in diesen Büchern zu quittieren. Ferner wird
empfohlen, in Brandenburg -Preussen einheitliches Mass und Gewicht
(das Mass nach dem rheinlandischen Fuss) einzuführen, „die Abtheilung
zur grosser Bequemlichkeit, Nutzen des Publikums und Aufhebung der
Brüche in Dezimalzahlen zu machen, die hin und wieder in loeis publicis
et privatis befindlichen Masse und Gewichte danach richten zu lassen"
und aus dieser nützlichen Einrichtung der Societät einen Vorteil zu ge-
währen. Obwohl auch diese Vorschlage nicht verwirklicht wurden, verlor
Leibuiz den Mut nicht. Er interessierte sich lebhaft für den Plan, den
Seidenbau in Deutschland heimisch zu machen, **) und beschloss nun zu
versuchen, ob nicht durch die Verwirklichung dieses Planes der Societät
eine sichere und ausreichende Einnahmequelle geschaffen werden könnte.
Anfangs 1703 beginnen diese Bemühungen, nachhaltig unterstützt von
der Königin, welche gewissermassen das Protektorat über dieses Unter-
nehmen auf Leibniz' Bitten führte. Trotz dieser Unterstützung und der
eifrigsten Bemühungen Leibniz*, wie sie in den bei Kopp Bd. 10 S. 372
bis 887 abgedruckten Schriftstücken zu Tnge treten, Hess sich (Ins ge-
wünschte Privilegium zunächst nicht erreichen, s<> dass sich Leibniz noch
einmal zu seinen früheren Vorschlägen zurückwandte und im September
*) Leibniz' Werkt-, lierausg. v. Kopp, I Bd. in S. M}(> ff.
**) Schon 10!>2 schrieb er ..Bedenken über Soidenziehung44. Vgl. Klopp "s Aus-
gabe der Werke L. a I IM. «i, j_'7 ff.
1
XVI Einleitung.
1704 die Denkschrift verfasste „Ohnmassgeblicher Vorschlag, wie durch
allerhand Königliche und gemeinnüzige concessiones der societat der
Wissenschaften aufzuhelfen." *) Neu ist in diesem Aufsatz nur der Ge-
danke, dass der Societat die Vermittlung von Privatunterricht an Nicht-
Studirende überwiesen werden möge; ausserdem aber erfährt das bereits oben
S. XIII erwähnte „Privilegium generale perpetuum gewisse rechtschaffene
Bücher zn verlegen und bei den Schulen einzuführen" eine ausführliche Be-
gründung und Auslegung, die wegen der im nachfolgenden Briefwechsel
mehrfach erwähnten märkischen Schulbücher hier mitgeteilt werden mag.
„Weilen bekannt, dass eine grosse difformität sich bey denen in den
Schulen und sonst bey denen praeeeptoribus tarn privatis quam publicis
gebräuchlichen Büchern findet, dadurch die von einer Schule in die
andere ziehen, oder in der Schule selbst andere praeeeptores bekommen,
sich zu neuen büchern gewöhnen, auch wol andere dogmata annehmen
müssen, mithin in progressu studiorum nicht wenig turbiret und ge-
hindert werden ; über diess auch mehr als zu bekannt, dass die infor-
mation der Jugend oft schlecht bestellet, die Ingen ia weit herumb ge-
führet, zu Zeiten auch mit untauglichen theils schädlichen, meist ausser
landes verlegten büchern beladen wird: so könnten unter approbation
der societät richtige, deutliche, auf den alten zur Gottesfurcht und Tugend
gerichteten Grund gebauete, mit neuen erfindungen ausgezierte compendia,
tabulae und systemata diseiplinarum, auch notitiae historico-geographico-
genealogico-beraldicae, denn auch Grammatiken, januae, dictionaria,
nomenclatores, collectanea memorabilium, unter was Namen sie wollen,
und dergleichen, theils verfasset, theils erneuert, danebenst solche
Editiones autorum classicorum zum Druck befördert werden, welche mit
notis eriticis nicht überhäufet und vertheuert, und doch mit nöthigen
erklärungen versehen wären. Dazu gehörten auch Schreib- und Rechen-
bücher, und sonderlich ( atechismi, compendia theologica, in denen ge-
wisse taugende Gebet- und Gesang-, auch Spruchbücher, editiones des
neuen testamenti, auch der ganzen Bibel oder deren theile im original
und anderen Sprachen, auch sonderlich lexica und dictionaria von aller-
hand Sorten. Auch wird Königliche Majestät in Gnaden geruhen, der
societät eine generale Privilegium iinpressorium perpetuum more con-
sueto auf die von dero wegen verlegte bücher in Gnaden zu ertheilen.
Demnach würden Kön. Majestät in Gnaden geruhen, dero societät ein
Privilegium perpetuum generale auf die sogenannte Schulbücher aller-
gnädigst zu ertheilen, dass diese allein zu lectionibus und collegiis uni-
form iter in dero Landen gebraucht würden." Dass der Seidenbau in
dieser neuen Denkschrift nicht unerwähnt bleibt, ist natürlich. Aber
auch sie blieb ohne Erfolg
*) Leibniz ed. Kopp I Bd. lo S. 3*8 ff.
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Einleitung.
XVII
Hatten nun Leibniz' Entwürfe für die Erhaltung und Hebung der
Societät, obwohl sie von der Fürsprache der Königin Sophie Charlotte
unterstützt wurden, geringe Aussichten auf Erfolg gehabt, so mussten
nach dem am 1. Februar 1705 erfolgten Tode seiner Gönnerin diese Aus-
sichten sich noch mehr trüben. Aber mit bewunderungswürdiger Aus-
dauer hielt Leibniz an seinen Plänen fest. Im Herbst 1706, zur Zeit
der Heirat der hannoverschen Prinzessin Sophie Dorothee mit dem preussi-
schen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, begab er sich wieder nach Berlin
und verblieb hier bis zum Mai des nächsten Jahres. Jetzt gelang es
seinen unermüdlichen Bemühungen, das Privilegium über den Seidenbau
für die Societät vom Könige zu erwirken. (Vgl. unten Anm. 16.) In
dieser Zeit trat er auch zu Joh. Leonhard Frisch in nähere Beziehung,
der ihm Unterricht im Russischen erteilt haben soll.- Frisch wurde 1706
zum Mitglied der Societät ernannt und von Leibniz für die geeignetste
Persönlichkeit erachtet, um in seiner Abwesenheit den Seidenbau für die
Societät zu leiten und zu überwachen. Noch während Leibniz in Berlin
anwesend war, beginnt Frisch's Briefwechsel mit ihm und dauert bis in
das Jahr seines Todes. In diesem Schriftwechsel spiegeln sich zum
grössten Teil Leibniz' weitere Bemühungen für die Berliner Societät, so
dass eine kurze Übersicht über dieselben hier ausreichend erscheint.
Nachdem Leibniz im Mai 1707 Berlin verlassen hatte, ist er nur
noch zweimal dort gewesen. Das erste Mal kam er im Januar 1709 auf
der Rückreise vod Wien dorthin und wurde einige Wochen durch die
Herausgabe der Miscellanea*) daselbst aufgehalten. Im Juni des folgenden
Jahres erhielt die Societät der Wissenschaften ohne Leibniz' Vorwissen
einen neuen Direktor in dem Minister von Printzen und eine straffere
Organisation.-*) Dass Leibniz über diese ihm widerfahrene Kränkung
unwillig war und mit einer Klage sich an die Kronprinzessin Sophie
Dorothee wandte, f) ist nur natürlich. Dennoch bezwang er, weil er durch
dieses Vorgehen eine Förderung der Societät erhoffte, seinen Unwillen und
übersandte auf Printzen's Veranlassung eine Denkschrift über den Zweck und
Bestand der Societät. ff) In dieser empfahl er, dass die bisher zu Gunsten
der Societät erlassenen Verordnungen durchgeführt, dass den Mitgliedern
„in puncto des Ranges und sonst gewisse königliche Gnaden beigelegt"
und denen, die etwas Besonderes leisten, ein Preis bewilligt werde. Da-
gegen möchten diejenigen, welche innerhalb dreier Jahre nichts den
Zweck der Societät Beförderndes geleistet hätten, aus dem Verzeichnis
der Mitglieder gestrichen werden. Ferner rät er, dass alle Ärzte ange-
*) Vgl. unten Anm. 140.
**) Vgl Mylius c. const. March. 6. Teil Nachlese No. VHI Sp. 27. „Endliche
Einrichtung der Königl. Preussischen Societät der Wissenschaften."
f) L."s Werke ed. Klopp I Bd. 10 S. 418 ff.
ff) Ebendort S. 427 ff.
2
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XVIJI
Kinl»Mtunjr.
iialten werden möchten, jährlich einige Beobachtungen teils „circa statum
anni physieomedicum", teils über interessante Fälle aus ihrer Praxis
einzusenden. Zum Zweck der Vermehrung der für die Societät erforder-
lichen Mittel kommt er auf seinen Vorschlag über die Flerausgabe von
Schulbüchern durch die Societät zurück und empfiehlt endlich, derselben
die Aufsicht über die Stipendien zu übertragen. Trotz dieses neu von
ihm bewiesenen Interesses für. die Societät wurde er weder von Printzen
noch von Jablouski zu der am 19. Januar 1711 stattfindenden Festfeier
eingeladen, durch welche die jetzt so genannte Akademie der Wissen-
schaften ihre eigentliche Inauguration erhalten sollte. Er Hess sich aber
durch eine wohlberechtigte Empfindlichkeit über diese Zurücksetzung
nicht abhalten, bei diesem Feste seiner Schöpfung auch ungeladen zu-
gegen zu sein, und reiste nach Berlin, wo er allerdings durch sein un-
erwartetes und unerwünschtes Erscheinen in eine schiefe und unan-
genehme Lage geiiet. Seine längere Anwesenheit in Berlin scheint aber
zur Klärung seiner Stellung beigetragen zu haben, so dass er sich ver-
anlasst sah, mit einem neuen Entwurf zu Gunsten der Berliner Societät
hervorzutreten. *) Sein auch diesmal erfolgloser Antrag bezweckte nichts
Geringeres, als eine Besteuerung des Branntwein-Brennens für die Aka^
demie der Wissenschaften zu erwirken. Ein anderes von Klopp**) mit-
geteiltes Schriftstück aus dieser Zeit ist nach des Herausgebers Meinung
nicht ein an König Friedrich gerichtetes Schreiben, sondern die Aus-
arbeitung des Vortrages für die Audienz, welche, wie aus den ersten
Worten der Schrift hervorgeht, der König zugesagt hatte. Leibniz verteidigt
sich darin gegen den Verdacht, als sei er als hannoverscher Spion nach
Berlin gekommen, zählt seine Bemühungen um die Societät auf und
kommt auf frühere Vorschläge zur Vermehrung der Einnahmen der-
selben zurück. Neu ist der Gedanke, es möchte ein junger Gelehrter
nach Süddeutschland geschickt werden, „die alten origines des Hauses
Zollern, wolches eines der ältesten in Teutschland" zu untersuchen.
*Da ihm von Hannover aus die Rückkehr dringend nahe gelegt
wurde, reiste er am 7. Mai von Berlin ab, ohne jemals wieder dorthin
zurückzukehren. In Wien, wo er sich von Ende 1712 bis in den August
1714 aufhielt und für die Gründung einer Akademie wirkte, erhielt er
die Nachricht vomTode des Königs Friedrich I. und von der Thronbesteigung
Königs Friedrich Wilhelm I., des Sohnes der Fürstin, die einst ihn so
hoch geschätzt. Die Hoffnung, die in seinen Briefen au die neue Königin
zum Ausdruck zu kommen scheint, der junge König werde sich die
Förderung der Akademie angelegen sein lassen, wurde arg getäuscht.
Trug sich doch, wie bekannt, Friedrich Wilhelm I. sogar mit dem Plane,
*) L.'s Werke ed. Klopp I Bd. 10 S. 442 ff,
**) Ebenda 8. 44fiff.
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Einleitung.
XIX
die Akademie, die er für eine völlig unnütze Einrichtung hielt, aufzu-
heben, und vermochte diese doch nur dadurch dem Schicksal der Auf-
lösung zu entgehen, dass sie sich anheischig machte, ein medizinisch-
chirurgisches Kollegium zum Unterrichte der Feldscherer zu stiften und
dazu ihr theatrum anatomicum*) herzugeben. Der König nahm den
Vorschlag an, übertrug aber zugleich der Akademie die Unterhaltung
des botanischen Gartens, welcher auf des Leibmedikus Gundelsheim
Vorschlag aus dem Hopfen- und Küchengarten vor dem Potsdamer Thor
gebildet war, so dass die Akademie ihre schon geringen Einkünfte mit
diesen beiden Anstalten teilen rausste.**) Dieser Umstand führte auch
zu dem Leibniz schwer kränkenden Beschluss der Mehrzahl der Societäts-
mitglieder, Leibniz das ihm ausgesetzte Gehalt von 600 Thalern nicht
weiter zu zahlen, weil dasselbe nur zur Deckung der Unkosten für die
im Interesse der Societät unternommenen Reisen und unterhaltenen
Korrespondenzen bestimmt gewesen, Leibniz aber in den letzten drei
oder vier Jahren weder einen Brief an oder für diese Societät geschrieben,
noch eine ßeise unternommen habe. Mit der energischen Zurück-
weisung***) dieser Vorwürfe (November 1715) schliessen bei Klopp die
auf die Societät bezüglichen Schriftstücke Leibniz'.
Wie eine gleiche Undankbarkeit au der Stätte seiner langjährigen
Wirksamkeit ihm die letzten Lebensjahre vergällte, ja nach seinem am
H. November 1716 erfolgten Tode bei seiner Bestattung sein Andenken
schändete, gehört nicht in diese Darstellung.
3. Frisch als Schulmann und Gelehrter.
Als Frisch 1706 zum Mitgliede der Societät der Wissenschaften er-
nannt wurde, hatte er sich in der gelehrten Welt durch irgend welche
Arbeiten noch nicht hervorgethan , man müsste denu zu jenen sein am
22. November 1700 „als am 126. Gedächtnistag der Aufrichtung des
Berlinischen Gymnasii" am Gymnasium zum grauen Kloster von Schülern
der Anstalt aufgeführtes und zugleich durch den Druck verbreitetes
Schulspiel „von der Unsauberkeit der falschen Dicht- und Reim-Kunst" f)
rechnen. Er selbst aber hat diese Arbeit wohl für nichts anderes als
für eine Gelegenheitsdichtung gehalten, durch die er in die damals üb-
lichen Protestäusserungen gegen die Unnatur der sogenannten zweiten
schlesischen Schule einstimmte.
*) Dasselbe, welches Friedrich III. für das Collegium medicum hatte anlegen
lassen? Vgl. oben S. VI u. König III, 50.
**) Vgl. Nicolai, Beschreibung von Berlin und Potsdam II, 703. König a. a. O.
IV, 1 8. 51.
***) L.'s Werke ed. Klopp I Bd. 10 8. 460 ff.
t) Vgl. meine Ausgabe im 26. Hefte der Schriften des Vereins für die Ge-
schichte Berlins.
2*
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XX
Einleitung.
Frisch hatte also seine Ernennung zum Mitgliede der Societät wohl
seiner persönlichen Bekanntschaft mit Leibniz zu verdanken. Es Ist
natürlich, dass dieser aus Veranlassung seiner oben angedeuteten Be-
strebungen bei seiner wiederholten und mehrfach länger ausgedehnten
Anwesenheit in Berlin dem Schulwesen und den bedeutendsten Schul-
männern dieser Stadt seine Aufmerksamkeit zuwandte. Seit der Mitte
des 17. Jahrhunderts hatte sich das höhere Schulwesen Berlins nicht
unwesentlich gehoben. 1610 hatte der Grosse Kurfürst das Joachims-
thalsche Gymnasium nach Berlin verlegt, und 1681 hatte er in dem neu-
gegründeten Stadtteil Friedrichswerder die Errichtung einer öffentlichen
lateinischen Schule angeordnet, welche 1701 zum Friedrich- Werderschen
Gymnasium erhoben wurde. In seinem Todesjahre hatte auch die neue
Dorotheenstadt eine derartige Schule erhalten, und von Friedrich III. war
im ersten Jahre seiner Regierung das schon von seinem Vater geplante
College royal francais gegründet. An der Spitze oder in den Lehrer-
kollegien dieser Lehranstalten standen Schulmänner, welche Gesinnungs-
genossen oder Schüler A. H. Franke'* waren, des Mannes, durch den
die Bestrebungen jener Zeit, die Gelehrtenschulen unter dem Einfluss
der höfischen Bildung und des Pietismus zu modernisieren, verkörpert
und verbreitet wurden. Im Franke'schen Sinne wirkte an der neu-
gegründeten Schule auf dem Friedrichs-Werder der Rektor Joachim
Lange (1698—1709), am Joachimsthalschen Gymnasium der Rektor
P. Volckmann, der 1694 die Friedrichsschule in Frankfurt a. O. im
gleichen Geiste organisiert hatte, am Gymnasium zum grauen Kloster
der 1708 zum Rektor der Anstalt ernanute Bodenburg und Johann Leon-
hard Frisch. Leibniz hatte durch Schrift und Wort zu dieser Reform-
bewegung selbst nicht wenig beigetragen,*) und so ist es nur natürlich,
dass er ihrer Verwirklichung in Berlin mit Interesse folgte. Dass er
aber von diesen Schulmännern gerade zu Frisch in nähere Beziehungen
trat, hatte einen doppelten Grund: einmal war für die Verwirklichung
der Seidenbaupläne niemand geeigneter als Frisch, der ja selbst als
Landwirt praktisch thätig gewesen war, dann aber hatte auch wohl
Leibniz in Frisch eine ihm in gewissem Grade congeniale Natur er-
kannt. In der That zeigt Frisch in der Universalität seines Wissens,
mit welcher er Gründlichkeit, Klarheit und Tiefe verband, eine gewisse
Ähnlichkeit mit Leibniz. An Friscirs Fähigkeiten und gutem Willen
hat es auch nicht gelegen, dass seine durch Leibniz veranlassten Be-
mühungen um die Einführung des Seidenbaues im Interesse der Societät
scheiterten, und der nachfolgende Briefwechsel lässt zur Genüge er-,
kennen, dass Frisch Leibniz' Erwartungen nicht getäuscht hat. Viel
grössere Förderung hat allerdings Frisch aus diesem Verkehr für sich
) Vgl. Panlsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts S. 331 ff.
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Einleitung.
XXI
und seine geistige Entwicklung davongetragen. Es hiesse über das Ziel
binausschiessen, wollte man behaupten, dass Frisch's reiche litterarische
Thätigkeit, wie sie sich nach seiner Verbindung mit Leibniz entfaltet,
allein dem Eiufluss dieses Mannes zuzuschreiben sei; dass sie sich aber
durchaus im Ideenkreise Leibniz' bewegte, und zum Teil auch direkt von
Leibniz beeinflusst wurde, wird dem aufmerksamen Leser dieser Ein-
leitung und des nachfolgenden Briefwechsels nicht entgehen.
Die Wirksamkeit eines tüchtigen Schulmannes entzieht sich wie die
einer guten Hausfrau der öffentlichen Kenntnis: so ist auch über Frisch's
Wirken als Schulmann wenig bekannt.
Im Jahre 1708 erhielt er das Konrektorat am Grauen Kloster,
nachdem der frühere Konrektor ßodenburg dem verstorbenen Rodigast
als Rektor nachgefolgt war. Nach Bodenbnrg's Hinscheiden rückte er
1727 in das Rektorat ein, welches er bis zu seinem am 21. März 1743
erfolgten Tode verwaltete. Als Schulmann gehörte er, wie schon oben
erwähnt, der modernen Richtung an. Mathematik und Physik waren
seine hauptsächlichsten Unterrichtsfächer : ferner lehrte er mit besonderer
Vorliebe Geographie von Palästina, leitete aber auch die Lektüre des
Virgil, Horaz und des griechischen Neuen Testaments. Sein Interesse
für das Französische bekundete er durch Abfassung zweier Schulbücher,
eines französischen Vokabulars und eines Compendiums französischer
Sprüchwörter. Die lateinischen Deklamationen bei den Schulakten Hess
er durch deutsche Reden, auch historischen und patriotischen Inhalts,
ersetzen. Nach den Aeusserungen seines Biographen Wippel war er ein
geschickter Lehrer, dem es darauf ankam, dass die Schüler den Lern-
stoff geistig verarbeiteten, und dass sie nicht über Dinge zu schreiben
genötigt wurden, deren Verständnis ihnen noch fehlte.
Viel gründlicher sind wir, wie natürlich, über Frisch's wissen-
schaftliche Thätigkeit unterrichtet. Der Societät der Wissenschaften
widmete er auch nach Leibniz' Entfernung von dem Amte des Präsi-
denten und nach dem bald darauf erfolgten Tode seines Gönners einen
grossen Teil seiner Kraft. An den Veröffentlichungen der Societät be-
teiligte er sich sehr eifrig, wie nachstehende Übersicht zeigt Im ersten
Bande der „Miscellanea Berolinensia ex scriptis societati regiae exhibitis
edita" (1710) veröffentlichte er einen etymologischen Aufsatz: Origo
(juorundam vocabulorum Germanicorum et cum aliis Unguis affinitas.
Im zweiten Bande (1723) erschien von ihm: Etymon nominis Weser
(Visnrgis), fluminis Germaniae und Significatio nominis Montacoc, quod
Comiti cuidam Hennebergensi olim datum fuit. Der dritte, 1727 er-
schienene Band enthält eine ganze Reihe Frisch'scher Abhandlungen:
1. Alia ratio solvendi quatuor posteriores versus aenigmatis Basilii Va-
lentin!, cuius tomo I Miscellaneorum Berol. p. 21 mentio facta est.
2. De cortice arborum circumcirca sine damno de tota stipite detracto
XXII
Einleitung.
et renascente. 3. Index historiae suae insectorum. 4. De eruca canali-
cola et de papilione, qui ex ea fit. 5. Observationes, quae ad pleniorem
descriptionera insecti pertinent, quod foliorum pedicnlos, gallice pucerons
vocant. 6. Observationes, qnae descriptioni Ipsidae sive Halcyonis in
diversorum autoram libris addi possunt. 7. De taeniis in anserum intestinis.
8. De taeniis in piscibus. 9. Vesügia generationis taeniaram sive verminm
latorum in piscibus et avibus. 9. De lumbricis et taeniis in superficie
hepatis piscium et muriam. 10. Observationes ad anatomiam lumbri-
corum in visceribus pertinentes ad confirmandam hypothesin, lnmbricos
in visceribus esse larvas seu, ut vocant, nymphas taeniarum. 11. Expli-
catio tituli Hormesta, qui Orosii libro inscriptus invenitur.
Auch der vierte Band, welcher 1734 herausgegeben wurde, ver-
dankt einen grossen Teil seines Inhalts dem Eifer Frisch's. Er lieferte
für den vierten Band folgende Aufsätze : 1. Iris circa solem observata.
2. De origine characterum obscuriorum , quibus in calendariis Signa
Zodiaci indicantur. 3. De origine characterum, qui apud astronomos
Planetas significant. 4. Descripfio ulterior, quam primum specimen
atlantis Germaniae sacrae evangelicae requirit. 5. Cur mensis Februarius
appellatus sit Hornung. 6. Historia militum ante aliquot secula post
exauctoritatem oberrantium et mendicantium, et unde dicti sint gardende
Knechte. 7. De vocibus Teutonicis Elo et Schelo. 8. Explicatio ori-
ginis vocis Trese-Kammer. 9. Vocum pietanz, piment et picteren ety-
mologia et significatio. 10. Explicatio vocum Cavilla et Creopensorium.
11. Derivatio vocis obscurioris Smurdus, quae in jure veterum occurrit.
12. Explicatio verborum obscuriorum et mutilatorum Geographi veteris,
Ravennatis, et confirmatio coniecturae, quod vox Bisigibilias Sclavonica
sit et Albim superiorem significet. 13. Etymologia clamoris publici
Jodute. 14. De mustelae fluviatilis rapacitate et de taeniis ir stomacho
huius piscis. 16. De lumbricis in locustis. 16. De taeniis in pisciculo aculeato,
qui in Marchia Brandenburgica vocatur Stecherling. Der fünfte Band,
welcher 1737 veröffentlicht wurde, enthält folgende Arbeiten Frisch's : 1. De
bombyce e folliculi sui textura prorepente. 2. Specimen supplementorum et
observationum ad Joh. Schilteri glossarium Teutonicum. 3. Observationes
et notae ad Joh. Schilteri Glossarium Teutonicum. 4. De vero sensu cor-
ruptae vocis Gartzaun. 5. Dequinque nominibus canis sagacis apud venatores
in veteribus Germanorum legibus. 6. Nomen Aegidius varia mutatione
corruptum. 7. De voce Charromannico in Ekkehardo Juniore apud
Goldast. 8. De origine vocum quarundam Gallicarum una cum obser-
vationibus et snpplementis ad Nfenagium. In dem 1740 herausgegebenen
sechsten Band endlich finden sich die nachstehend verzeichneten Auf-
sätze von Frisch's Hand: 1. Observationes ad lampretarum tres species.
2. De taenia capitata. 3. De ossibus dentatis in utraque pinna ventris
carpionis. 4. Gobins capitatus. 5. De phocaena in Pomeraniae lacu
Einleitung. XXIII
qoodam inventa. 6. De mergo quodam in Marchia Brandenburgica
capto Tschinensium mergo piscatori, gall. Coroman dicto, admodum
simili. 7. De ansere Tscbinico inprimis de capite et lingiia ejus. 8. De
taeniis, quae in jecore pisciuin inveniuntur, inprimis vero in lucjo pisce.
9. Index historiae suae insectoruin tomi secundi et tertii sive centuriae
seenndae et tertiae. 11. De voeibus Hallunck et Zohensuhn. 12. Ad
suppleinenta glossarii Scbilteriani. 13. Continuatio originum quarundam
voenm linguae gallicae et observationum ad Dn. Menagii origines lin-
guae Gallicae. Seine eifrigen Bemühungen fanden insofern bei den Mit-
gliedern der Akademie Anerkennung, als er 1731 von der historisch-
philologisch - deutschen Klasse zu ihrem Direktor gewählt wurde.
Unter seiner Leitung scheint in dieser Klasse die Beschäftigung mit der
deutschen Sprache besonders gepflegt zu sein: 1734 erschien, von ihm
veranlasst oder doch wenigstens unter seiner Beteiligung,*) „Der erste
Auszug von einigen die teutsche Sprach betreffenden Stücken, welche
der Königlichen Preussischen Societät der Wissenschaften in der dazu
verordneten Abtheilung nach und nach übergeben worden." Die Schrift
enthält zwölf, zumeist kurze Aufsätze, von denen sich neun mit der Er-
klärung einzelner Wörter beschäftigen, einer in das Gebiet der Ortho-
graphie (Wortabteilung) und einer in das der Grammatik (Gebrauch und
Missbrauch der deutschen Präpositionen) gehört. Der noch übrige end-
lich, der höchstwahrscheinlich von Frisch stammt und überschrieben ist :
„Entwurf eines Registers, das in jedem Lande kann gemacht werden, von
Wörtern, die nur wenige Leute gebrauchen-, schien mir so wichtig, dass
er in der Anmerkung 110 zu den in Brief 17 aufgeführten, von Frisch
gesammelten „vocabula Marchica" wieder abgedruckt worden ist.
Die eben aufgeführten Titel der von Frisch in den Societätsschriften
veröffentlichten Arbeiten lassen «chon erkennen, auf welche Gebiete der
Wissenschaft seine litterarische Thätigkeit sich erstreckte. Der Theologie,
für die er sich durch das Universitätsstudium vorbereitet hatte, gehört
keine einzige seiner Arbeiten an. Denn die 1707 von ihm verfertigte, aber
erst 1727 veröffentlichte deutsche Übersetzung von „Liber symbolicus
Russorum oder der grössere Katechismus der Hussen" ist nicht hierher,
sondern zu seinen linguistischen Arbeiten zurechnen. Durch seinen
Aufenthalt in fremden Ländern hatte sich Frisch eine genaue Kenntnis
verschiedener neuerer Sprachen, besonders des Französischen und der
damals sehr vernachlässigten sla vischen Sprachen verschafft. Dass ei-
serne Kenntnis des Slavischen wissenschaftlich zu vertiefen und literarisch
zu verwerten trachtete, geht gewiss auf Leibniz' Anregungen zurück, der
ja die Verwirklichung seiner Ideen auch in Russland erhoffte und zu
diesem Zweck auf Peter den Grossen einzuwirken trachtete. Ausser
*) Vgl. den Brief Frisch 's im Neuen HterRr. Anzeiger Bd. 4 S. 120.
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• XXIV
Einleitung.
jenem Liber symbolicus übersetzte er mit Hülfe eines Russen des Co-
menius Vestibulura ins Russische, hat aber diese Arbeit, wie es scheint,
nicht veröffentlicht. (Vgl. unten Brief 40.) Mit der Geschichte des Sla-
vischen beschäftigen sich sechs Programmabhandlungen Frisch's: l.Origo
characteris Glagolitici pluribus sigillatim descriptus tanquam eximia
historiae linguae Sclavonicae pars. 1727. 2. Historiam linguae Sclavo-
nicae continuat quatuor capitibus: I de origine characteris Cyrillici
speciatim, II de cultura linguae Sclavonicae beneficio hujus characteris,
m de tvpis Sclavonico-Moscoviticis, IV de dialecto Russica, tanquam
filia linguae Sclavonicae. Additque in aere sculptum conspectum figu-
rarum characteris Sclavonici novique Russici et propter inscriptionem
Sclavonicam etiam nummum Russicum. 1727. 3. Historiae linguae Scla-
vonicae continuatio secunda continens Historiam dialecti Venedicae
meridionalis sive Vinidorum in provinciis Austriae vicinis nimirum in
Carinthia, Stiria, Carniola, Istria et Marchia Vinidorum. 1729. 4. Historiae
linguae Sclavonicae continuatio tertia de dialectis Venedorum in Lusatia
et in ducatu Luneburgico. 1730. 5. Historiae linguae Sclavonicae con-
tinuatio quarta sive caput quintum : De dialeoto Bohemina. 1734. 6. His-
toriam linguae Sclavonicae continuatione quinta sive capite sexto de
lingua Polonica finit 1736.
Von der Herausgabe französischer Schulbücher durch Frisch ist
schon oben die Rede gewesen. Er begnügte sich aber nicht damit,
diese Sprache mündlich und schriftlich zu beherrschen und in ihrem
Gebrauch seine Schüler zu unterweisen, sondern er wandte sich auch
der historischen Betrachtung und Erforschung des Französischen zu.
Die beiden oben erwähnten Aufsätze in den Miscellanea, welche Beob-
achtungen zu Menage, Origines sur la langue francaise bieten, geben
davon Zeugnis, wie auch die Äusserung Frisch's an Leibniz unter dem
12. September 1708, dass er nach Vollendung seines Wörterbuches sagen
könne, was von altdeutscher Sprache noch in dem Französischen seiner
Zeit übrig sei. Dies Wörterbuch, welches 1712 in Leipzig unter dem
Titel „Nouveau dictionnaire des passagers francais-allemand et allemand
francais" erschien und wiederholt aufgelegt wurde, war nicht bloss durch
seine etymologischen Angaben wertvoll, sondern bedeutete auch insofern
einen Fortschritt, als das „deutsche Register" die hochdeutsche Sprache
aufweist, während die früher erschienenen Wörterbücher „nach einer
sonderlichen und meistens schweizerischen Mundart eingerichtet" waren.
Auf dem Gebiete der klassischen Sprachen ist Frisch nur auf
äussere Anregung und in Erfüllung eines praktischen Bedürfnisses durch
Mitarbeit an der Herausgabe der märkischen Schulbücher, besonders der
griechischen Grammatik thätig gewesen. Die letztere war schon in der
ursprünglichen Fassung wesentlich seine Arbeit und wurde 17:17 in
zweiter Auflage selbständig von ihm herausgegeben.
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Einleitung.
XXV
Hervorragende Verdienste um die Erforschung der deutschen
Sprache hat sich Frisch durch sein deutsch-lateinisches Wörterbuch er-
worben. Wie sehr ihn zu dieser Arbeit, die über viele Jahre sich erstreckte,
seine Neigung und ein hervorgetretenes Bedürfnis, wie sehr ihn Leibniz'
Anregungen getrieben haben, lässt sich nicht feststellen ; es genügt hervor-
zuheben, dass Leibniz, noch ehe er mit Frisch in Verbindung trat, die
Notwendigkeit derartiger Studien betont hatte, und dass Frisch sie den
Forderungen Leibniz' entsprechend betrieb. In demselben Jahre 1()97,
in welchem Leibniz mit Erfolg nähere Beziehungen zum Berliner Hofe
sachte, verfasste er „ünvorgreifliche Gedanken betreffend die Ausübung
und Verbesserung der deutschen Sprache"*). Zunächst hatte er das Buch
nur handschriftlich unter seinen Bekannten verbreitet und übersandte
es 1700 mit der ersten Denkschrift über die Gründung der Societät der
Wissenschaften zu Berlin an den Hofprediger Jablonski**). Erst nach
Leibniz' Tode wurde es mit anderen etymologischen Schriften von Eckart
herausgegeben. In dieser Schrift***) nun führt Leibniz Folgendes aus: „Der
Grund und Boden einer Sprache, so zu reden, sind die Worte, darauf
die Redensarten gleichsam herfür wachsen. Woher denn folget, dass
eine der Haupt- Arbeiten, deren die Tentsche Haupt-Sprache bedarf, seyn
würde eine Musterung und Untersuchung aller Teutschen Worte, welche,
dafern sie vollkommen, nicht nur auf diejenige gehen soll, so jedermann
brauchet, sondern auch auf die, so gewissen Lebens-Arten und Künsten
eigen; und nicht nur auf die, so man Hochteutsch nennet, und die im
Schreiben anitzo allein herrschen, sondern auch auf Platt -Teutsch,
Märkisch, Ober-Sächsisch, Fränkisch, Bäyrisch, Oesterreichisch, Schwä-
bisch oder was sonst hin und wieder bey dem Landmann mehr als in
den Städten bräuchlich; auch nicht nur, was in Teutschland in Uebnng,
sondern auch was von Teutscher Herkunft in Holl- und Engelländischen :
wozu auch fürnehmlich die Worte der Nord -Teutschen, das ist, der
Dänen, Norwegen, Schweden und Isländer (bey welchen letztern sonder-
lich viel von unser uralten Sprach gebheben) zu ziehen: und letzlichen
nicht nur auf das, so noch in der Welt geredet wird, sondern auch was
verlegen und abgangen, nehmlichen das Alt-Gothische, Alt -Sächsische
and Alt -Fränkische, wie sichs in uralten Schriften und Reimen findet,
davon der treffliche Opitz selbst zu arbeiten gut gefunden Nun
wäre zwar freylich hierunter ein grosser Unterschied zu machen, mit-
*) Ueber die Abhängigkeit L.' in dieser 8cbrift von J. G. Schottelius vgl
A. Scbmarsow, Leibniz n. Schottelias. Strasburg 1877 (Quellen u. Forschungen XXIII).
**) Es ist wenigstens höchst wahrscheinlich, dass die in dem Briefe an Jablonski
unter dem 31. März 1700 erwähnte zweite Beilage, dio Leibniz am 30. August 1700
sich zurückerbittet mit dem Hinweise, dass er sie wolle drucken lassen, diese Schrift
gewesen ist. Vgl oben S. VIII u. Guhrauer, L's deutsche Schriften II, 171.
***) Guhrauer a. a. O. I, 460ff.
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XXVI Einleitung.
hin was durchgehends in Schriften und Reden wackerer Leute üblich,
von den Kunst- und Land -Worten, auch fremden nnd veralteten, zu
unterscheiden. Ander Manchfaltigkeiten des Gebräuchlichen selbst an-
jetzo zu geschweige!!, wären derowegen besondere Werke nöthig, nehra-
lich ein eigen Buch vor durchgehende Worte, ein anderes vor Kunst-
Worte, und letzlich eines vor alte und Land -Worte und solche Dinge,
so zu Untersuchung des Ursprungs und Grundes dienen, deren erstes
man Sprachbrauch, auf Lateinisch Lexicon, das andere Sprachschatz
oder cornu copiae; das dritte Glossarium oder Spracbquell nennen
möchte." In der Folge betont er, „dass die Franzosen hierin glücklich,
indem sie mit allen drey oberwähnten Werken, so ziemlich in ihrer
Sprache nunmehr versehen" und lobt „das herrliche Werk des hoch-
gelehrten Menage, welcher den Ursprung der Worte untersucht, und also
auch das Veraltete, auch zu Zeiten das Bäurische, herbey gezogen."
In den von Leibniz hervorgehobenen drei Richtungen war nun
Frisch forschend und sammelnd thätig. Zahlreiche seiner oben auf-
gezählten Akademieanfsätze beschäftigen sich mit der Deutung einzelner
ihrem Sinne nach dunkler deutscher Wörter. Die im „Ersten Auszug
von einigen die teutsche Sprache betreffenden Stücken" enthaltenen ety-
mologischen Artikel haben wahrscheinlich ebenfalls Frisch zum Ver-
fasser. Seiner ebendort mitgeteilten vortrefflichen Anleitung zur An-»
legung eines Glossariums oder Idiotikons ist schon gedacht, und dass
er selbst an einem solchen Glossarium für den märkischen Dialekt
sammelte, wissen wir aus seinen unter dem 9. November 1709 und 30. Januar
1710 an Leibniz gerichteten Briefen. Auch unter seinen in der pädagogischen
Zeitschrift „Zufällige Anmerkungen von allerhand zum Schul- Wesen und
Grundlegung der Gelahrtheit gehörigen Sachen" (Berlin 1716 — 1718)
veröffentlichten Aufsätzen beschäftigt sich einer (Stück 4 No. 5) mit der
Etymologie einiger deutscher aus dem Slavischen stammenden Eigen-
namen. Direkte Vorarbeiten für sein Wörterbuch waren: „Specimen
lexici Germanici" (1723), „Specimen lexici Germanici secundum Oder
das andere Exempel, wie er sein teutsches Wörterbuch einrichtet" (1727)
und die Programm -Abhandlung ans dem Jahre 1739: De primis in
Germania typis editis Lexicis Gerraanicis. Zwei Jahre später endlich
wurde das Wörterbuch selbst unter folgendem Titel veröffentlicht:
„Johann Leonhard Frisch Teutsch -Lateinisches Wörter- Buch, Darinnen
Nicht nur die ursprünglichen, nebst denen davon hergeleiteten und zu-
sammengesetzten allgemein gebräuchlichen Wörter; Sondern auch die
bey den meisten Künsten und Handwerken, bey Berg- und Saltzwerken,
Fischereyen, Jagd-, Forst- und Hauss- Wesen u. a. m. gewöhnliche Teutsche
Benennungen befindlich, Vor allen, Was noch in keinem Wörter -Buch
geschehen, Denen Einheimischen und Ausländern, so die in den mittlem
Zeiten geschriebenen Historien, Chroniken, Übersetzungen, Reimen u. d. g.
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Einleitung.
XX VII
mit ihren veralteten Wörtern nnd Ausdrückungen verstehen wollen, mög-
lichst zn dienen, Mit überall beygesetzter nöthigen Anführung der Stellen,
wo dergleichen in den Büchern zu finden, Samt angehängter Theils ver-
sicherten, theils muthmasslichen Etymologie und critischen Anmerkungen;
Mit allem Fleiss viel Jahr über zusammengetragen, Und jetzt den Gelehrten
zur beliebigen Vermehrung und Verbesserung überlassen. Nebst einem
Register der Lateinischen Wörter. Berlin, Verlegts Christoph Gottlieb
Nicolai 1741." Die von Leibniz geforderten verschiedenartigen drei
Wortsaramlungen sind hier vereinigt, und jeder Zweifel, ob Leibniz' An-
regung dem Verfasser bei dieser Arbeit zu teil geworden ist, schwindet
beim Lesen des Vorberichts: „Man hat diese Lexicons- Arbeit etlichemahl
wollen liegen lassen, sonderlich da der Herr von Eccard*) in seiner
Historia studii Etymologici linguae Germanicae von einem Lexico, das
er vorgehabt, viel wichtiges gesprochen, ist der Autor fast abgeschreckt
worden. Der hochgelehrte Herr Baron von Leibnitz (!) aber hat ihn
wieder aufgemuntert und versichert, wenn gleich unser viel über dieser
Arbeit wären, würden wir doch alle genug zu thun finden und das Werk
nicht erschöpfen". In demselben Vorbericht äussert sich Frisch über
das Verhältnis seines Werkes zu Schilter's Glossarium. „Des Herrn
Schilter'8 Glossarium Teutonicum hat ihn (den Verf.) einer grossen
Arbeit überhoben, weil der ganze Schatz von den urältesten Teutschen
Schriften darein gekommen ist Indem es aber nur bis an Zeiten reicht,
die man noch recht dunkel nennen kan, nemlich kurz vor- und kurz
nach der Erfindung des Buchdruckens, darinnen man Historien und
Chroniken findet, wo auf allen Seiten Wörter stehen, die dem Leser am
•Verstand solcher Schriften hinderlich fallen; so ist dadurch Gelegenheit
gegeben worden, in diesem gegenwärtigen Wörter- Buch die Hand an
eine schöne Aerndte zu legen, davon keiner sagen kan, es sey in eine
fremde geschehen." Es will also Frisch's Werk eine Ergänzung zu
Schilter's Glossarinm und ein neuhochdeutsches Wörterbuch sein, Neu-
hochdeutsch im weitesten Sinne gefasst. Das Lateinische hat im Wörter-
buch eine durchaus untergeordnete Stellung. Schon Räumer in seiner
Geschichte der germanischen Philologie (S. 192) hat die Bedeutung des
Frisch'schen Wörterbuches voll gewürdigt und ihm eine der ersten
Stellen in der ganzen deutschen Lexikographie zuerkannt.
Weniger hervorragend sind Frisch's Leistungen auf einem anderen
Gebiete des Deutschen, in der Grammatik. Ausser einer kleinen Schrift
„Untersuchung des Grundes und Ursachen der Buchstab- Veränderungen
etlicher teutschen Wörter", welche 171«) erschien, veröffentlichte er in
der oben genannten pädagogischen Zeitschrift „Zufällige Anmerkungen"
u. s. w. zwei hierher gehörige Aufsätze: „Vom Ursprung des Buchstabs
*) Vgl. unten Anmerkung lfiT.
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xxvni
Einleitung,
y und woher es komme, dass er von einigen in so viel Wörtern ge-
schrieben werde" (S. 391 ff) und „Vom Zahlwort zwei und dessen Dekli-
nation". Ferner aber gab er 1723 eine verbesserte und vermehrte Auf-
lage von Bödiker's deutscher Grammatik heraus, in der er die schiefen
und unrichtigen Erklärungen des Verfassers zu berichten versuchte:
. „Joh. Bödikeri Grundsätze der Teutschen Sprache, meistens mit ganz
anderen Anmerkungen und einem völligen Register der Wörter, die in
der teutschen Uebersetzung der Bibel einige Erläuterung erfordern, auch
zum Anhange mit einem Entwurf und Muster eines teutschen Haupt-
Wörter- Buchs verbessert und vermehrt von J. L. Frisch." Die Frage,
wieweit diese Bearbeitung einen Fortschritt bedeutet und welche Stellung
Frisches Arbeit in der Geschichte der deutschen Grammatiken verdient,
bedarf einer besonderen Untersuchung, für die hier kein Platz ist.
Die übrige wissenschaftliche Thätigkeit Frisch's ist wesentlich durch
die Eindrücke und Erfahrungen seines Wechsel vollen Jugendlebens be-
stimmt. Seine Vorliebe für die Geographie hängt ohne Zweifel mit
seinen zahlreichen Reisen und Wanderungen während seiner Studienzeit
zusammen. Schon oben wurde erwähnt, dass er mit Vorliebe Unter
rioht in der Geographie von Palästina erteilt habe und in einem Briefe*)
vom 1. August 1732 schreibt er, dass er iu der mathematischen Klasse
der Societät „die Teutsche Geographiam specialissimam über sich ge-
nommen habe, nach Vermögen jährlich etwas zu liefern". „Ich habe aber
solche Neider gefunden," fährt er fort, „dass sie mein Beginnen seither
1718 gehindert, nunmehr aber will ich immerzu ein Landchärtlein dem
Publico communiciren und zwar in den Miscellaneen der Societät."
Freilich ist in dieser Zeitschrift (IV, 69—73) nur der eine oben schon
erwähnte Aufsatz veröffentlicht: „Deseriptio ulterior, quam primum
speeimen atlantis Germaniae sacrae evangelicae requirit" mit einer von
P. J. Frisch in Kupfer gestochenen Karte: „Die Superintendur (!) Neu-
statt an der Aisch und zugleich die Brandenburg-Baireutische Haupt-
mannschaft Neustatt an der Aisch und Hohen -Eck in Franken". Die
Absicht ist aber, soweit ich habe sehen können, auch an anderen Stellen
nicht zur Ausführung gebracht, wahrscheinlich weil Frisch durch andere
Arbeiten in Anspruch genommen wurde.
Seine in der Jugend geübte praktische Thätigkeit als Landwirt
hatte die iu ihm ohne Zweifel früh vorhandene Neigung zu natur-
wissenschaftlichen Studien befestigt und weiter entwickelt. Diese
bethätigte er nun in mannigfacher Weise.
Zunächst waren es wohl diese Erfahrungen, welche ihn Leibniz als
den geeignetsten Aufseher und Förderer des Seidenbaus in Berlin zum
*) Neuer allgcm. litter. Anzeiger Bd. 4 S. 118.
•+) Vgl unten Brief 31.
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Einleitung.
XXIX
Nutzen der Societät erscheinen Hessen. Mit welcher Umsicht er sich
diesem Unternehmen gewidmet hat, wie eingehende Versuche und Be-
obachtungen er dabei über die Kultur der Maulbeerbäume und das
lieben der Seidenraupe gemacht hat, davon giebt der nachfolgende Brief-
wechsel ein klares Bild. Seine Erfahrungen im Seidenbau hat er in
zwei kleinen Schriften niedergelegt, die allerdings seinen Namen nicht
fahren, aber ohne Zweifel von ihm verfasst sind. 171:1 veröffentlichte
er: „Der Seidenbau nach seiner Möglichkeit und Nutzbarkeit" und im
darauf folgenden Jahre : „Der Seidenbau in seiner nöthigen Vorbereitung,
gehörigen Bestellung und endlichen Gewinnung". Dagegen scheint die
„Historie der Plantation der Maulbeerbäume in Europa und sonderlich
in Teutschland", deren Abfassung ihm nach einer Äusserung Leibniz
gegenüber (siehe unten Brief 41) vom Könige Friedrich Wilhelm I. nahe
gelegt war, nicht geschrieben oder wenigstens nicht veröffentlicht zu sein.
Die Aufzucht der Seidenraupen führte ihn 1713 zur genaueren Be-
obachtung der Insekten überhaupt, und 1720 begann er heftweise eine „Be-
schreibung von allerley Insekten in Deutschland" herauszugeben. Die
scharfe und liebevolle Beobachtung in diesen Beschreibungen und die
anspruchslose Darstellung des Beobachteten machen sie noch heute zu
einer für den Naturfreund angenehmen Lektüre. In 18 Heften, deren
letztes 1738 erschien, gab er von 300 Insekten eine genaue Beschreibung
zugleich mit bildlichen Darstellungen, die von ihm selbst uach der
Natur gezeichnet und von seinem jungen Sohne Ferdinand Helfreich in
Kupfer gestochen waren. Um den Verfasser wegen dieser Leistungen
zu ehren, gab Linne einen» Käfer aus der Species Melolontha den Namen
Melolontha Frischii.*)
Ein zweites naturwissenschaftliches Kupferwerk begann er mit
seiner „Vorstellung der Vögel Deutschlands und beyläufig auch einiger
fremden; nach ihren Eigenschaften beschrieben." Er hatte, um dieser
Aufgabe gewachsen zu sein, sich viele deutsche Vögel lebend verschafft,
sie in der Gefangenschaft beobachtet und dann ausstopfen lassen. Wieder
lieferte Ferdinand Helfreich die Kupferstiche. Es war ihnen beiden
aber nicht vergönnt, die Arbeit zu vollenden. Erst im Jahre 17(>3
wurde sie durch Frisch's Sohn Jodocus Leopold unter Beihülfe des
Barons von Zorn in Dauzig und des einzigen Sohnes von Ferdinand
Helfreich, der die letzten Kupferstiche lieferte, abgeschlossen; sechszig
Jahre lang war sie die exakteste Darstellung der Vögel Deutschlands.
Zur Anerkennung für dieses Unternehmen wurde Frisch 1725 Mitglied
der Leopoldinischen Akademie naturae euriosorum unter dem Namen
Vegetius.
T> Vgl. Aug. Ferd. Ribbeck, Oratio ad J. L. Friscbii niemoriam secularem cele-
brandam. Programm des Grauen Klosters 1830. S. 17.
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XXX
Einleitung,
Die oben einzeln aufgeführten Aufsätze Frisch's in den Miscellanea
Beroiineusia geben Zeugnis, dass Frisch in seinen Forschungen sich auf
diese beiden Gebiete des Naturreichs nicht beschränkt hat: so hat er u. a.
die Band- und Eingeweidewürmer in verschiedenen Tieren, z. B. im Stich-
ling oder, wie man damals in Berlin sagte, im Stecherling beobachtet
und beschrieben, von den Blattläusen gehandelt, auf das Vorkommen
des Braunfischos (Phocaena commuuis) in einem pommerschen See und
eines Kormorans in der Mark Brandenburg aufmerksam gemacht.
Die zahlreichen Nachrichten, welche Frisch iu dem nachfolgenden
Briefwechsel über seine eigenen und anderer Männer chemische Ver-
suche giebt, lassen erkennen, dass Frisch solchen bei Hoch und Niedrig
damals sehr beliebten Bestrebungen nicht fern stand. Berlin war gegen
Ende des 17. und im Anfang des 18. Jahrhunderts ein günstiger Boden
für allerlei alchemistische Versuche. Wie an des Grossen Kurfürsten
Hofe der Laborant Johann Kunkel lange Jahre im grossen Ansehen
stand und seines Fürsten Vorliebe für die Goldmacherkunst wach zu
halten wusste, so versachte im Jahre 1705 der Adept Don Domenico
Manuel Caetano, Conte de Ruggiero am preussischen Hofe festen Fuss
zu fassen, indem er die Kunst des Goldmachens zu besitzen be-
hauptete und auch wirklich Proben seiner Kunst ablegte; durch ein
mitgebrachtes Pulver verwandelte er Quecksilber in Silber und ein
ander Mal Quecksilber in Gold. Er bildete kurze Zeit in Berlin den
Mittelpunkt des Interesses, und die an Leibniz gerichteten brieflichen Mit-
teilungen Frisch's zeigen, dass auch dieser jenen Vorspiegelungen Glauben
zu schenken geneigt war. Die Enttäuschung folgte freilich bald nach.*)
Neben dem Caetano spielte damals in Berlin ein Laborant, der Stahl-
müller Felmy oder Filmey, eine Rolle, über den sich aber Nachrichten
nicht haben beibringen lassen. Ferner gehörte zu dem Kreis der Ber-
liner Alchemisten Johann Konrad Dippel, der mit J. G. Rosenbach die
Goldmacherei trieb und der Entdecker des tierischen Öls wurde. Er
war es auch, der mit dem Färber Diesbach zusammen das Berliner
Blau erfand, aus dessen wesentlich verbesserter Fabrikation Frisch er-
hebliche Einnahmen erzielte.**)
Obgleich Leibniz nicht an den Stein der Weisen glaubte,***) war
er doch nicht blind gegen die Wichtigkeit solcher Versuche und hat
alle darauf bezüglichen Nachrichten Frisch's sicher mit Interesse ent-
gegengenommen, wie sich aus der häufigen Berührung dieses Themas
in Frisch's Briefen schliessen lässt. Hat er doch auch in dem ersten
*) Vgl. unten Anmerkung 69.
**) Genaueres siehe in der Anmerkung 38.
***) Miacell. Berol. I p. 16 ff. : G. G. L., Oedipue Chymicus aenigmatis -Graeci
et Germanici.
Einleitung.
XXXI
Bande der Miscellanea Berolinensia über die gleichfalls bei alchemisti-
schen Versuchen gewonnene Entdeckung des Phosphors einen ausführ-
lichen und den Erfinder Brand ehrenden Bericht gebracht.
Die Bedeutung der von Frisch unternommenen chemischen Ver-
suche, wie sie im nachfolgenden Briefwechsel sich darstellen, zu wür-
digen, muss ich einer sachverständigeren Feder überlassen.
Zehn Jahre etwa haben die Beziehungen Frisch's zu Leibniz ge-
dauert, für sein ganzes Leben aber ist seine Geistesrichtung und seine
wissenschaftliche Thätigkeit durch diesen Verkelir bestimmt. Und wie
auf diesen einzelnen Gelehrten, so hat Leibniz auf das gesamte wissen-
schaftliche Leben Berlins einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt und hat
ihm einen neuen Schwung und einen gewissen encyclopädischen Cha-
rakter verliehen.
• - *
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Joh. Leonh. Frisch's Briefwechsel mit G. W.Leibniz.
!•■)
Frisch an Leibniz.
Hochgeehrter Herr Geheimer Rath. Dass Ew. Excellenz nicht
Selbsten aufwarte, hab ich keine andere Entschuldigung anzuführen, als
die tödliche Schwachheit des Herrn D. Lichtscheides,-) bey welchem
ich fast Tag und Nacht bin, und aus Lieb zu ihm fast alles vergesse.
Ich habe ihn gestern Nacht in desperatem Zustand verlassen und gehe
jetzt wider zu ihm mit grosser Ungewissheit , ob ich ihn noch lebend
antreffen werde. Ich habe aber indessen nicht unterlassen wegen des
Maulbeer-Saamens bedacht zu seyn und den Raschmacher s) zu dem
Gärtner Burckhaff geschickt, welcher mir auch versprochen, hin zu
gehen, aber noch keine Antwort wider gesagt. Morgen will ich selbst
zu besagtem Gärtner gehen; unterdessen wird der Feldprediger nicht
feyren, desswegen Nachfrage zu halten.
Beykommende editionen von der Bibel, sonderlich Novi Testamenti,
habe ich unter meinen Büchern gefunden, von welchen ich glaube, dass
sie noch nicht allzu bekannt seyen. Die Böhmische Bibel, so ich habe,
hat kein Titulblatt, wesswegen ich sie nicht beyfügen können. Bitte
gehorsamst, sie halten mir meine Eilfertigkeit zu gute und versichern
sich, dass die Begierde, bey Herrn Doctor Lichtscheid zu seyn, mir
wohl etwas von gegenwärtigen Zeiten, aber niemahl, so wenig als was
anders, von dem respect abkürzen können, womit ich lebenslang ver-
bleibe Joh. Leonh. Frisch.
2.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler, Hochgeehrter Herr geheimer Rath und Praesident,
Hochwerther Patron!4) Dass Ew. Exc. glücklich zu Hannover ange-
langt,') habe mit freuden aus dero Hochwerthen vom 28. Junij") er-
Job. Leonb. FriBch'B Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
1
fahren. Hätte auch gleich darauf gebührende Nachricht von allem, was
verlangt worden, abgestattet, wann nicht noch das Seidenabspinnen ab-
zuwarten gewesen. Wir haben, aus Mangel des Wurmsaamens , die
Bäume zu Potstam7) und Spandau diss Jahr müssen ungenuzet stehen
lassen. Zu Cöpenik aber haben wir bey 5 Pfund guter Seiden bekommen,
das übrige, was das schönste von den Cocons wäre, haben wir aus-
kriechen lassen, so dass ich wohl zu 100 Pfund Seiden, und drüber,
Wurmsaamen gesamlet. Es waren die Cöpenikschen Cocons von solcher
grosse und härte, dass die Italiener und Franzosen dabey schlechten
Unterschied von den besten in ihren Landen finden können. Um Italie-
nischen Saamen hab ich auch längsten wieder geschrieben, weil er wohl-
feiler zu haben um die Zeit, wann sie die Würmer auskriechen lassen,
indem sonst ein jeder nur so viel unabgesponnen liegen lässt, als er zu
seinen Bäumen vermeinet genug zu haben.
Den Baumsaamen erwarte ich auch nächstens. Damit wir aber
versicherter seyn mögen als bissher, hab ich viel Pfund zu Potstam und
Cöpenick samlen lassen. Den Garten zu Cupenik hab ich einem Mann
verdinget, der ihn halb diesen Herbst umpflügen und düngen soll, da-
mit gleichwohl ein jeder bauin etwas mist bekomme, dann der planteur
hat «lein Meister Otto ') zum Possen den ersten Mist gleich an eine
geringe Zahl Bäume verscharret, dass er dieses Jahr nichts auf dem
Plaz bauen können, wie ihm erlaubt gewesen. Er will dahero künft'tig
noch etwas darauf pflanzen. Sonst ist im Garten nicht ein grünes
Grässlein; wo es aber ein wenig feuchtigkeit haben kan, siehet man
wohl, was der grund thun kan. Desswegen hab ich alle gelegenheit
abgesehen, ob etwau mit einer Wässerung zu helften wäre. Auch den
Herrn adjunctum Hoffmann ') mit seinem Bruder desswegen mit hinaus
genommen, die Situation ein wenig mit der Wasserwag zu messen. Da
wir dann gefunden, dass, weil die Spree nicht allein zu schwach ist,
ein Schöpfrad zu treiben, sondern auch etwas zu unbe«piem entfernet,
und der garten gleichwohl eine höhe hat, welche in einer schuurgleiehen
pente, 5 biss 0 Schuh biss an den untersten Theil austrägt, dass man
mit einer geraumigen Pumpe, weil das Grundwasser nicht tief zu hohlen,
vermittelst einer kleinen Windmühl mit geringen Kosten den garten
immer befeuchten könnte. Sie halten mir desswegen auch schon einen
abriss von der Maschine gemacht, welchen ich hieinit übersende, mit
bitte, weil wir keine copie davon behalten, denselben bey gelegenheit
wider zu überschicken. Manu braucht des Wassers nicht viel, weil es
theils die Bäume nicht leiden, theils das Wetter nicht erfordert, und
also die Pumpe immer wider Zeit hat, sich anzufüllen, geschweige, dass
die meatus, wegen des stetigen auspumpen*, sich immer in der Erde
erweitern. Wann man endlich mehr Wasser haben wollte, weil man
dessen Nuzen spührte, könnte man in die Spree einige rinnen unter die
8
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2 Joh. Leonh. Frischs Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
Erde legen, damit man steten Zufluss hätte. Es sind schon zwey solche
Pompen-Brunnen im garten, aber an unbequemen Orten, nur zum
begiessen angelegt; weil sie aber doch mit feldsteinen ausgefüttert,
auch die Eisen noch da sind, können sie bey einer grössern die Unkosten
vermindern. Der Raum des Gartens verspricht leiclitlich so viel grass,
dass man 6 Kuh davon überwintern kau, wovon künftig der Mist in dem
garten, und die Leuthe, so sie halten, zur gewissen und wohlfeilem
arbeit des Blätterrupfens können gebraucht werden. Die wenige Zahl
der Bäume, so Mist genossen, oder etwas tiefer und der Nässe näher
stehen, haben genugsam gezeigt, was sie thun können, indem sie viel
Schüsse getrieben, so anderhalb Ehlen lang sind. So dass eine kleine
Zahl dei Bäume die Unkosten einer solchen machine bald wider erstehen
sollten.
Wie nun in diesem allen Ew. Excfcllenz] zu disponiren haben, als werden
Sie absonderlich wegen herannahenden Herbstes zu befehlen belieben,
wie man es mit anlegung der Baumschulen an unterschiedlichen Orten
der Königlichen] Provinzen anzustellen habe. Dann die Erde muss vorhero
recht desswegen zugerichtet und gedünget werden. Meister Otto hat
den Oöpenickisehen Baumsaaraen einestheils zu Potstam in den Garten
gesäet, der nicht recht zugerichtet gewesen, dalicro ihm auch nicht ein
Körnlein aufgegangen. Hingegen hat der erste Planteur der hiesigen
Maulbeerbäume von eben diesem Saamen zu Borna ,ü) ausgesäet, von
welchem fast kein Körnlein ausgeblieben, so dass er uns in einigen
Jahren mit einer schönen anzahl Bäume versehen kan, wie ich ihm
dann zu einem recompens wegen der Societät hoftnung gemacht, wann
er seinen Fleiss ferner würde sehen lassen. Sonst hat Meister Otto es
an seinen Fleiss nicht ermangeln lassen, sonderlich hat er zu Briezen u)
an der Oder erfahren, dass einige Leuthe daselbst viel fuder Mist wegen
der entlegenen felder oder wegen Mangel derselben in die Oder werffen
müssen. Wann nun daselbst ein Garten angelegt würde, könnte man
eine stetswärende wohlfeile Baumschule haben und daraus die meisten
Stättlein in der Mittel- und Neiunark versehen, deren etliche doppelte
Wälle haben. Zu Prenzlow wäre der andere Ort, die Ukermarck zu
besezen, zu Magdeburg der dritte, und allliier der vierdte. Man kan
den nächsten Frühling einige hundert Bäume aus der Cöpenickischen
Schule nehmen und auf hiesigen Wall'-') sezen, all wo schon einige zimlich
erwachsene stehen, von welchen ich diss Jahr aucl» possessio!! genommen,
und um mehr Erfahrung zu haben, einige Würmer selbst gefüttert und
spinnen lassen: alsdann will ich die Cöpenicksche längs dem garten
unten an dem besten ort anlegen und durch die herrschaftliche frohn-
dienste zurichten lassen. Was zu Potstam abgeht, kan von Borna
ersezt und die Nachbarschafft nötliig daraus besezt werden. Aus diesen
fünff pläzen kan man zum anfang hernach das beste herausnehmen.
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Joh. Leonh. Frisch'8 Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
3
Zu Wriezen an der Oder wäre Herr Bodecker,13) welcher inspection
halten könnte, wie anch einige andere meiner guten Freunde, und so
auch zu Preuzlow, allwo einige meiner gewesenen discipel in Diensten
sind; wann man ihnen nur zu einer Erkäntlichkeit auf Seiten der
Societät hoffnung machen und etwas wogen der Döthigen Unkosten über-
schicken kan. Zu Cöpenik ist der garten ehmals aus unterschiedlichen
zusamgekauftten Stücken felds und gärten angelegt worden, weil man
aber dem garten so viel möglich eine viereckigte Figur mit dem Zaun
geben wollen, sind einige Winckel dadurch ausgeschlossen worden. Es
getraute sich lange Zeit niemand, sich deren anzumassen, dieses Jahr
aber hat ein Schweizer angefangen, dieser Winckel einige, so die grösten
sind, auszuroden uud umznhacken. Als ich es erfahren, hab ich mit
tlemselbigen geredet, aus was Macht er das thue? und es dahin gebracht,
dass er es vor eine dependenz vom Maulbecrgarten erkennen und sich
erklären müssen, entweder Zinse davon zu geben oder nach proportion
des Nuzens davon einige tag im garteu zu arbeiten. Uberdas ist vor
dem vordersten gartenthor noch Plaz, einige hüttlein zur baurenwohnung
und Kuhstallen zu bauen, welche, wann das Wässern angehen sollte,
in Osten errichtet werden. Wie es ins künfftige wegen Nuzung der Maul-
beerbäume zu halten, erwarte ich nähern befehl.
Ich habe von allen diesem auch mit H[errn] Cuno14) geredet, welcher
zu aller beförderung geneigt. Wollte wünschen, dass H[err] Secretarius
Jablonski15) auch begreiffen könnte, was man damit suchte, so würde
er minder kaltsinnig dazu seyn. Ich hab ihm das Original des privilegii1')
wider zugestellt, nachdem ich fidimirte copiain davon behalten. Wegen
der Seide, so wir zu Cöpenik gesponnen, hab ich mich erkundigt, ob
vielleicht Herr Koppisch,17) der die manufactur und' fabrique bissher
dazu gehabt, dieselbe annehmen wolle; allein weil er andere Verrich-
tungen am Hof bekommeu, liegt diss Werck jetzund darnieder. Von
andern Kaufleuthen hab ich noch nichts gewisses, es machen mir einige
Hofnung zu 5 thl. vor das Pfd., welches theur genug wäre, dann in
Österreich gibt man nur 5 fl. vor dergleichen einheimische Seide.
Ich befehle mich indessen noch ferner dero gewogenheit und
verbleibe
Ew. Excfellenz]
hochverbundenstor
Berl[in] den 4. Aug[ust] 1707. Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Leibniz an Frisch.
[Ohne Datum]
(Tit.) Insonders hochgeehrter] H[err]. Es ist mir lieb, dass die Seiden
Cultur zimlich von statten gehet und einen guthen Nuzen vors künfftige ver-
3*
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4
Job. Leonh. Frisch*« Briefwechsel mit G. W. Leihniz.
spricht. H|err] Hofrath jCuiiü hat in seinem Schreiben an mich von m[ eines]
H[eri*n] Sorgfalt in dieser sache rülunlich gedacht. Eine kleine Windtinühle,
den garten zu Koppenich zu wässern, würde gutt seyn, wenn man nur weiss,
dass gnugsam wasser im Brunnen, und da er ausgeschöpfet, nicht alzu
langsam wider anlaufft. Es wird auch zuforderst ein Überschlag der
Kosten nöthig und das beste seyn, den ganzen bau an jemand zu ver-
dingen. Der abriss komt wider zurück. In Holland haben sie an den
kleinen Windtmühleu, so das wasser aus den feldern pompen, scarze
oder schwänze, also dass sie sich selbst nach dem Winde drehen, und
kosten solche Windtmühlen gar wenig, sind aber auch nicht hoch und
haben wenig krafl't, so wir auch eben nicht vonnothen haben. Bitte ohnbe-
schwehrt mir von dem Überschlag der Kosten part zu geben. Die winckel
mainteniret man billig bey dem garten zu Koppenich und kan mit dem
Schweizer ad tempus eontrahiren.
Wenn thunlich einige Bäume von Coppenich an die Charlotten-
burger farth''') zu sezen, wenigstens am nächsten bey Cbarlottenburg,
da sie in äugen, würde es vielleicht dem König gefallen, mehr als
aufm Wall.
An Briezen an der Oder und ßrenzlau zu gedenckeu wird freylich
guth seyn; solte man die Wälle selbst zu Baumschuhlen brauchen können,
so wäre es das beste, denn eigene pläze zu kauften noch zur Zeit vor
uns zu schwehr. Ocularis inspectio köudte einsmals von M[eisterJ Otten
genommen werden. An erkentligkeit würde man es gegen die, so uns
in der Sach nüzlich an Hand giengen, nicht fehlen lassen. Was auch
für Unkosten nothig, daran wird es bey der Societät auch nicht ermangeln,
noch H[err] 'jSecretarius Jablonski aus banden gehen und wird m[ein]
H[err] bey zeyten wegen der nothdurfl't diessfals zu erinnern belieben.
4.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weilen von Ew. Excellenz auf mein voriges vom
4. Augusti keine Antwort und weitern befehl bekommen, habe ich mir
eingebildet, sie Seyen verreisset Hätte sonsten längstens gebührende
Nachricht von allem gegeben. Wäre mir auch leid, wann unterdessen
einige Zeilen an mich ergangen wären, darinnen einige Verordnung, wie
es weiter anzufangen, enthalten gewesen; dann ich habe nichts erhalten.
Der Abriss zur Pompe kan vielleicht künfftig eiumahl gebraucht werden;
ich werde ihn abzeichnen und Herrn Hofmau10) das original zustellen.
Es sind einige Landleuthe, welche lust haben, dergleichen machine anzu-
legen. Der halbe Garten zu Cöpeuik ist umgepflügt uud mit etlich
hundert fuder Mist gedüngt, wovon wir bald guten eftect hoffen. Der
Plauteur zu Cöpeuik hat eine supplic wider der Societät verfahren
eingegeben, dass man andere Leuthe iu den garten führe und denselben
Joh. Leonh. Frisch » Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
5
pflügen lasse. Bitte derhalben um dimission von der Wartung des
Gartens, aber doch um fernem genuss der Besoldung. Welche supplic
dem Herrn Hofrath Cun<> zugeschickt werden, welcher sie mir cominu-
nicirt, und weil ich um den Handel am besten wisse, informati<m begehrt,
also dass dieser faule l'lanteur sich künfftig wird besser angreiffen
müssen. Tch hab eine feine quantität Baumsaamen aus Italien bekommen,
Wurmsaamen erwarte ich auch. Wegen anlegung der Baumschulen bin
ich in ein und ander Ort gereisst, aber überall solche Weitläufftigkeit
und Schwierigkeit gefunden, dass ich endlieh mich hier um gelegeuheit
dazu umsehen müssen. Da ich dann keinen bequemem ort linden können,
als den bedeckten Weg-'1) um unsere Stadt Berlin , allwo die jungen
Pflanzen nicht nur am sichersten, sondern auch wegen des immer gleich
hohen Wassers im Graben am bequemsten zur Wurzelfeuchtigkeit und
zum begiessen stehen. Habe dahero dem Herrn Feldmarschall Grafen
von Wartensleben -"') aufgewartet, und die Versicherung bekommen,
man wolle mir einen Plaz dazu anweissen lassen. Wesswegen ich, so-
bald man wird mit solcher Gartenarbeit umgehen können, ferner ein-
kommen werde. Mit denen Würmern habe ich die curiosität gehabt, sie
noch einmahl auskriechen zu lassen, und habe aus der geringen quantitat,
mit welcher ich es probiert, gesehen, dass es möglich. Sie siud eben so
<chön worden, als das erste mahl, haben gesponnen und Saamen hinter-
lassen. Welche Prob mir um desswillen desto lieber, weil ich einige
auskriechen lassen, welche ein loch in den Cocons vorhcrgelassen, womit
sie dann auch zum andernmahl fortgefahren, also dass mir der hiesige
Wurmsaamen nichts nuzet, ob mich gleich die Franzosen versichert, sie
thätcn es das andere Jahr nicht. Daher muss ich lauter frischen Saamen
haben. Weil aber die 50 thl., so ich empfangen, zu ende, und ich die
Seide, so ich machen lassen, noch nicht mit Vortheil verkauifen können,
werde ich wohl wider etwas geld haben müssen, wozu Ew. Exc[ellenz]
werden gelieben ordre zu ertheilen. Dann es wird viel Düngung zu denen
Baumschulen erfordert werden, auch weiss ich noch nicht, wie viel und
wie grossen Plaz man mir anweissen wird, ob ich nicht noch andere
Pliizo dazu bestehen muss, dann ich wollte den vielen Saamen, so ich
angeschafft, nicht gern veralten und verderben lassen, absonderlich da
ich ihn so gut befunden, dass, da ich, sobald ich ihn bekommen, einige
Körner gesäet, sie doch alle, auch schon zur spaten Jahrszeit, aufge-
gangen. Wann sonsten etwas zu befehlen, worinnen ich nach meiner
Wenigkeit dienen kan, werde ich allzeit meine Schuldigkeit in acht
nehmen, dann ich verbleibe Ew. Excellenz gehorsamst ergebenster Diener
Joh. Leonh. Frisch.-')
Berlin den letzten December 1707.
6
Joh. Leonh. Friach'S Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
5.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Unter andern Dingen, so wegen des Seiden- Wesen
E[w]. Exc[eilenz] berichten, ist absonderlich dieses, dass einige Persohnen
mich angesprochen, ihnen wegen pflanzung der Maulbeerbäume au die Hand
zu gehen, weil sie auf ihren Gütern einige grosse Pläze damit anlegen
wollten. t Weilen ich aber aus unserm Privilegioai) gezeigt, dass es der
Societät so weit verliehen wäre, dass niemand ohne ihren consens der-
gleichen grosse gärten anlegen dörffte, als werden E[w]. Exc[ellenz] so gütig
seyn und wegen eines aufsazes von dergleichen consens etwan an Herrn
Secretariura") ordre ertheilen. Die Leuthe pressiren mich, weil die Zeit
zum säen nicht weit mehr entfernt. Sie sind erbötig, der Societät einige
Erkäntlichkeit dafür zu thun. Herr Secretarius Jablonski hat mir die
50 thlr. wegen fernerer fortsezung dieses wercks wohl ausgezahlt, es
scheint, er begreiffe es jezo etwas mehr als vorher, doch dünckt mich,
dass es noch nicht so ist, wie bey Herrn Cuno. Meister Otto hat sich
in einigen orten etwas zu herrisch aufgeführt und mir die Leuthe un-
willig gemacht, welches im anfang eines solchen Werks viel hinternüsse
geben kan; auch hat er mir einige Thaler« so ich ihm gegeben, nicht
gleich so angewendet, wie ich vermeinet, dahero ich ihn nicht mehr ßo
oflft als vorhero brauchen können, welches er wohl mag gemerckt haben.
Sonsten werde ich nicht unterlassen, in ansehen seiner Dienstwilligkeit
und wircklich gehabter Mühe ihme widerum einigen genuss in Verar-
beitung der Seide, wo es mit Vortheil der Societät geschehen kau, zuzu-
wenden. Dieses vergangene Jahr hat es wegen weniger Seide nicht seyn
können ; künftigen Sommer aber hoffe ich um ein ansehnliches mehr zu
erlangen. Die, so sich unser Land so kalt eingebildet, dass die Seiden-
würmer schwer darinnen zu halten, haben dabey des vortheils unserer
Öfen und gemacher vergessen, dadurch man die Kalt massigen kan, und
sind erstaunt, da ich ihnen die Würmer im September gezeigt, dass sie
zum andern mahl gesponnen haben. Ich werde es künti'tig mit einer
grössern quantität versuchen, weil ich dieses erste mahl gar wenig
gehabt und nur die Möglichkeit zeigen wollen. Die Gärtner wollen mir
Schwierigkeit wegen der Bäume machen, aber sie können mir weder
mit natürlichen Ursachen, noch mit der Erfahrung darthun, dass es
schade, wann man dem bäum behutsam die blätter nimt, die er in einigen
wochen hernach selber abwirfFt,
Ich werde wegen des Zauns am Cöpenikischen Garten ein meraorial an
Ihro Königliche] M[a]j[estä]t aufsezen müssen, dass sie dem bausclireiber da-
selbst befehlen lassen, den Zaun noch ferner wie zuvor im bau zu erhalten,
angesehen die Societät noch keinen genuss vom garten, sondern vielmehr
zur Besserung desselben etwas anwenden müssen. Es will der Zaun au
einigen orten noth leiden. Sobald das wetter etwas besser wird, will
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Joh. Lt'onh. Frißch's Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
7
ich ihn besichtigen. Einige Unzen Wurmsaamen hab ich schon und
erwarte noch mehr ans Italien. Wegen des Baumsäens werde ich wohl
den Königl. Gärtner zu Borna zusprechen müssen, damit ich gewiss
darinnen gehe, weil derselbe bissher alle Bäume, so Ihro M[a]j[estä]t der
Societät verliehen, gepflanzt.
M[onsieu]r la Croze*6) hat mich ersuchet, beyliegende Zeilen an Ew.
Exc[ellenz] einzuschliessen. Herr Stark* 7) kommt wider in unsere Nachbar-
schafft und wird director der Kitterschule zu Brandenburg; der muss mir
behülflich seyn, dass ich zu Brandenburg mit den Maulbeerbäumen an-
kommen kau, wie ich auch nicht zweiffle, er werde mir beystehen, der
Societät interesse hierinnen zu befördern. Ich verbleibe indessen Ew.
Excellenz gehorsamster und ergebenster Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 21. Febrfnar] 1708.
6.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Es zeigen sich in dem Seidenwerk, wovon E[w]. Ex-
c{ellenz]fernereNachricht verlangen, unterschiedliche Hinderungen und hin-
gegen auch einige Hofnungen zu weiterer Aufnahm. Die Haupthinderung
ist der Planteur zu Köpenik, welcher nicht einmahl die Schlüssel hergeben
will, wann Meister Otto kommt, und ich kan nicht allzeit Selbsten da-
seyn. Ich wollte diesen Frühling die andere Helfft des Gartens umpflügen
lassen, aber er hindert und will die besten Pläze, die wir zur Baum-
schule wollen, behalten. Waun ich nur mit dem H[errn] Grafen von Warten-
berg58) Selbsten einmahl sprechen könnte, bey welchem er mich so
schwarz gemacht, dass auch die Laqueyen davon wissen. Er wird vom
Oberamtmann unterstützt. Ich habe dahero, den Oberkammer Herrn zu
überzeugen, dass wir des Königs Lust und Interesse suchen, einen Vor-
schlag durch den Bauschreiber Hehse2-4) thuu lassen, weil ich eine grosse
Partie saamen [habe], wolte ich einen lebendigen Zaun um des Königs Wein-
berge3«1) anlegen, wodurch dem König mit der Zeit jährlich bey 600 thlr.,
so dieser Pfahlzaun jezt kostet zu erhalten, ersparet, und das ansehen
des gartens vermehret werden würde. Da über das innerhalb des Pfahl-
zauns genügsamer und mehr als Ruthen-breiter Plaz dazu, auch der
Zaun auf der einen Seiten unten am Berg, wohin alle fettigkeit vom
Weinberg fliessot, da die Bäume wohl anschlagen würden, als welche
schon an der Höhe dieses Weinberges in schönem Wachsthum stehen:
von welchen, ob ihrer gleich kaum 40, ich doch das vorige Jahr noch nichts
gewust, dieses Monath Mart. aber erst possessiou davon genommen, da
sie eben daran waren, dieselben umzuhauen. Ein solcher Heckenzauu,
wann er dürft'te gleich anfangs längs dem garten auf der untern Seite
angelegt werden, würde uns grossen vortheil bringen, weil die bäume
I
3 Job. Leonb. Frincb » Bricfwecbsel mit G. W. Leibnix.
daselbst können so hoch wachsen als sie wollen, indem sie die Sonne
nicht abhalten. Der Bauschreiber TTehse will dieses Jahr nur ein Stück
davon also anlegen lassen, welches überdas die Societät soll graben und
bedüngen lassen; so aber unserm Werck wenig helffen wird und keines
Probierens braucht an einem solchen ort, wo dergleichen bäume schon
so wohl bekommen. Er verspricht zwar gar um ein geringes beides zu
verschaffen, dass wo es sonst 5 groschen koste, er es um 2 bekommen
wolle, allein ich glaube, es sollte bey dem König gar leichtlich etwas
mehrers zu erhalten seyn. Ich wollte dieses Jahr zu Köpenick auch
dergleichen Zaun anfangen anzulegen, aber es wird mir ausser dem
Planteur auch von dem bauschreiber 1 ») daselbst Verhinderung gemacht,
welcher nichts mehr an dem Planken-Zaun will bessern lassen, haben
ihn diesen vergangenen Herbst so eingehen lassen, dass Vieh und Wild
hinein kunte und einige Bäume benagt, hernachmahls die Schuld auf
den Mann geschoben, welcher den garten zwischen den Bäumen umge-
ackert. Wann dieses wegen des Planteurs und Bauschreibers, auch wegen
der lebendigen Zäune anjezo dem König in einem memorial vorgestellet
würde, als welcher ohndem jezo unserm Pflanzen so geneigt seyn soll,
dass er dem Planteur zu Glinikc:ta) befehlen lassen, alle jungen Maul-
beerbäume zusain zu suchen und sie auf die Wälle zu pflanzen, wodurch
der Societät wideruin ein zimliches erspart würde, und wozu auch die
etlich 100 so wir zu Köpenick haben auch können angewandt worden.
So würden wir vielleicht auf einmahl viel Schwierigkeiten aus dem Weg
räumen können, welche mir allein zu heben unmöglich. Wegen des
Zauns zu KÖpenik würde nur so lang um erhaltung gebetten, biss der
lebendige emporkommen; auch wäre in des Königs übrigen Gärten ein
solcher generalvorschlag zu thun, wodurch wir unsern Saameu unter-
brächten und die Gärtner mit graben und beschneiden uns nichts kosten
würden. Der H[er]r Feldmarschall53) hat mir nach vielem lauffen durch
den Wallmeister einen kleinen gelingen place d'armes in dem bedeckten
Wegrl) anweisen lassen, welchen ich, weil ich ihn werde müssen ein-
zäunen, graben und düngen lassen und dabey doch in furchten stehe,
dass bey ausführung des grabens an dem nahgelegenen Ravelin3*) man
wider alles verderbe, kaum annehmen können. Der Vorschlag, eine
allee zwischen Charlottenburg und Berlin anzulegen,''') wäre meines
wenigen erachtens wohl zu practiciren, wann so viel erwachsene Bäume
da wären, welche doch von denen Dammhirschen trefflich würden benagt
werden. Hecken anzulegen würde noch mehr kosten, weil sie auf beyden
Seiten einen Zaun wegen des Wilds müsten haben. Vier Partheyen
haben mich mit dem Wurmsaamen stecken lassen und immer biss auf
einige Wochen her vertröstet, ist doch noch nichts erfolgt: ob es ex
composito geschehen, weiss ich nicht. Das aber weiss ich, dass sich
diejenigen, an welche ich mich hierinnen addressiren müssen, weil sie
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Job. T.eonh. Frigch"« Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
9
die größte Correspondenz dahin haben, sich über mich moquirt und
gesagt: was ich mit Würmern zu thnn hätte? Welche moquerie auch
einigen von denen membris Societatis gemein, die doch das Werck am
meisten befördern sollten. Zu vier Unzen macht mir eine Parthev noch
gewisse Hofmung. Bekomme ich sie aber auch nicht, so muss unser alter
Saarae, von welchem ich mehr als ein XU Pfd. [habe], das beste thun. Es wird
ihvs erste Jahr ohne dem die Sache noch nicht so können genuzt werden,
als an einem ort, wo alle Lenthe damit umzugehen wissen. Wenn ich
zu Potstam und Spandau jemand dazu abrichte, muss ich doch bofürchten,
dass er etwas versäume oder versehe, mag dahero lieber am alten
Saamen geschehen, der uns nichts gekostet. Einige Unzen habe ich aus
dem Mayländischen bekommen, von welchem ich aber weniger Hoffnung
habe, als zu dem hiesigen. Die Erfahrung wird geben, was davon aus-
körnt: er siehet selzam aus. Es ist ein laqney hier, welcher ehmals
dem König einige Pfund Seiden gemacht, der unterlasset nicht, heimlich
zu hindern und alles vor uutüchtiges beginnen auszurnffen. Eine einige Vor-
stellung, die Ihro Majestät geschehe, welches E[w]. Excellfenz] am besten
thun kan, wird alles vernichten. Die Zeit zum säen ist nahe: wann der
einige Vorschlag mit denen Gartenzäunen angieng, wäre diss Jahr genug
erhalten; dann dieses kostet dem König nichts, da hilfft die Jägerey
selbst dazu, dan es wird dadurch das holz und absonderlich die Eichen
geschont, welche der einige Weinberg, der in 6000 Schritt im Umkreiss
und alle 10 fnss 60 Eichene Plancken oder hohe Zaunsticke 1 erfordert,
ungemein dünne macht. Wo hier das geringste sollte dazu gegeben
werden, würde es nicht fortgehen, aber wo ohndem schon Leuthe sind
als Gärtner und frondienste, kan man eher hoffnung haben. Ich erwarte von
E[w]. Exc[ellenz] desswegen ordre. Wegen desStahlmüllers Felmy:,;) process
ist hier alles beschäftigt und laboriren vielerley Partheyen furios. Einer
meiner Freunde hat ihn mit mir probiert und von vier loth Gold in
14 tagen 1 Ducaten und 9 grau Gold gefunden: jetzt ist er wider darüber
und probiert ihn mit 2 Pfd. Gold: was da heraus kommt, werde mit
nächsten berichten. Es ist eine probable augmentation, ich habe das
Pulver aus curiositüt machen lernen. Wann es angeht, stehet es der
Societät zu Diensten. Meine Farbe3*) hat mir bissher nicht nur meine
daran gewandte Unkosten, sondern auch einigen Überschuss allbereit
abgeworffen. Ich habe nebst der blauen jetzt auch einen dunkelrothen
Lack, der nicht nur den Citronensafft zur gewöhnlichen Mahler-Prob
aushält, sondern auch, wie meine blaue, das Aqua fort™). Obiger Process
wird unter andern bey H[errn] Doct[or] Spenern10) ausgearbeitet, welcher
wegen vieler davon genommenen Proben ein grosses Zeugnüs gibt; ich
glaube es aber doch noch nicht, biss ich weitere praxin sehe oder selbst
davon habe. Ich verharre mit allem schuldigen respect Ew. Excel lenz
gehorsamst ergebener
Berl[inl den 31. Mart[ii] 1708. Joh. Leonh. Frisch.
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10
Joh. Leonb. Frischs Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
7.
Leibn iz an den Grafen von Wartenberg.41)
ä M. le Comte de Wartenberg premier ministre du Roy de Prusse.
Monseigneur.
C'est a regret que j'interromps les importantes affaires de V[otre]
Efxeellence] pour la supplier de faire jouir ä la Societc des sciences de
l'effect des resolütions de Sa M[ajes]te, particuliereinent a l'egard du jardin
de Köppenich et de favoriser le dessein de nos plantatious, puisque nous
ne demandons point de nouvelles depenses : mais seuleineut la grace d'une
assistanee efficace tonte accordee. Le Sieur Frisch, que la Societe a
ehargö du soin de eette affaire des plantations, esperant l'honneur d'estre
ecoute de V[otre] Efxeellence], je la supplie de luv faire cette grace et
de luy accorder des deinandes raisonnables. .le suis avec respect etc.
Wolfenbutel 24. April 1708.
8.
Leibniz an Frisch.42)
[24. April 1708.]
Ich schreibe beykommendes an des Hferrn] Grafen von Wartenberg
Excellenz, welches etwa dienen möchte, m[einem] Hferrn] bey ihm entrcc
zu machen, lasse es sub sigillo volante. M[ein] H[err] köndte ein memorial
an den H[errn] Ober Cammerherrn von wegen der Societät förderlichst ab-
fassen und mit Hferrn] Iloffrath Cuneau concertiren und dann überreichen,
darinn mit wenigen die anstatt, so man zu Cöpenick verlaugt, mit grund
gesuchet werde. Es würde etwa bestehen in nachdrücklichen ordres an
den Oberamtmau, den planteur bey straft" der abschaffung dahin zu
halten, dass er in allen hiezu gehörigen nach der Societät anstalt sich
richte, item an den bausehreiber43), dass der Zaun gebührend in dem
stand gehalten und sonst der garten wie bisher gefuget werde. Ich
weiss nicht anders als dass es in der Königlichen] concession44) enthalten;
weil nun mfein] Hferr] solche hat, wird er verba concernentia im memorial
anführen können: solte sich aber über verhoffen solches nicht finden, so ist
anzuführen, dass ja Königlicher] M[ajestä]t intention der societät' hierin pro
bono publico und dero eigen dienst, in allein, so ohnschädlich und unbedenck-
lich ist, erspriesslich zu seyn, sich gnädigst ercläret. Was sonst die
Zaune und dergleichen betrifft, köndte absonderlieh erst mundtlich bey
Sr. Excellenz vorgetragen, dann bey verspürender einiger inclination
schrifftlich gesuchet werden. Es wird sich aber verhoffentlich wohl
erhalten lassen, dass der König die sacli, wenn sie guth befunden, ohne
unser entgelt veranstalten lassen. Es passirt sonst für ein Sprichwort
unter den plantations- Verstendigen, dass, wo Wein wachset, auch Maul-
beerbäume wohl anschlagen. Findets mfein] Hferr] rathsain, so will auch
an FIferrnJ General Feldnmrsehail1 ) schreiben, umb selbigem alda bessere
kundschafft zu inachen.
Joh. Leonh. Frische Briefwechsel mit G. W. Leibnix.
11
P. S. Es hat mir H[err] Filmey seyn palver zu probiren geben, ich
habe aber nicht zeit dazu gehabt und noch allezeit am success gezweifelt.
M[ein] H[err] gedenckt nichts von H[errn] Cammerath Müller'"); in Sachsen
wollen sie auch an die Feuercasse47).
9.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Aus Ew. Exc[ellenz] letztem hochwerthen Schreiben
habe ich kaum spühren können, dass sie mein voriges empfangen. Doch hab
ich unterdessen alles nach möglichkeit bestellt. Der Planteur zu Köpenik
hat mir den besten plaz, so ich zur Baumschul anlegen wollen und
welchen ich ihm verbotten hatte, doch wider zu seinem nuzen besäet;
der Zaun des Gartens hält kein Jahr mehr, er ist an vielen orten schon
gestüzt, und wird der Societät mehr kosten, als sie in vielen Jahren
nicht Einkommen davon haben kan, wo nicht die Erhaltung desselben
von Ihro Königlichen] M[a]j[estä]t erhalten wird. Der Amtman hat aus
eigener Autorität die Taglöhner für sich behalten und gibt sie nicht mehr
zum garten her; dahero bin ich sehr gehindert worden. Die Mutter der
Frau des Planteurs, so bissher die Würme halten müssen, hat mir den
Wurrasaamen geschickt und dabey berichtet, dass sie von lhro Königlichen J
Maj[estä]t dieser Arbeit überhoben worden und die pension doch behalte,
wir möchten sehen, durch wem wir die fütterung der Würme bestelten.
Zu Potsdam hat der Heydereuter, so bissher den garten genossen, ohn-
angesehen dass er gewust, wie nöthig wir den Plaz zur Baumschule
brauchen, doch denselben für sich besäet, wodurch ich um zwey der
besten und der Societät eingeräumten Pläze gekommen, so dass ich mich
um andere noth wendig umthun müssen, weil mich nicht allein die Zeit
daurte, dass wider ein Jahr sollte vergeblich hingeben, sondern auch
der viele schöne Saarn en, den ich gesamlet. Herr Langel; im* zu Borna
hat wider eine Quantität auf inständiges anhalten angenommen. Der
Planteur zu Glienecke, welchem ich die Potsdamische Saat übergeben
hatte, hat mir einen andern Plaz indessen eingeräumt, welcher aber
wegen des rigolens und dazu gehörigen Mistes geld erfordert. Der König-
liche] Hofgärtner hat auch eine zimliche Menge auszusäen versprochen,
und noch zwey andere Planteurs, denen ich aber wohl zinsse vor die
Pläze werde geben müssen. Dass also gleichwohl viel tausend künfftig
zu hoffen und von allem Saamen sehr wenig übergeblieben. Aus Italien
habe ich eben, da ich dieses schreibe, eine schöne Parthey Wurmsaamen
bekommen, welchen ich an die drey orte, welche wir zu bestellen, eiu-
theilen will, als Köpenik, Potsdam und Spandau; wohin ich überall
Leuth e ums Geld dingen inuss, damit sie künfftig abgerichtet werden,
biss sie oder andere es pachten können. Zu Köpenik habe ich doch
noch einen fruchtbaren Winckel des gartens von einem andern Mann
zurichten und besäen lassen, biss künfftigen Herbst die jezige Baum-
12
Joh. Leonh. Frisch'* Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
schule geleeret und auf die hiesigen Wälle versezt wird, welches ich gehofft
diesen Frühling schon zu sehen, allein der Königliche] befehl erstreckt
sich nur auf das Plaz machen vor die Maulbeerbaum durch ausnehmung
der Linden und nicht auf das Pflanzen derselben auf den Wällen um
Berlin. Der Herr General-Feldmai-schall,s) hat mir lezlich anstatt eines
kleinen Pläzleins, so er mir gegeben hatte, ein ganz ravelin einräumen
lassen, aber es war nicht zu nuzen, weil der grund lauter Stein war.
M[onsieu]r la Croze hat einen grossen Schimpf von H[errn] ölven' ')
erlitten, der ihn in einer Schl ifft, so die dritte von seinen monathlichen prae-
senten,hässlich angegriffen, so dass es auf Klage des beleidigten Theils schon
l>ey dem Fiscal anhängig. Es ist dieses tüchtige membrum der Societät
so canailleux tractirt worden mit „Kaldaunen-Schlucker« und andern
scurrilischen expressionen, dass es jedermau verdriest, der M[onsieu]r la
Croze kennet. Die Hauptursach dazu ist, dass er scapham scapham ge-
nennet und gesagt: des II[errn] ölvens vorgegebene Prophezey sey nur
ein anagramraa.
Die Feuer-Cassa soll doch noch vor sich gehen; H[err] Rath Müller
hat 1000 thlr. besoldnng empfangen. Des Stahlmüllers") process geht
einem an dem andern nicht. Wir sind hier unglücklich, dass wir kein
recht aqua fort1) bekommen können. Ich bin dabey gewesen, dass der
unreine Salpeter, so dazu genommen worden, das aqua fort zum halben
aqua regis'-) gemacht und Gold zugleich aufgelöst. Eine Prob hat wirk-
liche Vermehrung gegeben, die andere aber nichts, sondern noch Verlust
an Gold dazu. Ob die andern Partheyen Vortheil von diesem process
gehabt oder nicht, kan ich nicht erfahren. Ich halte auf die blaue
Färb mehr als auf dergleichen processe; ich hab sie jezt zu grösserer
Höhe getrieben als der Inventor sie jemahls gemacht. Sie hält nun die
Scheid wasser-Prob aus und wird schöner davon; man kan sie auch schon
um das dritte Theil wohlfeiler machen. Meister Otto hat den Garten
zu Köpenick mit Winter- und Sommerfrucht besäet, weil er ohndem um-
geackert und gedünget worden. Er hat mir gute Dienste in diesem
Wcrcke gethan und wohl eine Ergözlichkeit dafür verdienet. Ich bitte
mir diese Weitläufftigkeit zu gut zu halten und nur noch meine gewöhn-
liche, doch gehorsamste Versicherung zum Beschluss anzunehmen, dass
ich unverändert verharre Ew. Excellfenz] getreu ergebenster Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 28. April 1708.
10.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Sowohl das vorige aus Wolfenbüttel vom 24. April,
als das leztere aus Hannover vom 30. May, welches Ew. Exc[ellenz] an
mich abzulassen beliebet, hab ich wohl erhalten. Habe aber bey dem Herrn
Joh. Leonh. Frisch's Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
13
Grafen von Warteuberg den brief ' ) nicht überreichen können, weil ich
keine Hoffnung sähe, zugleich vor ihn kommen zu können. Sogar, da
ich ihm uacli Köpenik nachgereisset, wurde, da die schleunige Unpäss-
lichkeit des Prinzen von Oranien angekündet, und ich also durch die
darauff erfolgte Traur und Reise ins Carls bad ') immer verhindert. Es
war die Hauptursache, warum ich ihm aufwarten wollte, dass ich meinen
Maulbeer-Saamen gerne unterbracht hätte durch einen Vorschlag mit
den Zäunen und Gehägen, so man mit diesen Bäumen dem König zu
Lust und Nuzen machen könnte. Nun ich aber denselben gleichwohl
untergebracht, kan ich wohl warten, biss er aus dem Bad mit dem Könip
widerkomint. Die Bäume gehen in unzählbarer Menge auf, also dass
ich viel Millionen zu ge warten. Die Italiäner haben mich mit gutem
Saamen verseheu, denen ich etwas mehr geld gegeben, aber auf Yer-
bürgung, dass er gut seye. Der Wurmsaamen ist ingleichen wohl aus-
gekommen biss auf eine Unze, womit mich ein Kaufman aus Moyland
betrogen. Meister Otto hat zu Potstam austallt gemacht, die Bäume zu
geniessen, und ich habe jemand auf Cöpeuik geschickt mit Italienischen
Wurmsaamen. Es ist dem Planteur auf seine supplic geantwortet worden,
dass er zwar die pension feruer geniessen solle, er müste 'aber ein
Zeugnüs von der Societüt bringen, dass er ihr gebührlich an die Hand
gegangen und gedienet. Daher M|onsieu]r Yignoles'') sehr bey mir ange-
halten, ihm dergleichen Zeugnüs zu ertheilen ; weil ich es aber nicht für mich
allein thun wollen, sondern mit Herrn Cuno desswegeu conferirt, auch
wegen fortwärender Widerwärtigkeit und Trozes dieses Mannes nicht
thun könneu, ist es unterblieben. Ich hab ein ander Hauss zu den
Würmern mieten müssen, und geniesse dieses Planteurs nicht weiter, als
dass er einige Wochen blätter gepflückt, und dieses mit vieler Be-
sch weerung. In den Contrascarpen ") etwas zu geniessen hab ich die
Hoffnung fahren lassen, dann es gehen immer änderuugen und besserungen
daran vor, welche allen besiz ungewiss machen, und das ravelin, das
mir der Herr Gen[eral-]Feldmarschall auweisen lassen, würde mehr kosten
zuzurichten, als zwey oder drey andere orte, die mau dazu mietete.
Nun ist meine gröste Sorge, auf Baumschulen bedacht zu seyn, die
gesäeten Bäume darein in Ordnung zu sezen. Wann ich dieses Jahr
etwas Seiden bekomme, werde ich, was ich daraus lösen kan, dazu
anwenden; dann weil die Societät zu dem Hausskauff etlich hundert
thaler vorgeschossen, wird nichts dazu da seyn. Wann ich so viel zusammen
bringen kan, werde ich indessen Vorschuss thun oder Ew. Excellfenz]
darum ansprechen. Die Bäume in gebührender Menge zu haben ist das
Hauptwerck. Plaz ist zum verpflanzen genug im Privilegio verwilligt.
Würmer haben wir jezund auch, dass es in einigen Jahren nicht mehr
an Saamen fehlen soll; aber die Pläze zu den Baumschulen, welche ich
iu dem Potstammischen und üöpenikischen galten will zurichten lassen
14 Job. Leonb. Frisch 8 Briefwechsel mit G. W. Leibnix.
und welchen fast die Gärten zu enge werden, die werden noch manchen
Thaler kosten wegen des rigolens und Düngers. Was ich nicht in die
gärten bringen kan, will ich zu Hecken und Zäunen pflanzen lassen, vor
allen ein Gehäg um unsere Gärten damit anlegen lassen.
Die Feuer- Cassa ist hier in völligem Fortgang und soviel als
wircklich im Stand, wozu die lezte Brunst in der Statt Crossen r,;) viel
geholffeil. Herr Ölven soll doch noch auf viel Jahr Freyheit bekommen
haben, seine praesenten drucken zu lassen. Solche Leuthe bringen die
Societät in nicht geringe Verachtung, und zu solcher Unzeit, da die
wenigsten Glieder einige belohnung gemessen können. Herr Marperger5")
ist mein Landsmann und mir also von langer Zeit her bekannt; ich halte
ihn, wann ich unpartheyisch und nach meinem begriff urtheilen soll, für
des Herrn Ölven guten Freund , der da fähig ist, noch wohl mehr als
jener zu thun, sonderlich in dergleichen Monath-praesenten. Sein Calamus
ist bissher mercenarius gewesen. In den Commerden-Wesen ist er ein
guter Theorcticus. Zu Lübeck hat ihn die Armuth viel gelehret. Er
war der ganzen Statt Verssmacher und hat, da er hier nichts damit
erstümpern können, ein und andere bittere Zeilen in faveur des H[eim] Ölven
gemacht. Ich kan leicht errathen, wer ihn recommendirt; aber der-
gleichen Leuthe sind ulcera und keine Zierden einer Societät. Herr
Stark wird bezeugen können, dass er sich zu üblen Streichen gegen ihm
von denen Buchführern gebrauchen lassen. Ew. Excfollenz] verzeihen mir
mein allzu freyes Urtheil , das ich hier beygefügt, und seyen versichert, dass
ich viel Zeugen darinnen bekommen kan. Die Begierde, die Societät in
renommee zu sehen, ist bey mir grösser, als alle Landsmannschafft, und
weiss ich gewiss, dass, wann dergleichen membra sollten anwachsen, wie
Herr Ölven ist, einige andere, die lobwürdigero Absichten bissher gehabt,
wünschen werden, dass sie nicht möchten in solcher Zahl seyn, oder
wohl gar mit zurückschicknng des diplomatis sich vor solche Ehre
bedancken.
Wegen der Chymie ist es jezt etwas still, dann des Filmey Pulver
hat, wie Ew. Exc[ellenz] schreiben, das Silber und Gold wild gemacht;
die Ursach ist der viele Schwefel und das antimonium darunter; das anti-
monium oder der regulus desselben hat die Teste59) durchgefressen, dass
man das Silber aus der asche wider zusammen klauben müssen, und
der Schwefel hat verhindert, dass es im Scheiden vom aqua fort nicht
recht können angegriffen werden; wodurch viele betrogen worden und
meinten, es wäre zum wenigsten Luna fixa40), weil es das Scheidwasser
nicht angriffe: die nochmahlige quart*1) hat es aber bald anders gezeigt.
Ich habe von diesem Pulver die helffte solcher materien befunden, die
das Silber und Gold also wild machen. Dann wann man es im spiritu
nitri62) auflöst, wird man den abgesonderten Schwefel anzünden können,
welcher doch gleichwohl vorher so mit denen andern materien vereinigt
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Joh. Leonh. Frische Briefwechsel mit G. W. Leibniss. 15
gewesen, dass er wohl dreymahl, allemahl 6 stunden mit im Feuer
geflossen. Ich glaub, dass einige tinctur in diesem Pulver ist; die Haupt-
ingredientien sind antimon[ium] cf65) und q64), die werden mit verpufften
tartaro") und Salpeter, endlich mit Schwefel verfulminirt8*) und dann
mit einander geschmolzen jedesinahl 5 biss 6 stund. Das kan ich vor
gewiss sagen, dass ich eine weise gefunden, dasselbe zu reinigen und
nur in Silber allein zutragen , wodurch ich allzeit etwas Gold im Silber
finde, weil ich aber der Quantität noch nicht gewiss, kan ich noch keinen
richtigen Überschlag machen, biss ich Zeit hab, es öffter zu versuchen.
Es hat mir nun zum dritten mahl auf diese Weise einige grau Gold in
ein loth Silber gebracht. So dass es wirklich Unkosten und arbeit be-
zahlt, kan ich es noch auf einige grän bringen; wie es bissher immer
mehr gran gegeben, so halt ich es vor ein particular, das einem seine
Arbeit, welche gar schlecht dabey, wohl belohnt. Ich halte, dass die
Venetianer dergleichen Art haben, das Gold aus dem Ungarischen Kupfer
zu bringen, weil hier die Venus am meisten thut, und werde ich nicht
wenig in dieser Meinung gestärkt werden, wann das Ungarische Kupfer,
welches ich künft'tig suche mit zur Probe zu nehmen, die Zahl der all-
bereit gefundenen gräne vermehren wird. Wann ich Gold dazu nehme,
wird die Zahl der gräne weniger, hingegen das Gold schöner. Woraus
man leicht siebet, dass das Gold die tinctur annimmt, weil es derselben
noch nicht genug gehabt, und dieselbe dadurch dem Silber nicht kan
mitgetheilt werden.
Ich habe mit meiner Antwort bissher wegen überhäuffter Arbeit
verziehen müssen, meistens auch, weil ich in ein und anderer chymischer
Arbeit gedachte etwas gewisses berichten zu können, so dass ich sehr
erschrocken, wie ich Kw. Exc[elleuz] dritten brief bekam. Es hat mir auch
bissher grosse Hinderung gemacht, dass unser liector im Berlinischen]
Gyinnasio gestorben, wodurch icli zum ConRectorat' ') gezogen worden,
und bissher wegen der Wittbe Nachsiz doppelte Arbeit verrichten müssen.
Meister Otto kan von seiner Arbeit nicht so lang abkommen; er
hat immer auf Märckte zu ziehen und das Potstainmische Wurm-Wesen
mit unter den Händen. Wenn das Spinnen der Würmer vorbey, will
er sehen, ob er eine Zeitlang abkommen kan und seine Sachen hier
darnach einrichten. Ich hab dieses Jahr solche Schwierigkeit wegen
des Besizes einiger Bäume auf dem Walle und in denen Königlichen]
Weinbergen bekommen, dass ich Ober- und Unter-offizieren, welche allerley
Leuthen die Bäume zu gebrauchen erlaubten, mit dem letzten Punct
des Privilegii drohen müssen, dass die helffte der Straff dem Königlichen]
fisco gehöre; worauf ich es soweit gebracht, dass sie alle in arrest
nehmen, welche nichts an denen Bäumen zu praetendiren. Wann ich
meine Sachen in besserer Ordnung gebracht, werde ich meine Pflicht
fleissiger im Antwortschreiben in acht nehmen, bitte, es mir dieses mahl
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16
Joh. Leunh. Frisch e Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
zu vergeben und sich zu versichern, dass ich mit allem gehörigen respect
lebenslang verbleibe Ew. Exc[ellenz] gehorsamst ergebener Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 18. Jun[ii] 1708.
11.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Dieweil Ew. Excell[enz] iu dero letzten an mich vom
12. Julii geschrieben, sie wollten diesen Sommer hieher kommen'0), habe
ich meine Antwort mündlich zu thun gehofft, weil es sich aber bissher
verzogen, hab ich mich nicht unterstanden, es länger aufzuschieben. Ich
habe mich wegen der Zäune und Gehäge in denen Königlichen] Gärten
wohl erkundigt, ehe ich soviel Saamen oder junge Bäume denen Gärtnern
dahingehe, was der Societät wohl am zuträglichsten seyn mögte und
hab befunden, dass es noch einige Zeit verbleiben kan, biss wir sonst
nicht wissen wohin mit denen Bäumen und Saamen. Die Gärtner wollen
vom abpflücken der Blätter nichts hören, sonderlich auf derjenigen Seite,
die in den Garten geht, und auf der andern sind die Blätter nicht so
gut für die Würmer, weil sie nicht so viel Sonne hat. In denen Wein-
bergen können mir die Weinmeister wegen des Wildes keine Versicherung
geben, weil dasselbe an vielen orten hinein kan; wodurch lauter Hin-
derung im Wachsthum und genuss der Blätter entstehen würde. Der
Königl[icheJ Hofgärtuer hat eine allee davon angesäet, aus welchem elenden
specünine ich wohl sehe, wie es die andern machen würden. Dabei-
bin ich bey unserm Planteur zu Borna geblieben und bei denen andern
und will den Garten zu Copenik und Potsstam zur Baumschule anlegen
lassen, biss sie so gross, dass wir sie auf die Walle können sezen
lassen. Zu Potsstam ist doch das Privilegium jezt auch in praxi. Ihre
Maj[estät] der König war da in der W iderkehr aus dem Carlsbald, dn
alles eng war, und doch hat man uns eine Stube im Amthauss ausser
noch einer andern Stube eingeräumt.
Der so genannte Cajetano "'•') hat solche specimina gethan, dass mich
Leuthe, die es gesehen, überrreden wollen, es sey kein Betrug, sonderlich
was fixationem Mercurii in Silber0) anlangt. Man hat noch immer
hoffnnng, etwas von ihm zu bekommen. Es geht mit ihm wie denen
Bergwerckeu, da theils gewercke immer aufs ungewisse auch mit zubusse
fortbanen. Dieses Jahr habe ich mich völlig in allem unterrichtet, was
zu diesem Werck gehöret und was dabey zu thun; wollte wünschen,
dass ich ehistens wider etwas Geld bekommen könnte, iu dem guten
Anfange fortzufahren.
Mein französisch Dictionnaire71) ist biss auf den letzten Buchstaben
fertig. Nun kan ich sagen, was von altteutscher Sprach noch im
heutigen Französich übrig; und weil ich es in diesem Werck nicht hab
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Job. Leonh. Krisch'« Briefwechsel iirit G. W. Uibnir.. 17
■
aasführen können, warum ich dieses oder jenes Wort zu einem andern
Ursprung als die andern geführt, werde ich es in einem absonderlichen
scripto mit der Zeit thun. Zu meiner Teutschen Etymologie-Arbeit71) hab
ich eine neue auflag des Somneri Vocabul[arium] anglo-Sax[onicum] be-
kommen in 4°, durch Thom[as] Benson sehr vermehrt73). Der Herr Rath
Müller hat die Feuer-Casse doch noch zum Bestand poussirt. Crossen
bekommt 70000 thlr., vom Brandschaden sich wider zu erhohlen, es
schliesst sich nun niemand mehr aus. Ich verbleibe etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 12. Septemb. 1708.
12.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Weillen Ew. Excell[enz] immer einige Nachricht von
hieraus verlangt, auch in dero geehrtesten an mich dero glückliche An-
kunfft in Hannover74) berichtet, habe ich hiemit meine Schuldigkeit in
acht nehmen wollen. Der Herr Hofrath Hofman") ist sehr schwer zu
sprechen, weil er den ganzen tag auf dem Schloss und überdas sehr in
Kranckheiten gebraucht wird. Ich hab ihm Ew.Exc[ellenz] brieff überreicht,
aber noch nicht so mit ihm reden können, wie ich gewollt. Ich bin
recht froh, dass er jezo hier, da wegen unsers Seidenwercks ich keinen
finde, der es eher zu begreiffen und es zu befördern geneigt scheint.
Es ist diesen Frühling ein Neapolitaner Tfi) vom Herrn von Kraut77) zu
mir gewiesen worden, welcher ein wohlerfahrner Planteur der Maulbeer-
bäume, von welchem ich viele Vortheil wider gelernet, weil er überall
nebst der experienz auch die rationes physicas zu geben weiss. Zu
Cöpenik habe ich alle fruchtbare Bäume erfrohren7*) gefunden, aber die
Maulbeerbäume ohnbeschädigt Der Planteur zu Glienike, der sieh
bissher des Potstamischen Gartes mit angenommen, ist bey mir gewesen
und Vermeldet, dass er die Bäume, so daselbst in der Baumschule ge-
standen, etlich hundert an der Zahl, diesen Frühling an statt der aus-
gegangenen und an die noch leeren Pläze versezen lassen; wozu ich ihm
auch die benöthigte Unkosten für Arbeiterlohn gegeben. Die Bäume zu
Spandau habe ich einem Franzosen verpachtet und ihm den benöthigten
Wurmsaamen gegeben, dass er die 200 Bäume, so daselbst auf dem Wall
stehen, nuzen dörffe. Auf den Wällen habe ich wieder einige 100 Löcher
machen lassen, weil ich vermeinte von Bornim junge Bäume zu bekommen;
weil aber der Frost die zarten Spitzen etwas beschädigt, habe ich den
Planteur gebetten, sie noch biss auf den Herbst stehen zu lassen.
Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
Berlin den 20. April 1709.
4
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18
Job. Leonh. Frisch » Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
13.
Frisch an Leibniz.
HocbEdler pp. Die Hof- und Amts Kammer hat mit dem Genueser
zu genau gedinget, dass er mir von Wien aus schreibet, er könne das
Pfund unmöglich für 4 thlr. lieffern, dann es wären die Bäume an vielen
orten in Italien so zugerichtet von der Kälte, dass sie froh gewesen, nur
Blätter zu sehen, die Früchte habe fast niemand gesamlet. Er hat mir
zur Prob 2 Pfd. geschickt, aber nicht anders als für 6 thlr. das Pfd.
Wann es Ew. Exc[ellenz] nicht zu theuer, will ich ein Pfd. überschicken.
Es ist einer von den Amts Kammer Rathen, Hr. Treumann an mich
gewiesen worden wegen aussaat der Maulbeerbäume ihm nebst dem
Italiener, wovon ich voriges mahl geschrieben, mit Rath an die Hand
zu gehen. Es wird doch nichts daraus und wird die Societät endlich
alle diese Bäume bekommen, daher ich desto >ieber mich gebrauchen
lasse. Oder es kan alsdann, wann ja diese künftige erwachsene Bäume
unter die Landleuthe vertheilt werden, die Societät einige puncten ihres
Privilegii in den gang bringen. Die Bäume zu Spandau hab ich einem
Franzosen überlassen, welcher der Societät ein Stramlein Seide Zinse
gegeben, weil ich ihn das erste mahl nicht übernehmen wollen. Nun wird
es erst bekannt, wo Maulbeerbäume stehen und wem sie zugehören.
Meister Otto hat dieses Jahr wider einige Erndt im Cöpenikischen Maul-
beer-Baumgarten gehabt, aber der Planteur spielt Meister, will ihn nicht
mehr hineinlassen, wie dann auch nicht wohl zu rathen, dass künfftig
etwas hinein gesäet werde. Es wird denen ohudem magern Bäumen
alle krafft entzogen, sonderlich da schlecht oder gar nicht gedünget wird.
Die neugesezten Bäume auf dem Wall haben doch so viel Noth gelitten
vom Winter, dass sie jezt erst meistens vertrockenen. In den Baum-
schulen aber stehen die jungen Bäume sehr schön. Weder Potsdam noch
Cöpenick hat einigen Saamen getragen, dann die blätter haben kaum
kommen können. Dahero muss ich fremden Saamen haben. Ich habe
dieses Jahr einen Kessel machen lassen, der unten flach auf Italienische
Art, zum Seidenspinnen, welcher künfitig immer nebst den naspel kan
gebraucht werden, wie dann die Französin von Spandau ihre Cocons
damit abgesponnen. Die Anwesenheit der beiden Könige90) hat die
solennität mit der Inaugurirung des Observatoriisl) verhindert. Wegen
der Hecken bin ich schon lang bemüht gewesen, aber es will mir niemand
von Hof an die Hand gehen, dass ich Arbeit und Düngung umsonst
bekäme. Sonst ist es der Societät nicht zu rathen, dass sie ihre Bäume,
welche sie an andere ort in die weite verpflanzen kan, noch mit ihren
Unkosten in die Hecken verstecken soll, da sie nicht den zehenden Theil
genuss davon haben kan. Herr Hehse'2) hat das seine redlich gethan,
aber wir finden kein gehör. Nun da die Amts Kammer die Weinberge
zur aussaat nimmt, werde ich mich bemühen, dass mir die Weinberge
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Joh. Leonh. Frisch 4 Briefw'erhBi'I mit G. W. Lcilrfiic 19
zur Verpflanzung einiger tausend jungen Bäume gelassen werden. Auf
den Wällen, sonderlich hier, finde ich viel difficultäten wegen des ver-
pflanzens: bald macht mir dieser, bald jener Hinderung; bald werden
die Wälle da erhöht, dort geändert, und muss man immer mit denen
Bäumen Schaden leiden. Auf dem lande würde es ebenso gehen. Doch
hone ich durchzudringen, wann mir mit benöthigten Unkosten an die
Hand gegangen wird. Ich kan ganze Parjuet von memorialen und brieffe
weisen, biss ich es nur dahin gebracht, wo es jezt ist; aber Geld kan
ich nicht vorschiessen. Ich hab die 150 thlr. so angewandt, dass ich
den Grund zu einem grossen Werck gelegt. Künfftigen Herbst muss
ich wider auf den Wällen Löcher machen lassen, einige 1000 Bäume
dahin zu sezen, welches täglich Geld erfordert. Wann mir die Societät
einen Mann hielte um einen jährlichen Lohn und etwas zur Kost ver-
machte, würde es am besten seyn, sonst kostet es gar zu viel.
Ew. Exc[ellenz] seyen so gütig und muntern mich durch dergleichen
assistenz ferner auf, sonst muss ich mit Spott davon ablassen, da ich
mich am Hoff und in der Statt, ja im ganzen Land dess wegen schon so
weit eingelassen, dass ich weiss nicht was für Beynahmen davon
bekommen. Ich verbleibe indess mit allem gebührenden respect Ew.
Exc[ellenz] gehorsamst ergebener Diener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den lezten Julii 1709.
14.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weilen nicht allein im Privilegio schon der Hecken ge-
dacht wird, sondern auch Ew. Excellenz immer darauf ein Absehen gehabt,
als hab ich schon vergangenes Jahr allhier im Königlichen] Hofgarten s3)
und anderswo die Maulbeerbäume so säen lassen, dass gleich ein dick
gehäge daraus werden kan, ohne weiteres verpflanzen damit vorzunehmen.
Wie dann diese Hecke im Hofgarten als jezo erst im andern Jahr und
an einem unbequemen ort, nemlich an der Mitternachtseite angelegt,
doch fein zu steigen beginnt und fast halb Manns hoch über die ganze
Breite des Hofgartens steht. Wodurch auch die AratsKammer und der
Herr Graf von Wittgenstein **) sehr überzeugt worden, dass es mit diesen
Bäumen auf allerley Weise angehe; daher sie dem in meinem vorigen
gemeldetem Italiäner auf mein anhalten eine feine pension gemacht, nemlich
wöchentlich zwey thaler, und bey Ihro Königlichen] Majestät Küchen-
garten zu Ruhleben zwischen Charlottenburg und Spandau hab ich ihm
wöchentlich einen Thaler verschafft, biss er Proben seiner Kunst abgelegt.
Auf den Wällen will ich an einigen Orten die Bäume als dünne
Hecken anlegen lassen, wo sie nicht wie Zäune dörffen beschnitten
werden, auch nicht dreyfach hinter einander stehen, sondern nur einzeln
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20 Joh. Leonh. Princhs Briefw«ch«el mit (3. W. Leibni«.
•
neben einander; solche Hecken glaube ich dass sie nüzlich seyn and
schön stehen werden, so viel mist nicht brauchen und freye rafft haben,
auch den Würmern wohl anstehen, als worauf am meisten zn sehen.
Wann mir mit einem solchen Handlanger an die Hand gegangen wird,
so soll man künftig Jahr den Wall fein besezt sehen. Es ist ein Franzoss
hier, starckund arbeitsam, ein guter gärtner and Baum verständiger, welcher
mir um 20 biss 30 thaler das Jahr über, wann man mit dergleichen
arbeit umgehen kan, an die Hand gehen, Gruben und Graben machen,
Bäume buzen, dieselben, sobald sie nur etwas tragen, pachten und von
seinem lohn abgehen lassen, endlich noch zulegen will oder mehr Persohnen
stellen, das Werck besser zu treiben. Der Italiener hat mir gezeigt, wie
man die jungen Bäume mit Vortheil versezen, wann und wie offt man
es thun könne. Es ist zu Göpenik ein Schweizer, welcher sich erbietet,
den Garten mit schar zer Erde ein Stück nach dem andern zu beführen,
man soll ihm aber den genuss davon auf gewisse Zeit lassen; welches
dem Garten grossen Vortheil schaffen sollte. Der Mann würde auch
verbunden seyn, den Zauu, obgleich nicht so kastbar wie jezund, doch
so im Stand zu erhalten, dass die Baume keinen Abbruch leiden. Zo
Potstam werde ich auch suchen einen solchen Mann zu bekommen, der
um des Gartens willen bey der plantation die Unkosten erspart; erwarte
hierinn E[w]. Exc[ellenzj ordre.
Es kommt hiemit das Pfd. Maulbeerbaum-Saame, von welchem nicht
leichtlich ein einig Körnlein ausbleiben wird, weil ich Körner davon
abgezählt und vor einigen Wochen gesäet, so alle aufgegangen. Sie müssen
nur vorher zum wenigsten 24 stund inFlusswasser eingeweicht und in frisch-
gegrabene Erde gestreut werden, im Frühling nicht zu frühzeitig gesäet
und, wann sie heisse Tage gehabt, anfanglich, biss sie bekleibt, mit
gebrochenen Wasser oder Flusswasser des Abends begossen werden.
Weil die blaue Farbe zimlich bekannt wird, als finden sich einige,
welche meinen, es seye nur gebesserter Indig, stümpeln dahero auch
dergleichen Färb zusammen, welche die Mahler betrügt, weil sie die
Prob nicht hält und doch für Preussisch blau, wie unseres allhier aus-
gegeben wird, als bin ich von vielen Mahlern ersucht worden, ein gewisses
Zeichen auf unsere hiesige zu machen und die approbation der Societät
der Wissenschafften wegen der Invention, der acadamie aber der Künste
ihre wegen der tüchtigkeit und güte dieser färbe dazu zu sezen. Wann sich
dieses wegen der Societät thun liesse, mögte ich von Ew. Excjellenz]
wohl vernehmen, wie es geschehen könnte. Ich wollte nur sezen lassen: mit
Approbation der Societjät] der Wissenschafften und Academie der Künste
Sr. Königlichen] Majfestät] in Preussen, und den Preussischen Adler mit der
blauen Färb dazu gedruckt, welches keine andere Farbe von blauer Mahler-
farb ausser Ultramarin thut. An meiner chymischen Düngung hab ich
fast gezweifelt gehabt, aber nun treibt sie mir einige Pflanzen
Job. Leonh. Friechs Briefwechsel mit G. W. Leibn«.
21
6 mahl so starck, als sie vorher gewachsen, welches mir wider Hoff-
nung macht
Die Feuer-Caasa ist in völligem Gang und H[er]r Müller hat seine
ordentliche Besoldung alle quartal zu heben. Dem Cajetano hat man
vom Galgen vorgeschwazt; er sucht kahle ausfluchte, unter andern: er
habe es verschworn in Cüstrin etwas zu tingiren, man soll ihn an einen
andern Ort thun; welches man erklärt, dass er besser daselbst durch-
gehen könne. Filmey soll einen Füllten von Lichtenstein um eine summa
Geldes erwischt haben, darff sich daher nicht viel sehen lassen. Herr
Günther") macht eine bequeme art grosser Feuersprizen, die ungemein
starck Wasser sprizen und leicht zu tractiren sind. Ich verbleibe mit
allem schuldigen respect und offerirung meiner wenigen Dienste Ew.
Excellenz gehorsamst ergebener
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 25. Aug. 1709.
15.
Frisch an Leibniz.
HocbEdler pp. Die AmtsCammer hat bissher einen trefflcheu
Plaz auf Angeben des Italianischen Gärtners tief rigolen und wohl be-
dungen lassen; 7 PerBohnen haben schon 6 Wochen daran gearbeitet.
Der Italiener hat auf meinen Antrieb diesen Plaz in denen Königlichen]
Weinbergen desswegen erwehlt, damit die Societät dereinst desto eher
wegen ihres Privilegii um den genuss anhalten darff. Ich habe bey der
Societät die continuation der Maulbeerbäum-Plantation getrieben und
vermög eines extracts aus dem Protocoll erhalten, dass ich einen Planteur
annehmen darff, welcher anfänglich mit etwa dreyssig thalern will jähr-
lieh verlieb nehmen und diesen Herbst noch anfangen, Gräben auf den
Wällen zu machen, um künfftigen Frühling die bäume en haye darein
zu versezen. Ich bin nun auch hinter den Vortheil gekommen, die Seide
weiss zu machen, und zwar so, dass, wo mir die Franzosen 8 loth ab-
gang rechnen, ich nur fünfte habe, welches dereinsten im grossen viel
austragen wird. Es hat unsere Seide, wann sie vom Gummi befreyt,
ein solch lnstre, dass ich keinen Unterschied unter der besten Seide sehe,
die man hier zu kauff hat Ich habe einige Strenlein geschwefelt, wo-
durch die Seide noch weisser wird, aber hernach keine Färb mehr an-
nimmt und im Pfd. einige loth Zusaz bekommt Unsere blaue Färb
hat H[er]r Qverfurt,"i) zu Wolffenbüttel sehr gut befunden und einige
Quantität für sich und andere kommen lassen. Auf anhalten einiger Mahler
tiatt H[er]r Diessbach unterdessen beyliegenden Zettel drucken lassen,
damit sie doch einige Information davon bekommen. Ich habe mit einigen
membris der Societät wegen der approbation geredet: Herrn Hofruth
Hofmann87) ist sie von einigen Monathen her bekannt; H[er]r Werner**)
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22
Joh. Leonh. Frisch 8 Briefwechsel mit G. W. Leibnix.
welcher sich von einem desperaten lager wider erhohlt, hat sie schon
lang gebraucht nnd in quantität verschickt. Und weil sie dieser nebst
andern Künstlern so gut befindet, wird man das votum der Mahler oder
virtuosen minorum gentium nicht verlangen.
Die Herren alchy misten sind durch des Cajetani elendes Ende doch
nicht abgeschröckt, sondern halten ihn noch vor einen adeptum, weil er
biss an sein End beständig bejaht, dass er die tinctur gehabt habe und
noch machen könne. Ich habe mit des Dieszbachs menstruc^^) die tincr
turam Martis") so blutroth ausgezogen,, dass H[er]r Kath Hofmann ein
ganzes Register geben will, vor was alles sie in der medicin gut seye.
Die tincturam Yeneris: I) habe ich so grün davon, dass es ein Lu6t anzu-
sehen. Und wann ich die tincturam Martis in Wasser giesse, so tingiren
wenige tropffen eine grosse quantität des Wassers. Die tinctura Veneria
aber mit spiritu salis Amoniaci gemenget gibt eine solche blaue Färb,
dass dergleichen nie gesehen habe, und tingirt auch hernach das Wasser,
so dass ich zur erquickung der Augen immer einige Glässer vor mir
stehen habe. Aber zu keinem corpus kau man diese Bläue bringen.
Wann wir sie von aller corrosivität reinigen könnten '^O, wollten wir mit
diesen tincturen solchen Wein und geträncke färben, dass man mehr von
diesen Schaugeträncken, als von allen Schau-Essen halten sollte.
Ew. Exc[ellenz] sagten vor einiger Zeit, dass des Francisci Junii Glos-
saria'-*4) in Engelland sollten gedruckt werden ; bissher hab ich nichts davon
erforschen könner. Ich kan von dieses Mannes Etymologischen Schrillten,
wie sie Hikesius,,a) erzehlt, nichts zu sehen bekommen. Wann etwas
sollte publicirt seyn, bitte ich gehorsamst, mir den ort kund zu thun.
Des Bensons vermehrtes Engelsächsisches Vocabularium des Somneri hab
ich bekommen; aber des Skinneri Englisches Etymologicum kan ich
nicht erfragen. Ich hab den Agapetum1'7) für hiesige Schulen auflegen
lassen und dazu über 12 editionen conferirt. Ich verbleibe etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 28. Sept. 1709.
16.
Frisch an Leibniz.
Berlin den 9. Nov. 1709.
HochEdler pp. Der HofCammer befehl, die Bäume in den pro-
vinzien zu pflanzen, hat nichts können ausrichten, weil kein Amtman
gewust, wo er Maulbeerbäume hernehmen solle. Der Planteur, der von
der Societät angenommen worden, bekommt 30 tlilr. des Jahrs, biss man
sieht, was er vor Dienste thun kan. Ich hab dem General Major einen
Zettel fürgeschrieben, wie ich gern und wo ich auf- und an den Wällen
wollte passiren und ungehindert vor denen Wachten bleiben, welchen er
auch, wiewohl mit lachen unterschrieben, dass ich ihm ein solch modell
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Job. Leonb. FriBcb's Briefwechsel mit G. W. Leibni*.
fürgeschrieben. Ich hab darauf in der Fausse brave9*) wollen anfangen
lassen zn graben, allein weil ich die Bäume nothwendig rauss begiessen
lassen und mit demselben begiessen viel UngelegeDheiten haben würde,
als hab ich in dem bedeckten Weg angefangen, da ich das Wasser gleich
ans dem Graben hohlen kan. Der Graben, worein die Bäumlein kommen
sollen, liegt diesen Winter also offen und im Frühling will ich einige
tausend hinein sezen lassen. Den Garten zu Cöpenik will ein Franzoss
in den Stand bringen, so dass er alle Bäume will beschneiden und säubern
lassen, zu allen Mist führen und sie der Societät alle brauchbar lieffern
wofür und wozu er aber, weil es geld und zeit erfordert, den Garten
auf 5 Jahre haben will. Weil ich nun bissher geseheD, dass der Garten,
wann ihn nicht jemand als sein eigenes wartet, alle Jahr unbrauchbarer
wird, als hab ich dieses erbieten des Franzosen der Societät vorgetragen,
welche auch biss auf Ew. Exc[ellenz] consens bewilligt. Wegen auskochung
der Seide hat es diese beschaffenheit, dass, wo der Gummi nicht völlig
herab kommt durch das Kochen, die Seide nimmermehr den behörigen
Glanz und gelinde weiche Art bekommen kau. Die Flonnacher, welche
etwas starrendes verarbeiten können, sind die einigen, welche die rohe
Seide kauffen, die andern müssen sie alle kochen, wie ich bey diesen
Tieathen täglich sehe, und bieten sie ein grosses recompens, wann man
sie ein ander Mittel lehrte, damit nicht so viel abgienge. Es verliert
die Seide wohl etwas von der gelbe, aber es bleibt auch die weisse Seide
doch rohe Seide. Ich hab sie gar in die Sonne gehängt, ausgespannt
und gebleicht, aber doch nichts ausrichten können, weil der Gummi so
häuffig daran, dass ich mich verwundert, da ich ihn eindistillirt.
Hiemit kommet eine lateinische relation von der blauen Färb"),
welche anfängt sehr bekannt zu werden. Herr Qverfnrt zu Wolffenbüttel
und andere im Braunschweigischen lassen sie in Quantität hohlen. Wer
sie einmahl gebraucht, kommt ordinair wider und höhlt mehr. Wegen
des Titels kan leicht eine änderung geschehen und kan das Berlinisch
Blau genannt werden. Das Kupffer, so in dem nienstruo des H[er]r[n] Diess-
bachs sich so grassgrün aufgelöst, färbt das Papier durch und durch
grün. Es ist H[er]r Diessbach bemüht, eine leichtere und wohlfeile art
zu finden, das Papier durchaus lieblich grün zu färben, dass man schwarz
darauff drucken könne.
Die lateinische Grammatik unter denen neuen Schulbüchern10") wird
ehistens fertig seyn; mit der griechischen bin ich auch über die Helffte
fertig. Herr Lange'01) ist zwar nach Halle gekommen, aber er meinet
doch, er wolle das, was er von dieser Schularbeit übernommen, daselbst
verfertigen. Den codicem des Ulphila hab ich, sowohl des Junii edition
als des Stiernhilms'01). Aber vom Willeram des Junii ;ftS) hab ich noch
nichts gesehen, hab auch bissher nichts von seinen andern Schrifften,
die er doch so offt citirt, zu sehen bekommen können. Hikesius sezt sie
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24 Job. Leouli. Frisch a Briefwechsel mit G. W. Leibnu.
unter die MSS. Die Russische, sowohl vulgare als gelehrte oder scla-
vonische Sprach gibt mir in der. teutschen etymologie ein grosses Licht
und hab ich einige 100 Wort schon aufgezeichnet, welche wir mit ihnen
gemein haben. Mein Glossarium Marchicum1") vermehrt sich auch immerzu,
da dann freylich viel vom platteutschen überhaupt mit einläufst, aber
auch einige Wörter bleiben, die sonst kein Niederteutscher verstehet.
Es ist ein gewisser Kauffmann aus Sachsen hier gewesen, welcher
bey dem König um ein Privilegium angebalten, die 8eide im land zu
erzielen. Da ich dann von einigen ministris befragt worden, ob die
Societät es verhindern wolle, da ihr doch kein Eintrag dadurch geschehe.
Allein es scheint, der Mann hat sich wider verlohren. Ich hab geant-
wortet, dass ich befehi hätte, mich stricte an das Privilegium zu halten.
Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
17.
Frisch an Leibniz.
Berlin den 30. Jan[uarii] 1710.
UochEdler pp. Der Herr Hofrath Cuno hat die von Ew. Exc[elleuz]
zurückgeschickte notitiam caerulei Berolinensis10*) zu denen noch übrigen
Stücken gelegt, welche in die Miscellanea kommen sollen. Der Buch-
drucker Wessel ist der ungeschickteste, den wir hier haben, sobald etwas
ausser seinem Schlendrian zu thun ist; daher ich ihm auch nur den Titel
blau zu drucken nicht vertrauen dörffen. Wann ich künfftig gelegenheit
sehe, will ich blau und grün drucken lassen. Unterdessen kommt die
blaue Färb immer in grössere bekanntschafft So lang es diesen Winter
offen gewesen, hat der hiesige Planteur der Societät in dem bedeckten
Weg an dem Graben gearbeitet, worein wir diesen nächsten Frühling
die jungen Bäume sezen wollen. Die zu Spandau sind auch um das
vierdte Pfd. Seiden verpachtet und zu Potsdam verhoffe ich auch Lenthe
zu bekommen.
Des Francisci Junü Evarigel[ia] Gothica hab ich, auch des Stiernhielm
edition dieses Codicis des Ulphilae, aber vom Willerain hab ich noch
nichts gesehen. Es kan mir niemand recht sagen, ob das diejenige
Bibliothec zu Oxfort gewesen, welche neulich verbrannt, worein des
Junii MSS. vermacht worden"*). Es wäre ein unwiderbringlicher Ver-
lust wegen dieser und anderen raren Schrifften. M[onsieu]r la Croze"") hat
sein Lexicon Sclavonicum absolvirt, woriunen er einen grossen vorrath
von radicibns und andern vocabulis hat; welcher desswegen bessere
nachricht als ich geben kan, ohngeachtet ich ihm die erste manuduction
Kegeben. Herr D. Mencken108) von Leibzig hat mir schöne Moscowitische
Scripta geschickt, welche ich ihm extrahire, damit er sie in den Actis
recensiren könne. Sie sind dialecto nissica gesell rieben, welches vor
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Job. Leonh. Frisch 8 Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
25
diesem nie gesehen; sie sind charactere tachygraphiae Rassicae1w>) ge-
druckt, dergleichen nie gesehen worden; und ist das eine die übersezung
des Sturms von der Fortification, das andere die Übersezung der Erz-
herzoglichen Handgriffe, das dritte: von den Signalen, die auf der
czarischen Flotte gegeben werden, das vierdte: Formulare der brieffe,
so teutsche Potentaten an einander schreiben, das fünffte: von Ver-
schanzung eines Lagers und andere Fortifications-Lehren109). Der Kauff-
raann aus Sachsen hat sich nicht weiter gemeldet, seinen Nahmen hab
ich nicht erfahren.
Unter den vocabulis marchicis110), die andere nicht leicht verstehen,
sind e. g. diese: piras: lumbricos. kilitte: papilio. Kuhsche, ein ge-
feuchtet Brod im Bier. Eum: ein Trog; Stampkum: Stopftrog, myran:
formicae. Dez: caput (testa Ital.). Dernze: Stube. Duhs: das feinste
Mehl. Kiez: eine Fischerhütte. Dülte: eine gepichte hölzerne Kanne.
Koboldschiessen: culbute Gall. Keck: der Halss oder das Dicke unter
dem Kien. Kolter: das Plugeissen, so über der Schaar ist (culter) etc.
Bei dem Wort Keck erinnere ich mich eines discurses, den Churfurst
Fri6dr[ich] Wilhelm mit einigen Poinmern gehalten: da er unter andern
zu ihnen sagte, er könnte den dialectum der Pommern wohl verstehen,
brachte ihm einer von den Rathen diese Wort zur Probe für: „Si, wu
de Gäre111) sitt, un besabbelt den Keck mit de Bullegraven112)", welches
der Churfurst nicht verstund; sie heissen so viel: „Siehe, wie das kleine
Mägdlein sizet und begeiffert den Bart oder das Unter-Kien mit Heydel-
beeren." Es lanffen freylich einige Wörter mit in das Niedersächsische,
einige ins Pommerische, haben aber alle, soviel ich gesamlet, etwas be-
sonders wegen der Etymologie oder anderer Umstände.
Die Feuer-Cassa ist in völligem Gang. H[er]r Müller bekommt zwar
nicht alles, was er sagt, dass ihm versprochen worden, doch aber das, was
ihm nach abzog geblieben, bekommt er richtig. Von M[onsieu]r la Ramee' n)
and dem mechanico mit dem neuen Brennglass hab ich nichts gesehen noch
gehört. H[er]r Stark lebt jezt hier, hat etwas weniges von der Königlichen]
Bibliothek und arbeitet an Übersezung eines Rabbinischen Buches.
Befehle mich schliesslich nebst an w unschön g eines glücklichen fortgangs
des Neuen Jahrs in ferner geneigtes angedenken und verharre etc.
«loh. Leonh. Frisch.
18114).
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weil Euer Excellenz in den meisten Briefen, wo-
mit sie mich beehrt, auch von unserer chymischen Arbeit allhier Nach-
richt begehrt, hoffe ich, sie werden sich Einschluss nicht missfallen
lassen. Es ist ein Pulver von H[er]r[n] Diessbach, welches mir bissher
grössern effect gethan, als alle dergleichen, die ich jemahls probirt. Des
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26
Job. Leonb. Friscb'8 Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
Meders11') seines (welcher nunmehr gestorben) und des Felmi Sudeley
haben mir nichts anders gezeigt, als bey bösen Gemüthern eine gelegen-
heit zu filoutiren. Dieses aber hat etwas solidere. Ich mercke, dass
das Werck aus dem Kupfer geht und H[err] Diessbach versichert mich,
er habe das Pfd, 2n ) bissher über 3 thlr. nach abzug aller Unkosten
genossen. Man rühmt von den Yenetianern, dass sie dieses secret haben,
das Ou:) aus dem Ungarischen Kupfer zu scheiden, und sollen ihre
zechini daraus gemünzt werden. In Ungarn hab ich solche Umstand
davon gehört und gesehen, dass ich es selbst vor sehr wahrscheinlich
angesehen, weil sie das Ungarische Kupfer alles zusamkauffen und theurer
bezahlen, als andere können. Es wäre zu den Kupferbergwercken auf
dem Harz kein geringer beytrag.
Wegen der Verpflanzung der Bäume bin ich jezo beschäftigt, ich
lasse in die tieften Gräben, die ich in der Contrescarpe machen lassen,
anstatt des ausgeworfenen unfruchtbaren Sandes bey jezigem Tau- Wetter
den Gossenkoth führen und oben darauf noch Mist und gute Erde, dass
ich holte, die bäumlein sollen in kurzein recht wohl bekommen. Auf
dem Wall will ich auch fortfahren lassen. Die Societät hat mir ver-
sprochen, 20 biss 30 thaler zu diesem betraf auszahlen zu lassen.
Herr Günther lässt sich gehorsamst empfehlen: er mechanisirt
artige Dinge, und da ich ihm sagte, ob er nicht auch Canonen machen
könnte, die als Wind-Büchsen wären, bezeugte er mir, dass er schon eine
also zugerichtet, die eine Kugel von 10 Pfd. schiesset. Bekommt er
das perpetuum mobile nicht, wie es bissher noch keiner bekommen, so
wird er doch etwas solches zuwege bringen, das von so leichter
mobilität seye, als vielleicht noch keine machine gewesen. Wann dieses
Mannes gutem naturel die Kunst zu hülff käme, er würde, wie Diess-
bach, extraordinair schöne Dinge hervorbringen. Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
§
19.
Frisch an Leibnix.
HochEdler pp. Diesen Frühling haben wir die erste Verpflanzung
gethan und auf den Wall vom Königsthor an biss über das Spandauische
hinaus an die Spree, theils fast ruthen weit von einander, theils en haye
bey 700 dreyjährige und zweyjährige Bäumlein, in der Contrescarpe aber
vom Neustätter thore,,s) an rechter und linker Hand gegen das Leip-
ziger thorny) über 3000 gcsezt. Ich hab zwar gemeint, die Societät
werde mir etwas dazu geben, wie mir dann Herr Hofrath Cuno zu
30 thalern Hofnung gemacht, ich habe aber hernach gemerckt, dass sie
die 30 thlr. meinen, so dem Planteur jährlich verwilligt worden. Ich
hab indessen den Vorschuss gethan und muss sehen, ob ich aus dem
Werck selbst mich nach und nach bezahlt machen kau; werde auch bey
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Joh. Leonh. Friscb s Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
27
gelegenheit die Rechnung überlieffern, welche nicht eininahl auf 30 thlr.
steigt. Zu Cöpenik hat ein Frauzoss einige großse Stühle oder Säulen,
welche zu ausbesserung des Zaunes da lagen, weggeführt; ich bin endlich
dahinter kommen, und weil 3 Ruten vom Zaun eben an selbigem Ort
eingefallen, hab ich bey dem H[errn] Oberkammerhern angehalten, dem
Oberamtman zu Cöpenik anzubefehlen, dass er den Franzosen, welchen
ich überzeugt habe, anhalte, die Säulen in eben der qualität und quan-
tität an den Ort hinzulieffern, wo er sie weggeraubt, oder ich müste
zum Schimpf des Gartens das loch am Weg offen stehen lassen; worauf
gleich ordre ergangen. In der Contrescarpe sind auf einmahl über
200 Bäumlein gestohlen worden ; der Planteur ist auf die Spur kommen
und ich habe eine Stund hernach mit Soldaten hausssuchung thun lassen
und sie alle wider bekommen bey einigen Franzosen, deren Kinder sie
ausgezogen hatten. Ich hoffe, sie sollen alle wider bekleibeu. Der
•Soldat, so nicht weit davon Wache gestanden, sollte durch die Spiss-
mthen lauffen, aber er kam noch mit gelinderer Straff davon.
Herr Günther ist endlich überzeugt, dass das perpetuum mobile
nicht angehe, aber er wül ein facillime mobile machen, wozu noch mehr
apparenz ist, als zu jenem. Sonderlich könnte er nuzen schaffen, wann
er eine Wässerungsmachine hier einführen könnte, dass wir aus der
Spree die daran liegenden Felder und Wiesen bewässern könnten, welches
mit den sonst gewöhnlichen Rädern wegen des stillfliessenden Wassers
nicht angehet. Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
Berlfin] den 3. Maji 1710.
20.
Frisch an Leibniz.
HochEdlerr pp. Ew. Excell[enz] anschlag mit einer Wässerungs-
niachine auf art der Windmühlflügel hat mich bewogen, die proportion
des Triebs unserer Spree zu nehmen und es im kleinen zu probiren, da
ich ihm die force zu verdoppeln also zu hülff gekommen : ich hab zwey
solche räder von Windmühlflügeln an den Wellbaum in nöthiger distantz
gefügt und zwischen diesen beyden Flügel-Rädern ein Schuzbret biss
auf den boden oder soweit und tieff als die Flügel ins Wasser gehen,
abgesenkt, wodurch das Wasser, so auf das Schuzbret stösst, neben
demselben hinaus mnss und dadurch die Flügel merklich stärker treibt.
Wann man eine solche Wässerung in unserer Mark könnte anstellen:
es wäre ein Werk, der Societät eine grosse revenue zu machen. Ich
* getraue mir, in drey Jahren vermittelst der Spree- Wässerung viel schöne
Stücke unsers Sandlandes zu Wiesen zu machen, und das, was wir vom
König umsonst haben können, um eine feine Summe zu verkauffen oder
zu verpachten. Wann die Soiietät zu einerprobe etwas anwenden will,
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28
Joh. Leonh. Frisch h Briefwechsel mit ö. W. Leibni«.
so habe ich hier tüchtige mechanicos und handwerksleuthe an der Hand,
mit denen ich es getraue zu Stand zu bringen. Die jungen Maulbeer-
bäume stehen ganz wohl, sonderlich die auf dem Wall, also dass ich bey
denen Herren Generalspersohnen desswegen in gutem credit stelle, weil
sie sehen, dass es angehet. Es sind von 700 auf dem Wall sehr wenig
ausgeblieben. Mit dem Cöpeniker Garten steht es fast desperat; ein neu-
licher Sturmwind hat die eine Seite vom Zaun ganz umgeworffen, dass
also eine Öffnung von 600 Schritt da; Vieh und Wild kan hinein und
werden die Bäume viel gefahr auszustehen haben. Wann die Societät
nichts daran wenden will, so offerire ich hiemit, mein möglichstes sowohl
an Unkosten als Sorge anzuwenden, ihn in bessern Stand zu sezen, auch
ein kleines Hüttchen darein zu bauen und einen Mann zu halten, der
seiner immer pflegt, wann ich Versicherung haben kan, dass man mir
dereinst die nöthigst daran gewandte Unkosten restituiren oder denselben
für einen gewissen Pacht vor andern lassen will. Ew. Excfellenz] seyen
so gütig und befördern. dieses, damit auf eine oder andere Weiss dieser
Plaz genuzet werde.
- Herr Günther hat ein schön modell von Feuersprizen fertig, dadurch
nach proportion, so oflft das Rad an dem grossen Werk, so er macheu
will, umgeht, drey Eimer Wasser ungemein hoch heran sgesprizt werden.
Ich verbleibe etc.
J. L. Frisch.
Berlin d. 7. Julfiij 1710.
21.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Es hat sich H[err] Hofrath (Juno und H[err]
Secretfarius] Jablonski die Mühe genommen und sind mit mir auf Copenik
gefahren, da sie dann den schönen grossen Plaz gelbsten besehen, wie
er von dem Planteur ruinirt worden, auch für gut befunden, das Werk
inskünfltig recht auzugreiffon. Der hier angenommene Planteur will den
Cöpenikischen zugleich versehen, daselbst wohnen, und der alte Planteur
soll für seine pension, wann er sie behalten sollte, wöchentlich einige
Tage in dem Garten arbeiten. Es haben einige Leute, welche die Span-
dauischen und andere Bäume gepachtet, am Hofe viel wesens mit der
Societät-Seide gemacht, sonderlich hat ein Atlass-Weber 7 Stück Atlass
von allerley färb dem König gezeigt, welcher von mir ein attestat be-
gehrte, su ich ihm aber nicht gegeben, biss er mir gezeigt, dass er unsere
Seide auf den Stuhl gebracht, die von mir gezeichnet gewesen. Sie hat
«in schön lustre und kan viel thaler am cento wohlfeiler gegeben werden
als die fremde. Die Bäumlein auf dem Wall haben über Ellen hoch
getrieben. Wann die Societät in den Stand kommt, wie mir boffhung
Job. Leonh. Frisch'« Briefwechsel mit f+. W. Leibtm.
29
gemacht wird, werde ich einmahl bitten, meine Rechnung anzuhören, wie
ond wozu ich das mir anvertraute geld angewandt.
Herr Starkens Bächer sind verauctionirt worden, wovon ich ein«
sinnliche Partie gekaufft, absonderlich des Eustbatii Homerum in fol., die
Römische edition'*); item ein Manuscriptfum] diehistoriam Manichaeorum
Serapionis1' ) griechisch, welche bissher nur lateinisch im Druck gesehen
worden. In der griechischen Grammatik'2*) bin ich im Syntax. Ich hab
zwey capita von der Derivation und Compositum bey den Griechen
gemacht, welche die wenigsten Gramatici berührt. Es wird die griechische
in möglichster Symphonie, sonderlich der capitum und andere Stücke
mit der lateinischen Grammatik gemacht. Es wird nächstens ein Auszug aus
den Epist[olis] Cic[eronis] ad fam[üiares] und ad Attic[nm]? auch aus andern
autoren, als dem Plinio etc., nach den profectibus der discentium in gewisse
classen getheilt, zum gebrauch der Märkischen Schulen gedruckt werden.
Weil ich gesehen, dass die Logic einem Manne sollte auszuarbeiten gegeben
werden, der dazu gar nicht aufgelegt, hab ich es dahin vermitteln helffen,
dass sie einem andern zugekommen, der wohl in Jahr und tag noch
nicht gedencken wird, wie er anfangen müsse, da dann die Societät, wann
sie einen tüchtigem Vorschlag wüste, unterdessen eine herausgeben und
wegen einfuhrung besorgt seyn könnte. In unserer Schul sollte es zuerst
geschehen.
Der Cronprinz richtet zu Magdeburg im Citadell eine kleine Aca-
demie für cadetten an; das Werck dirigirt ein gewesener Hauptmann
Nahmens Bosse'"), mit welchem ich hier bekannt worden: ein guter
mathematicus und in allerley Wissenschafften wohl versirter Mann. Es
sollen die jungen Edelleuthe absonderlich zu mathematischen Wissen-
schaften gezogen werden, auch zu Historie und Sprachen etc. Ich ver-
bleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 7. Novfembris] 1710.
22.
Frisch an Leibniz.
Hoch Edler pp. Wegen H[errn] Kemmerichs'24) wird Ew. Exc[ellenz]
schon Nachricht von M[onsieu]r Ancillonias) oder H[errn] Kemmerich selbst
empfangen haben. Ich kenne ihn nicht. Meine gute Freunde bezeugen
mir, dass seine condnite mit seiner gelahrtheit übereinkomme. Die Hecken
von Maulbeerbäumen sind, wie Ew. Exc[ellenz] schreiben, sehr practi-
cable und können gleich im andern Jahr genuzt werden; bey uns zu
Berlin sind sie um so viel besser zu nuzen, weil man ihre zarten blätter
denen Würmern fast biss auf die lezte Woche geben kan: hernach mit
denen grossen bäumen das lezte Füttern absolviren. In zweierley fällen
aber, wann einer lauter Hecken und keine grosse bäume hätte und doch
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30
Joli. Leoni». Friscli's Briefwechsel mit <*. \V. I.eibniz.
viel Würmer, oder wann einer die gärten von seiner Würmer-Kammer
etwas weit entfernt hätte und in der fütterungszeit regenwetter einfiele,
so würde es solche difficultäteu sezen, in welche sich tumme anfanger
nicht leicht würden schicken können. Dann um solche Zeit moss man
zum wenigsten auf 2 tag allzeit blätter im vorrath haben. Die Hecken-
blätter aber dauern kaum einige stunden, sind bald so welck, dass sie
der Wurm nicht mehr anrührt. Im anfang aber, ehe man so grosse
Quantitäten Würmer hält, sind sie ganz gut und bekommem in einigen
Jahren bald so starcke blätter, die länger und mehr stunden können auf-
bewahret werden. Ein artig experiment hab ich vergangenen frühling
gehabt, woraus ich gesehen, wo der Durchlauf der Würmer und das
daraus folgende löcherichte Spinnen der Cocons herkommt. Ich habe
Würmer in ein egal warmes Zimmer gethan also dass ich die Grad der
Wärme mit dem Wetterglass gemessen : da hab ich kaum einige löcherichte
Cocons bekommen, welche vielleicht von solchen löchericht spinnenden
Würmern hergekommen; worinnen ich gleichfalls die versicherte Prob
habe, dass ein solcher Wurm, so von krancken alten herkommen nimmer
wider zurecht zu bringen, sondern die Kranckheit der alten auch bei-
der besten Warte bekommt und untüchtige Eyer spinnt. Hingegen hab
ich von andern Würmern in einein andern, nur etwas kältlichen, sonst
aber wohl verwahrten gemach viel solche Würmer bekommen, die alle
löchericht gesponnen, dann die reinlichkeit dieser Creatoren lässt nach
Proportion der grosse ihrer Kranckheit entweder ein oder zwey löcber,
damit sie in der Arbeit nicht etwan mit ihrem fluxu ventris ihre Arbeit
innen besudeln. Ich hab hierinnen die Grad so observirt, dass ich sie
wegen dieser Kranckheit dahin gebracht, dass sie das seltsamste gespinst
gemacht, sogar dass einige nur den Kopff als in eine Kugel eingesponnen
und den Leib ganz heraus geblieben. Ich hab daraus so viel schon
gelernet, dass was die andern in ihren Schrifften den blättern schuld
gegeben, die durch gewisse Meelthau sollen verderbet worden seyn, viel-
mehr vom Wetter und übler Verwahrung der Zimmer hergekommen.
Weil ich denen Würmern solche blätter vorgelegt, und niemahl gesehen,
dass sie dieselben auch bey grossem hunger gefressen, sondern sind
darüber hingekrochen; weil dieser Wurm seine meiste Sinnlichkeit im
geruch und fühlen an den tag gibt; welcher geruch so delicat, dass er
unter vielen blättern das gute heraus sucht, und so starck, dass er ein
blat 1V2 ruten weit riechen kan, so ich mit den frisch auskriechenden
Würmlein zum öfftern probirt. Ich hoffe durch dergleichen Observationen,
die ich alle Jahr zu befestigen suche, die Seidenzucht in grössere bestän-
digkeit zu bringen, als sie jemahls gewesen. Ew. Excell[enz] verzeihen
mir meine Weitläufftigkeit hirvon.
In dem garten zu Cöpenick will ich lauter Heckengänge anlegen
und dieses Jahr zum wenigsten ein viertheil daran also zurichten lassen.
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Job. Leoni». Friucha Briefwechsel mit G. W. Lehnte. 31
•
Ich habe die Leute, so von unsern bäumen Seide gemacht um gewissen
Pacht, dahin gebracht, dass sie die Seide in meiner gegen wart auf den
Stuhl tbun und alle umstände verrichten müssen, dass ich gesehen, dass
keine fremde dazu kommt, wie dann unsere Seide um des egalen ge-
spinstes willen von allen andern distinguirt ist. Von dieser Arbeit sind
dem König 5 Stück des schönsten Atlasses überreicht worden. Tch hab
von meiner haussarbeit wohl dreyerley Stück feinen Zeuges wircken lassen,
da ich zu 40 Ehlen nicht gar Pfd. gute Seide vonnöthen gehabt. Also
dass ich durch Zeigen und überlieffern so vielerley gewirckes den Hoff
ganz voll gemacht, dass die Societät halb und halb gezwungen wird,
ein mehrers als bissher zu thun.
Es sind nunmehr drey jähr, dass ich hierinnen nach möglichkeit
gedient, hoffe, man wird desswegen inskünfftig solche reflexion auf mich
machen, dass, wie mir Ew. Exc[ellenzJ hoffnung macht, mir eine billige
Ergözlichkeit dafür gemacht werde, sonderlich da in heranwachsen des
Wercks die versäumung meiner andern Verrichtungen gemehret wird.
Wegen der Logik wäre es eine arbeit, die unsterblichen Danck
verdienete, wann unter Ew. Exc[elleuz] direction sich jemand fände, solche
auszuarbeiten. Es haben die Schulrectores dieselbe einem Mann gegeben,
der wohl so laug er lebt wegen Kranckheit und Verdriesslichkeit kein
caput absolviren wird; ob er es sonst kan, weiss ich nicht. Die Societät
inu88 hier das Werck wegen Scientien angreiften und nebst der Ehre
auch den profit ziehen.
Es ist hier ein gewisser feiner mathematicus , H[errJ Moilwiz'-,:),
welcher mein Tischgenoss und mir in der mathesi einige anweisung gibt,
welcher das vorhabende Wässerungs-Werck zu befördern als ein guter
mechanicus sehr geschickt ist. Er findet die Wiudmühl-Flügel sehr
practicabel und weil hier der Wind nicht recht gebraucht w ird ausser
von einigen Windmühlen, er aber die Horizontal- Windmühlen absonderlich
versteht, so dass er alle Unkosten restituiren will, wann sie nicht an-
gehen, als meinet er, dass man an einigen Orten die tiefte des Wassers
und seinen wenigen Trieb mit solchen langen Flügeln im Wasser ge-
brauchen, an andern orten einige solche Horizontal-Flügel aufrichten
könnte, die da immer pumpten und die Pläze wässerten. Wollte die
Societät hierinnen einigen geringen Vorschuss thun, solche machinen zu
machen, so wollte ich gern hierinn dienen, sonst werde ich und Herr
Mollwiz eine Compagnie mit einigen bemittelten Persohnen machen, vom
König genügsame unfruchtbare Pläze dazu ausbitten oder kauften und
Vorgänger werden, dem terrain unsers Lands auf diese Art zu hülff zu
kommen.
Mein Lexicon12 ) ist zu Leipzig unter der Presse. Es hat mir Herr
Gleditsch13*) schon einige Bogen davon geschickt. Ich verbleibe etc.
Berlin den 20. Nov[embris] 1710. Job. Leonh. Frisch.
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32
Joh. Lconh. Frisch'» Briefwechsel mit CS. W. Loibnir.
23.
Frisch an Leipzig.
HochEdler pp. Dass Ew. Excell[enz] mich bey dem H[errn] von
Prinzen l2y) recommendiren und mich zu denen Qualitäten, die sie mir in
der recommendation bey legen, geneigt aufmuntern wollen, erkenne ich
mit allem gehörigen respect und versichere, dass ich eifferigst bemühet
seyn werde, mich solcher affection, durch welche ich auch bey einem
solchen grossen Königlichen] minister bekannt werde, nicht unwürdig zu
machen. Ich werde ein Stündlein ablauern, demselben meine Aufwartung
abzustatten. Den 4. December war die Societät auf dem observatorio
beysammen. Es wurde die neue Verordnung130) ausgetheilt und ein jedes
departement wehlte einen directorem. Es wurde vorher eine Eintheilung
herum geschickt, da sich ein jedes membrum unterschreiben musste, in
welchem departement es mitzuarbeiten beliebte. Herr Krug13') war nicht
dabey, ist aber doch in der classe medica und physica zum director
gewehlt worden. Es kamen auch zwey neue membra mit, als H[err]
Hofprediger Achenbach1") und H[err] Dr. Volkmann113), Rector im Jochim-
thal[schen] Gymnasio. Die Franzosen fielen im 3. departement, nemlich
in der Cultur der teutschen Sprach und teutschen Historie auf den Hjerrn]
Rath Schott114) und überstimmten die andern mit ihren votis, weil er
ihnen wegen der französischen Sprach besser an die Hand gehen könne.
In summa: weil die Societät noch in infantia ist oder dieselbe kaum
verlassen, so passirten auch bey einigen Umständen solche Dinge, die
dieses Alter zu haben pflegt. Die Herrn Directores wehlten hernachmahls
den H[errn] Hoffprediger Jablonski185) zum ersten vicepraesidenten in
einer sonderbahren Zusammenkunft*. In diesem Neuen Jahr, zu dessen
glücklichen anfang Ew. Exc.fellenz] hiemit gebührend gratulire und alle
fernere Prosperität an wünsche, ist die Societät wider beysammen gewesen,
da ihr dann das inaugurations reglement vorgelesen wurde, welche den
tag1'6) nach dem Crönungs-Gedächtnüs geschehen soll, Es wurde auch
resolvirt, [an] welchem tag wöchentlich die Conferenzen künfftig sollen
angestellet werden und wurde der Donnerstag beliebt. Der H[err] Hof-
pred[iger] Jablonski unterliess nicht, Ew. Exc[ellenz] honorificentissime zu
gedencken und dero gegenwart zu wünschen, worinnen ihm alle beyzu-
fallen ursach hatten. Es erwehnte H[err] Jablonski, dass der Cronprinz
ehmals versprochen, seine mathematische instrumenta, deren er einen
ganzen Kasten voll hatte, der Societät zu geben, wann er würde sehen,
dass etwas darinnen gethan würde. Allein ich hab diesen Kasten schon
bey dem H[errn] Hauptmann Bossen gesehen, welchem der Cronprinz
denselben zur neuen Cadettenacaderaie zu Magdeburg verehrt; ist also
dieses schöne praesent versäumt worden.
Es ist nicht allein der H[err] Obermarschall137), sondern auch der
H[err] Oberkammerherr1:'s) von hiesigen Hoff weg, doch nicht auf einerley
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Job T.eouli. Kiiscli'.s ftiiifwerliscl mit (i. W. I.dlmiz. 33
Weist*. Ich bedaure sie gleichfalls wegen der gnade, die sie mir bevin
Seidenwerck, auch sonsten, bezeugt. Dass aber der faule Planteur zu
Copenik eine stüze seiner bissherigen conduite verlohren, freuet mich
nicht wenig und hoffe ich aus selbigem Garten noch was schönes und
nüzliches zu machen. Ich will ein quartier als einen Irrgarten anlegen,
dem noch mancher Berliner zu gefallen reisen und dem Planteur einige
groschen accidens eintragen soll. Ich habe wider etwas frischen Wiirm-
saamen ans Italien erhalten, aber allbereit unter den hiesigen zur
erfrischung gemenget.
Zwey von denen ehmahlen eingenommenen drey membris haben
wenig reputation hier behalten, nemlich II[err] Ölven und H[err] v.
Meisebug13*): der dritte manutenirt sich kümmerlich, nemlich H[err]
Marperger; er hat ein Lexicon unter bänden auf art des französischen
Academique, was die termiuos teehnieos im teutschen und andern Dingen
anlangt, allein es wird sehr zerstümmelt sein, weil er allein thun will,
was dorten ihrer so viel in so langer Zeit kaum gethan. Von meinem
französisch teutschen Lexieo ist ein aiphabet fertig. Gleditsch schickt
mir alle Bogen, damit ich das teutsch französische auch verfertigen
könne, wozu mir ein paar verstandige Franzosen vielen Beytrag thun.
Ich will es dem H[errn] v. Prinzen dediciren, um ihm dadurch sowohl
als Cousistorial- als Sociotäts-Praeses rechenschaft von meinen Neben-
stnnden zu geben und mich zum gemeinen besten ferner zu insinuiren.
Die drey von denen Herrn directoren sind von der Baum- und Seiden-
zucht zimlich informirt und nicht wenig überzeugt, dass es practicabel,
den vierdten, nemlich Hferrn] v. Krug hoffe ich zu gewinnen, also dass
mir das concilium hernach desto mehr wird unter die arme greiften.
Ich verbleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 12 Jau[narii] 1711.
24.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Weil E[w.] Exc[ellenz] in M[onsieu]r la Croze briefen
einem mich erinnern lassen, zu schreiben, hab ich daraus geschlossen,
dass sie mir es werden zu gut halten, wann ich hieinit beschwerlich
bin. Ich wollte nicht ehe schreiben, biss ich etwas in die Miseellanean;')
übersehieken könnte. Allein ich bin durch andere Dinge so distrahirt
worden, dass ich dissmahl noch nichts beyfügen können, hoffe aber
nächstens mit der origine Sclavonica einiger Nanicu der Länder, Stätte
und Ürter, so aus der Geographie sonderlich Teutschlandes bekannt
sind, fertig zu werden und es Ew. Exe[ellenz| zu überschicken, ob sie
es tauglich finden, in die Miscellanea zu sezeu'"}. Ich habe auch an-
gefangen Observationes über des Du Fresue Glossarium Lat[iiiuniJ "•) zu
6
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34
.Mi. Lt;onli. Frisch * r.rict'wi iliscl mit (i. \V. Li'ilmi*.
machen und habe literam A fertig: ingleichen über des Menagii Urigines
( "lallicas' 1 ) , wovon ich auch literam \ fertig ha Im*. Wann es Ew.
Kxc[ellenz| gefällig, will ich es mit ühersehieken. Wegen unsers Seiden-
werks habe ich einen Streich gemacht, der mir so glücklich angegangen,
dass es jezt mit vollem Trabe anfangt zu gehen. Man will einen garten
kauften, da man biss 30000 Käumlein in die Schule sezen kau, ein haus*
dazu bauen und viel andere vorher nie angehörte Dinge thun. Wie
lang diesser Kiffer währen wird, weiss ich nicht; doch ist es leicht,
nachdem das schwerste überwunden und das Kiss gebrochen ist, anjezo
fortzufahren. Jch werde nicht unterlassen, mit aller Dienstfertigkeit
mich der Sache nach meinem wenigen vermögen ferner anzunehmen.
Wir haben eine autliam'") pneumatieam bekommen und dieselbige
einige mahl mit den gemeinesten Experimenten versucht: IlferrJ Rath
llofmann hat sie auch sehr gut befunden; aber dieser Herr wird uns
leider entrissen" ) und gebt wider nach Halle. Herr Mollwiz hat ein
model von einer llorizontal-W iudmühl machen lassen, weil sich U[err]
v. Kraut eine solche Mühl zu einem Springbrunnen will in seinen garten
sezeu lassen.
Die blaue Färb fangt immer stärcker an zu gehen und tluit den
Mahlern gute Dienste. Zur chymiseltcii Arbeit hab ich es zwar bey der
Societät dahin gebracht, dass man einige instrumenta angeschafft, aber
weiter kommt es nicht. Ks muss einmahl ein Keil kommen wie bey
dem Seideuwerk. Hoffe, Ew. Exc[ellenz] werden Ihre ehmahlige gewo-
genheit gegen mich ferner eontinuiren, verbleibe etc.
Job. Leonh. Frisch.
Berlin den 1 Martii 1712. ' t
25.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. W ann ll[err] D. (Johl1") aus dein freyenwaldisehen
Brunneu nach vertliessung der Sommerzeit wider kommen wird, als
wobev er ordentlicher Medicus ist, wollen wir unsere observationes
chvinicas wider anfangen. Anstatt der Kitter-Acadcmie1'7), so einge-
gangen, nimt jezt die kleine Academie vor allerhandt Standspersohncn ,
so M[onsieu|r Briand") angerichtet, fein zu. Die Anstalten sind besser und
versprechen mehr Dauerhaftigkeit. Es wurde anfänglich nur für so
junge Herrn angerichtet, welche der grossen Academie noch zu klein
waren, damit dieser kein Abbruch geschehen möge: nun aber dörffen
wohl Anstalten auch zu einer grossen gemacht werden. Ich habe bissher
noch immer darinnen informirt, und sind bischer bald auf einander
Ü" Moscowitisdie Prinzen oder Knaescn zu uns gekommen, nemlicb
3 Ifepnin und 3 Dolgoruki, deren jene Brüder, diese von verschiedenen
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Jon. Leonli. Krisch s Bricfwi-i bsi'l mit <i. W. Leihniz.
Yättern; du mir dann mein weniges von der Kussischen Sprach wohl zu
statten kommt.
Wegen unsere Seidenwercks stellt es noch in den alten schläfferigen
anstalten. Der albere Italiäner1'') hat einen Haspel machen lassen, der
von solcher grosse, dass wir ihn bey dem gröstcn flor solches Wcrcks
kaum brauchen sollten, nimmermehr aber brauchen werden. Es sind
dergleichen Sudel-maehinen in Italien an vielen Orten vcrbotten. Es ist eine
Königliche] Comtnissiou wegen des Seidenwerks gehalten worden, wovon
H[err] Secretarius Jablonski wohl Nachricht wird gegeben haben. Ich
werde in keinem Stück mehr, wie ich es um die Soeietät vermeine ver-
dient zu haben, in 5 und mehr Jahren, da ich dieses Werk zu treiben
gesucht, considerirt, und unterlasse doch nicht, so viel dabey zu thun,
als ich kan. Man heisset uns bey Hoff des grands faiseurs de rien.
Ich habe von der Commission nicht das geringste gewust oder erfahren,
da ich doch denen Herren Commissariis hätte die beste Nachricht geben
können. Meine administration hat der Soeietät nichts gekostet, und
wünsche, dass die neue nicht mehr kosten möge. Ich habe aber von
Ew. Exc[ellenz] nicht wenig Grossmnth gelernet, wie man durch die
Hinderung des eigenen corporis Societatis müsse suchen durchzudringen,
nachdem ich durch die raillerien des Hofs und der Bedienten desselben
an vielerley Orten durchgedrungen. Gott erhalte Ew. Excfellenz] noch
lange Jahre, dann wann noch etwas geschieht, so thut man es aus ge-
bührender Reflexion auf Sie, sonst wäre unser Werck ein Gespenst und
Schatten, über den man sich ungemein moquiren würde. Der Mann zu
Spandau hat 20 Pfd. gemacht, nicht 50, wie Ew. Exc[ellenz] berichtet
worden; zu Köpenik ist gar nichts gemacht worden, und zu Potstam
auch nicht. Man sagt von grossen und feinen anstalten aufs künfftige
Ja.hr in diesem Stück, aber ich kan es nicht glauben, biss ich es sehe.
Zum wenigsten ist der Herbst schon da und noch nicht ein mahl ein
Plaz gekaufft, da ich doch unterschiedliche angewiesen und in meinem
garten durch deu Augenschein an etlich 1000 Bäumlein gezeigt, wie
practicable es seye, in dem unfruchtbarsten Sand solche gärten anzu-
richten. Künfftige Michaelis soll Herrn Bernoulli1 u) zu Leipzig ein' ■„. Pfd.
von dem Berlin[er] Blau bey HferrnJ J. Fr. Gleditsch zu Dienste!! stehen,
dafür 15 thaler ordentlich bezahlt wird. Ich verharre etc.
J. Ii. Frisch.
Berlfin] den 2 Sept[embris] 1712.
26.
Frisch an Leibniz.
HochEdler pp. Das gebäude, wo rinnen ich wohne, ist unverlezt
in dem grossen Brand' ') stehen blieben, da doch auf der einen Seite
die Kirche, auf der anderen das magazin und hinten die daran stossende
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36"
.loh. I.i'<>nh. Krisch'8 Briefwechsel mit G. W. Leihnir..
Schul abgebrannt. Uberdas war wenig Wasser zu bekommen und
wurden alle Leute vom löschen weggenommen samt deuen Sprüzen, die
auch schon glimmende Acadeinie zu retten, also dass ich aus vielen
glimmenden alten Balcken das Feuer mit Stücken von Tachziegelu aus-
gekrazt. Bey dieser gelegenheit hab ich gesehen, was für elende Sprizen
allhier sind. Herr Günther hat ein feines model gemacht von einer
Sprize, mit einem Strahl, ohne Windkasten, wofür er 200 thlr. recompens
bekommen, und sind 12 grössere Stücke bey ihm bestellt. Unser Seiden-
werk hat noch ein schlechtes ansehen. Ks ist noch kein Plaz gekaufft
zur Verpflanzung der vielen Bäumlein. Man communicirt mir fast gar
nichts mehr und will mit gewalt mit Schaden klug und müde werden.
Zu Cöpenik wird die Societat eine Persohn auf ihre Unkosten halten;
welches ich ehmals auf meine Unkosten gethan und Schaden dabey
gehabt. Der unnüze Italiäner' -j ist abgeschafft. Herr Molwiz hat das
monopolium von Blevwalzen erhalten; er schafft (bis hiev so dünn, als
man niemahls gehabt, und woldfeiler, als man es bissher ins land geführt.
Herr Gleditseh hat mir noch nicht geschrieben, ob ein Basler wegen
Herrn Bernoulli bey ihm gewesen: ich kau so viel Farbe nicht machen,
als zum voraus bestellt. Es haben mir einige Italiener viel Geld für
das Secret gebotten, aber vergeblich, dann ich geniesse dasselbe schon
bey dem geringen debit, als interesse von 12000 thlr. capital, und dahin
erstreckt sich ihr gebottenes geld nicht.
Als Jhro Maj[estät] der ("zar1 *) hier war, Hess er meine 6 junge
Knesen, die ich in der information habe, alsbald hohlen und fragte nach
ihren studien. Es sind 3 Dolgoruki von zweyerley Fürsten dieses
Namens, und 3 Repnin gebrüder. Ich habe die Ehre gehabt, den hiesigen
Herrn envoyc, (trafen von Golowkin1 l), auch 2 .fahr zu infonniren, als
er vor 7 Jahren hier war. Wann man doch bey ilujo] Czarischen
Maj[estät] könnte einen befchl auswirken, dass Sie ein rechtes Lexicon
machen Hessen. Das l'olycarpi1 ' ) seines ist nicht zulänglich, dann da
ist kein Unterschied unter dem Selavonisehen und Russischen bemerkt,
auch das griechische und andere dazu gesezte Sprachen nicht wohl
getroffen. Es würde denen unter uns sich aufhaltenden Moscowiteru gute
Dienste thun und viele von uns geschickter machen, ihnen zu dienen.
Ich verbleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 29 OctobjnsJ 1712.
27.
Frisch an Eeibniz.
Monsieur1 '). Wegen des Seideuwerks bey der Societat ist bissher,
nachdem man mich der Ehre eines mandatarii hierinnen, weiss nicht
aus was für Absichten, überheben wollen, viel confusion vorgegangen.
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Job. Leonh. Frisch » Briclwcehsel mit G. W. Leibniz.
37
Da das concüium beschlossen, es soll mir alles communicirt werden, ist
es in bagatuellen etwan geschehen, in andern puneteu, wo ich schon mit
Schaden klug worden, und zwar mit meinem Schaden, hat man es auf
der Societät Schaden wider versucht. Es hat mich vor einigen Monaten
das i'oncilium ersucht, des HferrnJ Seeretarii1 ) Rechnungen durchzu-
gehen, und habe ich gesellen, was für ein [ literschied unter meiner
Aufsicht dieses Werks und unter des Suecessoris: wo ich 6 gr. Zehrungs-
kosten augesezt, sind da 6 thlr. etc. Aus was Frsachen, und ob H[errJ
Gundelsheim 1;,>) der Sache übel gewogen gewesen, weiss ich nicht. Da
der Herr Feldmarschall1 ") hörte, dass ich nichts mehr bey dem Werc.k
zu thun, liess er alle Schlächter und Viehhändler auch seine eigene Kühe
auf die Contrescarpe treiben und unsere Pflanzen daselbst elend zurichten.
Ich hab es endlich völlig stehen und gehen lassen und für mich etwas
angefangen. Weil meine Färb zugleich in grossen debit kam, also dass
verflossenes Jahr allein auf l'aris 100 Pfd. gelieflert worden, davon
wir, das Pfd. für 30 thlr., bey 3000 thlr. gezogen, habe ich vor hiesigem
Spandaiiisehen Tohr1 ") 10 Pläze an einander zusammen gekauft't, jeder
40 ruthen ius gevierdt, und darinnen allerley. experimenta, sonderlich
aber mit Pflanzung der Maulbeerbäume und Hecken gemacht; auch dieses
.lahr mit einigen Pfunden Seiden den anfang zum genuss dieser Pflanzen
gemacht
Das aufgerichtete Theatrum anatoinicuin1,:i) wird wohl bleiben; aber
vor den schönen angelegten hortum botanicum ist es schad, dan es kan
niemand mehr so viel daran wenden als H|err] Gundelsheim aus eigenen
Mitteln getahn. Bey der Societät wird es fast täglich seblätteriger in
allen departementen. Neulich ist die vicepraesidentenstelle wider an
H[errn] Hott'prediger Jablonski gekommen, da unter andern H[err]
Achenbach proponirte, ob nirht die sämtlichen membra ött'ter als jährlich
nur einmahl könnten zusammen kommen, und man allda von der Notturfl't
der Societät deliherirte, dass es nicht alles auf die wenigen directores
imConcilio ankäme, man auch sich unter einander besser kennen lernte,
wann es wenigstens alle viertel Jahr geschehe; welchem alle bey fall
gaben. Ich behalte indessen bey aller Schläfrigkeit derauderneine ungemeine
last, sonderlich in physicis etwas zu thun. Es sind nun zwey Jahr, dass
ich die insecta und ihre Natur untersuche um zu sehen, ob Schwammer-
daml,:), Kedi"'), Johnston1 7, (ioedart1 ") und andere in ihren obser-
vationibus nicht biss weilen betrogen worden, vieles übersehen, vieles gar
nicht gesehen.
Herr Eckart1 ) hat mich mit seinem etymologischen teutscheu
Lexicon fast erschreckt, aber ich habe mich doch wider erhohlt und
fahre fort, in dieser Materie meine gedancken aufzuzeichnen: es wird
doch immer einer etwas haben, das der andere nicht hat. Ich möchte
gern die eorrespondenz dieses hieriuuen so erfahrenen Mannes haben.
38
Joh. Leonh. Frisch s Briefwechsel mit G. \V. Leibniz.
Ich hab gehört, er sey auf Hannover gekommen, weiss aber keine addresse
an ihn. Herr Spener1 •>) hat der Herrn von Putlitz Historie und Chrouik
verfertigt, weil es aber zu weitläufftig, auch nöthig hat, noch einmahl
durchgegangen zu werden, ist es bissher liegen blieben ; ich hab aus mehr
als 200 diplomatibus eine Landcarte des Bistum Havelbergs1 dazu
gemacht, welche ich gern wider haben möchte als ein Stück der
Geographie mittler Zeiten, davon man noch so gar wenig hat. Ich verbleibe
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 26 Julii 1715.
28.
Frisch an Leibniz.
Wegen dor hiesigen Academie berichte, dass auch diejenige, so
M[onsieu]r Briand angefangen und in zimlichem Flor war, so dass etlich
20 Fürsten und Grafen und andere Standspersohnen darinnen waren,
auch schon zergangen. Ich hab einige .Jahr darinnen informirt, und der
director, den ich gesucht, so lang es möglich war, mich meiuem genügen
vermögen, theils durch informiren, theils durch geld vorstrecken zu fristen,
hat endlich schimpflich durchgehen müssen und mich unbezahlt gelassen.
M[onsien|r Colas, u) ist bedauernswert und ist ohne Zweiffei in seinem ge-
wissen Beginnen aus Neid gestört worden. Seine curiosität übertrifft aller
anderer ihre, die hier dergleichen von sich ausgeben und mir bekannt
sind. Wer Hferrn] Gundelsheim als Leibmediens succedirt, weiss ich
nicht gewiss: wir bekommen nicht viel gewisse Nachricht aus dem
Lager.
Bey der leztenSonnenfinsternüs war auf dem Königlichen] observatorio
eine grosse frequenz von allerley feinen leuten. Einer von den fremden
fragte ein membrum der Societät, ob nicht die Societät antienge, eine
Fabel zu werden, wann man nicht besser continuirte ? Da zeigte ihm dieser
das Observatorium und sagte: Tantum tarnen nobis profnit haec tabula.
Herr SeeretjariusJ Jablonski hat etwas wegen der teutschen Orthographie
trucken lassen, welches den auslandischen membris nur zur Prüfung soll
geschickt werden, wird aber im Buchladen nicht verkaufft. Ich bin etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 30 Augfnsti] 1715.
29.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Nach Ew. Excellenz verlangen berichte, dass H[err]
Raht Schutt bissher so übel auf gewesen, dass er kaum das leben hat;
der König hat ihm noch etwas pension gelassen; M[onsieu]r la Croze171)
aber hatte sie biss auf 100 thlr. verringert, bekommen : weil er aber doch
zufrieden gewesen, ist ihm eine Zulage von 100 thalcrn geschehen. Auch
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Job. Leonh. Frisch* Briefwechsel mit G. W. Leibni«. 39
hat er das Glück gehabt, ans einer holländischen Lotterie 2000 thaler
zu gewinnen, welches mich so sehr und mehr gefreuet, als wann es mir
selbst geschehen. Herr «lablonski hat seine tentsche Orthographie mit
in die conferenz gebracht, ancli den meinbris nach hauss gegeben, da
dann unterschiedliche mahl darüber conferirt worden, und hat vielen
vieles nicht augestanden , ist daher viel dabev erinnert und geändert
worden. H[err] Müller17-') zu Wien hat Ew. Exe[ellenz] Kaht gefolgt
und wird wirklich in Bergsachen gebraucht. Sein Schwiegersohn, ll[err]
Dieszbach, ist hier und steht mit mir wegen der blauen Färb in societät:
hat sein reichliches auskommen, so dass er seinem Schwiegervatter schon
einige mahl succurrirt. Herr Müller ist wohl capable, sich selbst etwas
zuzuschreiben, davon er nichts weiss. Beati possidentes. Ich lasse gern
allen den Ruhm der Erfindung, aber es hat sie sonst keiner als ich.
ll[err] Diessbach hat die Arbeit davon, welche mir zu viel Zeit von
meiuen studiis wegnehmen würde. Er war neulich todkranck, da wir
danu beide eine solche disposition gemacht, dass das secretum keiner
v«u uns beiden verlieren kau. In Handgriffen ist er in der Chvmie
vortrefflich, aber er hat kein fundament der Wissenschaft und der Natur.
Ich habe ihn wegen seiner treue und Willigkeit über H Jahr den meisten
Unterhalt gegeben. *
Es siml ein paar Cartätsehen,; ) aus (ienev unterwegs und schon
zu Leipzig, ein paar hab ich dem H[errn] v. Arnim171) verkauft*, welcher
als Landvogt in der ganzen Lkermark und Königlicher) Geheimer Hallt,
in seiner Herrschaft, die biss 20 Dorfer begreift*, die Seidenzucht glücklich
auf mein angeben angefangen, so dass mir H[err] v. Gambke17 ) als
praesident über die AmtsKaimner neulich auch einen boten geschickt und
will es auf seinen Gütern auch anfangen: wodurch nach und nach ein
Weg wird gebahnt werden, dass der König durch solche Herrn wird
bewegt werden, die Sache und die Societät gnädiger anzusehen. Ich
verbleibe etc.
.J. Ii. Frisch.
Berlin den 14 Sept[embris] 171">.
30.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Wenn die Herren Oameralisten zu Hannover einen
Bericht abstatten, der das Seidenwerck Sr. Britannischen] Majestät beliebt
machen hiltVt, werden sie sich das ganze Land nebst der allergnädigsten
Herrschaft* verbunden machen. Ich werde alle Jahr mehr überzeugt,
wie vortheilhatt'tig dieses Wen k sey und wie leicht es in den stand zu
bringen, wo man ein wenig au die Hand gehen will. Aber die Jtaliäncr
inuss man davon weglassen, sie seyen wer sie wollen: sind sie hohen
Standes, so haben sie diss Werck in seinen geringen Umständen nicht
40 Job. Leonli. Frisch "s Briefwechsel mit G. W. LeibniK.
practicirt, sondern nur mit Würmern gespielt; sind sie geringen
Standes, so wollen sie gleich directum und grosse pensionen haben,
wissen auch 1000 difficultäten zu machen, wodurch das Werck ins stecken
kommt. Ich habe es nun so weit vom anfang biss zum Webstuhl, dass
es einem Landmann, sonderlich in kleinen Stätten nicht einen Pfennig
kostet, wann er selber mit den seinen Hand anlegen kan und will.
Herr von Kamke, als Praesident in der Amtskammer allhier, hat eine
quantität Bäume von mir hohlen lassen und in Pommern anf seine Gütter
geschickt; der H[err] geheime Raht von Arnim hat auf seiner Herrschafft
Bötzenburg in der Ukermark dieses Jahr einige Pfd. Seide bekommen,
welche quantität sich jährlich mit der grosse der Bäume mehren wird.
Ich habe diesen Sommer für mich experimenta gemacht mit den
Insectis und es so weit gebracht, dass ich überzeugt bin, die Insecta
bleiben auf keinem Baum, der recht gesund ist, und je mehr darauf
sind, je elender steht es um den bäum. Ich habe auch im Weinbau einen
Versuch getahn und dieses Jahr von einer kleinen quantität Weinstöcken
3 Tonnen Wein bekommen. Wegen fortpflanzung der Maulbeerbäume
ohne Saamen habe ich eine bequemere und nüzlichere art als die Gärtner
mit ihrem einlegen bissher, getahn, welche ich künfftig commnniciren
kan, wann ich zuvor einige hundert "^ur Probe dastehend habe. Ich
habe hier auch angefangen, Süssholz17') einzulegen, wie ich es im Bistum
Bamberg gesehen, und sind mir die Pflanzen wohl beklebet, dann unser
sandiges terrein ist bequem dazu. Ich verbleibe etc.
Jon. Leonh. Frisch.
Berlin den 16 Nov[embris] 1715.
31.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Meister Otto ist etliche mahl bey mir gewesen und
lässt sich gehorsamst empfehlen; er meint, man habe seiner zu Hannover
vergessen; er ist dörft'tig. Hierboy kommt ein exemplar von H[errn]
Jablonski Orthographie: es sind nur einige exemplare gedruckt worden,
den merabris zu eommuuieireu, ihr gutdüncken einzuhohlen und ist keines
in die Buchläden gekommen. Es rnoquiren sich viel darüber und sagen,
man spüre den Pollaken gleich im ersten periodo. Es ist darüber conferirt,
aber nur das corrigirt worden, was dem eoneipienten beliebig gewesen.
Ich bin froh, dass aus der edirung des Taciti de mor[ibus] Germ[anorum]
nichts wird'- ), als wobey viel zu erinnern übrig geblieben. Ich habe
im studio geographiae schon viel Jahr gesucht etwas zu ediren, und
vermeinet, einige membra der Societät zu gehilfien zu bekommen; nachdem
ich aber sehe, dass man mich allein lasset, so fange ich auch allein an
und will nach und nach von Brandenhurg[ischen] .Landen specialissimos
herausgeben, in dein formal als die ('hiirteheu sind, st» an dem geo-
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Joh. Leonh. Frisch'» Briefwechsel mit G. \V. Leibnir. 41
graphischen Calender17*) allhier sind. Der anfang geschieht von einem
theil des Fürstenthums Bayreut, welches das fünifte theil desselben ist,
und weil es von den andern vieren abgesondert liegt, ist es noch mehr
als die andern von allen Geographis negligirt worden. Es ist die Haupt-
mannschafft Neustatt an der Aisch, 5 ineil von Nürnberg17'). Ich hab
mich einige Jahr daselbst in oeconomischer bedienung aufgehalten und
bey vielen hiu - und herreissen alles, sogar alle Mühlen aufgezeichnet,
das meiste nach der Geometrie und Trigonometrie. Die Statt Neustatt
hab ich selbst in Holz geschnitten, so dass nicht ein geringes gebäude
ausgeblieben. Hoflfe, es solle dergleichen arbeit dem publico angenehm
seyn. Befehle mich etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 29 Nov[embrisl 1715.
32'*").
Leihniz an Frisch.
[Aus meiner antwort.] Freylich ist etwas gleich in des Hferrn]
Jablonski andern Zeile zu erinnern : er sagt, die „Ausübung einer Sprache",
ich hätte gesagt „einer Sprache"; pag. 9: „gelehrte gesellschanV, ich
hätte lieber gesagt „zu beforderung der gelehrsamkeit gerichtete gesell-,
schafft", damit man nicht spotte, wir nennen uns selber gelehrt. Die
consonantes wollte ich lieber „mitlautend" als „stumm" nennen, dann
die lateiner distinguiren die consonantes wohl in mutas et semivoeales.
Man muste eine definition des lautes geben, den die vocales haben, und
die semivoeales nicht; ob man sie sehohn ohne die vocales bohren kan.
Ich finde, dass der Laut, den die vocales geben, der organomm anrührung
nicht bedarf, sondern aus freyem munde gehet. Die Kegeln sind nicht
übel, aber bey allem andern finde ich viel zu erinnern. Don Tacitum
de moribus Germanorum habe ich in meiner jugend auch ins teutsehe
übersezet"1), will's einmahls gegen des llferrn] Jablonski übersezung
halten, wenn ich sie zu sehen bekomme.
88.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Weil E[w]. Excellenz zwey briefe bald auf einander
geschickt, werden sie mir erlauben, auf dieselben hiemit zugleich zu
antworten und dabey meine freyheit, ein und andere Umstände wegen
der Societät zu berichten, nicht übel deuten.
Als die Übersezung des Taciti in den Vorschlag kam, und zwar
von denen, die sie allbereit fertig hatten, so wir aber nicht wüsten,
erbot sich ein jeder, da.s seinige zu c.ontribuiren, und II[err] Neukirch1*2),
welcher hierzu am besten taugte wollte sie über sich nehmen, allein es
behielt der nachmahlige autor den Vorzug mit deutlichein Unwillen einiger
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42
.loh. Leonh. Frbch h Briefwechsel mit G. W. Leibniz.
von diesem departcment, welche hernach unter sich wehnten, es geschehe
aus einer Absicht, von dem verstorbenen König damahls ein gutes geschenck
zu ziehen. Nach einigen conferenzen sah man wohl, was dabey zu thun,
und wurden offt wenig so genannte Spruch-Reden ohne scharfe censur
passirt, so dass es sich verzog bis der König starb. H[err] Raht
Schott wurde auch immer krauek, und es verzeihet sich der auctor
gar klar die llofnung, die er sich mit dieser Übersezung gemacht. Nach
der gemeinen censur entdeckte ich ihm erst in seinem Haus meine noch
übrigen scrupel, welche man sich scheute publice zu urgiren, und macht«'
von einigen Capiteln eine Ühersezuug nach meiner Art, welche dem
ll[errn] Directori Schott besser anstünde, als die vorige: wodurch diss
Werck völlig liegen blieben. Ich hab mir gedachte Übersezung abschreiben
lassen und linde so grobe Fehler wider den genium unserer und der
lateinischen Sprach darinnen, dass es eine Schande wäre, wann sie unter
der Soeietät nanien publicirt würde. Nachdem nunmehr Tl[errj llofraht
< 'unow völlig durch einen Schlagfluss untüchtig gemacht, der H[enJ
Kaht Schott auch wegen Schwachheit des leibes selten etwas thun kau,
der II[err] von Krug selten kommt oder, wann er kommt, uiemand von
den membris antrifft, so liegen drey departements völlig darnieder: das
. vierte wird dem JlferrnJ Directori desselben zu gefallen noch gestützet,
wird aber niemahl etwas darinnen ausgebrütet weiden, dann es sind
lauter Dinge, die sich in inhnituin traiuiren werden' ). Die Diplomata
sind jezund so wolilfeil, dass mau nur reeommendiren darf, ohne weitere
Untersuchung, und dörflte wohl die Genever Reise' eine grosse Zahl
rler Mitglieder bringen.
Das Seidenwerk ist durch abschatfüng des l'lanteurs, den ich dazu
gebraucht, nun völlig zu gründe. Vor zwey Jahren hat dieser Manu
über 30000 Pflanzen geschallt, die werden jezt alle verwarloset, verkauft
und sonst verderbt. Und weil ich die Ehre gehabt, im Namen der
Soeietät die Rechnungen, gleichwie überhaupt, also sonderlich wegen des
Seidenwerks durchzusehen, hab ich den Unterschied wohl gesehen, was
bey meiner administration um so weniges geld geschehen, und hernach
bey so vielen Unkosten.
Als E[w]. Exc[ellenz] zu Wien war, winde hier, auch von denen,
die ich für so alber nie angesehen, geglaubt, Sie hatten die Religion
changirt,s ja ich bin von einem vertrauten Freund versichert worden,
dass man die l'racsidenten-Resoldung schon eingethcilt unter die Directores
und wer etwan bev dem sogenannten Uoncilio zugegen, wie viel jeder
bey diesem fall davoti bekommen soll, welches ich für die gröste
hassesse in der Welt hielte, so von denen, so den Namen der Gelehrten
haben wollen, kan begangen werden. I Iferr] .lablonski samlet jezt, was
zu den Miscellancis kommen soll, und beklagte sich publice, dass man
von E[w ]. E\e[ellenz| das, was sie hätten, nicht bekommen könnte. Ich
Joh. T,eonh. Frisch's Briefwechsel mit (i. W. Leibnix.
43
hab einige Bogen von allerhand Observationen, wann wider etwas heraus
kommen soll, will ich es nochinahls durchsehen und communieircn.
M[onsieu]r La Crosse""') wird Selbsten geschrieben haben, wie viel er
von der eoinmunicirten Jnseription entdecket. Verbleibe etc.
Joh. Leonh. Frisch.
Berlin den 28. Dec[embris] 1715.
■
84»*)-
Frisch an Leibniz.
Monsieur. E[w|. Excellenz drey auszüge aus dem Mayerisehen'^)
Catalogo habe ich wohl empfangen, werde suchen so viel als möglich ist,
um billigen Preiss zu bekommen. Vergangenen 13. Januar ist die auetion
angegangen. Es sind eommissionen hier aus ganz Teutschland und rasen
die Leute recht um diese Bücher: zum exempel p. 3 die aufgezeich-
nete Schwedische Bibel ist für 4 thlr. weggegangen: das griech[ische]
Testfament] p. 4, no 29 für 5 thlr: welches mir zu theuer vorgekommen.
Ich meine, wann die gröste Hitze der Herren Theologorum vorbey,
es soll der Wert wohl leidlicher werden, wiewohl einige von den Herrn
Politicis, als Il[err] v. Ploto,s), H[err] v. Schlippenbach""), H[errJ
Plarr1*1) und andere, Leute hineinschicken, die absolut vollmacht haben,
alle zu überbieten. Sobald ich künfftig etwas werde bekommen haben,
will ich es berichten. Verbleibe etc. , r . .
.). L. Frisch.
35.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Durch E[w]. Exe[cllenz] leztere ordre bin ich etwas
beherzter worden, auf der auetion mit zu bieten, doch so, dass ich
hoffentlich werde damit bestehen können. Nachdem H[err] Cimow
gestorben, wird wohl Hferr] Hofprediger Jablouski nachricht gegeben
haben, was vorgegangen. Herr von Prinz hat. der Societät Concilio
E[w]. Exc[elleuz] Schreiben """) an ihn cominunieirt, worüber es auch zu-
sammen berufen worden. Bey lezter ZusammenkuniVt aller departements,
welche zimlich dünne werden, ist auch dem mathematischen departement
vorgeschlagen worden, einen neuen directorem zu Wehlen. Es hat sich
auch H[err] Jäkwitz1"-) (welcher, weil ich die Ehre habe, ein membrum
zu seyn, nie zu uns gekommen) dabey eingefunden, nicht ohne bew underung
einiger membrorum, die ihn nicht kannten und ihn beschuldigten hernach-
mahls, es geschehe, weil er vermeinte, director zu werden. Allein es
passirten einige öffentliche discurse, die zwar nicht mögen auf ihn
gezielt haben, aber doch mercklich auf ihn applicirt worden sind.
Verbleibe et«1.
.1. L. Frisch
Berlin den 11. Febrjuarii] 1716.
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Juli. Luonh. Krisch h Briefwechsel mit G. W. Leibni«.
36.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Wegen des M. S. de iinpostoribus1"') berichtet micli
M[onsieu]r d'Alencon 1 dass er unterdessen schon alle Nachricht an
den ll[errn] General Bonneval1') gegeben, auch sclion 3 biss 4 mahl
desswegen geschrieben und antwort bekommen. Mfonsieujr La Croze
urtheilt schlecht davon.
Der Servetus'' ) ist die holländische Edition oder nachdruck, mögte
wohl für einige thaler zu bekommen seyn. Tch hab aber noch nichts
davon können zu sehen bekommen.
Die Grotesijuen Sehrifften sind nur Stücke von den rechten Oberilms
gewesen; ich hab sie daher fahren lassen, weil sie fast so theuer weg-
gangen, als ich sie sonsten im ganzen opere schaffen will. Die Rosen-
creuzersche Collcctioii ist noch die beste darunter gewesen.
p. 3(>1. weil einige quartbände sehr dick gewesen, als p. 354 sq.
hab ich etwas mehr geboten, «loch so, dass ich sie Selbsten dafür behalten
will, wann sie nicht anständig sind. p. 3(59 sollte im Catal[ogo] oben
n. 3 stellen, so aber ausgelassen; das Buch aber hab ich bekommen.
Weil i<-h für mich eine zimliche quantität erkaufte, hab ich allzeit
Selbsten auf die Bücher geboten, die mir Ew. Exc|ellenz] in Commission
übergeschickt, und thue es auch allzeit bey den künfttigen.
H[err] .lekwitz ist director worden vom mathematischen
departement.
Zwischen dem 13 und 14 Januar ist hier rlie Kälte so gross als
1709 gewesen: meine abricosen sind alle hin, auch alle Augen am Wein-
stock, die nicht gedeckt gewesen.
Es ist hier zwischen einem advoeaten und einem theologo eine
Schritftweehselung wegen astrologischer händel entstanden, welche mir das
AbdiaeTreu Nueleum astro|[ogiae], ,;) so hoch getrieben. Ich verbleibe etc.
Job. Eeonh. Frisch.
Berlin d. 22. Eehr[narii J 1716.
37.
Krise Ii an Loibniz.
•
Monsieur. Die MSS. k'unmen heute in der Auction zu Ende: so
viel hat können erstanden werden, werde mit nächster Post schicken.
Der Doctor Mayer, so seines Vatters Bücher hier verauetionirt, hat mir
Nachricht gegeben, dass ihm jemand auf die gedruckten libros p. 718 f.
habe 80 thlr. jjebotten, ob ich mehr bieten wolle. . . .
Herr Müller zu Wien schreibt an seinen Schwiegersohn H(errn]
Die>shach, dass ihn der Kayser zum Bergrath macheu wolle, und hoffe
mit nächstem völligen Sehluss nebst einer feinen Besoldung.
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.loh. Loonh. Frisch s Uii<-J'\veHiHd mit G. \V. Lcibni/..
45
Die Frau Marggrälin uls Wittwe Marggraf Philipps'1 ) trägt ei»
Kleid von der Seide, die sie selbst gewonnen, und hat Hferrn] Jahlonski1"')
versprochen, sie wolle nächstens zum König damit gehen und ihm davon
sagen. Verblei he etc.
J. Ii. Frisch.
Berlin d. 28. Martii 1716.
38.
Frisch an Eeibniz.
Monsieur. Hey hiesiger Societät scient[iarum] wird es alle tag
schlechter, weil keine aufmunterung da. Herr Wagner'-" "), so bisher auf dem
Grosseckisehen Observatorio gewesen, welches auch die hinterlassenen
H[errnJ Söhne noch unterhalten werden, hat die ( 'a lender Arbeit nebst
noch einem über sich genommen um ein reeompens: hat aber sonst so
viel Gewicht in dieser Arbeit als H[err] Hofmann gehabt hat. Er hat
ein und anders zu den Miscellaneis eommunicirt, und scheint, als retlectire
man auf ihn und den jungen Kirch- M zugleich, welcher die Ephemerides
schon verfertigt hat aufs künft'tige. l ud dieses wäre meinem geringen
begrilV nach nicht undienlich, weil erstlie.h die besoldung der 50U thlr.
wohl kau getheilt werden, und die ( 'alenderarbeit nicht von dem ob-
serviren so abhalten kan: welche observatioues bissher so gar sparsam
unter der Entschuldigung der ('alenderarbeit gewesen. Die Societät will
auch des I). Speners auf dem Observatorio stehendes l 'abinet nach und
nach bezahlen. Des Astronomi Wohnung wird nöthig ausgebessert. Mit
dem Kath Pfeiflern -'-) wird wohl wegen des ( openiekisehen Garten ein
Contract getroffen seyn, dass er jährlich, 25 .fahr über, zehn Thaler
davon gebe. Es stehen diss Jahr die Würmer hir so wohl als noch
niemahl; es gibt eine Unze graine mehr als sonsten vier.
Ich continuire meine Observationen de Insectis. Die Kanne, so ich
für die grösste achte, weil sie 1 , Ellen lang wird, hab ich diss Jahr
4 mahl: ist auch schon ein papilio ausgekrochen, und wegen des Cocons
und der Grösse, die er hat, recht selzam. Weil er auch von den nocturnis
mit hangenden tlügeln, und niemahl mehr als zwey auf einem bäum,
weil sie sonst in einer Stund einen bäum abfressen könnten, wenn ihrer
so viel als der andern Kaupen würden, ist er sowohl als Kaupe als auch
wie ein papilio selten zu sehen. Ich hab auch unterschiedliche obser-
vationes de insectis insectorum, welches ausser Jonston noch keiner
observirt und dieser nur muthmasslich, ich aber habe von allen die
insecta selbst und ihre Verwandlung angesehen. Mein Kunststück wegen
der Kaupen auf den Bäumen ist mir dieses Jahr wohl angegangen: ich
hab sie alle gerettet und oft't 5 äpfel aus einem aug noch hangend; bin
also confirmirt, dass keine Kaupe auf einem bäum jung werde, der gesund
ist, und wo sie sind, der bäum ganz oder theils kranck seye. Weil hier
46
.Toh. Lt ouli. Frisch s l'.riffw -1 mit «i. W. Lfilmiz.
kein Mensch, mit dem ich communieireii kan, was ich linde, sollte einer,
der nicht andern Antrieb hat, leicht stumpf werden. E[\vj. Excfelleuz]
verzeihen mir diese Weitläufftigkeit und continuiren Dero gewogenheit
mich ferner zu versichern, der ich mit allem ersüiulicli gebührendein
respect verbleihe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin d. 21. Julii 1716.
39.
Frisch an Leibniz.
Monsieur. Auf Ew. Exeelljenz] letzteres habe ich alsobald dem
I). Mayer den Catalogum der verlangten Rücher geschickt. Für die
hölzern Kästen zu den Büchern habe ich nebst Nägeln und Zuschlagen
und anders 4 thaler gegeben, und dem Fuhrmann 1 thlr. und 8 gr. Hand-
geld. H[err] D. Wagner hat mir Zumbachs Jovilabium-' ) zugeschickt,
welches ich nächstens der Societät einhändigen will. Aus Petersburg
hat mir einer einiger Bücher Titel übergeschickt, welche daselbst gedruckt
worden, mit dem neuen Sehreib-charactere- ') mit welchem alle politica
jezt gedruckt werden. Der H[err] von (lolofkin, Moscowitischer envoye,
hat mir ein solches Buch geschenkt. Herr Lehmann- ') von Leipzig ist
hier gewesen; seine Winterblumen sind begreiflicher, als des H[errn]
Agricolac-") Wurzel-machen. Ich verbleibe etc.
.1. L. Frisch.
Berlin den 12. Aug[usti] 1716.
40.
Frisch au Leibniz.
Monsieur. Von H[errn] Mayern kan ich Ew. Excellenz noch
keinen mehrern Detail überschicken, weil ich noch keinen von ihm
bekommen. Wegen H[erru] Liebknechts-"7) werde alles verlangter inassen
bey nächster Versammlung des Physicalischen Departements bestellen.
Herr Zumbach hat mir sein Jovilabium zugeschickt, welches er der
Societät dedicirt.
In Sachsen ist ein Königlicher (Jeographus namens Zurner0*),
welcher bisher einige Chartas specialissimas in Holland stechen lassen,
welche einen grossen Vorzug vor den bisherigen haben. Er ist ein
Pfarrer in Sachsen und verlanget ein membrum von der Societät zu seyn.
Ich hab die Charten aus Holland von Peter Schenk-0*) bekommen, als:
das Amt Dresden, die Dioeces Grossenhain, den Creiss, worinnen das
Carlsbad, das Territorium um das Teplizer Bad. Er hat zugleich eine
Abschritft von den Privilegiis des Königs Augusti und anderer benachbarten
Fürsten überschickt, die ihm gegeben worden.
Juli. Leoni». Frisch'« lh ie! wech.stl mit <t. \V. Leibniz. 47
Des Czaren Schwester'-'") ist hier ans dem (iesundbronnen wider-
kuinmen und geht auf Riga, mit der Prinzessin Circasski, welche auf
Petersburg geht. Meine blaue Färb ist in Petersburg bekannt, und hoffe
icli, durch diese Gelegenheit eiue Quantität dahin zu bringen. Es schreibt
mir ein Armenier, dass er sich wundere, dass wir die Färb, so sie
Lasehwad nennen, so das bekannte Lasur ist, jezt in Teutschland so
fein hätten, und bittet um eine Nachricht, wie es mit den Minen, daraus
mau sie gräbt, beschaffen. Welches mich sehr conlirmirt, dass das
inventum gut, weil es diese Leute, welche solche gute Krkäntnüs von
dergleichen Farbe haben, Selbsten gut linden.
Tch habe das Vestibulum Comenii mit hülffe eines Küssen in das
Russische übersezt"1). Wir sind jezt in der Revision begriffen, und
weil es mit lateinischen charaeteren geschrieben, wird es desto eher
können in Teutschland gedruckt werden, weil die genera und andere
nöthige graminattiealisehe Dinge dazu gesezt, wird allen denen, die Teutsch,
Kussisch und Latein können, gute Dienste zum anfang thun. Ich
verbleibe etc.
.loh. Leonh. Frisch.
Berlin den G. Septfcinbris ] 1 T 1 * ».
41.
Frisch an Leibniz.
Mmisieur. Weil Herr D. Maier hier wegziehen will, hab ich ihn
getrieben wegen der MSS. und bei liegendes erhalten. M[onsieu]r La (Yozc
ist der Brief gleich überschickt worden.
Der Lapis Lazuli macht nicht sowohl wegen seiner unzulänglichen
Menge, als wegen der mühsamen Arbeit das Lazur oder Ultramarin so
theuer. Man hat mich in Livorno versichert, dass viel Persohnen nicht
1 Loth in einer Woche von dem besten herausbrächten In Paris sind
2 fabri(|uen, wo man dieses Outremer gemacht, abgegangen; wozu mein
Blau soll geholfen haben, weil auf einniahl 100 Pfd. dabin geschickt
worden.
Das Vestibulum Comenii, woran ich mit einigen Küssen arbeite,
haben wir bisher mit lateinischen Buchstaben geschrieben und wollen
es auch also trucken lassen, nebst einem kleinen Unterricht, wie man
etwan einige Buchstaben aussprechen soll, welche die Kussische Sprache
eigen hat.
Ihre Maj[estät] der König allhier haben nicht undeutlich zu ver-
stehen gegeben, dass sie eine kurtze Historie der Plautation der Maul-
beerbäume in Europa und sonderlich in Teutschland-1-) verlangten.
Weil nun Efw]. Excellenz hiezu mit gutem Kath und communication
am meisten helffen können, als bitte ich gehorsamst, weil mir diese
Arbeit aufgetragen worden, um etwas Nachricht, wegen des (Jhurfürsteu
48
Joli. Ta'oiiIi. Frist-Ii'* l'.rii'fwecliscl mit (i W. Lcilmix.
.loh[aun] Philipp von Mainz welcher diese Plantation angefangen, wann
und wie es geschehen, und sonderlich durch was es gehindert worden.
Vielleicht fällt E[w]. Exeell[enz] auch etwas bey, wo von des Herzogs
von Wirtemberg"*) angefangenen Plantation etwas zu finden: welcher
('hurfürst von der Pfalz*"") es angefangen, als woselbst ich die ab- und
aus^ebauenen Maulbeerbäume noch gesehen; und wer etwan von der
Österreichischen Societät etwas geschrieben, welche die Holländer wegen
der Seidenzucht unterhalten. Es rührt sich dieses Werk allhier mehr
als jeinahls und beginnen einigen die Augen wegen des Vortheils
aufzugehen.
Ihm GrossCzarische Majestät Prinzessin Schwester und Prinzessin
Tschirkaski ist hier gewesen in der rückreise und haben ihren Leute
befohlen, meine Sachen nach Petersburg möglichst befördern zu helffen;
wodurch ich eine quantität von meinem Blau nebst andern Dingen
dahin befördert. Ich bin auch mit einem schönen Stück von dem soge-
nannten Human von ihnen beschenkt worden, da ich durch den ToU-
metscher darnach fragte, welches eine Art von Schminkläpplein, als ein
Teller gross und von tartarischer Wolle ungespounen zusammen gemacht,
als meine seidene Schlafhauben, und mit Saflft von Sandelholz reichlich
tiugirt, welche ich ein wenig untersucht und das secret zimlich gefunden.
Sie sagten, es komme aus Kitiii, welches der Tollmetscher China nannte.
Ich verbleibe etc.
Job. Leonh. Frisch.
Berlin den 19. Septjembns] 1710.
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Anmerkungen.
Ann). 1. Der nicht datierte Brief steht in der Sammlung zu Hannover an
drittletzter Stelle unter den Schreiben ohne Datumangabe. Er ist wahr-
scheinlich in das Ende des Jahres 1706 zu setzen: der in dem Briefe
erwähnte Lichtscheid starb am 23. Februar 1707, und Leibniz war zu
der im Dezember 1706 stattfindenden Hochzeitsfeier des preussischen
Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der hannoverschen Prinzessin Sophie
Dorothea nach Berlin gekommen, wo er bis Mai 1707 verblieb. Die noch
im Jahre 1706 erfolgte Aufnahme Frischs in die Societät hatte aber bei
Abfassung des Briefes wohl noch nicht stattgefunden. (Vgl. die Anrede
im folgenden Brief.)
Anm. 2. Ferdinand Helffreich Lichtscheid, geb. 1661 in der Nähe von
Wien, Mathematiker, Musiker und Theologe, 1703 Probst und Pastor
der Petrikirchc zu Cölln a. d. Spree und 1705 nach Speners Tode Kgl.
preussischcr und kurbrandenburgischer Konsistorialrat ; Mitglied der
Societät der Wissenschaften, f am 23. Februar 1707 zu Berlin. Vgl.
Jöcher, Gelehrten-Lexikon II, 2422 f.
Anm. 3. Der im nächsten Briefe erwähnte Meister Otto. Nach Frisch im
deutsch-lateinischen Wörterbuch ist Arrasch eine Art wollenes Gewirk
oder Zeug, das aus Arras in Frankreich stammt; daher der Name
Raschmacher.
Anm. 4. Gleiche Anrede in den folgenden Briefen Frischs.
Anm. 5. Leibniz kehrte im Mai 1707 nach Hannover zurück.
Anm. 6. Die hier und in den folgenden Briefen erwähnten Schreiben Leibniz'
sind als verloren zu erachten, soweit sie nicht in dieser Sammlung mit-
geteilt werden.
Anm. 7. In der von Leibniz dem König Friedrich eingereichten Denkschrift
aus dem Jahre 1703, in welcher um ein perpetuum Privilegium zur
Ausübung des Seidenbaus für die Societät nachgesucht wird (Vgl.
Einleitung S. XV), bittet Leibniz „dass Königl. Majestät zu dieser vor-
habenden Verfassung hergeben die vorhandene Maulbeergärten zu
Keppenich, Postdam, Glüneke. Borne und wo sie sonst seyn mögen."
Vgl. Kopps Ausgabe der Werke Leibniz' I Bd. 10 S. 377.
Anm. H. Über Joh. Heinrich Otto, der seitens der Akademie bei dem Seiden-
bau beschäftigt wurde, schreibt Leibniz unter dem 17. Juni 1705 an
Fräulein von Pöllnitz, preiniere dame d honneur bei der verstorbenen
Königin Sophie Charlotte: „Oserois je vous supplier, Mademoiselle, de
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50
Anmerkungen.
faire venir chez vous le raanufacturier dontjc vous ay parl6? Ils'appelle
Meister Otto, es ist ein Kapsmacher (sie !). Lc libraire de la Societe des
sciences qui s'nppclle Pape et demeure au Mokenmarkt (sie!) pourra
indiquer oü demeure ce Meister Otto ou plutost il le cherchera, si vous
le luy faites ordonner et luy dire quand il vous doit aller trouver.«
(Leibniz' Werke herausg. v. Onno Klopp I Bd. 10 S. 286.) Vgl. Bode-
mann a. a. O. No. 702 und unten Brief 3, 5, 6, 9, 10, 31.
Anm. 9. Wohl Jon. Hcinr. Hoffmann, Astronom und Observator bei der Kgl.
Societät zu Berlin. Vgl. Jöeher a. a. O. II, 1659, Bodemann, Leibniz' Brief-
wechsel i. d. Bibliothek zu Hannover No. 41"» und unten Brief 4 und 38.
Anm. 10. Jezt Bomiin, Dorf nordwestlich von Potsdam. Vgl. oben Anm. 7
und Brief 5, 9, 11 und 12.
Anm. 11. Wriezcn.
Anm. 12. Der grosse Kurfürst hatte Berlin zu einer Festung nach altnieder-
lHndischem System umgestalten lassen. Der Wall sowie andere Teile
dieser Befestigung werden in den folgenden Briefen mehrfach erwähnt.
Vgl. F. Holtze, Geschichte der Befestigung von Berlin. (Schritten des
Vereins f. d. Geschichte Berlins. Heft 10) S. 41 ff.
Anm. 13. Edzard Bödiker, Archidiakonus zu Wriezcn a. O., Sohn des Sprach-
forschers und Rektors am Cöllnischen Gymnasium zu Berlin Joseph
Bödiker (1641 — 1695). S. Jördens, Lexikon deutscher Dichter und Prosa-
isten. Leipzig 1811. Bd. 6.
Anm. 14. Cuneau, „Secretair d'Estat de S. A. E. de Brandenbourg, Conseiller
de In Cour." Bodemann a. a. O. No. 185. Vgl. die Einleitung und
Brief 3, 4, 5, 8, 10, 17, 19, 21, 33, 35.
Anm. 15. Joh. Theodor Jablonski, Sekretair der Berliner SocietUt der Wissen-
schaften. S. Allg. D. B. XIII, 525 f. Bodemann a. a. O. No. 440 und
Brief 3, 5, 21, 25, 28, 31, 32, 33, 37.
Anm. 16. Das auch noch in den Briefen 5, 8, 10, 13 und 11 erwähnte Privilegium
wurde der Socictät unter dem 28. Mllrz 1707 erteilt; dasselbe wird in Ab-
schrift auf dem hiesigen Königlichen Geh. Staatsarchiv (Acta geueralia
betr. die Pflanzung der Maulbeer-Baume No. 55.) aufbewahrt und enthalt
unter Weglassung der einleitenden Bemerkungen, folgende Bestimmungen :
„Wir Friedrich von Gottes Gnaden König in Preussen .... haben in
Gnaden resolvirt, . . . Unser Soeietat der Wissenschaften ein Privilegium
privativum generale perpetuum darüber (d. i. über den Seidenbau) zu
ertheilen .... Thun demnach dasselbe als der König und Landesherr
Privilegiren undt Begnadigen aus Königl. souverainer Macht, Hoheit
und Gewalt Vohrerwehnte Unsere Soeietat der Wissensehaften in hiesigen
Residentz-Stüdten, hiermit undt in Knifft dieses Unseres offenen Briefes
dergestalt und also:
1) Dass Erstlieh Xicmandt als dieselbe so wol in unserm König-
reich Preussen als übrigen in undt ausserhalb dem Römischen Reiche
belegenen Provincien undt Landen Macht haben solle, solche Weisse
undt dergleichen Maul beer BHume oder Büsche, Hecken undt Heüne
davon auffzuzichen undt von den Blattern dieser sowohl alss anderer
BHume undt Gewachsse die Seyde zu erzielen.
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Anmerkungen.
51
2) Vorss andere soll der Societät freystehen, solch Ihr Privilegium
undt Recht vor sich oder durch andere zu exerciren, solches auch
gantz oder zum Thcil, beständig oder auch eine Zeit lang an andere
nach Gutbefinden zu überlassen, oder sonst auffs Beste zu ihren (!)
Nutzen anzuwenden, und sollen die so etwa von der Societät consum
haben möchten, dieses Privilegii ebenmässig nach allen seinen Clausein
sich zu erfreuen haben.
3) Eis soll auch drittens der Societät frey stehen, wan undt wo
sie es guth findet, andern (!) zuzulassen, dass sie in ihrem fundo der-
gleichen Bäume undt Gewächsso aufziehen mögen, doch unter solchen
Bedingungen undt solcher Recognition, darüber sie sich mit der Societät
vergleichen werden, undt ohne dass es von andern in Conseqventz
gezogen werden könne, Undt dafern einige einheimische Seyde mit
Bewilligung der Societät von andern gezielet würde, soll selbige an
Niemand alss an die Societät oder die Ihrigen, um den Verglichenen
Preis« überlassen werden, es sey den, dass auch diessfalss ein anders
von der Societät vergönnet worden.
4) In Unsern undt allen Herrschafftlichen Gärten undt andern
Locis publicis aber soll viertens der Societät oder denen die causam
von Ihr haben, der Gebrauch crwehnter Bäume Gewächs undt Blätter
allein verstattet werden, Wie Wir den Insonderheit die bey Köpenick,
Potsstam, Glünicke, oder anderswo sich ietzo undt künfftig befindende
Bäume undt darzu gehörige Plätze der Societät zu diesem Gebrauch
ohne Entgeldt in Gnaden vergönnen. Undt weiln zum Spinnen der
Seyden Würme bequeme Stellen undt Zimmer eine kurtze Zeit des
Jahres über erfordert werden, undt solche sich etwa an einigen Uns
oder dem Publico zustehenden Orten finden möchten, da sie hierzu ohne
einige Ungelegenheit, Hindern üss undt Abgang ander Nutzen undt
Geschaffte zu gebrauchen, soll es auch ohne Entgeldt verstattet werden.
5) Undt Weiln solche Bäume zugleich zur Zierde gereichen, und
eben sowohl als Linden auffwaohssen und Schatten geben: So soll
fünfftens die Societät macht haben, an bequemen orten an undt auff
Wällen undt Wercken, an Strassen, Dämmen oder wo es sonst anständig
dergleichen Bäume und Büsche auch gantze Gänge und Alleen zu
pflantzen und hernach zu nutzen. Undt sollen nicht allein bey Wällen
undt Wercken die Commendanten Unserer Vestungen solches vergönnen
undt Handhaben, sondern auch unsere Gärtner, Planteurs undt andere
zum Forst-Garten undt Pflantz-Werck gehörige Bedienten hiermit den
Zweck der Societät alss darbey das Publicum interessiret, nicht weniger
alss bey denen bloss zur Zierde gepflantzten Bäumen zu statten kommen,
auch wass zur Düngung dienet, so sonst nicht besser gebraucht wirdt,
Hierzu abgefolget, undt so viel sonst ohne Unser undt ander Nachtheil
undt Abgang geschehen kan, ihr gefüget werden.
ü) Da auch Sechstens zu Baum Schulen oder Sonst einige bequeme
Plätze verlanget werden sollten, deren anderwärts wohl zu entbehren,
wollen Wir solche Plätze gegen einen gewissen Erb-Zinss nach deren
bissherigen Ertrag der Societät anweisen lassen.
6*
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52
Anmerkungen.
7) Weil auch Siebentes von den gemeinen oder sehwartzen Maul-
beer Baumen auch einige Seyde zu haben, soll solches entweder wegen
gewisser Uhrsaehen, ausser bey der Soeietät gar unterbleiben, oder
doch nicht anders alss mit Einwilligung der SoeietHt und auff die mit
ihr verglichene Conditiones geschehen auff arth undt Weise, wie von
den Weissen Maulbeer Bäumen erwehnet worden.
8) Damit auch zum achten die Soeitaet ihr Privilegium desto besser
nutzen könne und in dessen Gebrauch desto weniger gehindert werde,
so Verordnen und Verwilligen Wir in Gnaden, dass nicht allein die
Erzielung sondern auch die Verarbeitung undt der Vertrieb der ein-
heimischen Seyde ihr allein zukommen undt in diesem von Uns dero-
selben verliehenen Privilegio begriffen, mithin ihr allein oder deu Ihrigen
zustehen Soll, allerhaudt Stoffen (!) undt ändert? Arbeith, wie Sie Nahmen
haben mag, auch mit Beyfligung frembder Seyde undt anderer Materien,
nachdeui es dienlieh, aus solcher einheimischen Seyde verfertigen
zu lassen.
9) Weiln auch Neuntens dieses Werck zum gemeinen Nutzen undt
unserm Dienst ohne alle Besehwerde abzielet, Undt also von Unss als
favorable angesehen wirdt: So wollen Wir dass Unsere Societät der
Wissenschafften bestens beschützet , undt da ja wogen des Verstandes
dieser Unser Concession ein Zweiffei fürfallen solte, solcher zur ent-
scheidung an Uns gebracht undt inzwischen nichts dargegen verhänget,
im übrigen auch der Societät zu ihrem Recht ohne Weitläuffigkeit ver-
holffen werde.
Wir undt unsere Nachkommen Könige in Preussen Marg- *
graffen undt Churfürsten zu Brandenburg wollen auch mehrgedachte
Unsere Societät der Wissenschaflten bey dem Inhalt dieses Unseres
Privilegii allergnädigst schützen, handhaben und erhalten; Gestalt
Wir den • auch allen und jeden Unseren Collegiis undt Regierungen,
Gouverneurs, Befehlichshabern, Drosten, Haupt- undt Ambtieuten, auch
Commendanten undt officierern; Insonderheit aber allen Vorgesetzten
Personen, Beamten undt Bedienten bey Unsern Domainen Forsten
Häusern undt Gärten nicht weniger auch allen Magistraten undt Policey
Meistern, Planteurs und allen Unsern anderen Hohen undt Niedrigen
Bedienten, wie die Nahmen haben mögen, so woll, als allen unsern
Unterthanen, wes Standes die seyn, in Unserm Königreich Provincien
undt Landen, hiermit allergnädigst undt zugleich ernstlich anbefehlen
solches an Unserer statt gleichfalls zu thun, undt Unsere Societät der
Wissenschafften oder die Ihrigen in dem Exercitio dieses Unsere Privi-
legii nicht zu turbiren, vielmehr dabey respeetive zu handhaben, zu
dessen effect nach der Sachen Beschaffenheit und eines jeden Ambt
behülfflich zu seyn, die Intractiones so viel an ihnen zu verhindern undt
nichts dargegen zu verstatten, weniger selbst zu thun, bey Vermeidung
Unsern schweren Ungnade undt unausbleiblicher Straffe des Verbrechens,
wovon die Geldstraffen halb unsern (!) flsco und halb der Societät
zufallen sollen. Wir reserviren Unss aber Hierbey ausdrücklich dieses
Privilegium allemahl nach Erforderung undt Beschaffenheit der Sachen
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Anmerkungen.
undt Zeiten und zu besserer Erreichung Unsers Zwecks zu fassen undt
einzurichten, auch wollen Wir Was den Neunten Punct anlanget in
zweifFelhafften Dingen Selbsten der Ausleger dieses Privilegii seyn, undt
die Imposten an Zoll, Accise undt dergleichen nach Unsern Gefallen,
doch Wie es der favor einer einheimischen Waare erfordert undt Unser
Interesse leiden oder Verstatten mag, reguliren; Getreulich ohne Gefährde.
Jedoch Uns an Unsern, auch sonst jedermänniglichen an seinen Rechten
ohne Schaden. Uhrkundlich Unter Unser eigenbändigen Unterschrifft
undt anhangenden Lehn Siegel. Gegeben zu Cölln an der Spree den
Acht und zwantzigsten Martii nach Christi Unsers lieben Herren und
Seeligmachers Geburth. Im Eintausendt Siebenhundert und Siebenden
Jahre.
Friedrich."
Anm. 17. Koppisch und Müller, Seidenhändler in Berlin. Vgl. Acta Borussica.
Seidenbau I 6, 9.
Anm. 18. Von Leibniz auf die leere Rückseite des vorhergehenden Briefes
2 geschrieben.
Anm. 19. Die heutige Berlin-Charlottenburger Chaussee. Schon in der Denk-
schrift vom Jahre 1703 (Leibniz ed. Kopp I 10 S. 377) hatte Leibniz
vorgeschlagen, von Berlin nach Schönhausen, Friedrichsfeldc und
„anderen königlichen nahegelegenen Häusern" Maulbeerbaumalleen
anzulegen.
Anm. 20. Vgl. oben Anm. 9.
Anm. 21. Der gedeckte Weg ist bei gemauerten Befestigungen ein vor der
Kontereskarpe (äusseren Graben böschung) befindlicher und vor unmittel-
barem feindlichen Feuer geschützter Raum, der dadurch gebildet ist,
dass die Anschüttung des Glacis sich nicht unmittelbar an die Konteres-
karpe anschliesst, sondern in ihrer ganzen Länge 5 — 10 ra von der
letzteren entfernt bleibt. Siehe auch Holtze, Geschichte der Befestigung
von Berlin S. 67 und unten Brief 6, 16 und 17.
Anm. 22. Alexander Hermann Reichsgraf von Wartensleben, Feldmarsehall
und Wirklicher Geheimer Kriegsrat, Gouverneur der königlichen
Residenzien in Berlin. Mehrfach unten erwähnt: Brief 6, 8, 9, 10 und 27.
Anm. 23. Unter diesen Brief ist von Leibniz Hand geschrieben: „habe be-
gehret nachricht wegen Mr. Ottcn, und sonst nachzustreben wegen des
gangs nach Charlottenburg umb Bäume hinzusezen."
Anm. 24. Vgl. oben Anm. 16.
Anm. 25. Joh. Theodor Jablonski. S. oben Anm. 15.
Anm. 26. Maturin Veyssierc La Croze, Kgl. Bibliothekar in Berlin, bekannter
Orientalist. Vgl. Jöeher I 2218, Bodemann a. a. O. No. 517 und besonders
Formey, Eloges des Academieiens de Berlin. (Berlin 1757) II, 63—7').
wo auch die gedruekten und ungedruckten Werke dieses Mannes auf-
gezählt werden. Siehe auch unten Brief 9. 17, 21, 29, 33, 36, 41.
Anm. 27. Sebastian Gottfried Starke, 1698 Konrektor am Berl. Gymnasium
zum grauen Kloster, 1705 Professor der orientalischen Sprachen zu
Greifswald, musste von der ihm 1708 übertragenen Leitung der Ritter-
akademie zu Brandenburg wegen Krankheit zurücktreten und starb 1710
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54
Anmerkungen.
zu Berlin. Vgl. Dietrich, Berlinische Kloster- und Schul -Historie (Berlin
1732) S. 293 und Brief 10, 17 und 21.
Anm. 28. Jon. Casimir Kolb Graf von Wartenberg, seit 1688 in kurbranden-
burgischen Diensten, 1699 vom Kaiser zum Grafen ernannt, erster
Minister, Oberkämmerer u. s. w., fiel 1711 in Ungnade, starb 1712.
Vgl. Bodemann a. a. O. No. 978 und Brief 7 und 10.
Anm. 29. Auch unten Brief 13 erwähnt.
Anm. 30. Kurfürst Joachim I. hatte den westlichen Theil der Terapelhofer
Berge, — vom heutigen Dreifaltigkeitskirchhof ab — zu Weinbergen um-
gestalten lassen, und er sowohl wie sein Nachfolger liessen hier durch
eigene Weinmeister den Weinbau pflegen. Im dreissigjährigen Kriege
wurden die Weinberge vernichtet, und wenn sie auch der grosse Kurfürst
wieder zu kultivieren versuchte, so wurde ihnen unter Friedrich I nur
wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so das« Friedrich Wilhelm I unter
dem 22. Januar 1718 den Befehl erteilte, sie zu verkaufen. Vgl. E. Brecht,
Die Tempelhofer Berge bei Berlin. Der Bür I, 50 und 54. Siehe auch
Brief 6, 10, 11, 13 und 15.
Anm. 31. Wird auch in Brief 8 (Anm. 43) erwähnt.
Anm. 32. Nordöstlich von Potsdam an der Berliner Chaussee gelegen. Da-
selbst stehen noch jetzt viele Maulbeerbäume, die aber wohl aus der
Zeit des Pädagogen von Türk stammen.
Anm. 33. Graf von Wartensleben. Siehe Anm. 22.
Anm. 34. Vgl. Anm. 21.
Anm. 35. Aussenwerk einer Festung, vor der Courtine zwischen 2 Bastionen
liegend. Vgl. oben Anm. 12.
Anm. 36. Vgl. oben Anm. 19.
Anm. 37. Über die Persönlichkeit dieses Alchymisten hat sich nicht* ermitteln
lassen; auch verzeichnen ihn die Berliner Adressbücher jener Zeit nicht.
Seiner wird noch in Brief 8, 9, 10, 14 und 18 Erwähnung gethan.
Anm. 38. Das s. g. Berliner Blau. Nach G. E. Stahl (Experimenta, Obser-
vationen animadversiones CCC numero chymicae et physicae. Berolini
1731. 8° S. 280 ft'j hat der Alchymist, Arzt und Theologe Johann Konrad
Dippel (1672—1734), der Entdecker des ätherischen Tieröls, zufällig
das Berliner Blau erfunden. Der Färber Dicsbach bereitete Florentiner
Lack durch Niederschlug eines Absuds von Cochenille mit Alaun und
etwas Eisenvitriol durch fixes Alkali. Er bat nun einmal Dippel, ihm
von dem Kali etwas zu Uberlassen, über welches jener das tierische
Öl destillirt hatte. Dies geschah; statt des erwarteten roten erhielt
Diesbach aber ein tiefblaues Pulver. Dippel, dem hiervon Mitteilung
gemacht wurde, erkannte, dass die blaue Farbe durch die Einwirkung
des gebrauchten Alkalis auf den Eisenvitriol entstanden sei. Die
Äusserung Frischs in Brief 29: „Ich lasse gern allen den Ruhm der
Erfindung, aber es hat sie sonst keiner als ich" scheint gegen diese
Überlieferung zu sprechen, in Brief 9 aber nimmt er die Urheberschaft
nicht in Anspruch, wenn er sagt: „Ich habe sie (die blaue Farbe) jetzt
zu grösserer Höhe getrieben, als der lnventor sie jemahls gemacht."
Vermutlich fällt Dippels Erfindung kurz vor seine Flucht aus Berlin
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55
im Jahre 1707 (vgl. Allg. D. B. V 219), so dass er die Entdeckung nicht
ausnützen und an seine Stelle Frisch treten konnte. Nachrichten über
das Berliner Blau Hnden sich noch Brief 14, 15, 16, 17, 24, 25, 26, 27,
29, 40 und 41. Über Piesbach vgl. Brief 15, 16, 18, 29 und 37.
An in. 39. Scheidewasser.
An in. 40. Christian Max Spener, Sohn des berühmten Pietisten, Professor
für Heraldik, Genealogie und Physik an der von König Friedrich I.
errichteten Ritterakademie, Ober-Herolds-Rath und Hofmcdicus in Berlin.
Vgl. Bodemann u. a. O. No. 880, Jöchcr IV 722 f, Ledebur, Friedrich I
S. 86 und 373 und Brief 27 und 38.
Anni. 41. Autographon Leibniz', veranlasst durch die im vorhergehenden
Brief gegebene Anregung.
An m. 42. Ohne Adresse und Datum von Leibniz' Hand auf demselben Blatt
mit dem vorhergehenden Brief.
An in. 43. Vgl. oben Ann». 31.
Anm. 44. Vgl. oben Anra. 16.
Anm. 45. Generalfeldmarschall Graf von Wartensleben. Vgl. Anm. 22.
Anm. 46. ? Jon. Urb. Müller, 1707 Kämmerer in Wolfenbüttel. Vgl. Bode-
maun a. a. O. No. 668 und Brief 9, 11, 14 und 17.
Anm. 47. Über Leibniz' Bemühungen um die Errichtung , einer guten Anstalt
gegen Feuerschäden" vgl. die Einleitung S. LX und XII. Am 15. Oktober
1705 wurde — besonders auf Betreiben des Grafen von Wittgenstein — ein
Generalfenerkasbenreglement erlassen, nach welchem jeder Hausbesitzer
genötigt war, sein Hau« zu einer bestimmten Summe bei dem General-
Land- und Stadtfeuerkassen-Collegio in Berlin anzugeben. Vgl. Stcnzel,
Geschichte des preussisehen Staates III 190, Mylius, Corpus const. March.
V. 1. Cap. 2 No. 9 Sp. 173 f. Durch Rescript vom 17. Januar 1711
wurden die obligatorischen Feuerkassen wieder aufgehoben. Mylius 1. c.
No. 25 Sp. 237.
Anm. 48. General-Feldmarsehall Graf von Wartensleben. Vgl. oben Anm. 22.
Anm. 49. Christoph Heinrich Ölven, Rittmeister in preussischen Diensten,
musste wegen Lähmung der Beine den Abschied nehmen, war in Berlin
literarisch thätig und gab die erste Berliner populäre Zeitschritt in
deutscher Sprache unter dem Titel heraus : Monatliche curieuse Natur-,
Kunst-, Staats- und Sitten-Praesenten. Zum Nutzen und Ergötzen.
Berlin gedruckt und zu (Inden bey Joh. Lorentz in der Nagelgasse.
1708 und 1709. Von dem zweiten Jahrgang (1709) erschienen nur
6 Stücke. Sein literarischer Zwist mit La Crozc war in dem prinzipiellen
Gegensatz der Denkweise beider Miinner begründet, hatte aber folgende
Veranlassung. Am 23. November 1707 war dem kronprinzlichen Paare
ein Sohn geboren, der den Namen Friedrich Ludwig und den Titel
eines Prinzen von Oranien erhielt, jedoch am 13. Mai 1708 schon wieder
starb. Ölven hatte aus den Worten Fridericus Ludovicus Princeps
Arausionensis das „Anagramma purum fatidicum et metricum" gebildet:
Fili, Caesar eris Dux purpureusque Sionis Vincendo, das aber von La
Crozc „nur als ein Anagramm " bezeichnet war. Darauf erfolgte der
von Frisch erwähnte Angriff Ölvens auf La Crozc in dem Märzheft der
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Anmerkungen.
PrJisenten. Ölvens litterarische und wissenschaftliche Bedeutung war
nicht so hervorragend, dass seine frühe Vergessenheit ungerechtfertigt
wäre. Kulturhistorisch ist aber die Persönlichkeit so interessant, dass
ich mir vorbehalte, an anderer Stelle unter Benutzung bisher nicht ver-
öffentlichten Materials auf dieselbe näher einzugehen und hier nur noch
die ziemlich versteckte Litteratur über ihn verzeichne: Oelrichs, Beiträge
zur Brandenburgischen Geschichte. Berlin 1761 S. 289 ff. W. Giesebrecht,
Die Weissagung von Lehnin und Christoph Heinrich Oelven. Allgem.
Zeitschrift für Geschichte herausgeg. von W. Adolf Schmidt VI, 448 ff.
G. Hiltl, Ein Berliner Literat aus dein 17. und 18. Jahrhundert. Der
Bär II, 185 ff. Vgl. auch Brief 10 und 23.
Anm. 50. Felmy. Vgl. Anm. 37.
Anm. 51. Scheidewasser. Über diese chemischen Dinge hat mir freundlichst
Herr Dr. Stavenhagen, Privatdozent an der Kgl. technischen Hochschule
in Charlottenburg, Auskunft erteilt.
Anm. 52. Königswasser.
Anm. 53. Gemeint ist Brief 7.
Anm. 54. Der in Anm. 49 erwähnte Sohn des Kronprinzen Friedrich Ludwig.
Friedrich I begab sich bald nach dem im Mai erfolgten Tode seines
Enkels zur Herstellung seiner angegriffenen Gesundheit auf Anraten
der Ärzte nach Karlsbad. Vgl. König, Versuch einer histor. Schilderung
Berlins III, 192.
Anm. 55. Alphonsc de Vignolcs, französischer Emigrant, wurde 1689 Prediger
zu Brandenburg, 1701 Mitglied der Berliner Akademie, zog 1703 nach
Berlin, f 1741. Vgl. Bodemann a. a. O. No. 956, Jöcher IV, 1602 ff.
Anm. 56. Äussere Grabenböschung einer Befestigung. S. auch Brief 18
und 19.
Anm. 57. Vgl. Stenzel, Geschichte des preussischen Staates III, 191 und
Brief 11 am Ende.
Anm. 58. Frischs Urteil über Paul Jaköb Marperger, geb. 1656, wird von
der Geschichte nicht bestätigt; Marperger gilt vielmehr als „einer der
ersten deutschen Schriftsteller, welche der Wissenschaft der politischen
Ökonomie den Weg gebahnt haben." Er starb 1730 zu Dresden als
polnischer und kursächsischer Kommerzienrat. Siehe Allg. D. B. XX,
105 und Geiger, Berlin 1688—1840. I, 131 ff, wo eine kurze Inhalts-
angabe von Marpergers 171<> zu Berlin veröffentlichten „geographischen,
historischen und mercatorischen Beschreibung aller derjenigen Länder,
welche dem k. preussischen und chur-brandenburgischen Scepter in
Deutschland unterworffen- mitgeteilt wird Von Interesse ist auch seine
auf der Königl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrte: „Anleitung zum
rechten Verstand und nutzbarer Lesung ordentlicher und ausserordent-
licher Zeitungen oder Avisen wie auch der sogenannten Journale." Vgl.
auch Brief 23.
Anm. 59. Tiegel.
Anm. 60. Silber.
Anm. 61. Behandlung mit Salpetersäure.
Anm. 62. Salpetersäure.
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Anmerkungen.
57
Anm 63. Mars = Eisen.
Anm. 64. Venus = Kupfer.
Anm. 65. Kohlensaures Kalium.
Anm. 66. Aufgeschlossen.
Anm. 67. Frisch wurde 1708 Konrektor, nachdem der bisherige Konrektor
Christoph Friedrich Bodenburg an Stelle des verstorbenen Rodigast zum
Rektor ernannt worden war.
Anm. 68. Wahrscheinlich auf der Reise von Hannover nach Karlsbad.
An in. 69. Ein Abenteurer, der sich Dominico Caetano de Ruggiero nannte
und im Besitze der Kunst des Goldmachens zu sein vorgab, wurde von
König Friedrich I zuerst mit hohen Ehren bedacht, dann aber, als sich
sein Vorgeben als betrügerisch erwies, auf" des Königs Befehl zu Kttstrin
gehenkt. Vgl. König, Versuch einer historischen Schilderung der Resi-
denzstadt Berlin III, 162—166 und [König], Historische Nachricht von
dem betrügerischen Ende des angeblichen Grafen Don Dominiko Emanuel
Caetano Conte de Ruggiero, eines falschen Goldmachers, welcher den
29. August 1709 zu Cüstrin gehilnget worden. Aus den peinlichen
Untersuchungsakten gezogen. Berlin und Frankfurt a. d. Oder bei
Johann Andreas Kunze. 1790. (Königl. Bibliothek zu Berlin. S. 10958.8°).
Siehe auch Brief 14 und 15.
Anm. 70. Verwandlung des Quecksilbers in Silber.
Anm. 71. Siehe Einleitung S. XXIV.
Anm. 72. Gemeint ist das Deutsch -lateinische Wörterbuch, welches 1711
erschien. Vgl. Einleitung S. XXV. *
Anm 73. Thomas Benson, Vocabularium Auglo-Saxonicum , Lexico GuiL
Somneri longe auetius. Oxonii 1701. Der Titel von Somners Werk
lautet: Dictionarium Saxonico-Lat.-Auglicuin voces phrasesque praeeipuas
Anglo-Saxonicas complcctens. Oxonii 1659.
Anm. 74. Ende Februar 1709 war Leibniz, nachdem er sich zu Anfang des-
selben Jahres auf der Rückreise von Wien einige Wochen in Berlin
aufgehalten hatte, in Hannover wieder angekommen.
Anm. 75. Friedrich Hoffmann, (1660 -1742), 1693 Professor der Medizin in
Halle, 1709 Leibarzt des Königs von Preussen in Berlin, kehrt 1712 in
Folge von Hofintriguen nach Halle zurück. Vgl. Allg. D. B. XII, 584 ff,
Bodemann a. a. O. No. 413 und Brief 15 und 24.
Anm. 76. Wahrscheinlich Vincenzo Anania. Vgl. Schindler und Hintze, Die
preussische Seidenindustrie im 18. Jahrhundert. Bd. 1 No. 14.
Anm. 77. Geheimer Kammerrat und Kriegsrat Christian Friedrich von Kraut
Vgl. König, Berlin III, 19, 141 u. ö.; auch Brief 24.
Anm. 78. Der Winter von 1708 auf 1709 war ausserordentlich hart. König,
Berlin III S. 201.
Anm. 79. Sonst nicht weiter bekannt.
Anm 80. Friedrich IV von Dänemark und August II von Sachsen kamen
1709 nach Berlin, um den König von Preussen für ein Bündniss gegen
Karl XII zu gewinnen. Vgl. Ledebur, Friedrich I S. 435. Stenzel,
Geschichte des preussischen Staates S Hin. König, Berlin HI, S. 202 f.
Anm. 81. Vgl. Einleitung S. VU und Brief 23 und 28.
58 Anmerkungen.
An in. 82. Bauschreiber Hehse. Vgl. oben Brief 6.
Anm. 83. Der Lustgarten, welcher damals die ganze Museumsinsel bedeckte
und von Friedrich Wilhelm I aufgelöst und in einen Exerzierplatz um-
gewandelt wurde. Vgl. P. Seidel, Der Lustgarten am Schlosse in Berlin
bis zu seiner Auflösung im Jahre 1715. Forschungen zur brandenb -
preussischen Geschichte III, «9 — 121.
Anm. 84. Oberhofmarschall Reichsgraf August von Sayn und Wittgenstein,
Generaldirektor der Domänen, Direktor des Salz- und Münzwesens, Ober-
berghauptmann ete. Siehe auch Brief 23.
Anm. 85. Über die Lebensumstände dieses Mannes hat sich nichts ermitteln
lassen; er wird noch mehrfach erwähnt: Brief 14, 18, 19, 20 und 26.
Anm. 86. Sonst nicht bekannt, wird noch Brief 16 erwähnt.
Anm. 87. Vgl. oben Anm. 75.
Anm 88. Erster Direktor und Dekan der Akademie der Künste. Vgl. Ledebur,
Friedrich I von Preussen S. 10».
Anm. 89. In der Sprache der Alchymisten die Flüssigkeit, in der das wunder-
kräftige Pulver gelöst ist.
Anm. 90. Eisenchloridlösung.
Anm. 91. Kupferchloridlösung.
Anm. 92. Spiritus salis Amoniaci = Ammoniak.
Anm. 93. D. h. alle überschüssigen Säuren entfernen könnte.
Anm. 94. Das Glossarium gothieum des Junius war damals bereits gedruckt,
allerdings nicht in England; vgl. unten Anm. 102. Sein Glossarium V
linguanrm septentrionalium hatte Junius als Manuskript der Oxforder
Bibliothek vermacht; der Bischoff Fell Hess eine Abschrift davon nehmen,
die auf Kosten der Oxforder Universität gedruckt werden sollte. Vgl.
Francisci Junii F. F. De Pietura veterum libri III (Kotterdami 1694.
fol.) Bogen ff 3. Macray, Annais of the Bodleian library. (Oxford 1890)
p. 154. Aus welchen Gründen der Druck unterblieb, ist mir unbekannt.
Coxe verzeichnet in seinem Cntalogus eodieum MSS., qui in collegiis
annalibusque Oxoniensibus hodie asservantur (Oxford 1852) das Manuskript
nicht mehr
Anm. 95. Antiquae literattirao septentrionalis libri duo, quorum primus
Georg. Hickesii linguarum veterum septentrionalium thesaurum et
A. Fountaini numismata Saxoniea. alter Humphredi Wanleii librorum,
qui in Angliae bibliothecis extant, catalogum eontinet Oxonii 1705.
fol. tom. 1 & 2. (Kgl. Bibliothek zu Berlin Z 7778 fol.)
Anm. 96. Stephani Skinneri Etymologieon lingnae anglicanae ex Unguis
XXII .... online alphabetieo digestum. London 1671. fol. ÜberBenson
s o. Anm. 73.
Anm 97. Vgl. Anm. loO und Brief 16. Ich vermute, dass folgende auf der
Königl. Bibliothek zu Berlin aufbewahrte (B I) 21 83. 8n) und nach An-
gabe des Katalogs um diese Zeit erschienene Ausgabe von Frisch
Stammt: 'A'/xtitcv j«Z &ixx.e'n:> s-£iJ> &x?i>.ixr, Ktf>x>.xi*t T«(«iurM«> ti(\
t«v **$iixa*T0i r»u K«A«t/ «^trrot *(ec. rtt x-jtcx^ ai «gjt lov<rTtnxier. AgapCtl
Scheda Regia de ofticis boni Principis ad Iniperatorem Iustianianum
Coloniae Braudenburgicae. s. a. 8*.
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Anmerkungen.
59
Anra. 98. Technischer Ausdruck der Befestigungskunst: kleiner niedriger
Vorwall.
Anm. 99. Vgl. Brief 17 Anm. 105.
Anm. 100. Es ist nicht anwahrscheinlich, dass Leibniz' Vorschlag über das
Bücher-Kommissariat zu Gunsten der Societüt (vgl. Einleitung S. XI tt.)
in König Friedrich I den Gedanken an die Einführung übereinstimmender
Lehrbücher in die Gymnasien der Mark geweckt hat Auf seine An-
ordnung nHmlich wurden von den Rektoren und Konrektoren des
Berlinischen, Joachimsthalsehcn, Köllnischen und Friedrich Werderschen
Gymnasiums für die märkischen Gymnasien Lehrbücher und Autoren-
ausgaben bearbeitet. Unter hauptsächlichster Beteiligung von Joh.
Friedr. Bodenburg, Frisch und Dieterich vom grauen Kloster, dem Kon-
rektor Dornmeier vom Friedrich - Werdersehen Gymnasium und dem
Konrektor Kubin vom Köllnischen Gymnasien erschienen innerhalb
mehrerer Jahre die m.'irkisehen Grammatiken der griechischen, lateinischen
und hebriiisehen Sprache nebst kurz gefassten Kompendien, die märkische
Rhetorik, eine Auswahl der Briefe des Cicero und des Plinius und die
Ausgaben des Agapct, Theophrast und Päanius. Diese Bücher wurden
in alle Berliner Gymnasien eingefühlt und blieben bis in die letzte
Hälfte des 18. Jahrhunderts im Gebrauch. Trotzdem sind sie selten
geworden und ich verzeichne ihre Titel, soweit ich sie habe ennitteln
können: Vollständige Griechische Grammatik nach der Lehrordnung
der Lateinischen Märkischen Grammatik eingerichtet. Berlin 1730.
(Kgl. Bibl. zu Berlin Vc 1000. 8°). Vollständige Lateinische Grammatica
Marchica. Berlin 1718. (Kgl. Bibl. W 1728. 8°) Compendium gram-
maticae Latinae oder kurzer Auszug aus der grösseren lateinischen
Grammatica Marchica. Berlin 171« (Kgl Bibl W 17l>-1. *°). Fundamente
Linguae Hebraeae. Regio Jussu In Usum luventutis praesertim
Marchicae, Coninncto nonnullorum studio adornata. Cum Privilegio.
Berolini, Apud Christoph Gottlieb Nicolai. Anno 1722. (Kgl Bibl. zu
Berlin!. Rhetorica Latina Praeceptis exemplist|ue suflicientibus clo-
quentiam non adfectatam docens. Regio Jussu In vsum itiuentutis
praesertim Marchicae, Coniuneto nonnullorum studio adornata. Cum
Privilegio. Berolini, In Oflieiua Joh. Christoph. Papenii. Reg. & Soeiet.
Scientiar. Bibliopolae 1714. (Kgl. Bibl. zu Berlin.) - M. Tullii Ciceronis
Epistolarum In Usum Ineipicntis et Prolicientis luventutis Marchicae
Seleetaruni Lil)ri Duo, Cmibus Similis Plinianarum Selectus Subiunctus
Est. Cum Privilegio. Berolini, In Ofticina Joh. Christoph. Papenii,
Regii et Socictatis Scientiarum Bibliopolae, 1711. Die Auswahl der Briefe
des Plinius, welche angebunden und besonders paginiert ist, hat einen
besonderen Titel: C. Plinii Caecilii Sccundi Epistolarum In Usum Inei-
pientis Et Prolicientis luventutis Marchicae Seleetaruni Libri Duo. Cum
Privilegio. Berolini. In Ofncina Joh. Christophori Papen, Regii et Socie-
tatis Scientiarum Bibliopolae. 1711. (Kgl. Bibliothek zu Berlin.) Die
Ausgabe des Agapet ist in Anm. 7!» genannt, die Ausgabe von des
Paianios griechieher Übersetzung der Historia Roinana des Eutropius
habe ich nicht ermitteln können. Der Titel der Theophrast-Ausgabe
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Anmerkungen.
lautet: eio<pc«Vr«t/ <*.9-<*^ x«(««r*(f< Scu Thcophrasti Notationes Morum.
Berolini, Officina Joh. Christoph. Papenii, Regii & Societ. Scientiar.
Bibliopolae. 1712. 8°. (Kgl. Bibliothek zu Berlin BD 21S3.) Vgl. auch
Diterieh, Berlinische Kloster- und Schulhistorie S. 240 f und Heidemann
Geschichte des Berlinischen Gymnasiums zum grauen Kloster S. 193.
Siehe auch Brief 21 und 22.
Anm. 101. Joachim Lange, Schüler A. H Frankes, 1698— 1709 Direktor des
Friedrich. Werderschen Gymnasiums, geht 1709 als ordentlicher Professor
der Theologie nach Halle, wo er 1744 stirbt Vgl. Müller, Geschichte
des Friedrich -Werderschen Gymnasiums (Berlin 1881) S. 18 f.
Anm. 102. Quatuor D. N. Jesu Christi Evangeliorum Versiones perantiquae
duae, Gothica scilicet et Anglo Saxonica : Quarum illam ex celeberrimo
Codice Argenteo nunc primura depromsit Fr Junius. Hanc autem ex
Codicibus Mss. collatis* emendatius rccudi curavit Th. Mareschallus.
Accessit et Glossarium Gothicum opera cjusdem Fr. Junii. Dordrechti
typis et 8umtibus Junianis 1655. 4. — D. N. Jesu Christi SS. Evangelia
ab Ulfila ex Graeco Gothice translata, nunc cum parallelis versionibus
Sveo-Gothica, Xorraena seu Islandica ot vulgata Latina edita (per Ge.
Stiernhielni) Stoekhohniae 1671 (2. Tie.) Glossarium Ulphila-Gothicum,
Unguis aliquot affinibus per Fr. Junium, nunc etiam Sveo-Gothica etc.
locupletatum et illustratum per G. Stiernhielm. Holmiae 1671. 4.
Anm. 103. Francisci Junii Observationes in Willerami paraphrasin cantici
canticorunu Amstelod. 1655. 12.
Anm. 104. Frisch hat sein Glossarium Marchicum als besonderes Werk nicht
veröffentlicht, seine Sammlung aber für sein Deutsch-Lateinisches Wörter-
buch verwendet. Vgl. Einleitung S. XXVII und unten Anm. 110.
Anm 105. Abgedruckt in den Miscellanea Berolinensia ex scriptis socictat.
regiae exhibitis edita. Berolini 1710 Tom. I 377 ff.; es enthält eine
AufzHhlung der Vorzüge des Berliner Blau.
Anm. 106 Macray, Annais of the Bodleian library (Oxford 1890) erwähnt
ein solches Ereignis, welches die Bibliothcca Bodleiana in dieser Zeit
betroffen hätte, nicht.
Anm. 107. Xach Formey, Eloges des Academiciens de Berlin II, 63 ff. ist
das Werk nicht gedruckt.
Anm. 108. Otto Menckc, Lic. theol., Professor der Moral zu Leipzig, erster
Redakteur der Acta eruditorum. Vgl. Allg. D. B. XXI, 312 f. Bodemann
a. a. O. No. 636.
Anm. 108a. Vgl. unten Anm. 199.
Anm. 109. In den Jahrgängen 1710 -1720 der Acta eruditorum sind die
hier verzeichneten Bücher nicht besprochen. Nur von der neuen, 1719
erschienenen Auflage des Sturmschen Werkes: „Gründliche Anleitung
zu der Kriegs-Bau-Kunst etc i. e. Architectura Militaris Hypothetico-
Eclectica" enthält der Jahrgang 1720 S. 138—140 eine Anzeige.
An in. 110. Um die Sammlung specitisch märkischer Worte und Ausdrücke
hat sich Frisch jahrelang gemüht. Nachdem er 1731 zum Direktor
der historisch-philologischen- deutschen Klasse der Soeietät der Wissen-
schaften gewählt war, erschien 1734, ohne Zweifel auf seine Veranlassung,
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Anm orIcun|j£On.
61
der schon in der Einleitung S. XXVI erwähnte „Erste Auszug von einigen
die tcutschc Sprach betreffenden Stücken". In der Widmung an den
Minister Adam Otto von Viereck wird hervorgehoben, dass die „zu
solcher Sprach und Historie verordnete Abtheilung die Anmerkungen,
welche in ihren ordentlichen Zusammenkünften ihr Ubergeben worden,
nach und nach gesammelt und von dem, was dazu dienlich befunden
worden, einen Auszug in den Druck zu geben angefangen" habe Wenn
es auch an sich wahrscheinlich ist, dass die meisten dieser Artikel von
Frisch stammen, so lässt sich dies doeh nur von dem zweiten Aufsatz
mit einiger Sicherheit behaupten, weil zwei der in demselben aufge-
führten Beispiele sich unter den vocabula Marchica dieses Briefes finden.
Da die in diesem Aufsatz gegebene Anleitung zur Anlegung eines
Glossars an sich und wegen der als Beispiel aufgeführten märkischen
Idiotismen von Bedeutung, die Schrift aber selten ist, so wird der
Wiederabdruck des Aufsatzes an dieser Stelle nicht ungerechtfertigt
erscheinen.
„Entwurf was für Wörter in jeder Provintz und Gegend von
Teutschland, sonderlieh in der Mark Brandenburg zusammen sind. Zur
Beförderung des so nöthigen Allgemeinen Teutschen Wörter-Buchs,
sonderlich was die Wörter sind, die nur von einigen und nicht von
allen, an allen Örtern gebraucht werden. Die Eigenschafften solcher
Wörter sind 1) dass sie nicht in allgemeinem Gebrauch bey allen
Teutschen, sondern nur in Einem Land oder in Einer Gegend desselben
allein gebrauchlich sind, bey den Nachbarn aber wenig oder gar nicht
gehört werden. 2) Dass solche Wörter, ob sie gleich bey andern ge-
bräuchlich sind, doch bey den sammelnden solcher Lands- Wörter einen
andern Verstand haben. Als Gründling heisst in Berlin und an vielen
Orten der Fisch, den andere Teutsche L.'lnder Kress oder Kressling
nennen, hingegen heissen bey andern Grundein, was anderswo
Schmerlen sind
In beiden Fällen muss man hinzusetzen
1) Was solcher Wörter eigentliche Bedeutung sey.
2) Wo, wann oder von wem und wie sie gebraucht werden, das ist
mit allen nöthigen Umständen und gebräuchlichen Kedensarten.
3) Sollten sie aber gedruckt zu finden seyn, muss man dazusetzen, wo
es geschehen, als: Siehe Brandenburgische Schäfer-Ordnung oder
Fischer-Ordnung von Anno cap. §. — und dergleichen.
4) Wann sie aber in alten oder neuen Briefscbafften oder Schrifften,
sonderlich in Amts-Protocollen, Inventarien, Contracten oder Bestel-
lungen etc. gefunden werden, könte nur das Jahr dazugesetzt werden
und der Ort.
Es kommen solche Wörter vor
In politischen Sachen.
1) In Gerichts-Händeln, Lands-Gewohnheiten, Verordnungen etc
2) In Ilerrschafftlichen Dingen und Pflichten der Unterthanen; in allerley
Einkünfften. Als im Braunschweigischen geben einige Landleute dem
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62
Anmerkungen.
Pfarrherrn einen Brandhahn In «1er Mark sind zum Exempel die
Schattenhuben.
3) In Obern und in Niedern Bedienungen, als ein Landvogt in der Ucker-
mark. Ein Ausreiter u. d. g.
In Kirchen- und Schul-Sachen. Als
Die Sacristcy heisst bei andern Tresskammer.
Ein Diaconus zu Strassburg ein Helfer.
Was hier ein Küster heisst, ist bey andern Oppermann, Messuer.
Im Hauswesen, allerley Namen des Hausraths, der Kleider, der Speisen
u. d. g., so nicht allgemein 6ind
Im Landleben, beym Acker, als eine Hake, ein Kolter; beyra Fuhrwerk
eine Benne, Brückholtz am Wagen, Achtcrholtz, Grickscheide.
Bey den Hirten.
Im Flachsarbeiten.
In Säen und Binden.
In Flur- und Oräntz-Sachcn.
Bey dem Federvieh etc.
Bey den Gebäuden. Als eine Absyte, Därntze, Kafen etc.
In Holtz- und Wald-Sachen als Heidereiter, Heideläuffer, Carinbolen etc.
Werffi, Rüster etc
In Fischerey-Sachcn. Als in Churfürstl. Brandenb. erneuerten Fisch-
Ordnung von Ann. 1690 cap. ult. werden verbotten:
Die Zähren und Strohgarn.
Die Kaulbarsch- enge Pflöcke.
Die Messlings- und Gründlings-Pflocke.
Die Caminen.
Die Greywohden.
Das Dörgen.
Sollen keine Acken oder Stinte-Pflöcken an die Maderitzen gehangen
werden.
Setzhamen oder Maresen oder Klebnctze.
Qucste oder Puppen an die Wehre stecken etc.
Und so weiter in allen Professionen und Vorfallen."
Neun der aufgeführten märkischen Ausdrücke hat Frisch in seinem
Deutsch-Lateinischen Wörterbuch erläutert.
„Pir-Aas, ein Regenwurm, vom Holländischen Pir oder Pier,
heisst lumbricus und Aas esea wegen des Angels, woran er zum Fisch-
fängen gesteckt wird." Genauere Nachweise s. bei Weigand, Deutsches
Wörterbuch.
,Kuiu, Kumpf hat den rechten Verstand noch im Holländischen
da heisst Korn eine tiefe Schüssel eatinus, Kommeken vasculum, alveolus,
catillus." Mittellat cirabus, griech. xv^ßc, sanskr. kumha. Vgl. Weigand,
D. Wörterbucli.
„Mieren heissen in der Mark Brandenburg wie im Holländischen
formicae s. Ameisen p»^,^" Der sehr alte dunkle Name erscheint auch
im Keltischen und Slavischen und reicht bis tief in Asien hinein. Vgl.
Jak. Grimm, Deutsches Wörterbuch I, 277.
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Anmerkungen.
63
„Das Wort tete Kopf ist auch in anderen Fällen unter das
Teutsche gekommen. Die Holländer nennen einen Nagel mit einem
runden Kopf taetse Hoffd-Nagel. In Nieder-Sachsen nennt man spott-
weise den Kopf Teetz«
sDernze b. Dörnze." „Dörntze für Stube. Im Braunsehweigischen
Sta<Jt-Recht wird es sogar von der Rath-Stube gesagt. Tora III Script.
Brunsu. p. 430. Sonst ist es in geringer Bedeutung nur von Bauren-
Stuben an den meisten Orten in und am Nieder-Sächsischen gewöhnlich.
Es kommt von dörren, weil die Land- Leute ihre Schieissen oder Brenn-
Späne und andere Dinge darinnen trockenen und dörren."
„Kiez, m. im Niedersächsichen ein Ort, wo die Fischer beysammen
wohnen als in der Mark Brandenburg, zu Köpenik, zu Königsberg i. d.
Neumark, da der Auetor der Königsberger Chron. Kehrberg schreibt,
es kommen von Keiza oder Kcische, eine Hütte oder Haus, wo die
Fischer wohnen, habitacula piscatorura."
„Cobold schiessen ist an einigen Orten in der Mark Branden-
burg ein Spiel der Knaben, da sie den Kopf auf die Erde setzen, den
Hintern in die höhe stellen und sodann überschlagen; heisst in Franken
Sturtzbaum so bey den Holländern hillebillen heisset von Hille
Gall. culbut, von welchem letztern das Kobolt in diesem Verstand
scheint herzukommen." Vgl. Danneil, Wörterbuch der altmärkisch-platt-
deutschen Mundart.
„Keek 8. Kader und Geck pars faciei sub inento usque ad Collum.
Den Keok (oder wo das G etwas stärker ausgesprochen wird, Geek)
besabbern Niederteutsch, wie die Kinder den Speichel Uber das Kinn
am Hals herablauffen lassen.* Vgl. Schiller und Lübben, Mittelnieder-
deutsches Wörterbuch. Bremen 1877.
„Kolter in der Mark Brandenburg und benachbarten Pommern
die Pflug Säge, aratri dens, vom Lat. culter, so aueh eine Pflug-Säge
heisst. Gall. coutro, Holl, kouter." Vgl. Danneil, Wörterbuch der alt-
märkisch-plattdeutschen Mundart.
Nicht verzeichnet im Frischschen Lexikon sind Kilitte, Duhs, Dülte
Kuhsche. Von ihnen ist das erste in der Form Ka litte noch heute im
Gebrauch, von Schmidt von Werneuchen sogar in die Schriftsprache
einzuführen versucht: Almanach 1802 S. 18 „Hasch uns, lieber Vater,
doch Kalkten." Kalitte bedeutet aber auch noch Beutel, Korb, Tasche
(von der Ähnlichkeit einer Tasche mit einem die Flügel halb ausein-
ander faltenden sitzenden Schmetterling?) und stammt aus dem
Russischen. Vgl. Schiller und Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch.
Auch Kuhsche ist nach einer Mitteilung des Herrn Geh. Re-
gierungsrates Fricdcl noch jetzt in Gebrauch. Irgend welche Belege
vermag ich nicht anzuführen.
Zu Duhs lässt sich das von Schiller und Lübben a. a. O. ver-
zeichnete dust = Spreu, Hülse, Kleie, Staub heranziehen, dem engl, dust,
hollünd. duist entspricht. Vgl. auch Georg Schanibach, Wörterbuch der
niederdeutschen Mundarten der Fürstenthümer Göttingen und Gruben-
hagen.
t>4
Anmerkungen.
Dom Worte Dülte endlich entspricht das von Schiller und Lübbcn
a. a. O. aufgeführte dult = irdenes Gefliss, Krug.
Leider fehlt noch immer trotz der mehrfach unternommenen
Versuche (vgl. Märkische Forschungen 1841) ein märkisches Idiotikon.
Je weiter die Lösung dieser Aufgabe hinausgeschoben wird, um so
schwieriger wird sie sich gestalten, um so weniger vollständig ausfallen.
Möchten doch die gelehrten Gesellschaften, welche sich mit der Heimats-
kunde und Geschieht«« Berlins und der Mark Brandenburg beschäftigen,
so viel sie vermögen, dahin wirken, dass diese Arbeit ausgeführt wird!
Anm. 111. Frisch, Deutsch-Lateinisches Wörterbuch: „Gera oder Gere wird
an vielen Orten im gemeinen Reden für den Wcjhcr-Namen Gertrud
gebraucht. Im Niedersächsischen wird es verächtlich von einem geringen
und jungen Weibsbild gesagt und scheint eben diesen Ursprung zu
haben von den Namen die mit Ger anfangen." „Ger diese Sylbe ist
vom alten gehren oder geren für begehren.* Dass diese Etymologie
nicht das Richtige trifft, ist bekannt. Vgl. Schambach, Wörterbuch der
niederdeutschen Mundart. Hannover 1858.
Anm. 112. Frisch, Deutsch-Latein. Wörterbuch : „Bull-Oraven, Heidel-Beer.
Chytraeus Nomencl. Sax. col 974 Myrtilla Von Bulle, wie Lat. vaccinia
von vacca. s. Bulle, taurus so hier der Bulle, der Hirsch-Kuhe. Graven
ist das Angel -Sachs, cropp, uvae. Davon Gall. grappe de raisin Übrig
ist, heort-crop vaccinia (Hirsch-Reer) Anglo S.a
Anm. 113. Über diese Persönlichkeit hat sich nichts ermitteln lassen.
Anm. 114. Diesem Brief fehlt das Datum; er steht deshalb in der Sammlung
zu Hannover an vorletzter Stelle; seinein Inhalt nach ist er vermutlich
im Frühling des Jahres 1710 geschrieben.
Anm. 115. Unbekannte Persönlichkeit.
Anm. 116. Venus = Kupfer.
Anm. 117. 8ol = Gold.
Anm. 118. Das Neustädtische Thor führte aus dem Friedrichswerder nach
der Dorotheen- oder Neustadt über die Neustädter-, auch Neue Thor-
und Opernbrücke, welche den Festungsgraben überbrückte, lag also
zwischen Universität und Zeughaus. Vgl. Gädicke, Lexikon von Berlin.
(1806) S. 422.
Anm. 119. An der alten Leipzigerstrasse in der Gegend der Niederwall-
strasse.
Anm. 120. n«ci»/8«A«) tU Romae 1542. 2 tom. fol.
Anm. 121. Nicht eine Geschichte der Manichäer, sondern eine Schrift gegen
die Manichaer hat der um 358 gestorbene Bischof von Thmuis Serapion
in griechischer Sprache verfasst. Die erste Übersetzung in lateinischer
Sprache veröffentlichte Henricus Canisius in den Antiquae lectiones
Tom. V p. 1 sqq. (Ingolstadt 1601 — 1604). Griechisch erschien die
Schrift zuerst in der von Basnage (Antwerpen 17^5) besorgten ver-
mehrten Ausgabe der Antiquae lectiones des Canisius und zwar im
1. Bande S. 35—55: Bcati Serapionis episcopi Thmueos adversus
Manichaeos über, graece primum in luceni editus. Cum interpretatione
Francisci Turriani. Die Ausgabe erfolgte nach einer Handschrift der
Anmerkungen. 65
Johanneischen Bibliothek zu Hamburg. Vgl. Migne, Patrologiae cursus
completus. Tom. 40, 899—925.
Anm. 122. Vgl. oben Anm. 100. '
Anm. 123. Dass diese Unterrichtsanstalt tür Kadetten wirklich errichtet
worden \dst, ergeben die auf dem Königl. Geh. Staats-Archiv zu Berlin
aufbewahrten Kabinetspapiere Friedrich Wilhelms I. (Rep. 96. 519 A.)
Im Jahre 1717 waren nach dem Etat 110 Kadetten, im nächsten Jahre
131 Kadetten vorhanden. Bosse starb als Oberstlieutenant am 9. De-
zember 1718. Mit der Nachricht von seinem Tode schliessen die Akten
des Königl. Geh. Staatsarchivs über diese Kadetten-Akademie. Siehe
auch Brief 23.
Anm. 124. Dietrich Hermann Kemmerich, Licentiat der Rechte in Berlin,
wurde 1719 Professor in Wittenberg, 1736 in Jena, f 1715 ebendort.
Vgl. Bodemann a. a. O. No. 463, Allg. D. B. XV, 599.
Anm. 125. Karl Ancillon, geb. 28. Juli 1659 in Metz, gest. 5. Juli 1715 in
Berlin; juristischer, politischer und historischer Schriftsteller. Allg. D.
B. I, 424, Bodemann a. a. O. No. 12.
Anm. 126. Eine sonst nicht bekannte Persönlichkeit, von der sich nach
Bodemanns Angaben (a. a. 0. S. 64) ein an Frisch gerichteter Brief
über Vertikal- und Horizontal-Windmühlen in der Sammlung des Leib-
nizschen Briefwechsels findet. Er ist wahrscheinlich identisch mit dem
Verfasser der Schrift: Nicolaus Molwitz, Bedenken über eine lange
gesuchte vermittelst zwo Maschinen nach Wunsch zu realisirende Longi-
metriam. 1724 (Kgl. Bibliothek zu Berlin). Vgl. auch Brief 24 und 26.
Anm. 127. Nouveaudictionnaire des passagers franeais-allemand et allemand-
francais erschien in Leipzig 1712. Vgl. Einleitung, S. XXIV.
Anm. 128. Joh. Friedr. Gleditseh, Buchhändler in Leipzig. Vgl. Bodemann
a. a. O. No. 315.
Anm. 129. Ludwig von Printzen, Staatsminister, Ober-Hofmarschall, Pro-
tektor der Societat der Wissenschaften. Vgl. Allg. D. B. XXVI, 596 ff'.
Bodemann a. a. O. No. 742, den Schluss dieses Brieles und Brief 35.
S. auch Einleitung S. XVII.
Anm. 130. Siehe Einleitung S. XVII.
Anm. 131. Theodor Christoph Krug von Nidda, Leibmedikus und Dekan
des Obercollegii medici. Vgl. v. Ledebur, Friedrich I. S. 373. Siehe
Brief 33.
Anm. 132. Karl Konrad Achenbach, geb. 1656 zu Kreuznach, 1700 Hof- und
Domprediger und Konsistorialrat zu Halle, 1702 Hof- und Domprediger
zu Berlin, f 1720. Vgl. Jöchers Gelehrten-Lexicon fortges. von Adelung I,
151. Siehe auch Brief 27.
Anm. 133. Paul Volckmann, Theologe, seit 1707 Rektor des Joachims-
thalschen Gymnasiums und Professor der Theologie, f 1722. Vgl. Jöcher
IV, 1703.
Anm. 134. Joh. Karl Schott, Kgl. preussischcr Rat und Bibliothekar in Berlin,
beschäftigte sich besonders mit Numismatik. Vgl. Jöcher IV, 341 f. und
Bodemann a. a. O. No. 825. Siehe auch Brief 29 und 33.
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Anmerkungen.
Anm. 135. Dan. Ernst JaWonski, preussischer Rat und erster Hofprediger
in Berlin. Vgl. Allg. D. B. VIII, 523 ff. Bodemann a. a. O. No. 439
und Brief 27 und 35. Siehe auch die Einleitung S. V ff.
Anm. 136. Am 19. Januar.
Anm. 137. Oberhoftnarsehall Graf von Wittgenstein. •
Anm. 138. Graf von Wartenberg. Vgl. König, Berlin m, 218.
Anm. 139. Unter den Mitgliedern der Societät der Wissensehaften zählt der
Berliner Adresskalender vom Jahre 1709 auch den Hofrat Karl Wilhelm
von Meisebug auf und verzeichnet seine Wohnung auf der neuen Stech-
bahn. In den folgenden Jahrgängen ist er nicht mehr genannt.
Genaueres hat sich über ihn nicht ermitteln lassen. Vielleicht ist er
identisch mit dem hessischen Edelmann, welcher zur Taufe der Prinzessin
Friederike Sophie Wilhelmine, der Tochter des preussischen Kronprinzen,
ein Gedicht verfasste, das wegen seiner Geschmacklosigkeit Aufsehen
erregte. Bei der Taufe dieser Prinzessin waren die Könige von Däne-
mark, Polen und Preussen als Gevatter zugegen. Vgl. oben Anm. 80.
Meisebug verglich nun in seinem Gedichte die neugeborene Prinzessin
mit dem Jesuskinde und die drei Herrscher mit den heiligen drei
Königen und erhielt dafür ein Geschenk von 1000 Dukaten. Vgl.
Poellnitz, Memoires pour servir ä l'histoire des quatre derniers souverains
de Brandebourg. (Berlin 1791.) Tom 1, 330.
Anm. 140. Miscellanea Berolinensia ex scriptis societati fiegiae exhibitis
erschienen, da es besonders im Anfang an Beiträgen fehlte, ziemlich
spärlich: 1. Band 1710, 2. Bd. 1723, 3. Bd. 1727, 4. Bd. 1734, 5. Bd.
1737, 6. Bd. 1741, 7. Bd. 1743.
Anm. 141. Ein solcher Aufsatz Frischs ist aufgenommen in die Miscellanea
Berol. Bd. 4 S. 191 ff.
Anm. 142. Du Fresne, Glossarium ad scriptores mediae et inflmae Latinitatis.
Paris 1678. 3 vol. fol. Von Frischs Arbeit ist meines Wissens nichts
veröffentlicht.
Anm. 143. Aegidius Menagius, Les origines sur la langue francaise. 2 Tom.
Paris 1675. Frischs Arbeit steht in den Miscellanea Berol. Bd. 5 S. 217
und Bd. 6 S. 195.
Anm. 144. Luitpumpe.
Anm. 145. Vgl. oben Anm. 75. Die Hofintriguen, welche ihn bewogen nach
Halle zurückzukehren, sollen besonders von Seiten seines Collegen
Gundelsheim angezettelt sein.
Anm. 146. Joh. Dan. Göhl geb. 1675 in Berlin, wirkte ebenda als praktischer
Arzt, wurde 1711 Badearzt in Freienwalde, 1721 Kreisphysikus in
Wriezen, wo er 1731 starb. Allg. D. B. IX, 327.
Anm. 147. König Friedrich I. hatte 1705 in Berlin eine Fürsten- und Ritter-
akademie zum Besten der fürstlichen und adligen Jugend gestiftet. Vgl.
König, Berlin III, 159 und 230. Mylius, Corp. const. March. I 155.
Acta Borussica, Behördenorganisation I, 472 u. 415. Toland, Relation von
den Königlichen Preussischen und Chur-Hannoverischen Höfen (Frank-
furt 1706) giebt Schulordnung und Privilegien.
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Anmerkungen. 67
Anm. 118. Isaak Briand, 1699—1701 Professor linguae Gallicae in Königs-
berg i. Pr. Die Akademie lag vor dem Frankfurter Thor. Vgl. K. A.
Schmid, Encyklopädie des ges. Erzichungs- und Unterrichtswesens VII,
231. S. auch Brief 28.
Anm. 149. Vgl Anm. 76.
Anm. 150. Berühmter Mathematiker. Vgl. Bodemann a. a. O. No. 56— 5S
Anm. 151. Am 8. September 1712 entstand während der Nacht in der
Klosterstrassc eine grosso Feuersbrunst, die 8 Tage lang währte und
besonders in dem Berlinischen Gymnasium entsetzlich wütete Vgl.
König, Berlin III, 242.
Anm. 152. Vgl. oben Anm. 76.
Anm 153. Peter der Grosse war am 30. September (11. Oktober) fast uner-
wartet in Berlin angekommen. Vgl. B. v. Köhne, Berlin, Moskau,
St. Petersburg. (Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. XX)
S. 36.
Anm. 154. Über ihn vgl B. v. Köhne a. a. O. S. 80 ff'.
Anm. 155. Herr Dr. Fritz Jonas macht mich darauf aufmerksam, dass Frisch
in seinem Programm „Historia linguae Sclavonicao" (Berlin 1727) Bogen
B 2 den Titel dieses Wörterbuches mitteilt: „Theodoras Polycarpof
ediderat primum Lexicon Sclavonicum, cuius titulus est: Dictionarium
trilingue, hoc est dictionum Sclavonicarum, Graecarum et Latinarum the-
saurus ex variis antiquis et recentioribus übris collectus et juxta Scla-
vonicum Alphabetum in ordinem dispositus. 4°. Anno 1704." Diese
Angabe Frischs ist übrigens insofern nicht richtig, als bereits 1627 zu
Kiew ein Lexicon sclaveno-russieum von Berynda erschien.
Anm. 156. So die Überschrift bei diesem und den folgenden Briefen.
Anm. 157. Joh. Theod. Jablonski.
Anm. 158. Andreas Gundelsheim, Doktor der Medizin, 17U3 preussischer
Hof- und Leibmedicus und als solcher in den Adelsstand erhoben. Um
medizinische Kräuter in genügender Menge zu bekommen, machte er
den Vorschlag, den vor dem Potsdamer Thor belegenen Hopfen- und
Küchengarten zu einem botanischen Garten umzugestalten und sorgte
dafür, dass die ausländischen Pflanzen aus den königlichen Gärten
dorthin gebracht wurden. Der botanische Garten wurde seiner Aufsicht
unterstellt. Er starb 1715 am 17. Juni zu Stettin während des pom-
merseben B'eldzuges, auf dem er den König begleitet hatte. Allg. D.
B. X, 125 Geiger, Berlin 1788—1840. I, 243.
Anm. 159. von Wartensleben.
Anm. 160. Das Spandauer Thor stand zwischen den Häusern No. 1 und 81
der Spandauer Strasse und wurde 1718 bei fortschreitender Bebauung
der Neuen Friedrichstrasse beseitigt. Vgl. Vogt, Die Strassennamen
Berlins (Schriften des Vereins f. d. Geschichte Berlins. XXU) S. 34.
Anm. 161. Vgl. Einleitung S. XIX und Stenzel, Geschichte des preussischeu
Staates III 220.
Anm. 162. Vgl. Einleitung S. XXIX.
Anm. 163, „Johann Swanimerdam, celebre anatomiste Hollandaig, ne a Amster-
dam en 1637, mort dans la meme ville en 1630, s'est particulierement
7*
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68
Anmerkungen.
livre ä l'anatomio des insects.h A. Percheron, Bibliographie entomologique
(Paris 1837) p. 87.
Anm. 164. Francesco Redi, Dr. med. et phil., Leibarzt der Grossherzögc
von Toscana Ferdinand II. und Cosmos III., 1626—1697. Er schrieb:
Experiraenta circa res diversas naturales, quae ex Indiis afferuntur.
S. Poggendorff, Biographisch-litterar. Handwörterbuch. II, 584.
Anm. 165. Johann Jonston, geb. 1603, Arzt, der lange Zeit in Deutschland,
Holland, England und Frankreich herumreiste und sich endlich in
Zielendorf bei Liegnitz niederliess, wo er 1675 starb. Er schrieb: Tbau-
matographia naturalis. Amstelod. 1632. De insectis libri III. Amstelod.
• 1657. Vgl. Poggendorff, Biogr.-litterarisches Handwörterbuch I, 1202.
Engelmann, Bibliotheca historico-naturalis. Leipzig 1846.
Anm. 166. Johann Goedart, „peintre naturaliste Hollandais, ne en 1620,
mort en 1668." Erverfasste: Metamorphosis naturalis insectorum. Medio-
burgi. 3 vol. Vgl. Perscheron, Bibliographie entomologique 8. 41.
Anm. 167. Joh. Georg Eckhart (Eccard), geb. 7. September 1664, Leibniz"
Gehilfe bei dessen historischen Arbeiten, 1706 Professor der Geschichte,
zu Helmstedt, 1717 Leibniz' Nachfolger als Bibliothekar, f 9. Februar
1730 als Geh. Hofrat und Universitätsbibliothekar zu Würzburg.
1711 veröffentlichte er: Historia studii etymologici linguae Germanicae
hactenus impensi. Das von Frisch erwähnte Lexikon ist meines
Wissens nicht erschienen. Vgl. Bodemann a. a. O. No. 220. Allg. D.
B. V, 627, und meine Ausgabe von Frischs Schulspiel S. XIX.
Anm. 168. Vgl. oben Anm. 40. Jöcher, Gelehrten - Lexikon IV, 723:
„Er schrieb eine genealogische Historie des in der Mark florirenden
vornehmen Geschlechts derer von Putlitz, welche der Herr Bodenburg
herausgeben wollen."
Anm. 169. Ist meines Wissens nicht veröffentlicht.
Anm. 170. Die Beziehungen habe ich nicht aufdecken können. Bodemano
a. a. O. No. 168 bemerkt über diese Persönlichkeit nur „de Collas, Phil,
med. & I. U. D sie ist also wohl nicht identisch mit dem Ober-
ingenieur, Oberlandmesser und 1712 zum preussischen Kammerrat
ernannten Johann von Collas. Vgl. Acta Borussica, Behördenorgani-
sation I, 705.
Anm. 171. Vgl. König, Berlin IV, 1 S. 41.
Anm. 172 Wohl Joh. Chr. Müller, Ingenieur und Geograph. S. Bodemann
a. a. O. No. 667 und Brief 37.
Anm. 173. Wohl Bürsten für die Scidengewinnung.
Anm. 174. Georg Dietlof! von Arnim, geb. ly. September 1679, 1706 Land-
vogt der Uckermark und Ober-Heroldsrat, 1738 Wirklicher Geh. R**
und preussischer Staats- und Kriegsminister, f 20. November 1753.
Warmer Verehrer der Wissenschaften. Vgl. Formey, Eloges des Aca
demiciens (Berlin 1757) I, 119 ff. Allg. D. B. I, 567 ff. Kirchner, Das
Schloss Boytzenburg und seine Besitzer. Berlin 1860.
Anm. 175. Ernst Bogislav von Kamecke, Geh. Etatsrat und Präsident der
Hofkammer. Vgl. Ledebur, König Friedrich I. 8. 466. Bodemann a. a. 0.
No. 460. Acta Borussica, Bohördenorganisation I, 134.
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Anmerkungen.
Anm. 176. Glycyrrhiza glabra, an vielen Orten im mittleren und südlichen
Europa angebaut.
Anm. 177. Joh. Theod. Jablonski hatte Tacitus Germania übersetzt, Jöcher
n, 1801.
Anm. 178. „ Historisch - geographischer Kalender nach dem verbesserten
Stylo," eine Art der Kalender, welche auf Leibniz' Veranlassung von
der Societät herausgegeben wurden und deren Vertrieb eine wesent-
liche Einnahmequelle für dieselbe bildete. Vgl Einleitung S. XI. Dieser
und andere Kalender sind genau beschrieben bei Geiger, Berlin 1688—1840.
I, 114 ff.
Anm. 179. In den Miscellanea Berolinensia IV, 69—73 veröffentlicht.
Anm. 180. Das schwer zu entziffernde Concept ist von Leibniz auf den Rand
des vorstehenden (31.) Briefes geschrieben.
Anm. 181. Soweit ich habe ermitteln können, weder durch den Druck ver-
öffentlicht, noch überhaupt erhalten.
Anm. 182. Der Dichter Benjamin Neukirch, seit 1696 in Berlin, 1703 Pro-
fessor an der von Friedrich I. gegründeten und nach dem Tode dieses
Herrschers wieder aufgehobenen Ritterakademie, wurde 1718 als Er-
zieher des Erbprinzen und als markgrHflicher Hofrat nach Ansbach
berufen, wo er 1729 starb.
Anm. 183. Über den Verfall der Societitt nach dein Tode Friedrichs I. vgl.
Stenzel, Geschichte des preussischen Staates III, 494 und König, Berlin
IV, 2 8. 113.
Anm. 184 Joh. Theod. Jablonski war von der verwittweten Markgräfin
Joh. Charlotte von Schwedt zum Erzieher ihres Sohnes berufen und
machte mit seinem fürstliehen Zögling in den Jahren 1715—1717 eine
Reise nach Italien. Vielleicht ist diese Reise gemeint.
Anm. 185. Schon 1693 hatte Leibniz der Zumutung, zur katholischen Kirche
überzutreten, entschiedenst seine Zugehörigkeit zur Augsburgischen
Konfession entgegengesetzt. Vgl. Lettres de M. Leibniz et de M. Pelisson
de la toleranee et des differents de la religion. 1693. Der bei Bodemann
a. a. 0. No. 8, No 598 und No. 603 verzeichnete Briefwechsel giebt
weitere interessante Aufschlüsse über diese Bemühungen. Vgl. auclu
Fr. Kirchner, Leibniz' Stellung zur katholisehen Kirehe. Berlin 1874.
Anm. 186. Aus der Übersicht bei Bodemann u a. O. No 517 lässt sich
nicht erkennen, ob dieser Briet in der Sammlung zu Hannover
erhalten ist.
Anm. 187. Der Brief steht ohne Datum an letzter Stelle der Sammlung;
er ist zwischen dem 14. Januar und 11. Februar 1716 geschrieben.
Anm. 188. Johann Friedrich Mayer, geb. 1650 zu Leipzig, lutherischer
Theologe und beliebter Prediger, f 30. Mürz 1712 als Generalsuper-
intendent über Pommern und Rügen, Präsident des Konsistoriums,
Theologus prinmrius und Procancellarius der Universität Greifswald.
Verfasser zahlreicher, besonders theologischer Schriften; stand auch mit
Leibniz in Briet Wechsel. Vgl. J. H. Balthasar, Vermischte Sammlung
von allerhand gelehrten und nützlichen Sachen. (Greifswald 1744)
S. 55 ff. und S. 130 ff. Jöcher III, 321. Bodemann a. a. O. No. 621.
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Anmerkungen.
Über die Schicksale seiner Bibliothek sind wir durch einige Briefe in
der Leibnizschcn Sammlung zu Hannover unterrichtet. Am 8. April
1712 meldet Johann Abraham Mayer an Lcibniz den Tod seine« Vaters
und wünscht, dass der Kurfürst von Hannover die Bibliothek desselben
kaufe. Nachdem ihm von Leibniz Hoffnung gemacht war, schreibt er
unter dem 6. Mai 1712, dass ein Kaufpretium von 24 000 Thalern nicht
zu hoch sein werde, und meldet endlich unter dem Ii). Juli 1712, dass
seine in Leipzig lebende Mutter die Bibliothek ohne sein Wissen dem
Könige von Polen angeboten habe, ja dass dieselbe in seiner Abwesen-
heit bereits verschickt sei. In einem Brief an Frisch vom 2. März 1713
endlich schreibt dieser Dr. Mayer, dass die Bibliothek den Sachsen
von den Russen fortgenommen und in Landsberg deponiert sei.
Anm. 189. Ludwig Otto Edler von Plotho, geb. 1663, studierte die Rechts-
wissenschaft, 1698 Regierungsrat zu Magdeburg, 1711 Geheimer Rat zu
Berlin, 1714 Wirklicher geheimer Etats - Minister und Präsident des
geheimen Justizkollegiums und Ober- Appellationsgerichts, f 18. Augrat
1731. Eifriger Büchersaramler und im Besitze einer kostbaren Bibliothek.
Jöcher III, 1634 f.
Anm. 190. Gemeint ist wohl Karl Friedrieh Graf von Sehlippenbach,
preussischer General der Kavallerie und vielfach in den Verwickelungen
mit Schweden Gesandter und Unterhändler des preussischen Hofes,
f 9. Januar 1723 als Gouverneur von Colbcrg. Vgl. Allg. D. K.
XXXI, 521.
Anm. 191. Ernst Martin Plarre, geb. 1684 zu Berlin, Rechtsgelehrter, mehr
fach vom preussischen Hof zu diplomatischen Sendungen verwandt,
1712 Hof- und Kammer-Gerichtsrat und Kriegsrat bei dem General-
Kriegs-Kommissariat, 1715 Geheimer Kriegsrat, f 1717. „Er hatte die
meisten und besten Bücher, welche zur churmärkisehen Historie gehören,
gesammelt.« Jöcher III, 1619 f.
Anm. 191a. Vergl. Einleitung S. XIX.
Anm. 192. Friedrich Jägwitz, Dr. med., Mitglied und Direktor der mathe
matisch-physikalischen Klasse der Akademie, f 27. September 1727.
Siehe auch den nächsten Brief. Über seine chemischen und alchy-
mistischen Bemühungen und die von ihm hergestellten BrennglHser vgl.
Kapp, Leibniz' und D. E. Jablonskis Briefwechsel (Leipzig 1745) S. 25 >f
258, 262, 312.
Anm. 193. Zu dieser Stelle schreibt mir Herr Oberbibliothekar Dr. Bodemann:
„Zur Handschrift ,De imposturis religionnnv bemerke ich, dass dieselbe
sich hier unter unsem Handschriften befindet. (Vgl Bodemann, Die Hand
Schriften d. Kgl. Bibl. zu Hannover, Hann. 1867, S. 8, No. 42). Auf einem
vorgehenden Blatte findet sich folgende Notiz von der Hand des Biblio-
thekars Gruber: „„Du Catiana P. II, p. 288 in Addit. ad Menagiana p.309.
Le livre, qu'on peut placer en l'annee 1 538 et qui n'a jaiuais ete impnmc, a
pour titre: ,De imposturis religionum', ouvrage execrable, compo^'
comme on voit en latin, et cela vers Tan 1538, puis qu'il y est fait inention
d'lgnace de Loyola, fondateur des Jesuites. Ce livre est plein de Oallicis-
mes, raais il y en a quelquesuns si grossiers, qu'il n'cst pas saus app»-
rence, que l'autcur, <jui d'ailleurs n'.'erivait pas mal en latin, les ait affecU»
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pour le mieux cacher. Ce livrc etait dans la belle etnombreuse
Bibliotheque du Dr. Mayer, vivant ministre ä Hambourg, qui tut
vendue par auction ä Berlin an cojnmencement de 1716. — On dit, que
le MS. en question, dont celui-ci par alt etre une copie, ait ete
achcte alors par Monsgr. le Prince Eugene de Savoye 80 ducats en or"'\
Diese Hdschr. ward für unsere Kgl. Bibliothek 1738 aus der Bi-
bliothek des Superintendenten Elers zu Ratzeburg für 18 Thaler
angekauft/
Anm. 194. „D'Alencon, litterateur et huissieur au parlement de Paris, ne
vers le fin du 17. siecle, mort en 1717." Nouvelle Biographie uni-
verselle I, 788.
Anm. 195. Graf Bonneval, berühmter Abenteurer, erst in französischen
Diensten, dann kaiserlicher General zu Wien, später berüchtigt als
Achmed Pascha, f 1747. Vgl. Brockhaus, Conversations-Lexikon 13. Aufl.
III, 320. Guhrauer, Leibniz II, S. 278 ff'. 354 f. Bodemann, Leibniz
Briefwechsel No. 89.
Anm. 196. Michael Servetus, Van de Dolinghen in de Drievaldingheid. Ouers.
uyt het latin. O. O. 1620. 4*.
Anm. 197. Zu diesem Streit vergleiche: Johannis Lysii Theologischer Discurs
oder kurzer Berieht von der Wahrsagerkunst und insonderheit vom
Nativitatstcllen. Bey Gelegenheit einer durch das ihr gestellte Pro-
gnosticon betrübeten und einige Zeit nachhero im Wasser todtgefundenen
Person. Nebst einer über diesen jämmerlichen Todes-Fall gehaltenen
Leich- und Busspredigt. Berlin (1711). 4'. Ferner: Johannis Lysii Ver-
nünftiges und in der H. Schrift gegründetes Urtheil von der Wahrsager-
Kunst und insonderheit vom Nativitüt-Stellen wider den ungegrtindeten
Astrologischen Discours eines hiesigen Advocati nochmals behauptet.
(Kgl. Bibliothek zu Berlin Ok 3790. 4*).
Abdias Trew, „bey der Universität A Udortf' Math, vnd Phys. Pro-
fessor", schrieb: Nucleus Astrologiac correctae, Das ist, Kurtzer Bericht
vom NatuitJitsstellen, Wie dannit umbzugehen vnd was es nutze.
Nürnberg 1Ü51. 4*. (Kgl. Bibliothek zu Berlin Ok 2633).
Anm. 198. Philipp Wilhelm, Markgraf von Schwedt, jüngerer Bruder
Friedrichs I. f r,ll.
Anm. 199. Job. Thcod, Jablonski. Vgl. Anm. 178.
Anm 200. Joh. Wilh. Wagner, Mathematiker und Astronom, wurde 1706
durch den Baron Krosick zum Zwecke astronomischer Beobachtungen
nach Berlin berufen, 1711 Professor der Mathematik an der Briandschen
Akademie, 1716 Mitglied der Berliner Societüt der Wissenschaften
und mit der Herausgabe der Kalender betraut. 1740 nach Kirchs Tode
Astronom der Akademie, f 1745. Von ihm viele astronomische Beobach-
tungen in den Miscellanea Berol. Vgl. Fortney, Eloges des Academiciens
de Berlin. I, 32. Bodemann a. a. O. No. 973. Siehe auch den fol-
genden Brief.
Anm. 201. Christfried Kirch (1694—1740), Sohn Gottfried Kirchs, des ersten
Astronomen der Berliner SocieUlt, rückte 1717 in die Stelle seines
Vaters ein. Seine astronomischen Beobachtungen wie die seines Vaters
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72
Anmerkungen.
u. a. in den Misccllanea Boro). Die Ephemeridcn hatte Gottfried Kirch
von 1681—1702 herausgegeben. Vgl. Allg. D. B. XV, 787 f.
Anm. 202. Königlicher Rat und Domänenfiscal , der sich in den Jahren
1716 und 1717 um die Einführung des Seidenbaus in die Kurmark, in
Magdeburg und Halberstadt bemühte. Vgl. Acta Borussica, Seiden-
bau I, 20.
Anm. 203. Lothar zum Bach von Koesfeld, geb. 1666 zu Trier, Mathematiker
Musiker und Dr. med., f 1727 zu Kassel als Professor der Mathematik
und Inspektor der fürstlichen Kunstkammer daselbst. Vgl. Jöcher IV,
2238 und Bodemann a. a. O. No. 1027. S. auch Brief 39 und 40. Der
Titel des erwähnten Buches lautet: Jovilabium id est Instrumentum
astronomicum, quo in systemate Joviali positiones Jovis et Satellitum
eius inter sese ut et eclipses oorom atque oceultationes mutuae ad quodvis
tempus sine aut coneurrente calculo facile, exaete ac prompte exhibentur
et praedicantur. Opera ac studio Lotharii Zumbaeh de Koesfeld.
Amstelodami 1716. 4*.
Anm. 204. Peter der Grosse entwarf um 1704 die Grundzüge der gegen-
wärtigen russischen Druckschrift, indem er den schwerfälligen cyrillischen
Buchstaben mehr Rundung gab
Anm. 205. Joh. Chr. Lehmann, 1675 in Bautzen geboren, 1707 Professor der
Medizin, 1710 Professor Phys. zu Leipzig, Mitglied der Berliner Societät,
beschäftigte sich auch mit Blumenzucht. Vgl. Allg. D. B. XVIII, 139.
Bodemann, a. a. O. No. f>42.
Anm. 206. Georg Andreas Agricola, 1672 — 1738, Dr. med. und Arzt in
Regensburg, behauptete, eine vegetabilische Mumie und darin ein Mittel
gefunden zu haben, in kürzester Zeit Bäume wachsen zu lassen. Allg- '
D. B. I, 145.
Anm. 207. Joh. Georg Liebknecht, 1707 Professor der Mathematik zu Giessen,
1716 Mitglied der Berliner Societät, später Professor der Theologie,
1729 Marburger Superintendent und Beisitzer im Konsistorium zu Giessen.
Vgl. Jöcher II, 2427 f. Bodemann a. a. O. No. 561. Vielleicht bezieht
sich die Briefstelle auf den Wunsch Liebknechts, den er in einem
Schreiben an Leibniz zum Ausdruck bringt, eine von ihm verfasste
astronomische Abhandlung in die Miscellanca Berol. aufgenommen zo
sehen.
Anm. 208. Adam Friedrich Zurner, geb. um 1680 im Vogtland, gab 1711
sein Predigtamt auf und trat als Kartograph in die Dienste Augusts II.
von Polen. Verfasser des Atlas Augusteus Saxonicus. f 1742. Vgl.
Biographie universelle XLV, 642.
Anm. 209. Peter Schenck, Kupfersteeher und Kunst Verleger, geb. 1645 zu
Elberfeld, Hess sich in Amsterdam nieder, wo er 1715 starb. Vgl. Allg-
D. B. XXXI, 56.
Anm. 210. Natalja Alexejewna. Vgl. Brückner, Peter der Grosse (Berlin 1879)
S. 319. Siehe auch den folgenden Brief.
Anm. 211. Vgl. auch den folgenden Brief. Meines Wissens ist das
Werk
nicht gedruckt.
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73
Anm. 212. Die Schrift scheint nicht verfasst oder doch nicht gedruckt zu
sein. Einige Nachrichten über die Geschichte des Seidenbaus hatte
Frisch bereits 1714 in der anonym erschienenen Schrift „Der Seidenbau
in seiner nöhtigen Vorbereitung, gehörigen Bestellung und endlichen
Gewinnung" S. 5 f. gegeben. Vgl. Einleitung S. XXIX.
Anm. 213. Vgl. Acta Borussica, Seidenindustrie III, 28.
Anm. 214. Nach Frischs Anm. 207 genannter Schrift Herzog Friedrich zu
Würtemberg-Neustadt.
Anm. 215. Karl Ludwig. Vgl. Acta Borussica, Seidenindustrie III, 28.
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74
Bericht igtmpen.
Berichtigungen.
S. XVIII. Die Bezeichnung Akademie der Wissenschaften erhielt die Societat erst
bei ihrer Reform durch Friedrich den Grossen.
S. 3, Z. 20 von unten lies: statt »»;.
S. 4, Z. Iß von oben lies: Charlottenburg.
S. 21, beim letzten Worte lies: s") statt "").
S. 24, Z. 4 von oben lies: ,M) statt '").
S. 26, Z. 10 von unten ist zu Königsthor hinzuzufügen: '»7») und zu Spandauische:
Anm. i»7 b).
S. 60, Anm. 108a lies: 2U4 statt Anm. 199.
S. 64. Als Anm. 117a ist einzuschalten: Der Name des Oderberger- oder Georgentboree
wurde wie die ebenso benannte Strasse nach dem Einzug König Friedrichs L
(1701) unter Bezugnahme auf dieses Ereignis umgeändert: das Königsthor bildet«
in der Gegend der heutigen Neuen Friedrichstrasse den Abschluss der König-
strasse. Als Anm. 117b ist einzuschalten: Vgl. Anm. 160.
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Namen- und Sachregister.
75
Namen- und Sachregister.
A.
Absyte 62.
Achenbach, Karl Konrad 32, 37, 65.
Achterholz 62.
Acken 62.
Acta eruditoram 24, 60.
Acta medicorum XIV.
Agapet 22, 68, 59.
Agricola, Georg Andr. 46, 72.
Agstein 8. Bernstein.
Academia Caesarea Leopoldina naturae
curiosorum VI, XXIX.
Akademieen IV, XXIX, 29 , 32 , 34 , 38,
65, 66, 67.
Alaun 54.
Aichemistische Bemühungen in Berlin XXX,
9, 12, 14, 15, 22, 25, 26, 34.
d'AJencon 44, 71.
Alkali, fixes 54.
Altorf II
Amsterdam III.
Anania, Vincenzo, ein neapolitanischer
Gärtner 17, 18, 19, 20, 21, 85, 36, 57.
Ancillon, Karl VII, 29, 65.
Antimon 14, 15.
Antlia pneumatica 34, 66.
Aqua fort = Scheidewasser 9, 12, 14.
Aqua regia = Königswasser 12. 56.
von Arnim, Georg Dietloff 39, 40, 68.
Arrasch 49.
Astmann, Paul IIL
August II von Sachsen 18, 57, 60.
Ausreiter 62.
B.
Zum Bach, Lothar 4ö, 72.
Bai reo t 41.
Benne 62.
Benson, Thoma« 17, 22, 57.
Berlin:
Societät der Wissenschaften I, VII,
XIH. Reform derselben 32, 65. Ver-
fall 42, 69.
Kgl. Observatorium V, VI, VII, 18,
32 , 38 , 45. Grosseck isches Observa-
torium 46.
C o 1 1 e g i u m m e d i c u m i Coll.sanitatis)VI.
Medicinisch - chirurgisches Collegium
XIX. Theatrum anatomicum XIX, 37.
Botanischer Garten XIX, 37, 07.
Hofgarten 10, 58. Hopfen- und Küchen-
garten 67.
Erziehungs- n. Bildungsanstalten:
College royal francaisXX. Dorotheen-
stadtische höhere Schule XX. Friedrich-
Werdersches Gymnasium XX,59. Gym-
nasium zum grauen KJoster XX, XXI,
35, 59. Joachiinsthalsches Gymnasium
XX, 59. Köllnisches Gymnasium 59.
Kflrsten- und Ritterakademie 34, 66.
Akademie für Standespersonen von
Briand :U. 38, 67.
Hof- und Amtskammer 18, 21, 22.
Befestigung: Wall 2, 17, 18, 19, 20,
21, 22, 28, 50. Bedeckter Weg 5, 8,
23, 24, 53. Contrascarpe 13, 26, 27,
37, 56. Fausse braye 23, 59. Ravelin S.
Thore: Königsthor 26,74. Leipziger Thor
2(5, 64. Neust iidtisehes Thor 26, 64.
Spandauer Thor 26, 37, 67, 74.
Weg nach Charlottenburg 4, 8, 53.
Kgl. Weinberge 7, 15, 16, 18. 21, 54.
Feuersbrunstl712 im September 35,67.
Berliner Blau XXX, 9, 12, 20, 21, 23, 24,
.54, 35, 37, 39, 47, 4*, 54.
Bernoulli 35, 36, 67.
Bernstein X.
Berynda 67.
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76
Namen- und Sachregister.
Bewässerungsanlagen 1, 4, 27.
Bibliotheca Bodleiana zu Oxford 60.
Blankenburg a. H. II, III.
Bleiwalzen, Monopol für dasselbe 36.
Bodonburg, Christ. Friedr. XX, XXI, 15, 57.
Rodenhausen, Baron von II.
Bödiker, Joseph XXVIII, 5a
Bödiker, Edzard 3, 50.
Boitzenburg 40.
ßonneval, Graf 44, 71.
Borna = Bornim 2, 7, 11, 16, 17, 40.
Bosse, Hauptmann 29, 32, 66.
Brand, Entdecker des Phosphors XXXI.
Brandenburg:
Ritterschule 7.
Brandhahn 62.
Branntweinsteuer XVIII.
Breithorn, Pastor II.
Briand, Isaak 34, 38, 67.
Briefe deutscher Potentaten Ib.
Brückholtz 62.
Bücherkominissarial XI, XIII, XIV.
Bullegraven = Heidelbeeren 25. 64.
Burckhaff, Gärtner XXXII.
C.
CaetAno Manuel, AlchemistXXX, 16, 21,57.
lammen 62.
Carinbolen 62.
Carlabad 13, 16, 46.
Cartatschen 39, 68.
Charlottenburg 4, 8, 19, 5:}.
China VHT, X, XIV, 48.
Ciceronis epistolae 29, 59.
Circasski, Prinzessin 47, 48.
Cochenille 54.
Comenius1 Vestibulum XXIV, 47, 72.
Crossen 14, 17, 56.
La Croze, Maturin Veyssierc 7, 11, 24 33,
38, 43, 44, 47, 53.
Cuneau III, IV, V, VII, 3, I. 5, 6, 10, 1:1,
24, 26, 28, 42, 13.
D.
Dankehnann HI, V. VI
Darnmann, Sophie Elisabeth III.
Dictionarium srlavonicum XIV.
Dernze iDörnze) = Stube 25, 63.
Dez = caput 25, 63.
Diesbaeh, Farber XXI, 21, 22, 23, 2.-, 26,
•*9, 44, 54.
Dippel, Job. Konrad XXX, 54.
Diterich, Martin 69.
Dolgoruki 34, 36.
Dörgen 62.
Dornmeier, Konrektor 59.
Dresden 46.
Duhs = feinstes Mehl 25, 63.
Dülte = gepichte, hölzerne Kanne 25, 64.
Düngung, chemische 20.
E.
Eisenvitriol 54.
Eckhart, Joh. Georg XXV, XXVII, 37, 68.
Engelbrüder in.
Ephemerides 45, 72.
Erbach, Graf George Albrecht von HI.
Ernst August, Kurfürst von Haimover IV.
Eusthatius 29, 64.
F.
Fecher, Sabina II.
Fechner s. Fecher.
Fell, Bischof 58.
Felmy XXX, 9, 11, 14, 21, 26, 54.
Feuerkasse IX, XII, XV, 11, 14, 17, 21.
26, 55.
Feuerspritzen XI, XII, 21, 28, 36.
Fihney s. Felmy.
Florenz VIII.
Franecker HI.
Franke, A. H. II, XX.
Frankfurt a. M. XI.
Frankfurt a <). :
Friedrichsschule XX
Freienwalder Brunnen 34.
Du Fresne 33, 66.
Friederike Sophie Wilhehnine, Tochter
Friedrich Wilhelms I. 66.
Friedrich, Kurprinz von Brandenburg III.
Friedrich III., Kurfürst VH.
Friedrich I , König XVHI, 18, 42, 50.
Friedrich Ludwig, Prinz von Oranien 13,
55, 56.
Friedrich Wilhelm, der grosse Kurfürst
IV, XX, 2, 25, 50.
Friedrich Wilhelm I. als Kronprinz XVII,
29, 32, 49.
Friedrich Wilhelm I., XVIII, XXIX, 16.
Friedrich IV. von Dänemark 18, 67, 66.
Friedrich, Herzog zu Württemberg-Neustadt
48, 73.
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Namen- und Sachregister.
77
Frisch, Ferdinand Helfreich XXIX.
— Jodocus Leopold XXIX.
Fürsten- und Ritterakademieen IV, 34,
38, 6«, 67.
C.
Gäre (Gere) 25, 64.
Geck s. Keck.
Gelehrtenakademieen IV.
Genf 39, 42.
Geographische Studien XXVIII, 40.
Gichtel HI.
Glasarbeiten X. •
Gleditsch, Joh. Friedr. 31, 33, 35, 36, 66.
Glienike 8, 11, 17, 49, 54.
Glossarium Marchicura 24, 60.
Glycyrrhiza glabra 40, 69.
Goedart, Joh. 37, 68.
Göhl. Joh. Dan. 34, 66.
von Golowkin 36, 46, 67.
Gregorianischer Kalender VI.
Greywahden 62
Grickscheide 62.
Qröningen III.
Grosseck 45.
Grossenhain 46.
Grflnberg, Baumeister VII.
Grundein 6l.
Gründling 61.
Gründlingspflöcke 62.
Gundelsheim, Andr. XIX, 37, 38.
Günther 21, 26, 27, 28, 36, 58.
H.
Halle 23.
Hamburg IIL
Handschrift de imposturis religionum 44, 70.
Hannover IH, IV, XVni, 17, 38.
von Hartefels H.
Haspel zum Seidenspinnen 18.
Havelberg 38.
Hehse, Bauschreiber 7, 8, 18, 54.
Heideläufer 62.
Heidereiter 62.
Helfer = Diaconus 62.
Hessen -Kassel, Erbprinz von XI.
Hickesius, Georg 22, 23, 58.
Hoff mann, Friedr., Leibarzt 17, 21,22,34,57.
Hoffmann, Joh. Heinr. 1, 4, 45, 50.
Hoheneck XXVIII.
Homer 29, 64.
J.
: Jablonski, D. E., Hofprediger V, XXV,
32, 37, 43.
Jablonski, J. Th , Secretär der Societät VII,
XI, XVIH, 3, 4, 6, 28, 35, 37, 38, 39,
40, 41, 42, 45, 60.
Jägwitz, Friedr. 43. 44, 70.
Idiotikon, Anlage desselben XXIII, XXVI,
(50 ff.
Jena II.
Indien VIII.
Indigo 20.
Insekten, Beobachtung derselben 40, 45.
Johann Philipp von Mainz 48, 73
Jonston, Joh. 37, 46, 68.
Irrgarten 33.
Isodynamen XTV.
Junius, Franciscus 22, 23, 24, 58.
K.
Kader 63.
Kadettenakademie in Magdeburg 29, 32, 65.
Kafen 62.
Kalender, historisch-geographischer 41, 69.
Kalender, Gregorianischer VI.
Kalenderprivilegium XI, XV.
Kali, kohlensaures 15, 37.
Kalitte s. Kilitto.
von Kamecke, Ernst Bogislav 39, 40, 68.
) Karl XII. von Schweden 67.
j Karl Ludwig, Kurfürst von der Pfalz 48, 73.
Katechismus der Russen XXIH.
j Kaulbarsch-Pflöcke 62.
Keck = Hals 25, 63
| Kemmerich, Dietr. Herrn. 29, 65.
Kiez 25, 63.
Kilitte = papilio 25, 62.
Kirch, Gottfried 71.
Kirch, Christfried 45, 71
Kitai = China 48.
Klebnetze 62.
Koboldschiessen 25, 63.
Kohlenbrüche X
Kolter = Pflugschar 26, 63.
Röppisch, 8eidenbändler 3, 50.
Köln 1H.
Kormoran XXIII.
von Kraut, Christ. Friedr. 17, 34, 57.
Kress (Kressling) 61.
Küchengarten, Königl., zu Ruhleben 19.
Kuhlmann, Quirin HL
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78
Namen- und Sachregister.
Künsche 25. 03
Kum 26, 62.
Kunkel, Joh. XXX
Kupfer, ungarisches 16, 2ü.
Kupferbergwerke i. Harz 20.
Küstrin 21.
Krug von Nidda, Theod. Christ. 32, 33,
42, 65.
L.
Landvogt 62.
Lange, Joachim XX. 2:1, 60.
Langelaar 11.
Lapis Lazuli 47.
Laschwad 47.
Lasur 47.
Lehmann, Joh. Chr. 46, 72
Leibniz angebl. Religionswechsel 42, 60.
Leipzig 24.
Leopoldinische Akademie naturae curio
sorum VI, XX IX
Lexicon s. Wörterbuch
Lichtenstein, Fürst von 21.
Lichtscheid, Ferd. Helfreich XXXII. 40.
Liebknecht, Joh. Georg 46, 72
Livorno 47.
London VIII.
Lotterie XI, XII.
Lübeck 14.
Luftpumpe 34, 66.
Luise Dorothee Sophie, Prinzessin von
Preussen XI.
Luna fixa = Silber 14, 56.
Lysins, Joh. 71.
M.
Maass und Gewicht, Einheitlichkeit des-
selben i d. Mark Brandenburg XV.
Maderitzen 62.
Magdeburg 2. 20, 32, 66-
Mainz III.
Mandschutartarische Sprache XIV.
Manichäer 29, 64.
Marchica vocabula 26, 60 ff.
Marcbicum glossarium s. Glossarium.
Maresen 62.
Märkische Schulbücher s. Schulbucher.
Marperger, Paul Jakob 14, 33, 56.
Mars = Eisen 15, 57.
Mayer, Joh. Friedr. 43, 69.
Mayer, Joh. Abraham 44, 46. 47, 70.
Mayersche Bibliothek 43. 46, 70, 71.
Medicinalische Observationen XIV, XVIII.
von Meisebug, Karl, Wilh. 33, 66.
Melolontha Frischii XXI XL.
Menagius, Aegidius XXIII, XXIV, XXVI,
34, 66.
Mencke, Otto 24, 60.
Mercurius = Quecksilber 16, 67.
Messlings-Pflrtcke 62.
Miscellanea Berolinensia ex scriptis So-
cietati Kegiae exlübiüs XV, XVII, XXI,
XXX, XXXI, 24. 33, 42, 45.
Missionsseminar XIV.
Missionsthätigkeit der Berliner Societat
X, XIII, XIV.
Molwitz. Nlcol. 31, 34, 36, 65.
Moscau VIII. XIV.
Müller, Joh Urban, Kämmerer 11, 12, 17,
21, 25, 55.
Müller, Joh. Christ., Ingenieur 39, 44, OK
Myran = Ameisen 26, 62.
N.
Natalja Alexejewna, Schwester Peters d.
Gr. 47, 48, 72
! Neukirch, Benj. 41, 69.
Xeusol in Ungarn II.
Neustadt a. d. Aisch XXVIII, 41.
Nürnberg II, 41.
O.
Oberdachsbach II.
Oelven, Christoph, Heinr. 12, 14, 33, 55.
| Oppermann = Küster 62.
Oranienburg VII.
Otto, Meister, Raschmacher 1, 2, 4, 6, 7,
12, 13, 15, IS, 40, 49, 60.
Oxford 24, 68, 60.
P.
Paianios 50
Pape, Buchhändler 50.
Paris VIII.
Pasigraphie IV.
Perpetuum mobile 26, 27.
Persien VI IL
Peter d. Gr. X, XIV, XXIII, 36, 47, 4*,
67, 72.
Petersburg 48.
Pfeiffer, Domänenfiscal 45, 72.
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Namen- und Sachregister.
79
Philipp, Wilb,, Markgraf v. Schwedt 46, 71.
Phosphor XXXI.
Piras = Regenwurm 25, 62.
Plarre, Ernst Martin 43, 70.
Plinii Caecüii Secundi epistolae 59.
von Plotho, Ludw., Otto 43, 70.
von Pöllnitz, Fräulein 49.
• Potsdam 1, 2, 9, 11, 13, 15, 16, 17, 18,
20, 24, 49.
Polycarpof, Theod. 36, 67.
Praesenten, monatliche (Zeitschrift) 13,
14, 55.
Prenzlau 2, 3, 4
von Printien, Ludwig XVII, XVI II, 32,
33, 43, 65.
Privatunterricht XVI.
Privilegium impressorium generale XVI.
Pofendorf III.
Puppen 62.
von Putlitz, Geschichte derer 38, 68.
Q-
Quäker III
Quecksilber, Verwandlung desselben in
Silber 16, 57.
Querfurt 21, 23, 58.
Queste 62.
R.
La Ramee 25, 64.
Raschmacher XXXII, 49.
Receptnrbüchlein XV.
Rechtspflege XHI.
Redi, Francesco 37, 68.
Regensburg VI.
Reichstag zu Regensburg VI.
Reisesteuer XI, XII.
Repnin 34, 36.
Riga 47.
Ritterakademieen IV, 34, 38, 66, 67.
Rodigast, Sam. XX f.
Rubin, Konrektor 59r
Ruhleben 19.
Rum an 48.
Russische Druckschrift 25, 46, 72.
S.
Salpeter 12, 15.
Salpetersäure 14, 56.
Salpetersiedereien X.
Salzsiedereien X.
Sandelholz 48.
von Sayn u. Wittgenstein, Aug. 19, ;!2,
58, 66. i
Schattenhuben 62.
8chenck, Peter 46, 72.
Schilters Glossarium XXVII.
Scldesische Dichterschule, zweite XIX,
von Schlippenbach, Karl, Friedr. 4:5, 70.
Schmerlen 61.
Schott, Job. Karl 32, 38, 42 65.
Schottel XXV.
Schulbücher, märkische XVI, XXIV, 23,
29, 31, 59.
Schulbücherprivilegium XVI, XVIII.
Schwefel 14, 15.
Schwefeln der Seide 21.
Seide, Abspinnen derselben 1, 18.
— Auskochen derselben 23.
— 8chwefeln derselben 21.
— XV, XVII, XX, XXVIII, XXIX, 1, 2,
3, 4. 5. 6, 7 u. öfter.
Seidenbau, Geschichte desselben 47, 73.
— -Privilegium XVII, 3, 6, 10, 15, 18, 19,
21, .24, 49, 50.
Seidenraupen 5, 6, 30.
Serapion 29. 64.
Servetus, Mich. 44, 71.
Setzhamen 62.
Siguale der czarischen Flotte 25, 60.
Skinner, Stephan 22. 58.
Slavische Sprache XXIII, XXIV. XXVI,
24, 33.
Slavisches Wörterbuch 24. ÜO.
Societät der Wissenschaften s. Akademieen
und Berlin
Sol = Gold 26, 64.
Sommer. Guilel. 16, 22, 67.
Sophie, Kurfürstin v. Hannover III.
Sophie Charlotte, Prinzessin v. Hannover
IH; Kurfürstin von Brandenburg IV,
V, VII, Königin in Preussen XIII, XV,
XVII.
Sophie Dorothee, Prinzessin von Hannover
XVII, 49; Kronprinzessin von Preussen
XVII, Königin XVI1L
Spandau 1, 9, 11, 17, 18, 19, 24, 28, 35.
Spener, Christian, Max 9, 38, 45, 55, 68.
Spiritus salis Amoniaci 22, 58.
Spiritus nitri (Salpetersäure) 14, 5(5.
Stampkum 25, 62.
Starke. Sebastian, Gottfr. 7, 14, 25, 29 53.
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80
Namen- und Sachregister.
Stecherling XXII, XXX.
Steinbrüche X.
Btichling XXII, XXX.
Stiemhielm, Georg 23, 24, 60.
Stinte-Pflöcke 62.
Stipendienaufsicht der Societ&t XVIII.
Stiftungen, milde XIII.
Strasburg II.
Strohgarn 62.
Sturms Kriegsbaukunst 25, 60.
Sulzbach II.
Sflssbolz 40, 69.
Swammerdam, Joh. 37, 67.
T.
Tacitus de moribus Germ. 40, 41, 69.
Tartarei VIII, X.
Töplitz 46.
Teste 14, 66.
Theophrast 60.
Tieröl, ätherisches 54.
Tinctura Martis 22, 58.
— Veneris 22, 58.
Tresekammer (Tresskammer) XXn, 62.
Treu. Abdias 44, 71.
Treumunn, Amtskammerrat 18, 68.
U.
Uckermark 39.
Ulphilas 23, 24.
Ultramarin 47.
Unionsbestrebungen IV.
V.
Vegetationsbeobachtungen XIV.
Vegetius XXIX.
Venetianer 26.
• Venus = Kupfer 15. 16, 26, 67, 64.
Verfulminieren 16, 57.
Viehseuchen XIV.
Vignoles, Alphonse de 13, 66.
Vocabula marchica 26, 60 ff
Volckmann, Paul XX. 32, 66.
Wagner, Joh. Wilh. 46, 46, 71.
von Wartenberg. Joh. Casimir Kolb, Graf
I, 7, 10. 18, 32, 64, 66.
von Wartenaleben, Alexander, Hermann
5, 8, 10, 11, 13, 37, 68.
Wässerungsmaschine 27, 31.
von Wedel, Maltre des requets VII, XI.
Weinbau 40.
Werner, Direktor der Akademie der
Künste 21.
Wessel, Buchdrucker 24.
Wetterbeobachtungen XIV, XVIII.
Wien XVII, XVin, 42.
Wüleram 23, 24, 60.
Windbüchsen 26.
Wippel III, XXI.
von Wittgenstein s. von Sayn.
Wohlenbüttel 21, 23.
Wörterbuch, deutsch - lateinisches von
Frisch XXV, XXVI, 17, 72.
— französisch-deutsches von Frisch XXIV.
16, 31, 33, 57.
— russisches 36, 67.
— slavisches 24, 60.
Wriezen 2, 3, 4. 50.
Z.
Zähren 62.
Zumbach 46, 72.
, Zumer, Adam, Friedr. 46, 72.
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ARCHIV
DER
„BRANDENBUR6IA"
GESELLSCHAFT FÜR HEIMATKUNDE
DER
PROVINZ BRANDENBURG
ZU
BERLIN.
Unter Mitwirkung des Märkischen Prorinzial-Museums
herausgegeben
vum
Gesellschafts -Vorstände.
3. Band.
Berlin 1897.
Druck und Verlag von P. Stankiewicz' Bucbdruckerei,
Bernburgerstra8se 14.
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Inhalt.
Seit«
1. Rudolf Buch holz: Chronik der Berliner Schützengilde 1
2. Erich Schild: Bilder aus dem Leben der preussischcnl Armee juii v<.>ri£(.:ii
Jahrhundert 77
3. Otto Pniower: Die Bevölkerung Brandenburgs vor der slavischen Zeit ... 94
4. Ludwig Krug: Haus Jessen, Kreis Sorau 117
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Chronik der Berliner Schützengilde.
Mit einer Einleitung (Iber:
Entstehung und Entwickelung dos Schützengilde- Wesens
im allgemeinen
von
Rudolph Buchholz
Kustos des Märkischen Provinzial-Muueuum.
Mit 15 Abbildungen.
A. Entstehung und Entwickelung des Schützengildewesens
im allgemeinen.
Über die Veranstaltung friedlicher Wettstreite in der Schiesskunst
haben wir schon aus der ersten Zeit des klassischen Altertums Kunde.
Wir ersehen aus dem 23. Gesänge der Ilias, wie Achilles zur Verherr-
lichung des gefallenen Patroklos neben anderen Wettkämpfer) ein Bogeu-
schiessen nach einer mit Schnur an einen Mastbaum gebundenen Taube
veranstaltet, und aus dem 21. Gesang der Odyssee, wie Penelope, in
Ungewissheit über die Rückkehr ihres geliebten Odysseus, sich dem-
jenigen der sie bedrängenden Freier zu eigen geben will, welcher, wie
einst der Gatte, mit dessen Bogen den Pfeil durch die Löcher von 12
hintereinander aufgestellten Beilen zu senden vermag. Die Zahl solcher
Beispiele Hesse sich aus anderen Werken des klassischen Altertums ver-
vielfachen.
So oft aber auch von Wettechiessen im Altertum berichtet wird,
immer handelt es sich dabei um mehr zufällige oder nebenhergehende
Veranstaltungen, niemals um eine geschlossene dauernde Ver-
einigung zu Schiessübungen und jährlichen Wett- oder
Königsschiessen nach festen Satzungen, wie sie das Wesen der
dem Mittelalter entstammenden Schützengilden ausmachen.
Genaue Nachrichten über Zeit und Ort der Entstehung der Schützen-
gilden, nicht minder über die Person des Begründers und die Art der
ersten Satzungen, sind nicht vorhanden. Doch fehlt es nicht an
gelegentlichen Erwähnungen in mittelalterlichen Schriftstücken, welche
in ihrer Gesamtheit Material zur annähernden Bestimmung einzelner
1
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2
Rudolph Burhholi:
dieser Fragen bieten. „Fraternitates sagittariorum" (Pfeilbrüderschaften)
ist die Bezeichnung, unter welcher Schützenvereinigungen in jenen Schrift-
stücken uns zuerst entgegentreten. Es wird derselben gedacht in Be-
ziehung auf ihr Verhältnis zur Kirche: Sie stiften einen Altar, verpflichten
sich zu Beiträgen, erhalten einen Schutzheiligen u. dgl.; andererseits
werden ihnen gewisse kirchliche Vorrechte zugesichert.
Diese enge Anlehnuug der Schützen brüderschafteu an die Kirche,
sowie der Umstand, dass Geistliche als Mitglieder, oft in führender
Rolle, genannt werden, haben der Annahme Halt gegeben, dass in der-
selben Zeit, in welcher die Gründung einer ganzen Reihe von frommen
Brüderschafteu zur Stärkung der politischen und materiellen Macht der
Kirche planmässig vor sich ging, nämlich gegen Ende des 11. Jahr-
hunderts, auch die ersten Schützenbrüderschaften durch Organe der
Kirche errichtet worden seien. Die Kirche hätte dabei die Sicherung
des Kirchspiels und des darin befindlichen, nicht selten wertvollen
Kirchenguts gegen kriegerische oder räuberische Angriffe zunächst im
Auge gehabt, dann aber auch ein Gegengewicht gegen feindliche
Strömungen, wie solche namentlich innerhalb des Rittertums ihr öfter
gegenübertrateu , gesucht, vielleicht auch eine Abschwächuug roher
Fehdegewohnheiten zu Gunsten eines friedlichen und geordneten Waffen-
spiels beabsichtigt.
Die erste Errichtung von Schützenbrüderschaften fällt aller Wahr-
scheinlichkeit nach in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts. Es wider-
spricht dieser Zeitannahme nicht, dass über bestehende Schützenver-
einigungen die ersten Aufzeichnungen erst aus dem Ende des 12. Jahr-
hunderts datieren; denn lange zuvor, ehe der Anlass zu den Auf-
zeichnungen sich darbot, können und werden die ersten Keime der
Vereinigungen hervorgetreten sein. Als Thatsache wird angeführt, dass
die wohl weniger den Wettstreiten der Heroen des Altertums, als dem
Wettschiessen der frühmittelalterlichen Schützen - Vereinigungen ent-
nommenen Redensart: „Er hat den Vogel abgeschossen" schon im
12. Jahrhundert in ihrer heutigen gemeinverständlichen Bedeutung
vorkam. —
Der Umstand, dass die ersten Erwähnungen bestehender Schützen-
vereinigungen sich auf Genf und Chamber} beziehen, weist auf die
südlich vom Genfer See belegene Landschaft als den Boden der ersten
Entstehung hin. Insofern in dieser, damals zum Burgundisch - Are-
latischen Königreich gehörigen Landschaft im 11. Jahrhundert zuerst,
auf Betreiben der Geistlichkeit, der Gottesfriede (Treuga dei), in Kraft
gesetzt wurde, ergiebt sich eine Bestätigung der obigen Zeitbegrenzung,
da der Gottesfriede deu Aulass, die Abschwächung roher Fehdegewohn-
heiten zu erstreben, in vorzüglicher Weise dargeboten haben wird.
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Chronik der Berliner Schützengilde.
Auf die Erwähnungen von Schützenbrüderschaften in Genf und
Cbamböry folgen als zeitlich nächste, dem Anfang des 13. Jahrhunderts
entstammend, verschiedene in Städten des südöstlichen Frankreich und
der südwestlichen Schweiz. Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts finden
sich Nachrichten über Schützenbrüderschaften in fast allen bedeutenderen
Städten des östlichen Frankreich und der Rheingegend, sowie der Nieder-
lande. Wien, Breslau, Magdeburg haben Schützengilden gegen Ende des
13. Jahrhunderts. Im 14. Jahrhundert entstehen sie in den Städten längs
der Nord- und Ostsee-Küste, in Ostpreussen zufolge besonderer Förderung
durch die Ordenshochmeister. Unsere Mark Brandenburg gehört, —
was die besonderen, der frühzeitigen Entwickelung eines kräftigen
Städtewesens wenig günstig gewesenen Verhältnisse erklärlich erscheinen
lassen, — zu denjenigen Landschaften, in welchen die Einbürgerung der
Schützengilden verhältnismässig spät, nämlich Ausgangs des 14. und
Anfangs des 15. Jahrhunderts stattfand. Nur Zielenzig, wo im 13. Jahr-
hundert der Johanniter-Orden eine Schützengilde errrichtete, macht eine
Ausnahme. Nachrichten über das Bestehen der Schützengilde in Pritz-
walk und Lübbeu liegen aus dem 14. Jahrhundert, derjenigen in Frank-
furt a. 0., Müncheberg, Beeskow, Treuenbrietzen, Luckau u. a. aus dem
Anfang des 15. Jahrhunderts vor. Merkwürdigerweise ist von einer
Berliner Schützengilde in schriftlichen Überlieferungen nicht früher
als im Jahre 1504 die Rede, während mit Fug anzunehmen sein wird,
dass die Errichtung mindestens zu gleicher Zeit, wie in anderen
Märkischen Städten, also fast 100 Jahre früher, erfolgt sei.
Die überraschend schnelle Ausbreitung des Schützenbrüderschafts-
wesens über fast alle Städte des zivilisierten Europas ist aus den be-
sonderen Zeitverhältuissen und örtlichen Zuständen zu erklären, unter
denen die Einrichtung als nützlich und wichtig sich geltend machen und
bewähren konnte.
Der Niedergang des hohenstaufischen Kaisertums, die kaiserlose
Zeit während des sogenannten Interregnums, die traurige Regierung
darauf folgender Kaiser, insbesondere Wenzels (1378 — 1400) leisteten in
den deutschen Landen der höchsten Unordnung und Unsicherheit Vor-
schub. Jeder Stand, vom Fürsten herab bis zum Ritter und selbst zum
Stadtbürger, trachtete nach Unabhängigkeit und suchte sich auf Kosten
des andern zu erheben und zu bereichern. Die Übel des Faustrechts
nahmen schrecklich überhand und ein Teil der Ritterschaft erniedrigte
sich sogar zum Raubleben und störte den Handel und Verkehr der be-
triebsamen Einwohner der Städte, die bald nach der Zeit der Kreuzzüge
zu grossem Wohlstand gediehen waren, auf das empörendste.
In solcher Zeit mussten die Städte ein dringendes Interesse daran
haben, sich möglichst verteidigungsfähig einzurichten. Wenn zur Ver-
teidigung der Stadt im Ernstfalle auch jeder wehrfähige Bürger ver-
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4
Rudolph Bachholi :
pflichtet war, so bot doch die dauernde Vereinigung eines thatkräftigen
Teils der Bürgerschaft zu wiederkehrenden Waffenübungen ein vor-
zügliches Mittel dar, die Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Der
günstige Boden für die Ausbreitung des Schützenwesens war damit ge-
geben. Der leicht zu ausschliesslich dem Erwerb nachgehende Bürger
lud sich in der, mancherlei Anreiz bietenden Vereinigung den Zwang
zur öfteren Waffenübung gern und willig auf. Das Ansehen der Ver-
einigung stieg durch den Eintritt der vornehmen Stadtgeschlechter, in
Folge dessen sich der Name „Gilde" für „Brüderschaft" einbürgerte.
Dass die Schützengilden als geschlossene Korper gegen den Feind
aufgetreten sind, ist nicht bekannt geworden. Alle Anzeichen sprechen
dafür, dass ihre Mitglieder im Ernstfall sich unter die einzelnen ge-
werblichen Gilden — Zünfte — verteilt haben, zu welchen sie ihrem
Beruf nach gehörten und welchen meistens Teile der Stadtmauer zur
Verteidigung zugewiesen waren. Sicherlich aber bildeten innerhalb
der Zünfte die Mitglieder der .Schützengilde den schiessge wandten
Kern, welcher an den Mühen und den Erfolgen des Kampfes den
Hauptanteil hatte, wie er auch durch seine Vertrauen erweckende
Fertigkeit im Schiessen ermutigend auf die anderen einwirkte.
Die in den Schützengilden gehaltene männliche Zucht und der von
ihnen gepflegte echte deutsche Bürgersinn haben sich indes nicht uur
in den Verteidigungskämpfeu erwiesen, sondern auch in den Werken
des Friedens. Mit Recht lässt sich sagen, dass mit dem erstarkeuden
Stadtbürgertum das Schützengildewesen untrennbar verbunden ist.
Unter der durch die Schützengilden gewährleisteten grösseren
Sicherheit konnte die Erwerbsthätigkeit jeder Art sich reger entfalten,
konnte der Wohlstand wachsen, Kunst und Bildung gedeihen und fort-
schreiten.
Wie aber innerhalb der eigenen Stadt die Schützengilden unmittel-
bar und mittelbar einen vorteilhaften Einfluss ausübten, so ist auch die
Annäherung der Städte untereinander, welche in den grossen
Städtebünden des 18. und 14. Jahrhunderts hervortritt, sicherlich zum
guten Teil auf die Wirksamkeit der Schützengilden zurückzuführen.
Die letzteren veranstalteten nämlich frühzeitig in grösseren Städtever-
bänden gemeinsame Wettschiessen, in Verfolg deren Verbindungen zur
Geltendmachung gemeinschaftlicher Interessen angeknüpft wurden. Zu
allgemeinen Volksfesten gestalteten sich solche Wettschiessen, und
sie hatten den Gang der Geschichte beeinflussende Volks- und Städte-
Verbrüderungen zur Folge.
Bewehrt und bewaffnet, haben die Schützengilden niemals in
frivoler und ungerechter Weise von ihren Waffen Gebrauch gemacht.
Damit steht auch die Eiugangsscene zu Goethes Egmont, die ein Arm-
brustschiessen darstellt, im Einklang, worin der Bürger Soest auf die
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Chronik der Berliner 8chütiengilde.
5
Klagen über die Not der Zeit sagt: „Drum muss auch ein Bürger immer
in Waffen geübt sein", und welche ausklingt in die echte Schüteen-
Ideale bezeichnenden Worte: „Sicherheit und Ruhe, Ordnung und
Freiheit."
Es konnte nicht fehlen, dass mit dem Aufkommen eines starken
Landesfürsteutums , welches als seine vornehmste Aufgabe den Schutz
nach innen und nach aussen erachtete, die Stellung und die Aufgabe
der Schützengilden in etwas verändert wurde. Aber die Volkstüm-
lichkeit, welche die Gilden in früherer Zeit sich erworben
hatten, ist ihnen, wie das namentlich bei den Schützenfesten
in kleineren Städten ersichtlich ist, geblieben. Sie haben sich
solcher Volkstümlichkeit auch wert gehalten, indem sie, als würdige
Körperschaften der von jeher die festesten Stützen der Reichs-
gewalt bildenden Städte niemals aufgehört haben, den deutschen
Einheitsgedanken zn pflegen, selbst dann nicht, als schwere Zeiten über
das gemeinsame Vaterland hereinbrachen.
Und wenn wir uns jetzt der endlichen Verwirklichung dieses Ein-
heitsgedankens freuen können, so ist das zwar unmittelbar dem ge-
waltigen Aufgebot der militärischen Schützen, den grossen Führern
derselben und den Leitern der Politik zu danken, aber den Kriegs-
Erfolgen war wirksam vorgearbeitet durch die lange vorher betriebene
und wachgehaltene Verbrüderung der deutschen Volksstämme,
die jedesmal zum Ausdruck kam, wenn Schützen -Gesaug- oder Turn-
vereine der'deutsehen Gaue sich zu friedlichem Wettstreit versammelten.
Insbesondere aber erhielt das Verlangen des deutseben Volkes
nach politischer Einigung durch die vor 30 Jahren zuerst veranstalteten
und dann fortgesetzten deutschen Bu ndesschiessen neuen Impuls
und so haben auch die Schützengilden ihren Anteil an dem ruhmreichen
Verlauf der jüngsten Geschichte Deutschlands.
Die innere Einrichtung der Schützengilden ist in der langen Zeit
ihres Bestehens naturgeinäss manchen Wandlungen unterworfen gewesen.
Ihre Waffen, ihre Gepflogenheiten, namentlich bezüglich des Königs-
schiesseus, sind unter dem Einfluss jeweiliger Anschauungen bezw.
neuer Erfindungen mehrfach verändert worden.
Die älteste Watte der Schützenbrüderschaften war der Handbogen,
schlechtweg Bogen genannt, welcher schon von den Kulturvölkern des
Altertums als Fernwafte gebraucht worden war, wie bildliche Dar-
stellungen aus den Pyramiden Ägyptens, wie zahlreiche Funde von
steinernen und bronzenen Pfeilspitzen, mitunter auch von Bogenresten
z. B. in den Pfahlbauten der Schweiz, beweisen.
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Richard Buchhol*:
Die Bogen wurden aus astfreien Baumzweigen in Mannslänge,
1,60 — 1,80 m, geschnitten, in Form der nachfolgenden Zeichnung eines
im Märkischen Provinzial-Museum befindlichen Exemplars.
Das beste und gebräuchlichste Holzmaterial dazu lieferte der
Eibeubaum (Taxus baceata), dessen Anbau deshalb besonders gepflegt
wurde. Die grosse Elastizität des Holzes machte die schlanken Zweige,
an denen nicht viel geschnitzelt zu werden brauchte, zur Herstellung
des Bogens besonders geeignet. Im Garten des Herrenhauses zu Berlin
steht noch ein schöner Repräsentant dieser Baumart, dessen Alter auf
600—800 Jahre geschätzt wird, und kürzlich ist auch noch Kunde ge-
kommen von viel grösseren und stärkeren Eiben, die im Dorfe Eichholz
bei Finsterwalde in der Niederlausitz stehen.
Der geschattete Bogen, die Armbrust, scheint in derselben
Zeit erfunden zu sein, in der sich die Pfeilbrüderschaften gebildet hatten;
ja es lässt sich annehmen, dass die Pfeil brüderschaften selbst die Er-
finder der Annbrust sind, die den vorzugsweise auf Verteidigung der
Wohnplätze gerichteten Zwecken besser, als der blosse Bogen entspricht.
Denn das Zielen durch Auflegen war ein sichereres, mechanische Vor-
richtungen gestatteten ein stärkeres Spannen der Sehne, so dass der
Pfeil weiter flog und die Pfeile selbst konnten kürzer und doch
schwerer gehalten werden, so dass sie auch auf weite Entfernungen
noch wirksam waren.
Die Schäftung gestattete zugleich eine allmähliche Verkleinerung
des Bogons, der dafür um so stärker gemacht werden konnte, ebenso
wurde die Sehne stärker und kürzer.
Von der byzantinischen Kaisertoehter Anna Komnena und vom
Erzbischof Wilhelm von Tyrus haben wir den frühesten Bericht über
den Gebranch der Armbrüste; sie seien im Kreuzzuge zu Ende des
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Chronik der Berliner Schfltzengilde.
7
11. Jahrhunderts verwendet worden. Im 12. Jahrhundert worden bereits
in Frankreich ganze Truppenkörper mit Armbrüsten bewaffnet, doch
verdankt England die Siege von Cräcy 1346 und Poitiers 1356 seinen
Bogenschützen, da die Bogen während des Regens weniger litten als die
Armbrüste der Franzosen.
Die unter „Alte Schusswaffen", Fig. 2, abgebildete Armbrust ist
eine der im Märkischen Museum befindlichen, aus dem Rathause zu
Prenzlau herrührenden und macht die im 15. Jahrhundert gebräuchliche
Form anschaulich. Der Bogen ist aus Hornlagen zusammengesetzt, die
mit Leder oder Schlangenhaut überzogen sind. Zum Aufziehen der
Sehne wurde eine Hebel Vorrichtung oder eine Winde benutzt.
Es sei hier eingeschaltet, dass die Zeit der Armbrust als die
Blütezeit der Schützengilden bezeichnet werden darf. Den damaligen
Angriffs- und Schutzwaffen der Ritter gegenüber war die Armbrust,
wenigstens in der Verteidigungsstellung hinter den Stadtmauern, eine
furchtbare Waffe. Der scharfe und schwere, kraftvoll abgeschossene
eiserne Bolzen durchdrang den damals noch schwächeren Schuppen-
oder Maschenpanzer der angreifenden Ritter und diese mussten sich
ausser Schuss weite halten, oder, was bald darauf geschah, stärkere, aber
auch schwerfälligere Rüstung anlegen. Auch die weltlichen oder geist-
lichen Landesfürsten jener Zeit mussten zu ihrem Schaden in ihren
Streitigkeiten mit den Städten die Wirkung gut gezielter Armbrustbolzen
erkennen, was ihnen Anlass gab, Kaiser und Papst zum Verbot
der nnchristlichen Armbrust anzurufen. Auf den ökumenischen
Konzilen in den Jahren 1139 und 1215 wurde denn auch deren Gebrauch,
insoweit 'er gegen Christen und nicht gegen Ungläubige gerichtet war,
verflucht und Zuwiderhandlungen wurden mit dem Bann bedroht. Wir
ersehen indes nicht, dass dieses Vorgehen bei den Schützengilden einen
Erfolg gehabt hätte.
Die Armbrust blieb auch nach Einführung der Feuerwaffen neben
den letzteren in Gebrauch und zwar war in der Kegel ein Teil der-
selben Schützengilde auf die Armbrust, der andere auf die Büchse an-
gewiesen, oder es wurde für alle Mitglieder ein Annbrustschiessen nach
dem Vogel und ein Büchsenschiessen nach der Scheibe veranstaltet. Im
17. Jahrhundert begann endlich der Gebrauch der Armbrust allmählich
nachzulassen und namentlich in Berlin wurde seit U>51 nur noch mit
der Büchse geschossen.
Nach Erfindung des Schiesspulvers kamen im 14. Jahrhundert die
ersten tragbaren Feuerwaffen, Feuerrohre, auf, welche damals von den
Schützengilden noch wenig in Gebrauch genommen wurden. Ihre Ein-
führung bei den Gilden fand vielmehr erst im Laufe des 15. Jahrhunderts
statt, nachdem eine mechanische Vorrichtung zum Zünden der Ladung
in Gestalt eines Hahnes uud ein geeigneter Kolben zum Anlegen dem
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Rudolph Buchholl!:
einfachen Rohr angesetzt war. Jener Hahn fasste die brennende Lunte
und schlug genau nach dem Federdruck des Schätzen auf die Pfanne,
während bei den ersten Feuerrohren der Augenblick nicht beherrscht
werden konnte, in welchem das Pulver von der Lunte erfasst wurde.
Ein solches Luntenschiossgewehr zeigt Fig. 8 der Zeichnung, nach
einem im Märkischen Provinzial- Museum befindlichen Original aus der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Das Luntenschiossgewehr hatte indes einen erheblichen Mangel,
insofern die Lunte brennend erhalten, oder vor dem Sehuss besonders
angezündet werden musste. Sein Gebrauch verlor sich deshalb allmählich,
nachdem, zu Anfang des 16. Jahrhunderts, das Steinschloss erfunden
war, welches die Funken im Moment des Gebrauchs selbst hervorrief
und gleich auf die Pfanne warf. Die Feuererzeugung geschah dabei
durch Reibung von Feuerstein oder Schwefelkies auf Stahl und die
mechanische Vorrichtung dazu bestand aus einem Stahlrad, auf welches
der Feuerstein mittels eines kräftigen Hahns aufgedrückt wurde. Das
bewegliche Rad wurde mittels eines, in der Regel in der Zündkraut-
büclise angebrachten Sclilüssels aufgezogen und schnellte nach einem
Federdruck sehr kräftig zurück, wodurch die fuukengebende Reibung
mit dem Feuerstein erzielt wurde. Diese Radschlossgewehre, von
denen ein Exemplar aus dem Märkischen Provinzial -Museum hier ab-
gebildet wird, (Fig. 4), wurden, dem gehobenen Kunstgeschraack der
Renaissance entsprechend, ausgestattet und verziert, sie zeugen zugleich
von der Trefflichkeit der Büchsenmacher- Arbeit jener Zeit. Das Rad-
BChloss machte allerdings das Gewehr relativ schwer und der unmittelbar
am Rade sich absetzende Pulverschleim störte nach einigen Schüssen
die erforderliche Schnelligkeit der Drehung.
'äHfc 35#Au ^v ^an ^am <h'shalb im 17. Jahrhundert darauf.
Form des Schlosses erfuhr, aber im wesentlichen bis in die erste Hälfte
solchen FeucrschlossUüchse, welche 17Ö8 vom Grafen von Haacke der
des Hl. Jahrhunderts beibehalten wurde. Ein schönes Exemplar einer
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Chronik der Berliner Schatzengilde.
Berliner Schützengilde verehrt wurde und sich noch jetzt im Besitz
der Gilde befindet, igt hier mit einer Vergrösserung des am Kolben be-
findlichen Gräflich Haacke'schen Wappens abgebildet.
Als Schi essziel war, wie schon berichtet, von Alters her ein
Vogel üblich, meistens eine auf eine Stange gebundene Taube oder ein
Hahn. Die ersten Schützenbrflderschaften milderten solchen rohen Ge-
brauch etwas, indem sie z. B. eine Gans in ein pfeilsicheres Fass
setzten, so dass nur der Kopf herausstand, dessen Verletzung durch den
Pfeil den schnellen Tod des Tieres zur Folge hatte; man blieb aber in
der Abmilderung hierbei nicht stehen, beseitigte vielmehr schon im
12. Jahrhundert jene grausame Gewohnheit und wählte einen aus Holz
geschnitzten Vogel, der auf eine Stange, den Baum, gesetzt wurde.
Man dachte sich unter diesem Holzvogel meistens einen Adler,
bei einigen Schützengilden eine Taube und, namentlich in den Städten
der Niederlande und hin und wieder des norddeutschen Tieflandes, einen
Papagei.
Wer den Vogel so traf, dass er herunterfiel, wurde König und
erhielt den Haupt preis und verschiedene Ehren -Gaben. Für das Ab-
schiessen blosser Extremitäten, des Kopfes, der Flügel etc. gab es
Nebenpreise. War nur noch der Rumpf auf der Stange, so galt das
Fallen desselben als das des ganzen Vogels.
Das Schiessen nach Scheiben scheint erst gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts aufgekommen zu sein; neben jenem hat dann das Vogel-
schiessen noch hunderte von Jahren bis in die neueste Zeit weiter
bestanden.
Wer den besten Sehuss gethau hatte, wurde zum König ausgerufen,
bekränzt und im Triumph in die Stadt geleitet. An diese frühesten und
einfachsten Ehrenbezeugungen, welche unter Mitwirkung der weltlichen
und geistlichen Obrigkeit erwiesen wurden, knüpfte sich beim zunehmenden
Wohlstand der Städte alsbald ein allgemeines Festmahl, dessen Kosten
aus festen Bezügen bestritten wurden, ferner materielle Vorteile ver-
schiedener Art, namentlich auch Befreiung von Steuern, und die Aus-
schmückung mit der Königskette, an welcher das silberne oder goldene
Kleinod in Gestalt eines Vogels (Taube, Adler, Papagei), mitunter auch
des bezüglichen Schutzheiligen, hing. Die Gewohnheit, der Kette all-
jährlich ein vom jeweiligen Könige zu stiftendes Ringleiu zuzufügen,
ritt erst zu Ende des Mittelalters auf. Bei den Schützenfesten zu Magde-
burg in den Jahren 1281 und 1387 soll sogar eine Jungfrau als Haupt-
preis geboten worden sein.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts beginnen die Schützeugilden
mehrerer Städte gemeinsame, in den Städten jährlich wechselnde
Wettschiessen zu veranstalten. Das Interesse an diesen oft grossartigen
Festlichheiten war immer ein allgemeines und die als Sieger aus dem
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10
Rudolph Buchhok:
Wertkampf hervorgehende Gilde, bezw. Stadt, «ah sich hochgeehrt. Ihr
fiel nicht allein der Preis zu, sondern auch das Siegeskränzlein,
mit dessen Übernahme auch die Verpflichtung zur Veranstaltung des
nächsten allgemeinen Wettschiessens verbunden war. Die heutige Be-
zeichnung „Kränzchen" für gewisse wechselnde Gesellschaftsfeste ist von
jenem Gebrauch hergeleitet.
Wie nach den Begriffen der mittelalterlichen Kirche alle Gesell-
schaften, womöglich auch Familien, eines Fürsprechers und Vermittlers
beim lieben Herrgott, eines Schutzheiligen oder Patrons bedurften,
so hatten ihn auch die Schützeubrüderschaften. Doch war es nicht für
alle Brüderschaften derselbe. Die meisten stellten sich unter den Schutz
des heil. Sebastian, jenes Märtyrers, der, obgleich von zahlreichen
Pfeilen durchbohrt, durch einen Engel wunderbar gerettet sein soll.
Nach diesem Patron wurden die Schützen auch oft „Sebastiano" oder
„Bastiano"-Brüder genannt. Einzelne andere Gilden wählten St. Georg,
die heil. Jungfrau u. a. als Schutzheilige.
B. Materialien zur Geschichte der Berliner Schützengilde.
Wie schon erwähnt, datiert die älteste Aufzeichnung, aus der auf
die Existenz einer Berliner Schütze ngilde geschlossen werden kann,
aus dem Jahre 1504.
Ein im Archiv der Stadt aufbewahrtes Wochenbuch des Rats von
Berlin aus dem Jahre 1504 enthält nach einem vor 28 Jahren unter
des damaligen Stadtarchivars Fidicin Beihülfe gemachten Auszuge,
einen Ausgabeposten: 1 Schock und 22 Groschen für Wein zur Be-
wirtung des Kurfürsten und des Hofgesindes „bey dem Schützen Borne
(Baum), do mau nach dem Vogel hat geschossen". Dies ist die früheste
Urkunde über die Berliner Schützengildc*): sie lässt das Vorhandensein
von Schützenbrüdern, die das „Vogelschiessen" veranstaltet hatten, als
sicher voraussetzen. Der Umstand, dass der Hat von Berlin dabei
gewisse Repräsentationskosten übernahm, kann nach den damaligen
Verhältnissen kein Argument gegen das Bestehen der Schützengilde
sein, denn gleiche städtische Ausgaben kommen auch bei viel späteren
Gildefesten, lange nach Erteilung der förmlichen Gilde-Privilegien, vor.
Auch der Mangel jeder urkundlichen Erwähnung der Gilde aus der
Zeit vor 1504 kann die Annahme ihres früheren Bestehens nicht aus-
schliessen, da aus jener Zeit überhaupt nur sehr wenige Berliner Schrift-
*) Die betreffende Notiz ist leider heute nicht mehr lesbar und hat deshalb
hier nicht dem Original-Schriftstück, sondern der Fidicin'schen Wiedergabe entnommen
werden können.
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Chronik der Berliner Schatzengilde.
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stücke erhalten sind. Wohl aber kann angenommen werden, dass das
durch die ersten Hohenzoller'schen Kurfürsten zur Hauptstadt ausersehene
Berlin- Cölln in Bezug auf die Bildung einer Schützengilde hinter den
anderen, meist viel weniger bedeutenden märkischen Städten nicht zurück-
geblieben sein wird. Man dürfte deshalb mit der Annahme der Ent-
stehung unter der Regierung des Kurfürsten Friedrich I., also in der
Zeit von 1417 — 1440, nicht fehlgehen. Der etwaige Einwand, dass dann
die Berliner Schützengilde in der Hussitenzeit oder in den Zeiten der
Streitigkeiten zwischen Berlin -Cölln und Kurfürst Friedrich TT. eine
wichtige Rolle hätte spielen müssen, ist gegenüber den obigen Aus-
führungen hinfällig, nach denen die Gilden als geschlossene Körper-
schaften niemals gekämpft haben. Dagegen liegt ein wichtiger Halt für
die Annahme in der Motivierung Joachims II. bei Erteilung des Schützen-
gilde-Privilegiums: Dass „unsere Vorfahren allezeit was auf die
Schützengilde gehalten und sie mit allen Gnaden gefördert haben".
Auch kommt darin der Ausdruck „altes Herkommen" wiederholt vor.
Endlich aber muss jeder Zweifel über die Frage der Existenz der
Gilde während des 15. Jahrhunderts fallen angesichts der Thatsache,
dass das in alten Konsistorial- Akten aufgefundene Visitatious-Protokoll
der Petrikirche vom Jahre 1540 (bei Umwandlung in den reformierten
Kirchendienst) eine Notiz enthält, nach welcher die Schützengilde
Kapitalien ausstehen hatte, aus deren Zinsen die Priester für den Dienst
am Schützen - Altar Besoldung erhalten. Dieser Zustand hatte, wie
konstatiert wurde, schon lange Zeit bestanden und eine weitere lange
Zeit des Bestehens der Gilde ist zur Ansammlung solcher Kapitalien
vorauszusetzen. Der bez. Auszug aus dem Visitationsprotokoll lautet
wörtlich :
„Dem Altar der Schützen in der Petrikirche zu Cöln. Colla-
„tores sind der Rath und die Schützengilde daselbst, und hat
„die Gilde einige Hauptsuinnieu ausstehen, von deren Zinsen sie
„hie bevor den Priestern, welche die Messen am Altar gehalten,
„ihre jährliche Besoldung gegeben haben.
„Es haben die Schützenbrüder ausserdem alljährlich zur Be-
soldung Priestern, Schulmeistern, Küstern und Pulsanten eine
„Summe Geldes, und in die Kirche etliche Pfund Wachs gegeben".
Nach dem weiteren Inhalt des Protokolls war 1540 die Priester-
steile unbesetzt; die Visitatoren verordneten, dass die Schützengilde für
die Zukunft jährlich 9 Schock Groschen an die Petrikirche zur Besoldung
der Kirchenbeamten zahlen und von den Zinsen der ausstehenden Kapi-
talien nach wie vor gewisse Spenden jährlich ausrichten sollte, nämlich:
3 Schock Groschen an Schüler und Arme, Unterhaltung von Kelch und
Patene, Ornat für den Priester.
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Rudolph Buchholt:
Folgen wir nun den einzelnen aufgefundenen Notizen, die die
Srhützengilde berühren, in chronologischer Reihe:
Im Archiv der Stadt Brandenburg befindet sich ein Einladungs-
schreiben des Rats von Berlin zu einem Ochsen schiessen, vom
fi. Juli 1521 :
„Unsern freund willigen Dienst zuvor. Ehrbare, Ehrsame und
weise, besonders liebe und gute Freunde, nachdem wir auf Sonn-
tag nach Jacobi durch nachgeben und Zulassung unsers gnädigen
Herrn ein gemeines Schiesscti um einen Ochsen und andere
Kleinodia, wie angelegte Copei erweiset, aufgerichtet, ist der-
halben unsere freundwillige Bitte, wollet solche Copei bei Euren
Ehrbaren Weisheiten anschlugen lassen, damit sie öffentlich ge-
lesen, ob jemand von den Euren mit zu schiessen geneigt sich
darnach wisse zu richten".
Leider ist von der das ausführliche Programm enthaltenden „Copei*
nichts mehr vorhanden.
Die Nachrichten beginnen von dieser Zeit an sich zu mehren.
1524 erklärt der Rat von Berlin, dass zur Beförderung des Schützen-
wesens und des fleissigen Übens jährlich 16 Hosentücher, oder statt
derselben für jedes 32 Groschen, ausserdem zu den Kosten des Vogel-
schiessens 10 Gulden aus der Kämmereikasse gegeben werden sollen.
Aus dem Jahre 1527, wird berichtet, dass sich 30 Schützen am
Vogelschiessen beteiligten.
Stärker war die Beteiligung im Jahre 1530. Die Zahl der Schützen
wird auf 132 angegeben, darunter die vornehmsten Geschlechter; auch
2 Bürgermeister, Joachim Reiche und Fröbich, werden als Mitglieder
der Gilde genannt.
An dem Vogelschiessen von 1532 beteiligen sich die 4 Bürger-
meister und 44 andere Schützen; auch der Kurfürst Joachim I. mit
seinen beiden Söhnen Joachim und Hans beehrt das Schützenfest.
So setzen sich die Nachrichten über die Vogelschiessen dann fast
alljährlich fort, ohne neue Einzelheiten zu bieten.
Uber die früheren inneren und äusseren Verhältnisse der hiesigen
Schützengilde giebt zuerst die Ordnung der Gilde zu Kölln a. Spree
vom Jahre 1543 ausführliche und zugleich für die Beurteilung der da-
maligen Kulturverhältnisse interessante Auskunft, weshalb ihre voll-
ständige Wiedergabe nach einer alten in den Städtischen Akten befindlichen
Abschrift hier am Platze erscheint:
Älteste bekannte Satzungen der Köllnischen Schützengilde
mit Bestätigung des Rats von 1543.
„1. Nachdem die Schützen Gülde in allewege auch bei andern Vor
die Voruehmbsten und des Raths Gülde geacht und herbracht,
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Chronik der Berliner Schütiengilde.
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wollen wir dass es noch die Vornehmste und des Raths Gülden
bleiben, darumb auch alle Raths Persohnen die seynd im Regi-
ment oder nicht, zu iederzeit in dieser Guide soyn und bleiben
sollen, da aber einer oder mehr des Raths die nicht mithalten
wolt, dieselben sollen Jährlich so offt die Gülde gehalten ein
jeder ein Gulden in die Brüderschaft Lade zur Straffe geben.
2. Ein ieder der zu Cölln ein Bürger, Bürgers Sohn, und Unsers
gnädigsten IIErrn geschworn Hoffgesinde sey, soll nach Ent-
richtung des Einkauffgeldes neinlich Sechs Groschen zween Pfen-
ning mächtig seyn, Bruder zu werden, doch dass ein ieder zu
erst angelobe und zusage sich bruderlich und gleich andern
dieser unser Ordnung zu unterwerffeil, und gemäss zu halten,
in allewegs der Brüderschafft Nutz, und Bestes zu wissen,
Schaden und Nachtheil zu Verhüten. Es mögen auch die Ber-
linischen Bürger oder ihre Söhne diese unsere Brüderschafft
gewinnen, sofern Sie sich dieser Unser Ordnung und Statut zu-
geloben unterwerffen wollen.
3. Soll auch ein Jeder der Bruder wird in und ausser der Gülden
eines zimlichen ehrlichen Christlichen und züchtigen Wandels
und Lebens seyn, sich auch in allewege gegen seinen Mitbrüdern,
aufrichtig, getreulich ohne falsch und Betrug Verhalten, auch der
Gotteslästerung, tluchens, haderns, leichtfertiger unzüchtiger
Wort, undt aller andern Unthaten, müssig gehen und enthalten,
oder da einer oder mehr freventlich hierwieder handelten und
Brechen sollen, nach erkändtnüss des Königs, älter Leut und der
Brüderschafft ältesten gestrafft werden, Es möchte auch sich
einer oder mehr so muthwilliglich oder eines solchen Beginnens
unterstehen, dass wir, der Rath uns die Straff gegen ihm Vor-
behalten, da es aber Vom Iloffgesind geschehe, wird sich Unser
gnädigster Herr gegen denselben nach der Gebühr zu Verhalten
wissen.
4. Ob einer oder mein- Brüder oder Schwester in die Gülde Kommen
würden Von denen man hernachmals öffentliche unchrist-
liche Laster erführe die auff genugsahme Warnung nicht abstehen
und sich bessern, sondern in ihren allten unchristlichen oder
unehrlichen Wandel Verharren wollen, der oder dieselben sollen
ohne alle Gnade aus der Brüderschafft verworffen werden.
5. Haben wir und die Brüder vor gut und gelegen angesehen dass
hinfürter unser Gülde in den heiligen Pfingst Feyertagen gehalten
und in allewege am Pfingst Sonntage gegen Abend nach der
Mittags Predigt angefangen und folgende Tage hindurch Vollen-
bracht werden solle, so ferne es der Herrschafft auff dieselbe
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Rudolph Buchholi:
dieselbe Zeit gelegen oder sonsten nach der Zeitgelegenheit nicht
Verändert, was aber dazu gehörig gebräuchlich und nothdürfftig,
das soll durch Zween Guide Meister so dazu gekohren wie Vor
Alters allenthalben bestelt und ausgerichtet werden.
6. Sollen auch dieselben Guide Meister durch das gantze Jahr darin Sie
geweidet alle der Brüderschaft Nothdurften, als ihre Einnahmen
und Ausgaben Begräbnüssen Zubehörungen zum Schützen Baum,
und andern, die Laden, Brieff Register, Geld und was sonst
mehr den Brüdern zuständig, getreulich und mit Fleiss bestellen,
ausrichten und Verwahren und nach Ausgang ihres Jahres be-
ständiglich berechnen und Verantworten.
7. Sollen dieselben nach Ausgaug ihres Jahres, wann die Gülde
uberiiiahl gehallten, wiederum andere Zwei an ihre Stat nach
alten Gebrauch zu Wehlen haben, welche auch Von ihnen ge-
wehlet, sollen solch Ambt ohne alle wiederrede annehmen, doch
soll es mit dieser Wahl allso zugehen, dass allewege einer ein
Brauer, Erbe oder sonsten nach Vermögen Gelegenheit hatt, zu
einem Budemann, und einer der nicht Gelegenheit hatt, gekohren
und Verordnet werden soll, damit bey einem die Gülde gehalten,
und durch den andern andere Nothdurften bestellt werden
mögen.
8. Ob sichs zutrüge dass zu einem oder mehrmahlen im Schiessen
oder sonsten was Vorfiele, das der Brüderschaft Nutz, Frommen
oder Nothdurfft wäre, und solches alles anderer Geschäft halben
den Gülden Meistern zu Viel, oder Zubestellen ohnmüglich, darum
dann einer oder mehr Brüder Vom König oder Gülden Meistern,
so dazu dienstlich um Hülffe angesprochen würden, der oder
dieselben sollen sich des nicht weigern, bey der Busse so oft
es geschehe, einen Groschen in die Lade, oder da der Uugehor-
sahm so gross, dass ein Groschen zu wenig, soll er oder die
nach Erkändtnüss der Schützen Brüder bestraft werden, wie
dann auch sonst alle Brüder dem König und aelter Leuten zim-
lichen Gehorsahm zu leisten schuldig seyn sollen bey Vermeydung
der Straffe.
9. Soll Jährlich im Ausgang der Gülden, wann der Vogel abge-
schossen, ein Brüderliche Verhör dazu all und jede der Brüder
Mängel und Irrung Vor dem König Gülde Meister und Aeltesten
Vortragen, gebüst und beygeleget, ordentlich gehallten werden,
damit die Friedliebenden und Gehorsahmen gehandhabet, und
die Uugehorsalnneu und wiederspenstigen nach derselben Er-
kendtniss Vermöge der Brüderschaft Wilkühr gestraft und im
Zwang gehalten. Was auch sonst mehr der Brüder Nothdurften
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Chronik der Berliner Schützengilde.
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Vorfallen möchten, alss Rechnungen und anders, soll allwege
auff dieselbe Zeit geschehen, und Von ieden, was er alsdann
schuldig, ohne Verzug bezahlt werden.
10. So offt dem Könige oder Gülde Meistern was nötiges, darum
die Brüder zu Entbieten wären, Vorfiele, soll nach Gelegenheit
solch Verbot oder Zusainmenforderung durch die Brüderschafft-
diener bestellet werden, da alsdann ein jeder Bruder bey Ver-
meydung der Buss Vier Pfennige in die Laden auff die Zeit und
malstadt, die man anzeigen lässt, erscheinen soll, wo aber die
Sache so hefftig oder nötig dass das Verbott bey der hohen
Boss geschehe, soll der Ungehorsahme zu iedem mald zween
Groschen Verfallen und zu geben schuldig seyn.
11. So einem Bruder sein Weib oder Kind nach den Willen Gottes
mit Tode abgehet, sollen die andern alle als des Verstorbenen
Freunde zum Begräbnüss Verbott werden, bey der Buss Vier
Pfenninge, Alsdann ein jeder Bruder und Schwester und zum
wenigsten Von jeden paar Ehevolks eins erscheinen und mit zu
Grabe gehen soll es hätten dann bey de Theile beweissliche
ehrhaffte entschuldigung, sonst mögen Sie der Straffe nicht ent-
gehen, welche Straff von die Gülde Meistern allemahl in den
Gottes Kasten soll geleget werden.
12. Da auch ein Bruder sein Weib oder Kind verstürbe, und durch
die Ihren die Leichenträger nicht bestellt werden könnten, sollen
die zieler Leut darzu gedüngt und aus der gemeinen Laden Ver-
lohnet werden.
13. Haben die Brüder gewilliget und beschlossen so offt die Gülde
gehalten würde, ihren Seelsorger und Prediger mit sambt den
andern Kirchen Dienern zu speisen und zu tränken ohne alle
Vergeltung.
14. Es sollen und wollen auch Jälirlich am heylichen Pfingsttage
alle Brüder und Schwestern nach der Predigt unter der Messen
in Sanct Peters Kirchen zum Gottes Kasten gehen, dem König
und aelter Leuten nachzufolgen, nicht üm eines Verdienste
willen, sondern aus christlicher Liebe, um des Löblichen Ge-
brauchs und Gehorsahmbs willen den Armen damit nach eines
ieden Vermögen zu helffen bey der Busse eines Groschens, welch
Straffgeld das also gefället, bald hernach unter den Armen soll
Vertheilet werden, zu dem haben auch die Brüder einträchtiglieh
ge williget, Jährlich wann die Gülde gehalten Vor ein Orth
Brodt's und eine Tonne Biers in unser Hospital zu Sanct Ger-
trauten Vor die Armen zu geben.
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Rudolph Bachholz:
I"). Es sollen auch sonst alle Bussen, Straffen und andere Ein-
kommen der Laden fleissig Verwahret und Berechnet werden,
und alle Jahr wann die Zech in der Gülden abgenommen, ein
ieder Bruder Ein Groschen einlegen, damit wieder ein Vorrath
in die Laden kommen möchte, Von dem den armen Brüdern,
welche bei uns Verarmten, Vom Schiesszeug Schaden empfingen,
Alters oder andere Gebrechlichen halber nicht mehr erwerben
oder sich ferner ernehren Könnte, damit zu helffen, wie wir
dann auch ohne das unsere arme Brüder und Schwester die
niclrt muth williglich Verarmt seynd, nothdürfftiglich zu unter-
halten schuldig seyn wollen und sollen.
16. Es soll auch allemahl wann die Gülde gehalten wird, die nicht
uum Essens oder Trinkens willen, sondern auch ümb der nötigen
Übung des Schiessens hergebracht, und angericht, aus dem Arm-
brost ein gewöhnlich Schiessen zum Vogel gehalten werden,
dazu ein ieder Bruder mit seinem Schiesszeuge also gerüst seyn
solle, ohn alle Gefährlichkeit und Vorsichtiglich mit zuschiessen.
Doch sollen, ausgenommen unser Herrschafft und derselben
Räthe, die Brüder so nicht Bürger oder Bürgers Söhne zu Cölln
und in unser Ringmauer gesessen, sich aus bedenklichen Uhr-
sachen, des Schiessens zum König Vogel wie Vor Alters ge-
schehen enthalten, dann Keiner sonst Zugelassen würde, es ge-
lobeten dann die Brüder, so dazu Lust hätten an, dass Sie
dasselbige Jahr ihr Bürger Recht gewinnen und Sich bey uns
setzen wollen.
17. Haben auch die Brüder Vor gut angesehen und gewilliget dass
hinfürter nicht Vergeblich zum Kopff, Schwante und Flügeln
geschossen, sondern so offt man zum Königs Vogel zu schiessen
willens, soll ein ieder Schütz zu demselben Vier Groschen einlegen.
18. Ess soll auch hinfürter kein Schütz Vom Königs Vogel zwey
Gewinne mit einem Schosse gewinnen mögen, ob er die wohl
zugleich in einem Schosse abschösse, sondern eins, welches ihm
gefällig, soll er gewunuen haben, das andere den Schützen bleiben,
es schösse dann einer zwo oder mehr Gewinne mit sambt
dem Rumpff ab, doch so einer den gantzen Vogel abschösse, und
noch alle Kleinod dabey wären, soll der alleine das beste ge-
wonnen haben und König seyn, die andern Kleinoter aber den
Brüdern bleiben, Auch soll hinfürter aus bedenklichen Uhrsachen
und um mehrer Kurtzweil willen, der das grösste Stück Von
den Seiten Kleinotern abscheusst, und nicht der erste, das
Kleinod gewonnen haben, doch mögen zwey drey und mehr
Stücken, so in einem Schoss Vom gemeinen Kleinod abgeschossen,
Vor ein Stück gerechnet werden.
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Chronik der Berliner Schützengilde.
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19. So wollen wir, der Rath, zu Erhaltung des Ritter Spiels Jähr-
lich dem, so König wird, ein gülden Riuglein Vom Gold Gülden
Rheinisch imd zwey Schock an Gelde zuvor geben, damit er den
Unkosten so aufl' in gelegt, desto leidlicher tragen, und üm des
willen Keiner das Schiessen zu meyden Uhrsach haben möge,
Desgleichen haben wir auch den Brüdern Jährlich einen Winspel
Rogken Vom Rathhause Verordnet, dem Wirthe, dabey die Guide
gehalten, zu geben, davor er die Officianten, alss der Brüderschaft
gemeinen Diener item Pfeifler und Trommel Schläger, des Raths
Diener so aufwarten, auch Trinkgeschirr, Licht, der Köchin Lohn
und dergleichen aus der Brüderschaft Rechnung zulassen schuldig
seyn solle, da aber ein oder mehr Jahre die Gülde nicht gehalten,
soll derselbe Rogken und die zwey Schock so offt es geschieht
den Brüdern in ihre Lade gefallen, und gegeben werden, den
Verarmten Brüdern zu Gute.
20. Soll ein ieder der König wird nach dem abschiessen des Vogels
über die neehste Mahlzeit den Brüdern und Schwestern auff
jeden Tisch, so Viel der seyn werden, ein halb Stübichen Wein
seines Gefallens zugeben schuldig seyn, darnach nach Gelegen-
heit die Brüder und Schwester, wie Vor Alters in die Milch und
zu bade führen, da mans ihm nicht erlassen will.
21. Es soll auch der so König wird, in allewege ehe man Von dem
Schützen Baum herein gehet, den silbern Vogel wie gewöhnlich
Verbürgen, denselben fleissig zu Vorwahren, damit er nicht Ver-
geringert, oder Von abhanden bracht, bei einer ansehnlichen
Summa Geldes, die man Ihme Nahmkündig machen soll.
22. So soll der König denselben Silberneu Vogel nicht allein aufl'
allen ehrlichen Schiessen zu Cölln und Berlin den Brüdern zu
Ehren unter die Vogel Stangen, sondern so offt er in die Gülden
gehet, auch auff die drey Feste Weyhnachten, Ostern, und Pfingsten,
am Halss tragen, also dass er auff berührte Feste unter der
Predigt oder dem Amte in St. Peters Kirche gesehen werde, bey
der unnachlässigen Strafte Vier Groschen so offt es übertraten.
23. Weil sich des Königs Gewinn gebessert, so bessert sich der
silbern Vogel auch nicht unbillig, darum soll ein ieder der
König wird, so offt es geschieht, dem mit einem halben Loth
Silbers zu verbessern schuldig seyn, davor soll Ihme, wann man
wiederum zum König Vogel zu schiessen anfahren will, zum ersten
ein freyer Schoss gegont und zugelassen werden.
24. Ob sichs zutrüge dass ein Bruder den Königs Vogel, drey Königs-
schiessen nacheinander abschösse, der soll den silbern Vogel
Voreigen gewonnen haben, neben den andern Gewinnen, doch
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Rudolph Buchholz :
sollen die Brüder Macht haben, dem von Eime wiederum zu
lösen mit einer halben Mark Silbers oder mit Sechs Gulden
an Münte.
2ö. Wann und so offt auch hinfürter zu Cölln zum Vogel ge-
schossen wirdt, soll niemands ohne der Brüderschaft^ Erlaub-
nüss und Willen einig Spiel oder andere Kurtzweil üms Geld
anzurichten Macht haben, ausser was gemeine Brüderschafft
Verordnet und schaffet, wie dann auch die Kannen Giesser und
andere Krahmer ihres feilhabens ohne der Brüderschaftt willen,
sonderlich ohne Erlegung ihres gebührlichen Stette Geldts, darum
sie sich zu ieden mahl mit ihnen Vergleichen, enthalten sollen,
mit nichten zu thun haben sollen.
20. So offt man auch auff der Gülden zum Schiessen oder davon
wiederum her eingehet, soll ein ieder der Bruder ist, dem König
in der Ordnung nachfolgen, bey der Busse eines Groschen.
27. Es soll auch ein jeder Schütz im hinaus-, auch wiederum im
hereingehen sein Schiesszeug als Armbrost, Boitzen und anders
nicht Vorweg schickeu, sondern auff der Gülden bis unter die
Stangen und von dar wiederum hinein Vor die Gülden, so offt
man aus und eingehet, in der Ordnung Vor den Brüdern nach
der Trommel und Fähnlein hertragen lassen bey der Buss Ein
Groschen so offt solches nicht gehalten.
28. Und wann die Guide gehalten wird, soll der Guide Meister, so
dasselbe Jahr darzu Verordnet, die Brüder die Zeit über um
ihr Geld speisen, dagegen Er sich gefast machen, ihnen zimliche
Ausrichtung Zuthun, und soll von ieder Persohn nicht mehr alss
zwölf Pfennige zu nehmen schuldig seyn, welche ein ieder bald
nach geschehener Mahlzeit Vor sich, auch die Eheleute Vor
ihren Ilauss Frauen, es sey theuer oder wollfeil, erlegen und
bezahlen sollen, doch soll es einem ieden freystehen, ob er in
der Gülden essen wolle oder nicht, welche aber zur Stätte essen
wollen, sollen sich allewege Von einer Mahlzeit zur andern an-
sagen, darnach sich der Wirth zurichten, es sollen auch die-
jenigen so nicht in der Gülden essen wollen, zu ieder Mahlzeit
aus dem gemeinen Bier ein Halb Stübicheu Biers in ihr Hauss
holen zulassen mächtig seyn, auff Ansuchen bei den Schützen
Meistern.
29. Da auch einer oder mehr insonderheit einen Gast in die Gülden
laden würde, soll ihnen frey seyn, doch dass der Bitter die
Mahlzeit und den Wein ob der getrunken würde Vor ihre Gäste
bezahlen, aber das Bier bleibt zur gemeinen Bezahlung, würden
aber die Brüder, wie eine Löbliche Gewohuheit ist, ihre Nacht-
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Chronik «1er Berliner Schützengikle.
1<)
bahren, die Berlinische Schützen oder sonst andere Gäste inge-
mein Laden, soll auch die Bezahlung mit alle über die Brüder
ingemein gehen.
30. So sollen sich alle Brüder, weil das Gilde-Bier getrunken wird,
vor allen Dingen im Zechen massig Christlich und ehrlich Ver-
halten, die Uebermaasse des Zutriukens und der Trunkenheit
Vermeiden, Vielweniger iemand zum trinken zwingen, wie dann
Keiner Bescheid zuthun gezwungen werden solle und alle Abend
zu rechter zeit mit Friede abscheiden, dann allemahl zu Neun
Uhr zu Abendt der Keller geschlossen und kein Bier daraus
Vorreicht werden soll.
31. Ob einer oder mehr Gilden Brüder Uhrsachen Vorfielen, dass
Sie in das Guide Bier zu gehen Verhindert und kein Bier in
ihre Häuser holen Hessen und darnach iu der Brüderschaft
bleiben wollen, die sollen, so manches Jahr es geschieht, drey
Groschen in die Laden legen, welche aber muthwilliglich und
uuheweisliche Uhrsachen zu llauss bleiben, sollen die halbe Zech
erlegen.
32. Und ob es sich zutrage dass einer oder mehr Brüder Alters
halber oder sonst nach Schickung des Allmächtigen so Unver-
mögens würden, dass der oder die die Gülden mitzuhalten nicht
Vermöchten, und dennoch gerne bis an ihr Ende darum Ver-
harren wollten, die soll man uicht allein mit allem Willen alss
Brüder und Schwestern behalten, sondern järlichs, so offt und
lange man das Gülden Bier trinkt, soll einem ieden auf sein
Ansucheu ohne alle Bezahlung ein halb Stübbicheu Biers in ihr
gewahrsam geschickt werden, wie dann die Verarmten oder Un-
vermögen Brüder und Schwestern über das auch Vor allen
andern in unser Hospital genommen, Versorget, bis an ihr
ende Vollends erhalten und ernähret werden sollen, da aber
jemandts Unvermögenheit oder sonsten ansehnlicher und bestän-
diger Uhrsach halber nicht länger in der Brüderschaft* Verharren
wollte, der mag wohl mit Ehren abdanken, welcher aber der
Uhrsach keiue hätten und allein aus Uebermuth oder Wieder-
willen abdanken wollten, und hätten noch kein Jahr das Gülden
Meister Ambt verwaltet, denen soll kein abdanken zugelassen
werden, Sie werden dann ein Jahr Gülde Meister gewest oder
erlegen zu Vorn drey Gulden zum Auskauf in der Laden.
3b\ Es will auch um dieser löblichen Brüderschafft willen Ein Ehr-
bahr Rath alle diejenigen von ihren Einwohnern, so sich in
dieser Brüderschaft* begeben, vor allen andern ihren Bürgern
in allen billigen und ehrlichen Sachen und Händeln, fordern,
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20
Rudolph Buchhol«:
Vorziehen, schützen und handhaben, wie Sie dann auch billig
nach alter Gewohnheit in allewege den Vorgang haben und be-
halten sollen.
34. Sollen die Güldo Meister mit allen Fleiss, solche dieser Ordnung
Uebertreter bei vorgeschriebener Pein straffen, der aber darvon
unterlässt, sollen Sie, die Gülden Meister, die Pein selber ent-
richten, do aber einer oder mehr sich verwirckter Straffe weigern
und dawieder setzen würde, dass die Gülde Meister solches in
der Güthe von Ihn nicht bringen oder erlangen könnte, sollen
dieselben von wegen ihres inuth willigen Ungehorsahms von uns,
der Brüderschafft, gestrafft werden.
35. Und zum letzten soll alle Jahr, wan man die Gülde zu halten
anfahrt, den Brüdern diese unser wilkührliche Bewilligung und
Ordnung Vorgelessen und publiciret werden, dann sich niemand
mit des Innhalts Unwissenheit zu entschuldigen oder zu behelfen.
Darüber behalten uns wir, Bürger Meister Rath Manne und gantze
Brüderschafft für, ob uns was nötigs das Christlich gut, und der Gülden
löblich wäre Vorfiele, solches in allewege anzunehmen, zu halten, und
diese unser Brüderschafft zu bessern. Darnach sich ein ieder wisse zu
achten. Geschehen zu Cölln au der Spree am Tage Bartholome! nach Christi
uusers Heylandes Geburth Fünfzehn Hundert Viertzigk und drey Jahr.tt
Diese vom Rat zu Cölln 1643 gegebene Ordnung erhielt die
kurfürstliche Bestätigung am Pfingstabend 1551,
„wann wir dann gut wissen tragen, dass diese Gülde bei Unsern
Vorfahren, auch sonsten den Alten und Uns in allewege in
Hoher Acht, vordienstlich Nutz und vorträglieh gehalten, darum
wir auch dieselbe wiederum aufzurichten gnädigst befördert,
Als haben wir p. p. bestätigt und wollen, dass hinfort dieselbe
Guide nicht allein in aller Ehrbarkeit als die Vornehmste, sonder
diese ihre Ordnung auch in allen Artikeln, Clausein und
Statuten p. p. gehalten werde."
Ein ferneres besonderes Privilegium erteilt der Kurfürst im
Jahre 1658 derselben Gilde in folgender Form:
„Wir Joachim (von Gottes Gnaden des Nahmens der ander
Marggraff zu Brandenburgk des Heyligen Römischen Reichs Ertz
Cämmerer und Chur Fürst zu Stettin, Pommern, der Cassuben,
Wenden und in Schlesien, zu Crossen Hertzog, Burggraff zu Nürn-
bergk und Fürst zu Rügen p. p.) Bekennen und thun Kundt öffentlich
für Uns alle unsere Erben, nachkommende Marggraffen zu Branden-
burgk und sonsten gegen iedermänniglichen, Nachdem das Schiessen
zum Vogel, ein alt Herkommen löbliche Gewohnheit und ehrliche
Rittermässige Uebung ist, welche nicht allein Von den fürnehmbsten
Ehrbarn Geschlechtern und Mitbürgern in Städten, in Teutschen
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Chronik der Berliner Schützengiide.
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Landen iedes Orts rühmlich gezieret, gefordert und gebräuchlich
gehalten wirdt. Desgleichen auch Von Unsern Vorfahren Hoch-
löblicher Gedächtnüss, nicht minder dann Von Uns in allwege mit
gnaden gefördert und erhalten. Demnach wir aus sondern gnädigen
Bedencken auch die Schützen Guide unserer Stadt an der Spree:
daselbst unsere Eltern und wir allewege Unsere Residentz und ge-
wöhnliche Hofflager gehalten und noch haben, in weiter Aufnehmen
Gedey und Wollfahrt zu bringen und mit sondern Gnaden zu be-
denken und zu befördern. Und weil dann Von dem Rath unserer
Stadt Cölln, auch den geordneten Gülde Meistern, den Guide
Brüdern daselbst Von Alters und bis dahero allewege fürgestanden,
und willige Forderung gethan, dass die Schützen Gülde alle Jahr
auff eine benandte Zeit ihnen gelegen, doch fürnemlich in Pfingst
Feyertagen gehalten werden, so soll es noch hinführo gehalten
werden, dieselbe Gülde auf eine bequeme Zeit zu halten, und in
Keinen Abfall kommen zu lassen, es fallen dann desselben Jahres
gefährliche sterbliche Zeit und Krieg Geschaffte ein, alssdann soll
die Gülde desselben Jahrs, doch mit Unsern Vorwissen aufgeschoben,
und biss zur andern bequemen Zeit angestellet werden. Und damit die
Guide Brüder zu der obgemeldten Löblichen Schützen Gülde desto
mehr Lust gewinnen, des folgenden Vortheils halben welchen wir Ihnen
aus sondern Gnaden hiemit beständiglich und ewiglich ordnen und Ver-
eignen, Jährlich den Königs Vogel zu richten und zuschiessen, Con-
firmiren und bestätigen Wir demnach ihnen Vor Uns, Unser Erben und
Nachkommen hiemit Kräfftiglich : Welchem Gülde Bruder Gott der
Allmächtige das Glück Vorleihet dass er unter der Gesellschaft
den Vogel abschösse und König wird, derselbe soll damit bekommen
und gewinnen alle alte Gerechtigkeit die hievor zum Vogel ab-
schiessen in den Articuln im Schützen Buch ausdrücklich benandt
seyn, und dazu ietzt anffs neue in dem Jahre weil er König bleibt,
aller und ieder Steuern, Schösse und Unpflichte umbeschwert bleiben,
auch der alten unser, des Raths und sonst der neuen Bierziese so
weit gefreyet seyn, alss er zu seiner eigen Hausshaltung Vor
sich, sein Weib, Kinder und Gesinde Vertreiben und bedürften wird,
wie unser Schreiben an die Räthe beyder Städte Cölln und Berlin
davon auch meidung thut. Doch wo ein Schütz Bruder, der keine
Braustätte hätte, den König Vogel abschösse derselbe soll die Bier-
ziese auff Fünff brauen Bier, inmaassen der Berlinische Konig
privilegiert ist, damit hierinne gleichheit gehalten, gefreyet seyn,
auch die Befreyung der Schösse und anders wie Vorgemeld ge-
messen. Und zu diesem Königs Vogel zuschiessen, solle hinführo
niemand mehr zugelassen werden dann alleine die eingesessenen
Bürger und unser geschworen Hoffgesinde, welche das Bürger
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Rudolph Buchholz:
Rocht gewonnen und eigen Haasshaitang za Cölln haben, würden
aber auch derselben unverehelichte Söhne mitzusehiessen zugelassen
werden und einer schösse den König Vogel ab, derselbe soll Keine
Befreyung haben, sondern wo er sich verbürgen und zusagen würde,
in dem Höchsten Monath das Bürger Recht zu gewinnen, so sollen
ihm die Guide Meister den silbernen Vogel an den llalss hencken
und dann mit deine was Voralters zum Vogel abschiessen Verordnet
ist, begnügig seyn; wolte sich aber der junge König zeitlich im
selben .Jahr weil er König bleibt Verehelichen und seine eigene
Haussnahrung anschlagen, dadurch kan er sich den andern Guide
Brüdern mit aller Herrligkeit und Befreyung gleich machen, der-
selben aller er auch billig gemessen und haben solle. Mit diesem
wie obstchet und allen andern Clausulen, Puncten und Articuln so
die Löbliche Schütze Guide unser Stadt Cölln in ehrlich gebrauch
gehabt und noch haben, Privilegiren, befreyen und begnaden wir
Sie hiemit gantz Kräft'tiglieh Vor Uns unsere Erben und Nach-
kommen, alles in Kraft't und Macht dieses unsers Brieft'es. Und
wollen dass es hinführo und zu ewigen Zeiten in der Schützen
Gülde unser Stadt Cölln an der Spree für und für ohne unser,
unser Erben und männigliches Verhinderung, stets fest unverbrüch-
lich allso wie vorstehet gehalten werden solle. Und wo die Gülde
Meister und gemeine Brüder gedachter Schützen Gülde mit Vor-
wissen des Raths allliier zu Cölln was an Statuten oder sonst, so
zu Aufnahmen oder Beförderung der Schützen Gülde, und guter
Vernünfftiger Ehrbahrer Sitten dienstlich war«', Verordnen und an-
richten würden, dieselben alle wollen wir ihnen hiemit auch
gnädigst confirmiret und bestätiget haben, auch Sie ioderzeit neben
unsern Erben und Nachkommen bey der Befreyung der Steuern,
Schössen Unpflichten und Ziesen, wie die Nahmen haben mögen,
auch allen andern ihren guten Gewohnheiten und Gebräuchen aus
Fürstlicher Obrigkeit schützen und handthr.hcu und mit nichts da-
wieder beschweren, noch diesem unserm Privilegio und Confirma-
tion in Keinerley Weis«? wie es inner oder ausser Rechte geschehen
konnte oder möchte, zu entgegen handeln oder was fürnelunen
lassen. Wie wir dann alle und iede arge List hiemit gänt/.licli
thun ausscheiden. Alles getreulich sonder Gefährde. Ulukündlicli
mit unserm hierunten anhangenden Seerot besiegelt und gegeben
zu Cölln an der Spree, Montags im lleyligen Pfingst Feyeitnge
nach Christi unsers lieben Herrn und Seeligmachers Geburih
Tausendt Fünft' Hundert im Acht und Füntftzigsten Jahr.
Joachim Chur Fürst.
1572 bestätigt Kurfürst Johann Georg die Satzungen der Cöllner
Gilde von 1543, in welche die Bestimmung von I5Ö8 als besonderer
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Chronik der Berliner Schützengilde.
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Paragraph zwischen 20 und 21 eingeschaltet wird, auch sonst verschiedene
Änderungen, namentlich Erhöhung der Strafgelder und bei § 20 ein Zu-
satz bezuglich des Bades und Abendbrots, gemacht sind: Statt der
Führung zu Milch und zum Bade sind lV'a Thaler in die Lade zu legen,
auch „hernach zur Abend Collation zu bitten und auf jeden Tisch ein
Essen Eier, Gebratenes nach Vermögen und ein Essen Milch, sofern
man es ihm nicht erlassen will, zu geben pflichtig sein; doch soll ihm
(dem König) aus der Gülden V* Bier darzu gegeben werden."
In dieser Forin werden später die Satzungen auch von Kurfürst
Johann Sigismund 1614 und von Georg Wilhelm 1620 bestätigt.
Was die Alt Berliner Gilde anlangt, so befindet sich in den
Akten der Schützengilde ein Pergament-Deckel mit der Aufschrift:
Ordnung und Artickel der Schützengilde
der Churfürstlichen Stadt Berlin
vorneuert
Anno
1548.
Der Inhalt des Deckels, also die Original-Urkunde selbst, ist leider
schon seit Jahrhunderten verschwunden und der Verlust ist auch im
Jahre 1837 besonders vermerkt.
Es hat nach der Legende dieses Deckels also nicht nur eine Ber-
liner Gilde-Ordnung vom Jahre 1548 gegeben, sondern es muss schon
viel früher eine solche Ordnung bestanden haben, denn die von 1548
wird auf dem Deckel ausdrücklich als eine erneuerte bezeichnet.
Vorhanden ist dagegen im Original das Kurfürstliche Gilde-Privi-
legium von 1568 und die auf Grund desselben vom Rat zu Berlin auf-
gestellten Satzungen von 1570, die nicht sehr erheblich von den alten
Cöllner Satzungen abweichen:
Die ältesten bekannten Satzungen der Alt -Berliner Schützengilde
' von 1570.
Wir Burgermeistere und Rathmanne der Stadt Berlin Bekennen und
thun kundt hiermit, vor uns unsere Nachkommen und sonsten kegenn
Jedermänniglichen, Dieweill der Durchleuchtigste Hochgeborene Fürst
und Herr, Herr Joachim Marggraf zu Braudenburgk, des Heiligen
Römischen Reichs Erzkämmerer und ('hurfürst unser gnädigster
Herr, die Ehrbaren Hoch- und Wohlgelahrte und weisen Gülde-
meister und gemeine Brüder der Schützengilde allhier privilegirt
und begnadet, dass derjenige so den Vogel abschiesst, das .lahr
über Schoss und aller Unpflichten frei sein und dazu acht Brauen
Bier frei haben solle, auch daneben ihre Ordnung die sie mit
unserem vorwissen ausrichten würden, gnädigst confirmirt und
bestätigt.
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Rudolph Buchhola:
Dass wir Ihnen demnach auf ihr fleissiges Suelien, sonderlich
aber, weil die Schützengilde nicht allein von den alten löblichen
Vorfahren, sondern auch von weiland. Chur- und Fürsten des
Hauses Brandenburg in Würden und Ehren mitgehalten worden,
Ihnen die folgende Ordnung, damit solche alte hergebrachte ehrliche
Brüderschaft uud Ritterspiel hinfüro ehrbar, richtig und christlich
gehalten und zunehmen möge, confirrairt und bestätigt, wie die-
selbe von Wort zu Wort hernach folget.
1. Haben die Brüder für gelegen, und gut angesehen, auch ein-
trächtiglich beschlossen, dass solche Gilde hinfürder alle Jahr
auf dem Sonntag Nach Mariae' Magdalenas soll gehalten werden.
2. Sollen die Güldenieister nach der Ordnung und nicht aus Neid,
Hass oder andern Atfeeten erwählet werden und die Ausrichtungen
von Ihnen auf ihrer beider Unkosten hinfüro geschehen, damit also
gleichviel gehalten und keiner vor den andern beschwert werden,
auch desshalb sich der Gilde zu aeussern nicht Ursache haben
mögen, zu solchem Behuf sollen sie drei Brauen frei haben,
zwei Schock vom Ehrbaren Käthe, einen Gulden von den Brüdern
für die Abendmahlzeit, wenn man das Bier kostet, einen halben
Gulden für den Hausmann zu speisen, einen Gulden für Lichte,
so sollen auch die Gildemeister der Zeche frei seien, darüber
soll den Gildemeistern nichts mehr gegeben werden.
3. Sollen die Gildemeister so dazu erkoren, dasselbe ganze Jahr
alle der Brüderschaft Nothdurften als ihre Einnahmen und Aus-
gaben, die Laden und was sonsten mehr, den Brüdern zuständig,
bestellen und verwahren, auch nach Ausgangs Ihres Jahres be-
ständig Rechnung thun.
4. Soll den Gildemeistern jährlich einer nach der Ordnung, aus
den Brüdern zugeordnet werden, der soll die Aufrichtung der
Stangen, und Bestellung der Gewinne, auch Einforderung der
Strafen neben den Güldemeistern Inhalts dieser Ordnung warten,
und solches alles getreulich befördern helfen, und den Gilde-
meistern zustellen, dem soll die ganze Zeche dafür frei sein.
5. Soll ein jeder Bürger oder Bürgers Sohn zu Berlin auch unseres
gnädigsten Herrn geschworen Hofgesinde, so Lust und Liebe zu
solcher Brüderschaft haben, nach Entrichtung des Einkaufgeldes,
nämlich eines Thalers, zu einem Bruder in diese Gülde aufge-
nommen werden, doch sollen sich die anrüchtigen und tadel-
haftigen Personen der Gilde enthalten und äussern.
6. Soll ein jeder Bruder dieser Gilde, der Gottes Namen mit Fluchen,
Schwören oder andern lästerlich führen würde, allewege zwei
Silbergn »seilen zur Strafe verfallen sein.
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Chronik der Berliner Schfltzengilde.
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7. Wann die Brüder von den Gildemeistern erfordert werden und
einer oder mehr ohne ehafte Verhinderung der Herrschaft
hendel oder ausserhalb Leibs-Schwaehheit darüber aussen bleiben
würde, so oflft ers übertritt, soll derselbe allewege zur Pein zwei
SUbergrr »sehen geben.
8. Wann die Gilde gehalten wird, soll ein jeder Bruder, sanimt
seiner Hausfrauen in des Gildeineisters Haus, da sie die Zeit
gehalten wird, essen, daselbst für sich und seine Hausfrau nach
jeder geschehenen Mahlzeit zwei Silbergroschen für Essen geben,
so aber er und seine Hausfrau ohne genugsam Ehafte aussen
bliebe, soll jedes Aussenbleibendes das Kostgeld, nämlich ein
Silbergroschen geben. Dagegen aber soll man einem Jeden, ein halb
Stübichen Bier auf ihr Ansuchen zu Haus schicken, und sollen
die volle Zeche geben. Würde er aber durch Ehafte als Leibs-
schwachheit und Trauern oder aus Ilerrendienst verhindert, und
die ganze Gilde über nicht kommen können, soll der nicht mehr
denn ein Erz Thaler in die Laden zu geben schuldig sein, würde
er aber in solchen Trauren mit zum Vogelschiessen, soll er das
Kostgeld und ganze Zeche gleichwohl erlegen.
9. So auch ein Bruder in währender Gilde würde krank werden,
oder verreisen müssen, und solches dem Gildemeister sich dar-
nach zu richten, anzeigen, soll er mit dem Kostgelde verschonet
werden und gleichwohl die volle Zeche geben, dagegen soll Ihm
frei sein das Bier wie obsteht holen zu lassen.
10. So einer oder mehr einen ehrlichen Gast laden wollte, soll Ihm
frei sein, doch dass er die Mahlzeit und Wein (so die Zeit ge-
trunken) für ihn bezahle, riessgleichen zwei Silbergroschen in
die Lade erlegen, in Ansehung, dass den Brüdern hieraus grosse
Unordnung mit Fressen und Saufen erfolget.
11. Soll ein Bruder und seine Hausfrau um zehn Uhr auf den Mittag
und auf den Abend um sechs schlags in des Gildemeisters Haus
zur Mahlzeit sein, darum auch die Schützen durch den Gilde-
Knecht um fünf Schlags wann sie schiessen hereingefordert
werden und sie alsbald darauf herein kommen sollen, würden
sie aber aussen bleiben, sollen die Güldemeister gleichwohl nicht
verziehen, sondern denen, so da sein, anzurichten schuldig sein.
12. Wann man zum Königs Vogel schiessen will, soll ein jeder Gilde-
Bruder seinen Bogen vor die Gülde haben, und nach der Trommel
vor die Brüder hinaustragen lassen. So soll auch ein jeder
Bruder, so mitschiesst, den König bis unter die Stangen be-
gleiten, bei der Busse zwei Silbergroschen, er hätte dann ge-
nugsam Ehaften.
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2i)
Rudolph Buchholz:
13. Ist fiu- gut ungesehen und beschlossen dass kein Gilde- Bruder
zum Königs Vogel zu schiessen soll zugelassen werden, der ohne
erhebliche und genügsame Ursachen nicht mit zur Gilde gehet
und die mithält, er erlege dann das volle Kostgeld und die
ganze Zeche.
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